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Hochschuldidaktik

Hochschullehre    

Fallbeispiele einer Hochschuldidaktik am Beispiel Politischer Bildung    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Hochschullehre   
Fallbeispiele einer Hochschuldidaktik am Beispiel Politischer Bildung   
Widmung   
Danksagung   
Vorbemerkung   
Einleitung   
I Hochschuldidaktik   
0 Hochschuldidaktik als Wissenschaft   
1 Lernen - Lehren - Beratung   
2 Studierende   
3 Qualitätsmanagement - gute Lehre   
4 Leitlinien der Hochschuldidaktik   
4.1 Orientierung an Wissen   
4.2 Orientierung an Praxis   
4.3 Orientierung an Zielen   
4.4 Aktives Lernen   
5 Planung von Lehrveranstaltungen   
6 Gestaltung von Lernprozessen   
6.1 Inhalte   
6.2 Einflussfaktoren   
6.3 Lernpyramide   
6.4 Literaturverzeichnis Hochschuldidaktik   
II Lehrveranstaltung Fachdidaktik der Politischen Bildung   
7 Vorbemerkungen   
7.1 Einführung in die Geschichte der Politischen Bildung an Schulen   
7.1.1 Deutschland   
7.1.2 Österreich   
8 Theorieansätze einer Politischen Bildung   
8.1 Partnerschaftsmodell - Oetinger   
8.2 Kritik   
8.3 Konflikttheorie - Dahrendorf   
8.4 Paradigmenwechsel - Fischer-Giesecke   
8.5 Kritisch-emanzipatorische Politische Bildung   
8.6 Demokratie - Fach vs. Unterrichtsprinzip - Schausberger-Heintel   
8.7 Anforderungen an die folgenden Bildungsepochen   
8.7.1 Anforderungen der siebziger Jahre   
8.7.2 Pädagogik einer Demokratisierung   
8.7.3 Positivismusstreit   
8.7.4 Didaktische Impulse   
8.7.5 Politische Bildung in der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung   
8.7.6 Erweiterte Themenbereiche   
8.8 Ansätze einer politikdidaktischen Kompetenzentwicklung - Deichmann   
8.8.1 Verständnis politischer Realität   
8.8.2 Politische Realität in der Didaktik   
8.8.3 Ansätze politischer Kompetenzentwicklung   
8.9 Traditionslinie der Kontroverse - Himmelmann   
8.10 Modell des Bürgers - Hennis-Massing-Detjen   
9 Gesellschaftliche Funktionen   
10 Didaktik der Politischen Bildung - Politische Erwachsenenpädagogik   
10.1 Aufgaben einer Didaktik   
10.1.1 Wissensbereiche   
10.1.2 Fachdidaktik   
10.1.3 Bildungseffekt   
10.1.4 Lernziele   
10.1.5 Politisches Bewusstsein   
10.1.6 Fachspezifische Didaktik   
10.1.7 Kommunikation   
10.1.8 Lehrende als Medium   
10.1.9 Transformation   
10.2 Lerngegenstände - Inhaltsstruktur   
10.2.1 Institutionenkunde - Fallprinzip   
10.2.2 Beschaffenheit der Lerngegenstände   
10.2.3 Bezugsrahmen   
10.2.4 Lernweg als didaktische Aufgabe   
10.2.5 Arten der Inhaltsstruktur   
10.2.5.1 Begriff   
10.2.5.2 Fall   
10.2.5.3 Situation   
10.2.5.4 Problem   
10.2.5.5 Mikro- und Makrowelt   
10.3 Inhaltsauswahl   
10.3.1 Auswahlprozesse   
10.3.2 Auswahlverfahren   
10.4 Denken oder Handeln als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts   
10.4.1 Einführung - Denken und Handeln   
10.4.2 Lernzielarten/Strukturelles Lernen   
10.4.3 Kategorien/Schlüsselbegriffe   
10.4.4 Operationen   
10.4.5 Schemata   
10.5 Kognitive Lerntheorie in der Politischen Bildung   
10.5.1 Kognitive Struktur   
10.5.2 Theoretische Ansätze   
10.5.3 Umsetzbarkeit im Unterricht/Lehre   
10.5.4 Lernaufgaben der kognitiven Komplexität   
10.5.1 Fundamentale Probleme   
10.5.2 Kontroverses Denken   
10.5.3 Problemlösungsfähigkeit   
10.6 Werte als Lernprozesse - Ziele von Lehre/ Unterricht   
10.6.1 Sinn und Grenzen einer Wertorientierung   
10.6.1.1 Lehr- und Studienpläne   
10.6.1.2 Parteinahme und Parteilichkeit vs. Indoktrination   
10.6.1.3 Oberste Ziele eines Unterrichts/Lehre   
10.6.2 Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens   
10.6.2.1 Richtigkeit von Werten   
10.6.2.2 Struktur des moralischen Urteils   
10.6.2.3 Demokratische Verhaltensweisen   
10.6.2.4 Grundwerte - Leitideen   
10.7 Legitimierung von Zielen und Inhalten   
10.7.1 Politische Legitimation   
10.7.2 Legitimation in der Pädagogik   
10.7.3 Legitimation durch gesellschaftlichen Konsens   
10.7.4 Legitimation durch Kommunikation   
10.7.5 Diskursprinzip   
10.8 Politische Erwachsenenbildung   
10.9 Didaktik der Politischen Bildung - Unterrichtsmodell/ Staat und Ehe   
11 Reflexion   
11.1 Perspektiven   
11.1.1 Politische Bildung international   
11.1.2 Funktionen der Politischen Bildung   
11.1.3 Kriterien einer Politischen Bildung   
11.2 Bildungsbereiche   
11.2.1 Lernfelder   
11.2.2 Politische Institutionen - Politikformen   
11.2.3 Herausforderungen für Politische Bildung   
11.3 SORA-Studie: Politische Bildner und Bildnerinnen 2014 - Politische Bildung in Volksschulen und Schulen der Sekundarstufe I   
11.4 Flüchtlingskinder und -jugendliche an österreichischen Schulen/Stand 2015   
11.5 Schule und Politische Bildung - Unterrichtsprinzip/Querschnittsaufgabe   
IT-Hinweis   
11.6 Literaturhinweise Didaktik der Politischen Bildung   
III Lehrveranstaltung - Vorberufliche Bildung   
12 Einleitung   
12.1 Vorberufliche Bildung/Erziehung   
12.1.1 Schulische Berufsorientierung   
12.1.2 Lehrerbildung in der APS   
12.1.3 Lehrerbildung in der AHS   
12.2 Vorberufliche Bildung - Universität   
12.3 Vorberufliche Bildung durch das AMS   
12.3.1 Themen und Inhalte   
12.3.2 Zielsetzungen und Zielgruppen   
12.3.3 Veranstaltungsformen   
12.3.4 Schriften zur Berufswahl   
12.3.5 Kooperationsformen in der Jugendberatung   
12.4 Studienberatung   
12.5 Berufsinformationszentren (BIZ) - Jugend-, Maturanten- und Studienberatung des AMS und der Wirtschaftskammern/WIFI   
12.6 Berufswahl benachteiligter Jugendlicher   
12.6.1 Benachteiligungsaspekte von Mädchen   
12.6.1.1 Aspekte eines Berufsfindungsprozesses von Mädchen   
12.6.1.2 Lehrplanarbeit für beide Geschlechter   
12.6.1.3 Ansätze für eine veränderte schulische Berufsorientierung   
12.6.1.4 Zusammenfassung   
12.6.2 Benachteiligungsaspekte von ausländischen Jugendlichen   
12.7 Teilbereiche vorberuflicher Bildung   
12.7.1 Duale Ausbildung - Lehrlingswesen   
12.7.1.1 Grundsätzliches zum Lehrlingswesen   
12.7.1.2 Tiroler AK-Studie 2004: Berufsverbleib von Lehrlingen   
12.7.2 Umwelterziehung   
12.7.3 Politische Bildung in der Vorberuflichen Bildung   
12.7.3.1 Heranwachsende in ihrer persönlichen Berufsentscheidung   
12.7.3.2 Heranwachsende als Auszubildende und Arbeitnehmer   
12.7.3.3 Heranwachsende in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung   
12.8 Zusammenfassung - Reflexion   
12.9 Literaturhinweise Vorberufliche Bildung   
IV Inklusive Politische Bildung   
13 Didaktik einer inklusiven Politischen Bildung   
13.1 Politische Bildung im Bildungssystem   
13.2 Verständnis - Politische Bildung und Inklusion   
13.3 Zielgruppenorientierung - Analysemodell   
13.4. Begriffe und Konzeption der Politischen Bildung in der Inklusionsdebatte   
13.4.1 Begriffe   
13.4.2 Leitlinien   
13.5 Sprache und Inklusion   
13.6 Medienpädagogische Aspekte   
13.7 Inklusionsdidaktische Vernetzungen   
13.8 Inklusionsorientierter Unterricht   
13.9 Reflexion   
13.10 Literaturhinweise inklusive Politische Bildung   
Internethinweise/Auswahl   
Zum Autor   

Widmung    

Gewidmet meinen Töchtern Katrin und Sabine

Danksagung    

Zu danken habe ich meinen Studierenden, die mir viele Anregungen in den Lehrveranstaltungen gaben.

Dankbar bin ich für die Möglichkeiten universitärer Personalentwicklung, die man nutzen konnte.

Für die technische Hilfestellung bei der Manuskripterstellung danke ich Helmut Leitner.

Für die jahrelange reibungslose Autorenbetreuung danke ich dem Akademikerverlag.

Günther Dichatschek

Vorbemerkung    

Mit der Möglichkeit, zertifizierte Seminare interner universitärer Personalentwicklung (PE) besuchen zu können (Universität Wien), wurde die Notwendigkeit einer Didaktik der Hochschullehre begründet. Eine solche Didaktik, definiert als "Lehre des Lernens und Lehrens", versteht sich als Grundlage des Lehrens im tertiären Bildungsbereich.

Konkret bildete dies für den Autor die Ausgangslage für die Lehrveranstaltung "Vorberufliche Bildung"/ VO und SE / Universität Wien (1990-2011) und in der Folge mit dem "4. Internen Lehrgang Hochschuldidaktik"/ Universität Salzburg (2015/2016) einen institutionellen Abschluss und die Basis für die Lehrveranstaltung "Lehramt Geschichte/ Didaktik der Politischen Bildung" (2016-2017). Im Sinne eines lebensbegleitenden Lernens eröffnet das Angebot einer Fachliteratur eine Fortbildung.

Einleitung    

Lehren und Lernen an der Hochschule steht im Kontext mit den Reformen und didaktischen Innovationen (vgl. ZUMBACH-ASTLEITNER 2016, 9). Die Qualitätsentwicklung der Lehre und des Studiums ergeben sich als Folge der Bologna-Reform und der didaktischen Gestaltung von Studienprogrammen.

Ansätze einer Hochschuldidaktik sollen verstärkt und ein Hochschulmanagement in der Gestaltung der Lehre weiterentwickelt werden (vgl. BRAHM-JENERT-EULER 2016, 19, 29).

Der Bezugsrahmen einer "Pädagogischen Hochschulentwicklung" mit einer Professionalisierung der Hochschullehre ergibt sich aus der Lernumgebung - (Fach-) Didaktik mit Gestaltung der Studienprogramme, Studiengänge und Kompetenzentwicklung - kulturellen Rahmenbedingungen und strukturellen Organisation (vgl. MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, 9).

Die Studie bildet eine Reflexion eines persönlichen Lern- und Erfahrungsbereichs sowie Entwicklungsprozesses. Als Bereicherung ist die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur in Deutschland, Österreich und Schweiz anzusehen (vgl. PFÄFFLI 2005, TEICHLER 2007, EGGER-MERKT 2012, KRÄMER-KUNZE-KUYPERS 2013, BRAUER 2014, BRAHM-JENERT-EULER 2016, MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, ZUMBACH-ASTLEITNER 2016, RHEIN-WILDT 2023).

Die Studie gliedert sich in einen allgemeinen Teil der Hochschuldidaktik als Basis einer Lehre mit den Themenbereichen Lernen-Lehren-Beratung, Studierende, Qualitätsmanagement, Leitlinien der Hochschuldidaktik, Planung von Lehrveranstaltungen und Gestaltung von Lernprozessen.

Der Teil persönlicher Lehre in Theorieansätzen, Didaktik der Politischer Bildung, Vorberuflichen Bildung und inklusiven Politischen Bildung vervollständigen die Überlegungen.

I Hochschuldidaktik    

Im Folgenden wird auf die Grundlagen ("fundamentum", "basics") verkürzt und übersichtlich eingegangen.

0 Hochschuldidaktik als Wissenschaft    

Der Blick auf Lehren und und Studieren unter hochschuldidaktischen Aspekten bedarf theoretischer, methodischer und praxeologischer Bezugsrahmen und eröffnet multi-, inter-, trans- und infradisziplinäre Eigenstrukturen (vgl. RHEIN-WILDT 2023). Damit wird auch kein Anspruch auf eine Systematik erhoben. Vielmehr gibt es eine Vielfalt von Zugängen. Pluralität sollte nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Es bedarf einer Struktur zur Erschließung des Themenfeldes mit Aktzentsetzungen.

Die vorliegenden Handbücher wie "Ausbildung und Sozialisation in der Hochschule" (HUBER 1983), das "Neues Handbuch Hochschullehre" (BERENDT 2001), das "Handbuch Hochschuldidaktik" (KORDTS-FREUDINGER-SCHAPER-SCHOLLMANN-SZCYRBA 2021), aktualisiert durch den Bologna-Prozess, ergeben einen wertvollen Diskursrahmen in den verschiedenen Disziplinen.

Für den Autor ergeben sich in der Themenvielfalt Schwerpunkte wie die "Didaktik im tertiären Bildungsbereich", die exemplarischen Bezugswissenschaften "Allgemeine Erziehungswissenschaft", "Pädagogische Psychologie", "Soziologie", "Pädagogische Hochschulentwicklung - Beruflicher Bildung", "Erwachsenenbildung - Weiterbildung" und "Mediendidaktik".

In folgenden Buchprojekten wird auf der Basis der Absolvierung des "4. Internen Lehrganges Hochschuldidaktik"/ Universität Salzburg (Personalentwicklung) und der Seminare "Kreative Entwicklung hochschuldidaktische Methoden " und "Die/ Der Lehrende als Coach" / Universität Wien (Personalentwicklung) auf die Schwerpunkte als Nachbereitung - Erweiterung der Lehre an den Universitäten Wien (1990-2011) und Salzburg (2016-2017) und Publikationstätigkeit eingegangen.

1 Lernen - Lehren - Beratung    

Lernen ist ein zielgerichteter aktiver individueller Prozess mit einem Erreichen der Zielvorgaben. Aktivitäten richten sich auf neues Wissen, neue Einsichten und der Veränderung der Handlungsbereitschaft. Gegliederte/didaktisierte Lehrangebote unterstützen den Lernprozess. Studierende benötigen Lernfähigkeiten, die während der Studiendauer ausgebaut und zielgerichtet angewendet werden können (vgl. PFÄFFLI 2005, 20-25).

Lernprozesse bestehen aus der Begründung der Lernziele, dem Aufbau von Wissen, Können und Eigenaktivität mit Lernplanung.

Lehrprozesse/ Lehrgrundsätze ermöglichen zielorientiert einen individuellen Lernprozess mit der Auseinandersetzung des Wissens, Unterstützung des Lehrangebots in Methodenvielfalt, Anwendungsgelegenheiten und Anregungen von Erkenntnisprozessen.

Die Trias der psychologischen Bereiche unterscheidet den kognitiven, motivationalen und emotionalen Bereich.

Beratung besteht in der Begleitung und Unterstützung der Lernprozesse und des Studienfortschritts, individuell/ Sprechstunde, gruppenkonform/ Seminar oder zielgerichtet in der Vorlesung (vgl. MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, 166-176; DICHATSCHEK 2023).

Wichtig ist der Weg zum Wissen im Langzeitgedächtnis in das Arbeitsgedächtnis.

Die Fülle von Informationen soll durch die Aufmerksamkeit der Lernenden durch das Interesse, die Motivation und Emotion, in den Studienalltag mit seinen Aufgabenstellungen aktiviert werden (vgl. ZUMBACH-ASTLEITNER 2016, 25, 28-30).

2 Studierende    

Motivierte Studierende zeigen kontinuierliches und engagiertes Lernen. Wesentlich sind Studieninhalte, das Erreichen von Studienzielen und Kontakte im Studienalltag. Neben persönlichen Lernvorstellungen und Lernhaltungen zeigt sich das Wiedergeben und Anwenden von Faktenwissen.

In der Lehre wird dies beeinflusst und gefestigt durch die Förderung der Selbstbestimmung, Erreichung von Studienzielen mit Prüfungserfolgen, Mitgestaltung des Studienmilieus und Anerkennung (vgl. PFÄFFLI 2005, 28-33).

Das Lernverständnis Studierender besteht kulturübergreifend aus einer Anreicherung von Wissen und dessen Wiedergabe, Anwendung in der Praxis, Verständnis, Veränderung der Sichtweise und persönlicher Einordnung.

Entscheidend ist die Auseinandersetzung mit dem Studiengegenstand (vgl. als Zielvorstellung auch die Bereitschaft zur Fortbildung).

Damit ist "vertieftes Lernen" in seiner Bedeutung angesprochen, also eine eine Form der Selbstbestimmung im Studium mit Wahlmöglichkeiten wie etwa in Studienaustauschprogrammen, Netzwerkarbeit, Projektarbeit und Bearbeitung eigener Fragestellungen in Fallbeispielen.

Didaktisch bedarf es der Abstimmung im Studienfortschritt und studienrechtlicher Anerkennung (vgl. BRAUER 2014, 12-13).

3 Qualitätsmanagement - gute Lehre    

Qualitätsmanagement (QM) beinhaltet den Maßstab für die Eckpunkte einer guten Lehre. Diese müssen von der Studienleitung/ Studienkommission getragen werden.

Die Lehrenden haben sie auszuarbeiten, Vorgaben zu akzeptieren und umzusetzen. Die Standards sind breit und offen zu diskutieren, betroffen ist die Hochschullehre, das Lernklima, Studieninhalte und Ziele, Lehrmittel, die Lernüberprüfung und eine Evaluation der Lehre (vgl. MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, 265).

Qualitätsstandards setzen setzen allgemeine Normen. Die Umsetzung hängt von Lerninhalten, den Lernzielen und den Studierenden ab.

Einzelne Faktoren lauten wie ein lernfreundliches Milieu mit Ermutigung der Studierenden, einer Rückmelde-Kultur, lernfördernden Interaktivität, Wertschätzung und einer Fehlerkultur als Lernchance. Auch Inhalte werden entsprechend der Wissenschaft, Praxis und Kultur gewählt (vgl. LOMPSCHER-MANDL 1996, 11-22).

Eine Balance von Selbst- und Fremdsteuerung wird mit Lernhinweisen und Lerntechnologie zur Lernförderung praktiziert. Lernerfolge werden zielorientiert überprüft, Ergebnisse begründet, Selbstreflexion gefördert und Optimierungsmaßnahmen ergriffen.

Die Umsetzung erfordert eine Hochschuldidaktik, der Ausgangspunkt des QM ist die Bologna-Reform.

4 Leitlinien der Hochschuldidaktik    

Ein Studium ist ausgerichtet, den Studierenden die Befähigung für ein verantwortungsvolles Handeln in einem Berufsfeld zu vermitteln. Eine gute Theorie bildet die Basis für eine erfolgreiche Praxis (vgl. MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, 103-111). Das berufsfeldspezifische Lernpaket an Kompetenzen findet seine Beschreibung im Profil von Absolventen.

Die folgenden vier Faktoren ergeben die Orientierungs- bzw. Eckpunkte einer Hochschuldidaktik (vgl. PFÄFFLI 2005, 59-96).

4.1 Orientierung an Wissen    

Es geht zunächst um ein Begriffswissen (deklaratives Wissen), das Verfahrenswissen (prozedurales Wissen) und in der Folge ein Anwendungswissen (konditionales Wissen), das Studierende erwerben und das sich zu einem Erfindungswissen (schöpferisches Wissen) entwickeln soll (vgl. PFÄFFLI 2005, 67-73).

In der Praxis benötigt man verfügbares Wissen (kommunizierbares Wissen). Bei Tätigkeiten mit routinierten Handlungen benötigt man kein spezielles Wissen. Erkenntnisse und Handlungsmöglichkeiten werden individuell und häufig in einem sozialen Kontext entwickelt.

Wissen und Handeln beziehen sich gegenseitig und sind rational zu verstehen.

4.2 Orientierung an Praxis    

Studiengänge beziehen sich auf ein verantwortungsvolles Handeln in einem Berufsfeld bzw. Praxisfeld. In der Praxis ergeben sich wissensbasierte Antworten und Lösungen und sollen wissensbasiert Handlungen reflektieren können. Handlungsarten ergeben sich daher in Form von routinierten, bewussten, zielorientierten, bedeutungsorientierten und intuitiven Aktivitäten, aber auch zu Nach- und Überdenken (vgl. PFÄFFLI 2005, 51-65).

Fähigkeiten werden Kompetenzen genannt, die fachliche, methodische, soziale und personale Faktoren beschreiben. Im Studium sollen sie erreicht werden (vgl. HEYSE-ERPENBECK 2009, 259-544).

4.3 Orientierung an Zielen    

Ziele sind Endpunkte eines Lern- und Lehrprozesses und definieren die die Lernleistung. Sie bilden den Stellenwert einer Lernerfolgskontrolle. Hochschulen orientieren sich an den Anforderungen des Berufsfeldes und dem Stand der Wissenschaft (vgl. PFÄFFLI 2005, 77-89).

Wissens- und Kompetenzziele, national und international beschrieben, werden angestrebt. Richtziele beziehen sich auf den Studiengang, Grobziele definieren Lernziele und damit Teilkompetenzen. Feinziele beziehen sich auf konkrete Lernsequenzen mit einem Lernergebnis bzw. Qualität der Lernleistung. Oft sind Lernziele auch Lehrziele mit dem Auftrag der erforderten Lehraktivität.

4.4 Aktives Lernen    

Eigenverantwortlichkeit und Aktivität führen zu dauerhaftem verfügbaren Wissen. Kennzeichen ist die kognitive Verarbeitung und ein Erwerb in Verbindung mit konkreten Aufgabenstellungen. Eine wesentliche Bedeutung erhält die eigene Verantwortlichkeit für den Lernerfolg (vgl. WITTHAUS-WTTWER-ESPE 2003, 13-25; PFÄFFLI 2005, 92-96; MERKT-WETZEL-SCHAPER 2016, 29-47).

Lehrende fördern den Studienverlauf, wenn sie zu Beginn eine Steuerung übernehmen und diese im Studienverlauf abgeben. Erworbene Lernkompetenzen und ein Vorwissen bestärken Studierende. Bedeutung erhält das Verhalten in einem lebensbegleitenden Lernen (Fort- und Weiterbildung).

Der Aufbau von Lernkompetenzen und einer Lernfähigkeit in einem Studium wird gefördert durch Lerneinheiten zum Erwerb von Lerntechniken, einer Reflexion studentischer Lehrevaluation, einer Lernberatung zu persönlichem Lernen, ggf. Führung eines Lerntagebuches und Lernbesprechungen mit Anregungen aus einer/ der Seminargruppe.

5 Planung von Lehrveranstaltungen    

Bei der Planung ist die Kultur der Hochschule wesentlich, das Profil der Studierenden, die Richtziele und die fachlichen Inhalte, der Studienaufbau und die Qualitätsmerkmale der Lernprozesse (vgl. PFÄFFLI 2005, 103-109; BRAUER 2014, 7-9).

Faktoren bei der Konzeption/ Planung sind

- das Wissen über Lehren und Lernen,

- die didaktische Prinzipien,

- die Lehrorganisation (VO, SE, PS),

- die Aufgaben und das Ziel der Lehrveranstaltung/ LV,

- gesellschaftliche Faktoren wie inhaltliche Schwerpunkte und die Größe der Studiengruppe sowie

- eine Berufspraxis/ Praxisbedarf mit berufsfeldbezogenen Aufgaben, Tätigkeitsbeschreibungen und Kompetenzen wie Fachwissen, Umsetzungsmöglichkeiten, Wissensdarstellung und Akzentsetzung.

6 Gestaltung von Lernprozessen    

Studierende erreichen Lernziele auf verschiedenen Möglichkeiten. Geplante Lernprozesse verlaufen oft in der Realität ganz anders. Erforderlich ist im Lehralltag jedenfalls Flexibilität und auch ein Abweichen von der Planung (vgl. PFÄFFLI 2005, 127, 129-135; BRAUER 2014, 7-9).

6.1 Inhalte    

Inhalte einer Planung von Lernprozessen benötigen

- präzise und reduzierte Lerninhalte/ Grobziele,

- Feinziele/ Schwerpunkte,

- Design des Unterrichtsverlaufes/ Zeitrahmen der LV und

- Angaben über Medien, Hilfsmittel und Aufträge.

- Wesentlich sind Lernvoraussetzungen und Praxiserfahrungen.

6.2 Einflussfaktoren    

Einflussfaktoren ergeben sich aus

- gesellschaftlichen Rahmenbedingungen > Finanzlage, Studiengesetz und Eingangsprofile Studierende

- organisatorischen Rahmenbedingungen > räumliche Situation, Studienpläne und Kompetenzprofile

- Voraussetzung Lehrender > inhaltliche, didaktische und kommunikative Kompetenz, Praxis- und Forschungserfahrungen

- Voraussetzung Studierender > Motivation und Lernkompetenz( vgl. Kap. 2)

6.3 Lernpyramide    

Behaltensrate in Abhängigkeit von Lehrmethode

Frontalunterricht > 5 Prozent

passives Lesen > 10 Prozent

audiovisuelle Darstellung > 30 Prozent

Diskussion > 50 Prozent

praktische Übung > 75 Prozent

eigenes Unterrichten > 90 Prozent

Quelle: BRAUER 2014, 7

6.4 Literaturverzeichnis Hochschuldidaktik    

Angeführt sind jene Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.

Arnold R. - Comez Tutor Cl. (2007): Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Bildung ermöglichen - Vielfalt gestalten, Augsburg

Berendt B. - Voss H.- P. - Wildt J. (2001): Neues Handbuch Hochschullehre (Loseblattsammlung), Berlin

Blömeke S. - Reinhold P.- Talodziecki G. - Wildt J. (2004): Handbuch Lehrerbildung, Bad Heilbrunn

Brahm T.- Jenert T. - Euler D. (Hrsg.) (2016): Pädagogische Hochschulentwicklung, Wiesbaden

Brauer M. (2014): An der Hochschule lehren. Praktische Ratschläge, Tricks und Lehrmethoden, Berlin-Heidelberg

Cramert C. - König J. - Rothland M.- Blömeke S. (Hrsg.) (2020): Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Bad Heilbrunn

Dichatschek G. (2023): Grundwissen Beratungskompetenz. Theorie, Praxis und Handlungsfelder im Bildungsbereich, Saarbrücken

Egger R. - Merkt M. (Hrsg.) (2012): Lernwelt Universität. Entwicklung von Lehrkompetenz in der Hochschullehre, Wiesbaden

Goldschmidt D. - Teichler U. - Webler W.-D. (1984): Forschungsgegenstand Hochschule, Überblick und Trendberichte, Frankfurt/M.-New York

Heyse V.-Erpenbeck J. (2009): Kompetenztraining. Informations- und Trainingsprogramme, Stuttgart

Janke I.- Wildt J. (2011): Fachbezogene und fachübergreifende Hochschuldidaktik. Blickpunkt Hochschuldidaktik 121, Bielefeld

Jütte W. - Walber M. - Lobe Cl. (2017): Das Neue in der Hochschullehre. Lehrinnovationen aus der Perspektive der hochschulbezogenen Lehr-Lern-Forschung, Wiesbaden

Kordts-Freudinger R. - Schaper N.- Scholkmann A. - Szcyrba B. (Hrsg.) (2021): Handbuch Hochschuldidaktik, Bielefeld

Krämer H. - Kunze A.B. - Kuypers (Hrsg.) (2013): Beruf: Hochschullehrer. Ansprüche, Erfahrungen, Perspektiven, Paderborn-München-Wien-Zürich

Lompscher J.-Mandl H.(Hrsg.) (1996): Lehr- und Lernprobleme im Studium. Bedingungen und Veränderungsmöglichkeiten, Bern

Merkt M.- Wetzel Chr.- Schaper N. (Hrsg.) (2016): Professionalisierung der Hochschuldidaktik, Bielefeld

Pfäffli Br. K. (2005): Lehren an Hochschulen. Eine Hochschuldidaktik für den Aufbau von Wissen und Kompetenzen, Bern-Stuttgart-Wien

Rhein R.- Wildt J. (Hrsg.) (2023): Hochschuldidaktik als Wissenschaft. Disziplinäre, interdisziplinäre und transdisziplinäre Perspektiven - Hochschulbildung: Lehre und Forschung/ Bd. 5, Bielefel

Teichler U. (2007): Die Internationalisierung der Hochschulen. Neue Herausforderungen und Strategie, Frankfurt/New York

Witthaus U.- Wittwer W.- Espe Cl. (Hrsg.) (2003): Selbstgesteuertes Lernen. Theoretische und praktische Zugänge, Bielefeld

Zumbach J. - Astleitner H. (2016): Effektives Lehren an der Hochschule. Ein Handbuch zur Hochschuldidaktik, Stuttgart

- - -

Reflexion/ Nachbereitung des 4. Internen Lehrganges Hochschuldidaktik der Universität Salzburg/ Personalentwicklung (2015/2016)

II Lehrveranstaltung Fachdidaktik der Politischen Bildung    

7 Vorbemerkungen    

Ausbildung ohne Bildung führt zu Wissen ohne Gewissen.

(Daniel Goeudevert 2001, 5)

Jedes Wort hat Folgen. Jedes Schweigen ebenso.

(Jean Paul Sartre)

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Politische Bildung hat die Aufgabe, die Menschen zu befähigen, dass sie ihren gesellschaftlichen Standort und ihre Interessen erkennen und und über ihre politischen Probleme urteilen und in der Folge handeln zu können.

Dazu ist es erforderlich, die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Prozesse und Strukturen zu durchschauen, den Zusammenhang zwischen Interessen und Politik und die Ursachen und Funktion von Ideologien aufzudecken.

Wie in allen sozialwissenschaftlich ausgerichteten Fachbereichen ergeben sich interdisziplinäre Themenbereiche, die unterschiedlich definiert werden. Sie lassen sich zusammenfassen zu Gestaltungen bzw. Themenbereichen sozialer Beziehungen, demokratischer Ordnung und politischer Willensbildung, nationaler und internationaler Politik, Friedenssicherung, Rechtsordnung, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, Medien, Arbeit und Beruf bzw. Vorberuflicher Bildung ("Berufsorientierung") und Vergleich politischer Systeme (vgl. HÄNDLE-OESTERREICH-TROMMER 1999, 104-114).

Im Beitrag wird beispielhaft auf Vorberufliche Bildung im Rahmen der Politischen Bildung eingegangen (vgl. DICHATSCHEK 2015).

Ziel einer Politischen Bildung ist ein kritisches Bewusstsein, selbständiges Urteil und politisches Engagement.

Voraussetzung für demokratisches Engagement ist das Bewusstmachen der Zusammenhänge zwischen individuellem Schicksal, gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen.

Politisches Bewusstsein bildet sich im Erkennen der eigenen Interessen und im Erfahren der gesellschaftlichen Konflikte und der Herrschaftsverhältnisse.

Der politisch bewusste und aufgeklärte Mensch soll nicht erleidendes Objekt der Politik sein, sondern als Subjekt in die Politik eingreifen (vgl. DRECHLSER-HILLIGEN-NEUMANN, München 1995, VII).

Wesentliche Aspekte theoretischer und praktischer Ansätze einer Politischen Bildung bedürfen zum besseren Verständnis einer Einführung in die Geschichte der Politischer Bildung an Schulen und anderen Bildungsinstitutionen, einer Darlegung gesellschaftlicher Funktionen und Grundintentionen, der Fachdidaktik und eines Ausblicks mit einer Reflexion.

Der Beitrag der Vorberuflichen Bildung im Rahmen einer Politischer Bildung zeigt beispielhaft einen Themenbereich auf.

Fragen der Inklusion in der Politischen Bildung sind vermehrt zu stellen. Fragestellungen der Didaktik ergeben sich konsequenterweise.

7.1 Einführung in die Geschichte der Politischen Bildung an Schulen    

7.1.1 Deutschland    

Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war ein großer Teil der deutschen Jugend trotz Marschierens und politischer Unruhen unpolitisch.

Nach Kriegsende fiel dies den USA auf und so setzten bald auf ihre Initiative hin Bestrebungen und Versuche zu einer Erziehung zur Demokratie ein (vgl. BORCHERDING 1965, zit. nach DACHS 1978, 48-56). Außer praktischen Maßnahmen wie einer Entnazifizierung der Lehrerschaft und Wiedereröffnung der Schulen und Universitäten sollte besonders das Bildungswesen nach den Vorstellungen des US-Demokratieverständnisses gestaltet werden.

Im Zuge dieser in Deutschland praktizierten re-education kam man in den folgenden Jahren zu der Einsicht, dass "[...]Politische Bildung - in welcher Form auch immer - zu den Aufgaben der Schule gehört" (SCHMIEDERER 1972, 19).

Besonders OETINGER, SCHMIEDERER, HILLINGEN, ELLWEIN, FISCHER, HERRMANN, MAHRENHOLZ und GIESECKE beschäftigten sich mit Problemen dieses neuen Fachbereiches (vgl. im Folgenden die jeweiligen Theorieansätze und ihre Bedeutung für die Didaktik).

7.1.2 Österreich    

Anders als in Deutschland waren die Voraussetzungen und die Lage in Österreich.

Als "befreites Land" wurde es nicht in das Umerziehungs- bzw. Re-education-Programm einbezogen.

Eine Etablierung von Politikwissenschaft blieb zunächst aus.

Die Lehrpläne knüpften teilweise an das Jahr 1928 an.

1946 war in "Bürgerkunde" der 8. Klasse des Gymnasiums im Fach "Geschichte" als Bildungsziel "[...]die Erziehung der Jugend zu bewussten Republikanern und zu treuen Bekennern des österreichischen Volksstaates..." angegeben (vgl. PROVOSORISCHE LEHRPLÄNE FÜR DIE MITTELSCHULEN, Wien 1946, 85).

1949 wurden mit dem "Erlass zur Staatsbürgerlichen Erziehung" die Grundlagen der damaligen politischen Zielvorstellungen wie Freiheit, Unabhängigkeit und Wiederaufbau geschaffen.

In der Folge haben sich die Einstellung Heranwachsender zu Gesellschaft und Staat massiv geändert. Neben der Frage nach dem Nutzen des Staates gibt es eine fragende und kritische Haltung, womit Politische Bildung aktuelles Anliegen wurde.

Erst 1955 wurden die "Mittelschullehrpläne" geändert und der Begriff Staatsbürgerkunde eingeführt. Mit den zwei Aufgaben einer Erziehung zu österreichischem Heimat- und Kulturbewusstsein und treuem und tüchtigem republikanischem Staatsbürgertum wurden die Bildungsziele umschrieben.

Die Folge einer solchen Erziehungsaufgabe der Schule in Österreich war dann konsequenterweise der § 2 Schulorganisationsgesetz 1962, der bis heute gesetzliche Grundlage für eine politische Erziehung in Österreich ist (vgl. BGBL. vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation).

Eine entscheidende Rolle für diese Bemühungen spielt die Erkenntnis um die Konflikte in der Ersten Republik und der Nationalsozialismus. Der Politikbegriff orientiert sich demnach am Soll-Zustand und verstärkt die Ausgleichsfunktion/ Konsens in der Politik. Gesinnungs- und Charakterbildung werden besonders betont und sollten Ziel der Unterrichtsbemühungen sein.

So wird in der Staatsbürgerkunde/Institutionenkunde der formale Staat betont, die Politik wird den Lernenden meist interesselos geboten, das fehlende Engagement erzeugt daher eher eine Apathie im politischen Bereich. Betont wird in der Regel eine Anpassung an die derzeitige Situation, so dass Mitläufertum mit Gleichgültigkeit erzogen wird.

Mit der Einführung der Politischer Bildung Ende der siebziger Jahre ging der Streit um die Durchsetzung partikulärer Einzelinteressen (vgl. PRESSEDIENST DER BUNDESWIRTSCHAFTSKAMMER vom 12.1.1977).

Das Fach "Geographie und Wirtschaftskunde" sollte ausgebaut werden, womit aber keineswegs die Breite einer Politischen Bildung abgedeckt wäre. So ist es etwa nach FISCHER-HERRMANN-MAHRENHOLZ "[...]pädagogisch widersinnig, in einem Fach Sozialkunde soziales Verhalten zu üben, während in allen anderen Unterrichtsfächern reine Fachorientierung herrscht und Spezialisten herangezüchtet werden" (FISCHER-HERRMANN-MAHRENHOLZ 1978, 9-10).

Bei der Diskussion um die Einführung des Fachbereiches "Politische Bildung" kam es zum Streit um Fach oder fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip. SCHAUSBERGER und GÖNNER betonen, dass Unterrichtsprinzip oder Fach keine Alternative seien (vgl. RESUMEEPROTOKOLL DER SCHULREFORMKOMMISSION vom 16.11. 1976, 4; SCHAUSBERGER 1976, 267-268).

Zu vermerken ist, dass mit der Forderung nach einem eigenen Fach Bemühungen um dessen Realisierung mit einer Vorlage einer Konzeption durch die "Arbeitsgruppe Politische Bildung" 1991 auf Initiative der Bundesschülervertretung vorangetrieben und 1993 vorgelegt wurden. Letztlich wurden sie 1994 von der Regierung abgelehnt (vgl. WOLF 1998, 62-64).

Sieht man Politische Bildung als besonders wichtig für eine demokratische Bewusstseinsbildung an, müssen sowohl Unterrichtsprinzip als auch eigenes Fach verwirklicht werden (vgl. die kritischen Bemerkungen von PELINKA 2016, 160-167).

Mit dem Jahr 2016/2017 kommt es zu einer Entwicklung im Kontext mit der Umgestaltung von Lehrplänen, wobei die Politische Bildung als Teil des Gegenstandes "Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung" in der Sekundarstufe I etabliert wurde.

Im Regierungsprogramm 2013-2018 haben die Koalitionspartner Politische Bildung ab der 6. Schulstufe als Pflichtmodul verankert. Zusätzlich sollen Schulen die Möglichkeit besitzen, im Rahmen der Schulautonomie Politische Bildung ab der 6. Schulstufe verpflichtend als Gegenstand zu verankern.

Der neu eingerichtete Fachbeirat im zuständigen Bildungsministerium mit Mitgliedern aus Wissenschaft, Lehre, Praxis und Unterrichtsverwaltung einigte sich schnell auf einen neuen Lehrplan des Faches mit Modulen je Schulstufe - fünf Module historische Bildung, zwei Module historisch-politische Bildung und zwei Module Politische Bildung (vgl. WIRTITSCH 2016, 173-179).

Parallel dazu wurde der Grundsatzerlass "Unterrichtsprinzip Politische Bildung" aktuell interpretiert und im Frühjahr 2015 verlautbart (vgl. die Neuaufnahme des "Beutelsbacher Konsenses" und des Problembereiches Migration).

Festzuhalten ist die mangelhafte Verankerung von Friedenserziehung als Teilbereich Politischer Bildung in der Lehrerbildung und damit im Schulalltag (vgl. die kritische Darstellung der Defizite und ihrer Aktualität von WINTERSTEINER 2016, 225-235).

Schule kann allerdings nicht allein eine Erziehung zu Demokratie leisten. In einer besonderen Verantwortung stehen die Institutionen der Erwachsenenbildung (vgl. dazu HUFER 2016; HUFER-LANGE 2016). Hier bedarf es vermehrt erwachsenenpädagogischer Bemühungen zu einer Politischen Bildung im außerschulischen Bereich (vgl. den IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Erwachsenenbildung).

8 Theorieansätze einer Politischen Bildung    

8.1 Partnerschaftsmodell - Oetinger    

Nach den schulgeschichtlich ersten Anstößen zu einer politischen Erziehung nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges fand OETINGER mit seinem Buch "Wendepunkt der politischen Erziehung - Partnerschaft als pädagogische Aufgabe" große Beachtung.

Partnerschaft steht an erster Stelle. Politik ist ein Handlungszusammenhang, in dem "[...]die mitbürgerliche Kooperation im Vordergrund steht" (OETINGER 1956, 81). Politische Bildung hat zu einer Haltung zu erziehen, die die friedensstiftende Funktion der Politik und soziales Handeln begünstigt (OETINGER 1956, 18). Die dazu nötigen Spielregeln kann man einüben. Partnerschaft setzt aber auch Verhältnisse voraus, in denen das "Spielfeld" möglichst unübersichtlich ist.

Nach OETINGER muss Politik also die Massengesellschaft in überschaubare und sinnvoll erlebbare Einheiten gliedern - am besten ist Partnerschaft daher in Familie, Schule, Jugendverbänden und ähnlichen sozialen Gruppierungen zu üben.

8.2 Kritik    

Kritiker dieses Partnerschaftsmodells erhoben allerdings den Einwand, dass OETINGERs Ansatz nur den sozialen, nicht den politischen Bereich berücksichtigt (vgl. ROHLFES 1970, 11-12).

SCHMIEDERER meint, dass diese Konzeption von jener Ebene ablenke, "[...]wo Entscheidungen über das Leben in Staat und Gesellschaft fallen, wo die Auseinandersetzungen um Macht und Herrschaft stattfinden, und von der prinzipiellen Frage nach der Gesellschaftsordnung" (SCHMIEDERER 1972, 31). Dieser Einwand meint, dass die Partnerschaftspädagogik das Machtmotiv verharmlose und ein harmonisierbares Gesellschaftsbild verlange, dass die vorhandene Interessenskonflikte auf die Frage nach einer ordentlichen Gesinnung beschränke.

Ein weiterer Kritikpunkt betraf das Fehlen eines emanzipatorischen Ansatzes. Hier sind LITT, SPRANGER und WEINSTOCK zu nennen - also Vertreter einer traditionellen Pädagogik - , deren Ziel "Erziehung zu Staatsbewusstsein" war, während OETINGERs politische Erziehung eben nicht auf eine solche Erziehung ausgerichtet war.

Für SPRANGER war der Staat "[...]ein Gebilde aus eigener Würde und Hoheit", das als "eine große sittliche Aufgabe" erfasst werden muss(SPRANGER 1963, 38). Nach seiner Ansicht treten in allen politisch-sozialen Strukturzusammenhängen sogenannte "Urverhältnisse" auf, so beispielsweise die Familie mit Urelementen, aus denen einer demokratischer Staat mit parlamentarischer Verfassung errichtet ist. Daher müssen die Heranwachsenden lernen, ihre in Familie und Schule gewonnenen Erfahrungen auf abstraktere Gebiete wie Staat und Gesellschaft zu übertragen (SPRANGER 1963, 12).

SPRANGERs Ansatz wird von Soziologen insofern kritisiert, als die Gleichsetzung von primären und sekundären Sozialgebilden falsch wäre. Die Sozialwissenschaft zeige, dass soziale Intimgruppen wie Familie und Gleichaltrige strukturell nichts mit Großgruppen einer modernen Industriegesellschaft gemein haben. Eine so orientierte Sozialerziehung würde nur zu Orientierungsschwierigkeiten und Fehleinstellungen führen.

Sowohl die Modelle von OETINGER wie auch von SPRANGER zeitigten nach den Untersuchungen von HILLIGEN und ELLWEIN hinsichtlich einer politischen Erziehung an Schulen unbefriedigende Ergebnisse. Laut SCHMIEDERER leistete die bisherige politische Bildung eine Erziehung zur Anpassung.

8.3 Konflikttheorie - Dahrendorf    

Als in den sechziger Jahren die Begriffe "Kontroverse", "Kritik" und "Konflikt" als entscheidende Faktoren einer politischen Urteilsfähigkeit in der didaktischen Diskussion auftraten, kam die von der Konflikttheorie Dahrendorfs beherrschte Gesellschaftsauffassung in den Publikationen von FISCHER, HERRMANN und MAHRENHOLZ zu Wort.

Dieses "Hessische Modell" wollte die harte politische Wirklichkeit als zentrales Thema eines politischen Unterrichts angesehen wissen, nicht mehr den Begriff Partnerschaft und Mitbürgerbildung.

8.4 Paradigmenwechsel - Fischer-Giesecke    

Vor allem FISCHER entwickelte diese Theorie in seinen folgenden Publikationen weiter und machte damit den Anfang zu einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel.

FISCHERs Ansatz wurde in der Folge vor allem von GIESECKE mit seiner "Didaktik der politischen Bildung" fortgesetzt. Auch sein Ansatz basiert auf DAHRENDORFs Konflikttheorie und stellt sich gegen alle Versuche, Gesellschaft und Staat voneinander zu trennen, um diesen zu überhöhen. Für ihn ist Politik "[...]etwas Offenes, Umstrittenes, etwas, was noch zur Entscheidung (steht)" (GIESECKE 1965, 21).

Er fordert, dass jeder politische Unterricht von einem Ereignis ausgehen sollte, das kontrovers, relevant, aktuell und im Ausgang offen ist und alternative Entscheidungen ermöglicht.

Bisher wurde politisches Wissen vor allem als Wissen vom Staat verstanden, für GIESECKE ist aber diese Art der Wissensvermittlung unpolitisch. Er unterscheidet zwischen "Orientierungswissen" und "Aktionswissen".

Orientierungswissen ist der Kenntniszusammenhang, der dazu verhilft, die über den persönlichen Erfahrungsbereich hinausgehende soziale und politische Umwelt zu erschließen und den politischen Standort zu bestimmen.

Der den aktuellen Konflikt betreffende Teil des Orientierungswissens wird zum Aktionswissen. Dieses vervollständigt bei einem Konflikt das politische Wissen und den Willen zur Entscheidung und wählt aus dem Orientierungswissen das aus, was zur Klärung der Situation und zur Begründung der eigenen Entscheidung nötig ist (GIESECKE 1965, 35-38).

Die Inhalte des Aktionswissens sind also schon im Orientierungswissen enthalten, werden aber auf einen politischen Konflikt hin aktualisiert. In neueren Publikationen hat GIESECKE diese Unterscheidung wegfallen lassen, da sie wohl zu problematisch war und wenig Vorteile brachte.

Für den politisch-pädagogischen Prozess stellt GIESECKE ein System von Kategorien auf, die den politisch-sozialen "Konsensus der ganzen Gesellschaft" widerspiegeln sollen (GIESECKE 1965, 115). Sie müssten in jedem Konflikt enthalten sein, werden im Unterricht als sinnvolle Leitfragen übertragen und sollen zu "politischen Grundeinsichten" führen.

Als Kategorien stellt er Konflikt, Konkretheit, Macht, Recht, Funktionszusammenhang, subjektives Interesse, Mitbestimmung, Solidarität, Ideologie, Geschichtlichkeit und Menschenwürde auf.

GIESECKEs Didaktik brachte in der Diskussion über Politische Bildung einen wesentlichen Fortschritt. Die Kritik, die er hervorrief, nahm zwei verschiedene Standpunkte ein.

Der eine lehnte den Konflikt als Grundmodell ab und schlug stattdessen Begriffe wie "Gemeinwohl", "Konsensus" und "Zusammenarbeit" vor, der andere lehnte seine Konzeption als letzten Endes affirmativ ab, weil sie trotz des Konflikteinsatzes den status quo festlegte bzw. der Anpassung an ihn Vorschub leiste (vgl. FISCHER 1970, 72).

Vier Aspekte wurden als Einwände gegen diese Konzeption benannt.

Sie läuft Gefahr, wesentliche Elemente der Herrschaftsstruktur der Gesellschaft nicht in den Griff zu bekommen, weil das Kategoriensystem zu wenig an institutioneller Entscheidungsgewalt orientiert ist (BEHRMANN 1972, 123).

Einen großen Fortschritt stellt die Einbeziehung des Konflikts in den politischen Unterricht gegenüber der Partnerschaftserziehung dar. Allerdings sollten nicht nur aktuelle Konflikte, die durch die Massenmedien Interesse erregen, behandelt werden, sondern auch Konflikte mit wichtigen Grundwidersprüchen einer Gesellschaft (GIESECKE 1965, 100).

Zu unterschieden wäre zwischen Teilkonflikten, die durch Kompromisse der Beteiligten lösbar sind und den strukturellen Widersprüchen in einer Gesellschaft (SCHMIEDERER 1972, 114).

Die zu erreichenden "Grundeinsichten" als Ziel eines politischen Unterrichts laufen vor allem wegen ihrer formalen Definition im Unterricht Gefahr, "[...]zu bloßen Begriffshüllen zu denaturieren, die mit je beliebigem Inhalt gefüllt werden" (HAMANN 1974, 30).

GIESECKEs Neuausgabe seiner Didaktik (1976) hat die Einwände der Vertreter der radikal-demokratischen und emanzipatorischen Richtung berücksichtigt. Nunmehr neigt er der kritischen Theorie und dem dort vertretenen Demokratieverständnis zu, dessen Basis die Emanzipation im Sinne der menschlichen Selbstdefinition ist. Lernziel soll daher sein, Kenntnisse zu vermitteln, die die bisher unterprivilegierten Gruppen befähigen, ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen und damit den Demokratisierungsprozess voranzutreiben. "Fundiert und konkretisiert man nun die politische Bildung im Rahmen eines so verstandenen historischen Kontextes von Emanzipation, so folgt daraus unausweichlich ihre politische Parteilichkeit" (GIESECKE 1979, 126).

Die Parteilichkeit der Politischen Bildung muss aber an die Verfassung gebunden bleiben, da diese auch einem historischen Demokratisierungsprozess verbunden ist. "Parteilichkeit" bedeutet demnach die in der Verfassung zugestandenen Chancen für die bisher Benachteiligten optimal zu realisieren.

Pädagogisch bedeutet Parteilichkeit, die allgemeinen Lernziele für den politischen Unterricht aus den historisch veränderbar zu interpretierbaren Bestimmungen der Verfassung abzuleiten. Sie haben solche Lernleistungen zu ermöglichen, die für den jeweils vorgegebenen sozio-ökonomischen Ausgangsstatus zur optimalen Durchsetzung der in der Verfassung versprochenen Lebenschancen geeignet sind (vgl. GIESECKE 1979, 131).

8.5 Kritisch-emanzipatorische Politische Bildung    

Ende der sechziger Jahre trat eine Konzeption der Politischen Bildung auf, die mit ihren Vertretern wie BECKER, HERKOMMER, TESCHNER, GOTTSCHALCH und SCHMIEDERER von HOLTMANN als "demokratisch-sozialistische Konzeption einer antagonistischen Gesellschaftsauffassung" bezeichnet wurde. Für sie gibt es in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen Hindernisse, die zur Verwirklichung einer sozialistischen Demokratie für eine Emanzipation des Menschen beseitigt werden müssen. Sie verlangen neben einer institutionalisierten Konfliktlösung die Beseitigung gesellschaftlicher Konfliktursachen und "[...]sehen vor allem in einer sozialwissenschaftlichen bestimmten politischen Bildung eine Chance für Veränderung 'auf der Grundlage und unter Ausschöpfung geltender Verfassungsnormen'(HABERMAS) und einer 'kritischen Theorie der Gesellschaft' "(HOLTMANN, zit. nach SCHMIEDERER 1972, 176).

SCHMIEDERER stellt nach einer Untersuchung der Rahmenbedingungen, unter denen politische Bildung in den Schulen gelehrt wird, fest, dass diese Erziehung theoretisch zwei Funktionen haben kann: eine fortschrittliche, in die Zukunft weisende, den bestehenden gesellschaftlichen Zustand transzendierende und eine affirmative, die die bestehenden Herrschaftsfunktionen verteidigt. Sie ist also in ihrer Anlage ambivalent, apologetisch oder kritisch.

Nach seiner Ansicht dient politische Bildung derzeit aber überwiegend der Bestätigung der bestehenden Verhältnissen, während er zu der zweiten kritischen Möglichkeit neigt, obwohl er zugibt, dass die Chance, durch Bildung und Erziehung "[...]im öffentlichen Unterricht ein kritisches, auf Veränderung gerichtetes Bewusstsein hervorzuheben, nur gering (ist)" (SCHMIEDERER 1974, 27). Ziel dieser kritisch-emanzipatorischen Erziehung ist "[...]die Befreiung des Menschen aus gesellschaftlich begründeter Unmündigkeit und Abhängigkeit, ist das Streben nach einer Gesellschaft, die den konkreten Interessen der jeweils lebenden und der zukünftigen Menschen gerechter wird als die bestehende" (SCHMIEDERER 1974, 28). Politische Bildung muss also klar machen, "[...]welche Dinge in der Gesellschaft inhuman und irrational sind"(DACHS 1975, 104). Die Schulung des gesellschaftlichen Bewusstseins ist in Form der Aufklärung der Lernenden über ihre soziale Situation und den Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung Ziel einer Politischer Bildung. Um der Tendenz zu Anpassung vorzubeugen, dürfen vorhandene Grenzen und Werte nicht als unveränderlich dargestellt, sondern müssen zur Diskussion gestellt werden. Der Unterricht sollte von konkreten Problemen ausgehen, die aktuell, relevant, kontrovers und den SchülernInnen möglichst naheliegend sind. Wie aber ist das Verhältnis von Politischer Bildung zur politischen Praxis? SCHMIEDERER sieht die politische Praxis nicht als absolutes Ziel, aber nach seiner Ansicht muss politischer Unterricht ohne politische Praxis die Lernenden frustrieren. Auch er kommt aus diesem Zwiespalt nicht heraus.

Diese unentschiedene Position wurde von STUBENRAUCH (1972) kritisiert. Zwar gab er zu, dass SCHMIEDERER eine in sich geschlossene Theorie auf der Basis einer marxistisch-ökonomischen Gesellschaftsanalyse aufgestellt habe, der theoretische Anspruch werde aber in der Praxis nicht erfüllt.

8.6 Demokratie - Fach vs. Unterrichtsprinzip - Schausberger-Heintel    

Norbert SCHAUSBERGER sieht als vordringlichste Aufgabe und Ziel eines politischen Unterrichts die Erziehung zur Demokratie an, zu der der Erwerb von Kenntnissen, die Ausbildung einer Urteilsbereitschaft und Urteilsfähigkeit, Selbstkritik und eine "[...]Verhaltensweise , die von Toleranz, bewusster Identifizierung mit den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie und der Orientierung an den Leitbildern der menschlichen Grundwerte[...]", notwendig ist (SCHAUSBERGER 1970, 52).

Ohne Sachwissen ist die Bildung eines kritischen Urteils nicht möglich, daher müssen Kenntnisse über die gesellschaftliche Realität vermittelt werden. Da politisches Wissen vor allem aber als Konfliktwissen zu verstehen ist, müssen die Konfliktformen und die gesellschaftlichen Spannungsfelder erkannt werden. Der Schule fällt daher die Aufgabe zu, "[...]den Prozess der Emanzipation und Aufklärung stetig voranzutreiben und den Menschen zum homo quaerens zu erziehen. Nur so kann sie mithelfen, dass der Mensch durch das Verständnis der Gesellschaft zum Selbstverständnis kommt und mit seiner Ratio und seinem ethischen Vermögen einigermaßen Schritt halten kann mit dem stürmischen Fortschritt in Wissenschaft und Technik" (SCHAUSBERGER 1970, 53).

Politische Bildung hat Kenntnisse und Fakten zu vermitteln, die sich mit den Grundproblemen der gesamten Menschheit befassen, um zu sachlich fundierter, kritischer Urteilsfähigkeit gegenüber dem gegenwärtigen politischen Geschehen zu gelangen. Dieses Wissen muss nun zur Einsicht in die Verflechtung von privater Existenz und politischem Prozess führen und klar machen, "[...]welches Bild vom Wesen des Menschen und von seiner Stellung im Kosmos für das politische Handeln maßgebend ist" (SCHAUSBERGER 1970, 55).

Die Gewinnung von Einsichten bildet somit die Grundlage für politisches Handeln. Wissen und Urteilsfähigkeit rufen ein Verantwortungsbewusstsein hervor, aus dem sich die Bereitschaft zur Mitarbeit ergibt. Notwendig ist also die Erziehung zu einem Bürger, der das Gegenteil zum gehorsamen Untertanen, zum Kollektivwesen in den totalitären Staaten darstellt, der sich auch gegebenenfalls gegen die Gesellschaft zu behaupten lernt. Dazu bedarf es dauernder Selbstkritik, einer Bereitschaft zum permanenten Weiterlernen, vor allem aber zum bewussten Lernen aus Fehlern (vgl. SCHAUSBERGER 1970, 56).

Auch nach Meinung SCHAUSBERGERs ist Politische Bildung als Fachunterricht notwendig. "Die Politische Bildung wird als synoptischer Gegenstand nicht eine beziehungslose Addition von Teilwissenschaften sein können, sondern die gesicherten, zentralen Grundeinsichten und die wichtigsten Bereiche der Sozialwissenschaften in elementarisierter Form darbieten müssen[...]Politische Bildung als Unterrichtsprinzip in allen Fächern meint also Reflexion über deren politische Perspektive. So gesehen ist politische Bildung nicht auf ein Fach beschränkt, sondern soll alle Bereiche des Unterrichts erfassen" (SCHAUSBERGER 1970, 61).

In der Folge beschäftigt sich HEINTEL mit der Frage, ob Politische Bildung als Fach- und Wissensgebiet neben den anderen anzusetzen ist oder ob ihr eine besondere Aufgabe zukommt, die kaum in einem gesonderten Fach gelöst werden könnte.

Für Österreich ist diese Frage von Anfang an von besonderer Bedeutung. HEINTEL vertritt den Standpunkt, dass der Wert Politischer Bildung fundamental anzusetzen ist und sie "[...]in und mit jeder anderen Bildung vermittelt werden müsse"(HEINTEL 1976, 364), also ein Prinzip aller Bildung sein muss. Politische Bildung hat nicht nur ein Informationsdefizit zu beseitigen, sondern auch die ständig geschehende indirekte politische Verhaltensbildung zu beeinflussen. Wenn man die Verwirklichung konkreter Demokratie mit einer Einübung zulässt, muss man ein Individuum schaffen, dass nicht nur in der Theorie weiß, was Demokratie ist, sondern das auch demokratisch tätig sein kann. Dazu könnte politische Bildung als praktische kommunikative Verhaltensbildung dienen, "[...]am besten an dem Ort, an dem man ohnehin tätig ist"(HEINTEL 1977, 23).

Für die Ausbildung (Schule-Lehre-Studium) und die Vorbereitung auf die Arbeits- bzw. Berufswelt bedeutet dies die Forderung nach einem methodisch-didaktischen Angebot einer praktischen und sozialen Bildung(vgl. u.a. das Unterrichtsprinzip "Vorbereitung auf die Arbeits- und Berufswelt", Mitbestimmungsmodelle in der Polytechnischen Schule/ PTS und den mittleren und höheren Schulen/Schülervertretung in den Schulgemeinschaftsausschüssen, Lehrlings- und Studentenvertretungen). Infolge eines noch in weiten Bereichen bestehenden Defizits müssen Betriebe und Unternehmungen sowie Interessensgruppen in der Folge diesen Mangel ausgleichen, was einerseits ihnen den Vorteil bietet, ihren eigenen Einfluss auszuüben, andererseits den Nachteil hat, Erwachsene umzuformen. Damit ändern sich nicht unwesentlich das soziale und kommunikative Verhalten im Umgang mit Menschen und die Vorstellungen von Autorität, Abhängigkeit, Konkurrenz, Solidarität und Individualisierung.

HEINTELs Anregung zur Kontroverse Fach vs. Unterrichtsprinzip löste eine inhaltliche Diskussion um einen neuen Fachbereich aus.

Ein Übersehen der großen Bedeutung der Politischen Bildung in anderen Fächern und das Ausräumen des Verdachts, ideologisch beeinflussen zu wollen und andererseits eine isolierte und pädagogisch wertlose Stellung eines neuen Schulfaches im Fächerkanon sind Befürchtungen, die im Raum - bis heute - stehen.

Wenn Politische Bildung als demokratische Verhaltensbildung geschehen soll, muss "[...]Politisches...auch dort gesehen werden, wo es als solches gar nicht explizit genannt ist und nur indirekt wirksam ist" (HEINTEL 1976, 370).

Die Bildungsinstitution selbst muss als Ganze, in Zielvorgabe und juristischer Konstruktion, in ihrer kommunalen Stellung und in ihren Organisationseinheiten als politische Institution theoretisch und praktisch verstanden werden. Die Praxis wird sich auf jene Punkte beschränken müssen, wo man aktiv und passiv tätig ist.

Damit kann die betreffende Bildungsinstitution zum Lernfeld für eine praktisch-politische Verhaltensbildung werden, indem man erkennen lernt, dass und auf welche Weise ständig politisches Verhalten zustande kommt und internalisiert wird. Dies verdeutlicht, dass der Fachbereich nicht nur alle Fächer betrifft, sondern auch alle Institutionen, in denen Bildung und Wissen vermittelt wird.

Politische Bildung ist keine spezifische Bildung neben anderen "Bildungsarten", sondern jene Bildungsbasis, "[...]auf der sich alle anderen erst entwickeln, jedenfalls aber selbst begreifen und ihren öffentlichen, sozialen und kommunikativen Anspruch erkennen kann" (HEINTEL 1976, 371).

In der Folge beschäftigt sich Peter HEINTEL mit der Frage, ob Politische Bildung als Fach- und Wissensgebiet neben den anderen anzusetzen ist oder ob ihr eine besondere Aufgabe zukommt, die kaum in einem gesonderten Fach gelöst werden könnte.

Für Österreich ist diese Frage von Anfang an von besonderer Bedeutung. HEINTEL vertritt den Standpunkt, dass der Wert Politischer Bildung fundamental anzusetzen ist und sie "[...]in und mit jeder anderen Bildung vermittelt werden müsse" (HEINTEL 1976, 364), also ein Prinzip aller Bildung sein muss. Politische Bildung hat nicht nur ein Informationsdefizit zu beseitigen, sondern auch die ständig geschehende indirekte politische Verhaltensbildung zu beeinflussen. Wenn man die Verwirklichung konkreter Demokratie mit einer Einübung zulässt, muss man ein Individuum schaffen, dass nicht nur in der Theorie weiß, was Demokratie ist, sondern das auch demokratisch tätig sein kann. Dazu könnte politische Bildung als praktische kommunikative Verhaltensbildung dienen, "[...]am besten an dem Ort, an dem man ohnehin tätig ist" (HEINTEL 1977, 23).

Für die Ausbildung (Schule-Lehre-Studium) und die Vorbereitung auf die Arbeits- bzw. Berufswelt bedeutet dies die Forderung nach einem methodisch-didaktischen Angebot einer praktischen und sozialen Bildung(vgl. u.a. das Unterrichtsprinzip "Vorbereitung auf die Arbeits- und Berufswelt", Mitbestimmungsmodelle in der Polytechnischen Schule PTS und den mittleren und höheren Schulen/Schülervertretung in den Schulgemeinschaftsausschüssen, Lehrlings- und Studentenvertretungen). Infolge eines noch in weiten Bereichen bestehenden Defizits müssen Betriebe und Unternehmungen sowie Interessensgruppen in der Folge diesen Mangel ausgleichen, was einerseits ihnen den Vorteil bietet, ihren eigenen Einfluss auszuüben, andererseits den Nachteil hat, Erwachsene umzuformen. Damit ändern sich nicht unwesentlich das soziale und kommunikative Verhalten im Umgang mit Menschen und die Vorstellungen von Autorität, Abhängigkeit, Konkurrenz, Solidarität und Individualisierung.

HEINTELs Anregung zur Kontroverse Fach vs. Unterrichtsprinzip löste eine inhaltliche Diskussion um einen neuen Fachbereich aus.

Ein Übersehen der großen Bedeutung der Politischen Bildung in anderen Fächern und das Ausräumen des Verdachts, ideologisch beeinflussen zu wollen und andererseits eine isolierte und pädagogisch wertlose Stellung eines neuen Schulfaches im Fächerkanon sind Befürchtungen, die im Raum - bis heute - stehen.

Wenn Politische Bildung als demokratische Verhaltensbildung geschehen soll, muss "[...]Politisches......auch dort gesehen werden, wo es als solches gar nicht explizit genannt ist und nur indirekt wirksam ist" (HEINTEL 1976, 370).

Die Bildungsinstitution selbst muss als Ganze, in Zielvorgabe und juristischer Konstruktion, in ihrer kommunalen Stellung und in ihren Organisationseinheiten als politische Institution theoretisch und praktisch verstanden werden. Die Praxis wird sich auf jene Punkte beschränken müssen, wo man aktiv und passiv tätig ist.

Damit kann die betreffende Bildungsinstitution zum Lernfeld für eine praktisch-politische Verhaltensbildung werden, indem man erkennen lernt, dass und auf welche Weise ständig politisches Verhalten zustande kommt und internalisiert wird. Dies verdeutlicht, dass der Fachbereich nicht nur alle Fächer betrifft, sondern auch alle Institutionen, in denen Bildung und Wissen vermittelt wird.

Politische Bildung ist keine spezifische Bildung neben anderen "Bildungsarten", sondern jene Bildungsbasis, "[...]auf der sich alle anderen erst entwickeln, jedenfalls aber selbst begreifen und ihren öffentlichen, sozialen und kommunikativen Anspruch erkennen kann" (HEINTEL 1976, 371).

8.7 Anforderungen an die folgenden Bildungsepochen    

Im Folgenden werden Anforderungen an die folgenden Bildungsepochen formuliert. Von zentraler Bedeutung sind zunächst die siebziger Jahre mit ihrer Liberalität, die Demokratisierung, der Positivismus-Streit, didaktische Impulse, die Erwachsenen- und Weiterbildung und eine Erweiterung der Themenbereiche in der Politischen Bildung.

8.7.1 Anforderungen der siebziger Jahre    

Waren es die sechziger Jahre mit konservativen Moralvorstellungen, dem Schweigen zum Nationalsozialismus und ritualisierter politischer Ordnung, so erwies sich in den siebziger Jahren und in der Folge

mehr Liberalität (Demokratie als Prinzip),

eine Öffnung von Bildungs- und Berufszugängen (Vorberufliche Bildung/Unterricht?-Beratung-Realbegegnungen/Grundbildung-Ausbildung-Studium, Fortbildung, Erwachsenen- und Weiterbildung),

eine Abkehr von vorgezeichneten Lebenswegen, Konventionen und Verhaltensweisen als hilfreich (Emanzipation, Gender).

Gesellschaftliche Autoritäten wurden in Zweifel gezogen(kritische Gesellschaftstheorie, kritischer Diskurs).

Es begann eine Zeit der Reformen (Innovationen).

Der Drang nach Freiheit und Mitbestimmung war nicht zu übersehen (vgl. beispielhaft HEINEMANN 1977, 28-32).

Wesentlich verändert(e) sich die Gesellschaft mit Zu- und Abwanderung bzw. Asylanten und Flüchtlingen (Migration).

8.7.2 Pädagogik einer Demokratisierung    

Im Streit über die Reichweite von Demokratie ging es um die Ausweitung auf das gesamte gesellschaftliche Leben, damit wurde Demokratie didaktisch eine Aufgabe als fortlaufender Prozess.

Wilhelm HENNIS bezeichnete die Forderung nach Demokratisierung noch als eine "Revolte gegen die Natur", an deren Ende die "Agonie der Freiheit" stehe (vgl. GREIFFENHAGEN 1973, 57, 70).

Konsequenzen zeigten sich in Erziehung und Bildung mit den Institutionen Kindergarten, Schule, Universität und Erwachsenen- bzw. Weiterbildung.

Den wunden Punkt der Zeit traf Urs JAEGGI (1970) mit dem Band "Macht und Herrschaft in der Bundesrepublik". Jaeggi fragte nach der Rechtfertigung von Herrschaft, Elitevorstellungen, sozioökonomischen Bedingungen und plädierte für eine Demokratisierung des Alltags (vgl. JAEGGI 1970, 216). Bildung und Bewusstsein waren ein wesentlicher Aspekt, ebenso kritisch-emanzipative Vernunft(vgl. ebda., 176, 184). Das System der Bildungspolitik müsse demokratisiert werden (vgl. zu "Bildungsklassen" JAEGGI 1970, 170).

OI 1970Was aktuell kritisiert wird, hatte im deutschsprachigen Raum seinen Ausgangspunkt zu Beginn der siebziger Jahre(vgl. JAEGGI 1970, 162-163).

Fritz VILMAR (1973) bearbeitet und konkretisiert in zwei Bänden "Strategien der Demokratisierung" aus gewerkschaftlicher Nähe. Argumentiert wird gegen HENNIS und die marxistische Linke (vgl. hier die Kritik am Kapitalismus als inhumane Herrschaftsform[vgl. Bd. I, 22]; kritisiert wird auch die Bilanz des Marxismus und die falsche Einschätzung des subjektiven Faktors[vgl. Bd. I, 212-213]). Es entsteht eine neue Konfliktlinie mit den Themen "richtiger Sozialismus", "wissenschaftlicher Sozialismus" und "demokratischer Sozialismus" (vgl. VILMAR 1973, Bd. I, 23).

8.7.3 Positivismusstreit    

Im Positivismusstreit der deutschen Soziologie ging es darum, ob die Forschung der Sozialwissenschaften objektiv und wertfrei verfahren oder kritisch analysieren und verändern soll (vgl. POPPER-ALBERT vs. ADORNO-HABERMAS). In der Folge wurde Emanzipation zum gesellschaftspolitischen Programm.

1783 nannte Immanuel KANT auf die Frage "Was ist Aufklärung?" den fundamentalen Grundsatz "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus einer selbst verschuldeten Unmündigkeit[...]Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung"(KANT 1995, 162). Emanzipation meint demnach (Selbst-)Aufklärung und (Selbst-)Befreiung. Das handelnde Subjekt steht als selbstbewusste und selbstbestimmende Person im Mittelpunkt.

Emanzipation wurde zum Erziehungsprogramm in den sechziger Jahren. ADORNOs Credo, dass Auschwitz nicht nicht wiederholen darf, bestimmte das Erziehungsideal (vgl. ADORNO 1977, 88). Gefordert wurde Autonomie, Mündigkeit und Erziehung zum Widerspruch und Widerstand (vgl. ADORNO 1977, 144-145).

Die Erziehungswissenschaft der siebziger Jahre wurde neben der empirisch-analytisch orientierten Ausrichtung nun politisiert. Freiheit und Veränderung der Gesellschaft wurden in der Bildung angestrebt. Skepsis entstand durch alle pädagogischen Disziplinierungen. Pädagogisches Handeln soll für Mündigkeit und Emanzipation Partei ergreifen (vgl. MOLLENHAUER 1968, 10; vgl. auch HEYDORN, BLANKERTZ und KLAFKI).

Für Wolfgang KLAFKI waren etwa die drei Grundfähigkeiten Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Gesellschaftskritik sei der politische Anspruch des Faches.

Die kritische Erziehungswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre postulierte die Hoffnung, über Bildung und Erziehung eine Gesellschaftsveränderung zu erreichen und im pädagogischen Feld Bedingungen für die Entwicklung eines autonomen und vernunftbegabten Subjekts zu schaffen (vgl. KRÜGER 1999, 175).

8.7.4 Didaktische Impulse    

Damit erhielt die Didaktik der Politische Bildung eine wesentlichen Impuls. Die Ansätze von Wolfgang HILLIGEN, Herman GIESECKE, Ernst-August ROLOFF und Rolf SCHMIEDERER stehen dafür. Die didaktischen Konzepte von Giesecke (linksliberal) und Schmiederer (radikaldemokratisch-sozialistisch) wurden heftig diskutiert (vgl. HUFER 2010, 18).

In der Bildungspolitik wurde die Demokratisierung und Emanzipation in den "Hessischen Rahmenrichtlinien" (1972) als Lernziel genannt. Selbst- und Mitbestimmung muss sich in Handeln qualifizieren. Kritik kam 1976 von Dieter GROSSER, Manfred HÄTTICH, Heinrich OBERREUTHER und Bernhard SUTOR.

Kritische Politische Bildung wurde erst in der Folge zu einem Themenbereich, wobei Schwerpunkte

  • Grundlagen und Erfordernisse (Theoriediskussion, Jugendbildung, Erwachsenenbildung, Gesellschaftskritik, Demokratieverständnis, Soziale Arbeit),
  • Politik-Staat (Demokratie, Herausforderungen für Politische Bildung/etwa Foucault-Bourdieu, Ökologie),
  • soziale Ungleichheiten (Geschlechterverhältnisse, Rassismuskritik, postkoloniale Bildungsprozesse, Rechtsextremismus, Prekarität),
  • Handlungsfähigkeit (Subjektivität, soziales und politische Engagement, Migration, politische Partizipation),
  • pädagogische Praxis (Didaktik, Methodenwahl, politische und ökonomische Bildung, Mediendidaktik, Empowerment, Nationalsozialismus, Migrationspädagogik) und
  • institutionelle Kontexte der Politischen Bildung - Möglichkeiten und Grenzen schulischer Politischer Bildung, non-formale Politische Bildung, politische Jugendbildung, internationale Jugendbildung, Konflikte um Arbeit, Globalisierung, gewerkschaftliche Bildung - bilden (vgl. LÖSCH-THIMMEL 2010).
8.7.5 Politische Bildung in der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung    

Die politische Erwachsenen- bzw. Weiterbildung verlief parallel zur Demokratie- und Emanzipationsbewegung. Das Erwachsenen- bzw. Weiterbildungssystem als tertiärer und quartärer Bildungsbereich wurde ausgebaut, 1973 in Österreich ein Gesetz zur Förderung beschlossen und die strukturell-organisatorischen Voraussetzungen geschaffen(vgl. den IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Erwachsenenbildung).

Mit den jüngeren akademisch geprägten und kritisch-orientierten sozialwissenschaftlich geschulten Lehrenden bzw. Kursleiter/innen entstand ein kritisches Korrektiv, eingeschränkt aber durch ein buntes Spektrum beruflicher Voraussetzungen in zehn Erwachsenenbildungsinstitutionen der Allgemeinen und Beruflichen Erwachsenen- bzw. Weiterbildung sowie Universitätslehrgängen.

Erst mit der Installierung der "Weiterbildungsakademie Österreich"/ Wien, Universitäts- bzw. Hochschullehrgängen und eigenen universitären Studienrichtungen der Erwachsenenpädagogik sowie dem Angebot des "Bundesinstituts für Erwachsenenbildung"/Strobl a.WS. kam es zu einem Professionalisierungsschub.

Soweit eine Freiwilligkeit ("Ehrenamtlichkeit") Verantwortliche und Lehrende erwachsenenpädagogischer Bildungseinrichtungen bestimmen, ist die Personaldecke dünn.

Politische Bildung wird im Kurs- bzw. Lehrgangssystem zögernd angenommen (vgl. dazu den IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Lehrgang Politische Bildung in der Erwachsenenbildung, Ökonomische Grundbildung).

Kritik gab es im deutschsprachigen Raum an der ideologischen Besetzung der Erwachsenenpädagogik und ihren Theorien im Kapitalismus (vgl. MARKERT 1973).

Mobilisierend ist Politische Bildung in der Erwachsenenpädagogik bei Projekten der Stadtteilarbeit und in der interkulturellen Bildungsarbeit (Sprachkurse, Diversität, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtspopulismus, Religionen bzw. Weltanschauungen) sowie Migrationspädagogik geworden.

Gewerkschaftliche Politische Bildung hat ihre Grundlage im Konzept der Arbeiterbildung von Oskar NEGT (1971). An Erfahrungen der Teilnehmenden wurde hier angeknüpft, die zum Ausgangspunkt der Bildungsarbeit gemacht werden. Traditionelle Schulungen sind ureigener Bildungsauftrag (vgl. etwa die Betriebsräteschulung).

8.7.6 Erweiterte Themenbereiche    

Nicht zu vergessen ist die Erweiterung der Themenbereiche durch die Veränderungen von Gesellschaft und Umwelt (etwa Bildung, Kultur, Medien, Arbeit bzw. Beruf, Weltanschauungen bzw. Religionen - Alltag). Insofern hat Politische Bildung einen vermehrten Bildungsauftrag erhalten.

Man denke auch an die neuen Themenbereiche wie Europa, die Friedensarbeit, "citizenship"/ zivilgesellschaftliches Engagement, Gender, Interkulturelle Kompetenz, Migration, Erwachsenenpädagogik im ländlichen Raum, Medien- bzw. Netzwerkarbeit, ökonomische Grundlagen/ Wirtschaft, Globalisierung, Ökologie, Vorberufliche Bildung, Gesundheit und regional bedeutsam der Sprachenerwerb.

8.8 Ansätze einer politikdidaktischen Kompetenzentwicklung - Deichmann    

In der Folge geht es um den Aspekt einer politischen Realität und politische Kompetenzentwicklung.

8.8.1 Verständnis politischer Realität    

DEICHMANN (2004, 57-59) sieht vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse der politischen Jugend- und Kulturforschung die Politische Bildung mit zentralen Herausforderungen konfrontiert. Es gibt eine Distanz zwischen der Alltagswelt Heranwachsender und der Politik (vgl. SHELL DEUTSCHLAND 2006, 2010).

Heranwachsende sind keineswegs politisch desinteressiert oder politikverdrossen. Politische Partizipationsformen wie Wahlen finden zwar immer weniger Zustimmung, legale Möglichkeiten von Partizipationsformen finden Akzeptanz (vgl. zu Wählen ab 16 Jahre ZEGLOVITS 2018, 257-263; zunehmendes Interesse für angemeldete Demonstrationen, Diskussionsrunden/Mitarbeit in Foren, Jugendvertretungen in Gremien).

Allerdings wird Politik von vielen nicht nur jungen Menschen als abstraktes und formales gesellschaftliches Ordnungssystem wahrgenommen (vgl. HAUK-PARTETZKE 2014, 34-35). Da geht es einmal um die Wahrnehmung einer Mikro- und Makrowelt, die mit den Aspekte der Politischen Bildung die Erklärung für die Distanz zwischen Alltagswelt und formaler Politik ergibt. In der Folge gibt es die Wahrnehmung der Rollen des Alltags (individuelles Handeln) und der politischen Wahrnehmungen (gesamtgesellschaftliche Prozesse), deren Wirkungszusammenhang mitunter schwer erkennbar und kontrollierbar ist. Die Folgen sind jedoch vom Einzelnen zu tragen.

Leitziel der Politischen Bildung ist die Entwicklung eines demokratisch-politischen Bewusstseins und Identität (Innenseite-Mikrowelt) und einer aktiven Bürgerrolle (Außenseite-Makrowelt) (vgl. DEICHMANN 2004, 32).

Daraus ergibt sich die Forderung für Politische Bildung, Lernenden politische Prozesse, Strukturen und normative Prinzipien der Makrowelt einsichtig zu machen und ein Verständnis über politische Realität zu erreichen, um die angesprochene Distanz zu überwinden. Damit sind die Kompetenzbereiche - wie Analysefähigkeit, Urteilsfähigkeit und Handlungsfähigkeit - angesprochen, damit politische Realität verstanden werden kann.

8.8.2 Politische Realität in der Didaktik    

Politische Realität untersucht Daten aus der Sozialwissenschaft, die wiederum für die Didaktik vorinterpretierte Daten liefert. Somit befindet man sich in der Situation der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik. Es werden Modelle politischer Realität entworfen bzw. in der didaktischen Arbeit implizit zugrunde gelegt.

Je nach dem Gegenstand der politischen Realität spielen diese eine besondere Rolle.

Demnach geht es dann um

  • ordnungspolitische (Politische Systemtheorie/Vergleichende Politikwissenschaft),
  • historische (Politikgeschichte),
  • normative (Politische Theorie/Ideengeschichte) und
  • empirische (Politische Soziologie/Politische Kulturforschung) Perspektiven.
Daraus ergeben sich unterschiedliche didaktische Konsequenzen.

DEICHMANN (2004, 197-254) entwickelte daraus sein Modell der sozialen bzw. politischen Realität. Im Gegensatz zu den angeführten fachdidaktischen Entwürfen ergibt sich hier eine Mehrdimensionalität.

  • Alltagsdimension - subjektive Einstellungen, Bedürfnisse und Interessen; Intersubjektivität
  • Politische Dimension - geschaffene und intersubjektive Strukturen wie Herrschaft und Macht
  • Dimension regulativer Ideen - Vorstellungen wie Freiheit, Gleichheit, Toleranz und soziale Gerechtigkeit/Menschenrechte
  • Politisch-kulturelle Dimension - kollektive Deutungen wie politische Prinzipien, Werte und Mythen, Symbole, Riten - subjektive Deutungen als soziokultureller Reflex
8.8.3 Ansätze politischer Kompetenzentwicklung    

Politische Bildung erfüllt dieses Modell als

  • heuristisches Instrument zur Planung und Gestaltung des Unterrichts (vgl. DEICHMANN 2004, 197-199) und
  • als Verständnis politischer Realität.
Je nach der gewählten Dimension entwickelt sich ein Lehr-Lern-Prozess an

  • den handelnden Bürgern und deren Handlungsmöglichkeiten innerhalb der politischen Systeme (Staat, EU),
  • den politischen Institutionen,
  • den Normen, Prinzipien und Ideologien oder
  • den politischen Sinnstrukturen.
8.9 Traditionslinie der Kontroverse - Himmelmann    

Zum Wesen der Demokratie gehöre die politische Auseinandersetzung, was auch in der Politischen Bildung seinen Niederschlag finden müsse.

Gerhard HIMMELMANN (2001) entwickelte zur Jahrtausendwende die Frage, ob die Zielperspektive im didaktischen Focus in Demokratie-Lernen oder im Politik-Lernen als didaktische Orientierung für den Umgang mit der Vielfalt politischer Auffassungen bestehen soll.

8.10 Modell des Bürgers - Hennis-Massing-Detjen    

Für eine Zielbestimmung Politischer Bildung ist die Frage einer angemessenen Bürgerrolle wesentlich, geht es doch um Kenntnisse und Fähigkeiten der Lernenden.

Wilhelm HENNIS (1968, 201-212) stellte bereits früh einen Entwurf vor, der eine Erziehung zur richtigen Re-Aktion im politischen Leben führten solle.

In der Folge wurden diese Überlegungen von Hennis erweitert um bürgerschaftliche Qualifikationen und eine Unterscheidung in Bürgermodelle (vgl. MASSING 1999; ebenso MASSING 2002a, 21-60 und 2002b, 160-187).

  • Bürger als reflektierter Zuseher - kognitive Kompetenz,
  • Bürger als Interventionsbürger - kognitive und prozedurale Kompetenzen sowie
  • Aktivbürger - kognitive, prozedurale und habituelle Kompetenzen.
  • Mit einem Zusatz des Desinteressierten ergänzt Joachim DETJEN (2000, 19-38) die Definition.
9 Gesellschaftliche Funktionen    

Politische Bildungsarbeit in der Schule ist ein notwendiger Bestandteil der Gesamtbildung des Menschen, denn die sogenannte "Allgemeinbildung", "Berufsbildung" oder ein "Fachmenschentum" garantieren noch nicht ein menschenwürdiges Dasein (vgl. FISCHER-HERRMANN-MAHRENHOLZ 1978, 14).

Ziel eines politischen Unterrichts ist daher immer

  • eine Erziehung zur Demokratie,
  • zu kritischer Urteilsfähigkeit und
  • zum Erkennen der politischen, sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge.
  • Ziele, die auf einen Ausgleich sozialer Unterschiedlichkeiten ausgerichtet sind, geraten in Einzelfällen in Widerspruch zu vorhandenen gesamtgesellschaftlichen Zielvorstellungen. Demnach ist davon auszugehen, dass eine kritische Politische Bildung ein langdauernder Prozess der Rationalisierung politischer Fragen ist.
Unbestritten ist es eine soziale Aufgabe des Bildungssystems eines Staates bzw. einer Gesellschaft,

  • Heranwachsende auf ein Leben in der Gesellschaft vorzubereiten.
  • Dies bedeutet, dass jede Erziehungs- und Bildungsfunktion - die österreichische Schule versteht sich in ihrem Selbstverständnis als Lern- und Erziehungsschule - sozial bedingt ist.
Da ein Bildungswesen im gesellschaftlichen Zusammenhang steht, kann auch die gesellschaftliche Funktion der Politischen Bildung nur in Verbindung mit der gesellschaftlichen Funktion von Bildung im Allgemeinen gesehen werden.

Damit ist auch Politische Bildung in die Funktion und die Aufgaben der Institution Schule einbezogen (vgl. GROSSMANN-WIMMER 1979, 144-147; AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016).

Bildung und Bildungswesen sind nicht nur von der Gesellschaft abhängig, Erziehung wirkt wiederum auf die Gesellschaft. Das Schulsystem ist zwar Repräsentant der augenblicklichen Gesellschaftsordnung, "[...]aber es reproduziert diese zugleich, wenn auch in einer etwas veränderten Form" (SCHMIEDERER 1974, 10). Bildung und das Bildungswesen können nicht grundlegend anders als die Grundstruktur der bestehenden Organisation der Gesellschaft sein.

Hauptfunktionen der Politischen Bildung sind demnach das Bemühen um Demokratisierung - um das Erreichen von mehr Freiheit, vom Recht auf Widerspruch und der Anerkennung des Pluralismus in der Gesellschaft - und dem Anerkennen von Konflikten, Konfliktlösungen und Kompromissen.

Eine Urteilsfähigkeit mit einer Teilhabe an der politischen Öffentlichkeit darf sich nicht auf eine nationalstaatlich verengte Sichtweise beschränken, vielmehr wird auf Grund politischer, kultureller und wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse transnational bzw. interkulturell bestimmt (vgl. JUCHLER 2005; vgl. IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz).

10 Didaktik der Politischen Bildung - Politische Erwachsenenpädagogik    

Im Folgenden wird auf die Aufgaben, die Inhaltsstruktur, die Inhaltsauswahl, Ziele und Zielarten sowie deren Legitimierung im schulischen Unterricht eingegangen.

Zu beachten ist ebenso Politische Erwachsenenbildung/ Erwachsenenpädagogik als außerschulisches Lehren und Lernen.

Geht man von einer prozesshaften Entwicklung im Verständnis einer zeitgemäßen Politischen Bildung aus, so sind beide Ansätze wesentlich, geht es doch um den schulischen Bereich als Basisbildung und in der Folge um ein lebensbegleitendes Lernen, in dem die Erwachsenenpädagogik mit ihrem Verständnis und der Herausforderung einer Weiterbildung gefordert ist (vgl. die IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Erwachsenenbildung, Lernort Politik).

10.1 Aufgaben einer Didaktik    

10.1.1 Wissensbereiche    

Wissensbereiche sind die Sozialwissenschaften mit der

  • Politikwissenschaft (Politik),
  • Soziologie (Gesellschaft) und
  • Ökonomie (Wirtschaft).
  • Zudem gibt es Wissensbereiche, die sich ebenfalls mit Politik beschäftigen und als inhaltsbezogene Aufgabenfelder gelten(vgl. SANDER 2014, 295-412).
Zu ihnen gehören institutionenkundliches Lernen, Rechtskunde, ökonomisches Lernen, historisches Lernen, moralisches Lernen, Prävention gegen Autoritarismus, interkulturelles Lernen, geschlechtsspezifisches Lernen, Medienerziehung, Umweltbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Friedenserziehung, europabezogenes Lernen und globales Lernen (vgl. die einschlägigen IT-Autorenhinweise in diesem Netzwerk). Aktuell wird auch Vorberufliche Bildung und Migrationskunde miteinbezogen.

10.1.2 Fachdidaktik    

Die Fachdidaktik hat dagegen richtet sich auf eine Tätigkeit, also auf das Lehren und Lernen mit Politik und Gesellschaft. Es geht also um Theorien vom Unterricht und vom Unterrichten (vgl. GAGEL 2000, 12; AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016).

Unterricht - verstanden wird im Folgenden darunter einerseits das Fach "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung", andererseits das Einzelfach "Politische Bildung" und die inhaltsbezogenen Aufgabenfelder - vermittelt zwei Kompetenzen, die zwar unterschieden werden, obwohl sie zusammengehören.

  • Sozialwissenschaftliche Bildung als Bereich mit der Beschäftigung empirischer Fragen und
  • Politische Bildung mit der Beschäftigung zivilgesellschaftlichen Verhaltens und der Bürgerrolle in einem demokratischen Staat mit normativen Fragen.
Als didaktischer Zusammenhang stellt sich demnach

  • das politische Ereignis (Alltagssituation),
  • die sozialwissenschaftliche und Politische Bildung sowie
  • das politische Bewusstsein als Ziel.
10.1.3 Bildungseffekt    

Wesentlich ist der Bildungseffekt in der Politischen Bildung. Bildung soll hier allgemein als Beitrag zur individuellen kognitiv-psychischen Entwicklung eines Menschen verstanden werden.

Es sollen also Denk- und Erkenntnismöglichkeiten mit praktischer Bedeutung eröffnet werden. Die soll durch persönliche Erfahrungen zugänglich gemacht werden können (vgl. das "Parlament als System" mit der Erfahrung von bestimmten Zielen bzw. Zielobjekten, etwa mit demokratischem Umgang in Schule, in Betrieben und Organisationen, aber auch mit Themen wie Berufswahl, Fort- und Weiterbildung und Arbeitsmarkt["Sekundärsysteme"]).

Politische Bildung wird in diesem Kontext in einem engeren Sinn verstanden.

Es geht hier weniger um Erkenntnis, vielmehr um Verhalten, also Reaktionsweisen. Das Insgesamt nennt man "politische Kultur" (vgl. AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016, 23-33: "Demokratie lernen"-Dimension der Zivilisation-Konflikt/Konsens-Respekt/Toleranz-eigene Urteilsfähigkeit, Beutelsbacher Konsens 1976).

Umschrieben wird dies als die Elemente von politischen Kenntnissen, Wertüberzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen bzw. Handlungen innerhalb einer Gesellschaft in einem bestimmten Zeitpunkt.

Dies läuft auf eine Bewertung hinaus (vgl. als Kriterium gelten die Vorstellungen einer demokratischen Gesellschaft).

10.1.4 Lernziele    

Lernziele sind

  • das eigene politische Handeln,
  • demokratische Handlungsformen als Werte (bestimmte Formen) und
  • Interesse an öffentlichen Aufgaben (Sensibilität).
Politische Bildung dient dem Einzelnen zur Orientierung in seiner Umwelt und befähigt zu demokratieadäquatem Verhalten.

10.1.5 Politisches Bewusstsein    

Als Klammerbegriff von sozialwissenschaftlicher (Wissen) und Politischer Bildung (Verhalten) versteht sich politisches Bewusstsein.

Es bildet sich im Erkennen eigener Interessen, gesellschaftlicher Konflikte und Herrschaftsverhältnisse (Machtansprüche).

Der politisch denkende und fühlende Mensch soll als Subjekt in die Politik eingreifen (Engagement), nicht erleidendes Objekt einer Politik sein.

10.1.6 Fachspezifische Didaktik    

Die Fachdidaktik ist eine Wissenschaft, die weniger Sachverhalte, vielmehr die Beziehung der Sachverhalte zu den Lernenden bearbeitet.

  • Dies gilt besonders für gelehrte Fachdidaktik an Hochschulen/Universitäten.
  • In Schulen bedarf es keines wissenschaftlichen Arbeitens, hier gilt der Lehrplan auf der Basis von Wissenschaftlichkeit mit dem Pensum für die jeweilige Klasse/Lerngruppe (vgl. die Professionalität von Lehrenden in der Schule).
Didaktik ist jedenfalls auf Ergebnisse und Erkenntnisse der Bezugswissenschaft angewiesen.

  • Sie wählt nach den notwendigen Inhalten in ihrer Bedeutung aus.
  • Bedeutung meint die jeweilige gesellschaftliche Situation und die Bewältigung und Gestaltung des individuellen Lebens/Alltags.
  • Lernen in der Fachdidaktik meint als Zielbegriff Bewältigung von Lebensnotwendigem, also einer Auswahl für die individuellen Bedürfnisse.
10.1.7 Kommunikation    

Die Verbindung zwischen der Wissenschaft und Lernenden findet durch Kommunikation als Informationsfluss statt.

  • Die Informationsquelle (Adressat) benötigt einen Kommunikator (Mediator) als Filter und versorgt den Rezipienten (Empfänger) mit den jeweiligen inhaltlichen Bedürfnissen.
  • Kommunikatoren sind nicht nur Lehrende, auch etwa Redakteure und Reporter, die auf die Reaktionen ihrer Rezipienten reagieren.
  • Die Rezipienten bestimmen indirekt mit, welche Informationen abgerufen und weitergeleitet werden(vgl. die Bedeutung der Quote der Zuseher bzw. Zuhörer bzw. die Auflagenhöhe von Zeitschriften, Presse und Büchern).
  • Lehrende definieren die Bedürfnisse der Lernenden. Dies weist auf die Bedeutung des "Beutelsbacher Konsens" 1976 hin und unterstreicht die Methodik, also die Planung und Umsetzung im Unterricht.
Das Kommunikationsmodell hängt von der

  • Lernsituation in der Klasse bzw. Lerngruppe und Beziehung zu dem/den Lehrenden ab.
  • Fragen (wo? wann? wie? warum?) und Kriterien ergeben die Inhalte, die in der Folge bedeutungsvoll für das Wozu und Warum sind.
  • In der Lernorganisation (Wie des Lernens/Methodik) werden die Merkmale der gesellschaftlichen Situation erarbeitet.
10.1.8 Lehrende als Medium    

Der Vermittlungsvorgang zwischen Wissenschaft und Lernenden verläuft über ein Medium. Das bedeutet, dass Lehrende eine ähnliche Rolle wie Medien in der gesellschaftlichen Kommunikation spielen. Transportiert wird nicht nur die Information, auch die Sinndeutung (vgl. die Bedeutung eines Filters).

Lehrende wählen Inhalte aus, geben sie weiter, Lernende erhalten Informationen meist nicht aus erster Hand, Lehrpläne und in der Folge Schulbücher filtern. Lernende erhalten so ein Weltbild eines Mediums.

Die Fachdidaktik vermittelt selektiv die von der Fachdidaktik erarbeiteten Informationen an Lernende und kontrolliert diesen Vermittlungsvorgang (vgl. GRAMMES 1998, 60). Dazwischen liegt das/ein Medium - in unserem Fall Lehrende - mit der Reduzierung auf die Methodik.

Die Gefahr der Reduktion der Vermittlungsmethode macht bewusst, wie wesentlich das Wozu und Warum in der Politischen Bildung sich darstellt und reflexive Phasen im Lernprozess bei Lernenden und Lehrenden notwendig sind (vgl. GAGEL 2000, 44-45).

10.1.9 Transformation    

Offen bleibt nach dieser Darstellung der Inhalt. In der Politischen Bildung wird nach dem Kriterium "Bedeutung für das Leben bzw. die Gesellschaft" ausgewählt.

Die Qualität des Inhalts kann sehr wohl den Kommunikationsprozess beeinflussen.

  • Die Frage ergibt sich zunächst: Lernt man die wissenschaftlichen Inhalte oder lernt man an wissenschaftlichen Inhalten?
  • Während des Lernprozesses kann sich durchaus zeigen, dass die Inhalte bei Lernenden etwas bewirken (etwa das Bewusstsein für die Bedeutung, man deutet und rezipiert nicht nur).
In der Theorie der Wissensformen werden die qualitativen Veränderungen der Lerninhalte mit ihrem Anspruch beobachtet (vgl. GRAMMES 1998, 63, 177).

  • Alltagswissen (Vorwissen - Sozialisation, Gruppenbewusstsein/Verhaltensweisen im Alltag) > Alltagsverhalten,
  • wissenschaftliches Wissen (Fachwissen) > Wahrheit,
  • Institutionen- bzw. Berufswissen (Expertenwissen im Kontext mit Erfahrungswissen) > Entscheidung und
  • Schulwissen (Rezeption als Lernende) > Bildung .
Die Wissensformen sind miteinander vernetzt, stehen also nicht in einer linearen Beziehung. Es kommt zu qualitativen Veränderungen (Transformationen)(vgl. GRAMMES 1998, 63-108).

10.2 Lerngegenstände - Inhaltsstruktur    

In der Folge geht es um die Frage der Lerngegenstände in der Politischen Bildung. Hier gibt es verschiedene Arten, die sich nach der Inhaltstruktur und der didaktischen Funktion unterscheiden.

10.2.1 Institutionenkunde - Fallprinzip    

Historisch ist die Frage in der Didaktik einzuordnen, ob Politische Bildung Institutionenkunde oder/und Fallprinzip sein soll (vgl. GAGEL 2000, 58-60). Angesprochen wird damit die unterschiedliche Beschaffenheit der Lerngegenstände. In der Inhaltsstruktur zeigt sich dies deutlich.

Institutionenkunde

Gegenstand > systematisch, abstrakt

Lernprozess > deduktiv, fachsystematisch

Absicht > Kenntnisvermittlung (sozialwissenschaftlich)

Fallprinzip

Gegenstand > exemplarisch, unvollständig, konkret, aktuell

Lernprozess > induktiv, Stufen der Einsicht

Absicht > wertbezogen (Politische Bildung)

Das Fallprinzip vermittelt für Lernende Verständlichkeit und Lebendigkeit. Es beeinflusst das politische Verhalten. Die Subjektbezogenheit ist gegeben.

10.2.2 Beschaffenheit der Lerngegenstände    

Angesprochen wird mit den zwei Bezeichnungen die Unterschiedlichkeit der Lerngegenstände. Es geht um die didaktische Struktur.

  • Bei der Institutionenkunde erkennt man eine systematische (etwa das politische System, die Funktionsweise),
  • im Fallprinzip eine didaktische Struktur (etwa Ereignisse als Lerngegenstand/realitätsnah, Identifikation mit Handeln).
Fallprinzip und Institutionenkunde stehen in einem Kontext zueinander. Kenntniserwerb über Institutionelles ist Voraussetzung für das Gewinnen von Einsicht (Urteilsbildung).

Institutionenkunde lässt sich ohne Zweifel am jeweiligen politischen Fall einbinden (vgl. MASSING 2014, 295-302).

10.2.3 Bezugsrahmen    

In der Folge bedarf es eines Bezugsrahmens, in den die Lerngegenstände eingeordnet und kategorisiert werden können. Gebildet wird der Bezugsrahmen durch Politikbegriffe - Form, Inhalt und Prozess - und Erkenntnisebenen - konkret und abstrakt.

Es zeigt sich, dass in der Didaktik der Politischen Bildung verschiedene Dimensionen zu unterscheiden.

  • Formen der Politik gibt es durch Verfassung und Rechtsordnung mit Gesetzen und Verordnungen. Dieser Handlungsspiel ist legal ("polity").
  • Inhalte von Politik ergeben sich durch Gegenstände und Aufgaben zur Problemlösung und Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Ziele und Werte sind bedeutend, sie berühren politische Interessen und Zielkonflikte ("policy").
  • Prozesse und Vorgänge bestimmen politisches Geschehen. Zwischen politischen Parteien gibt es die Austragung politischer Konflikte (Austragung nach Regeln, durch Macht oder Konsens) ("politics").
Es versteht sich, dass Institutionenkunde sich mit Formen befasst, das Fallprinzip mehrere Dimensionen umfasst (Inhalt, Prozesse und Vorgänge). In der Politischen Bildung zeigt es sich, dass Politik von hoher Komplexität und multidimensional zu verstehen ist.

Im Unterricht sollte daher Eindimensionalität vermieden werden (vgl. GAGEL 2000, 70).

10.2.4 Lernweg als didaktische Aufgabe    

Lehrende haben in der Politischen Bildung zu entscheiden, wie sie den Lernweg gestalten. Es geht um die Frage des induktiven und deduktiven Lernwegs (Konkretisierung vs. Abstraktion).

Die Problemstellung lautet daher: Wie wird der Lebensbezug (das Konkrete) und das wissenschaftliche Wissen (das Abstrakte) miteinander verbunden?

Der Lernende soll eine Beziehung (Relation) herstellen können. Man denke etwa im ökonomischen Lernen an die Thematik "Wirtschaftsform", die jedermann angeht, persönliche Erfahrungen vorhanden sind und im Lernprozess so abstrahiert werden sollen, dass zwischen Unterrichtsstoff und eigenem Leben es einen Zusammenhang gibt.

Lernende sollen die Erkenntnis gewinnen können, eine kognitive Orientierung/ Intention zu erhalten. Politik und Gesellschaft müssen als Institutionen, Prozesse und System gekannt werden. Wissen ist dazu notwendig, das den Lebensbezug ermöglicht (vgl. GAGEL 2000, 77).

10.2.5 Arten der Inhaltsstruktur    

Den Erkenntnisebenen "institutionenkundliches Lernen" (abstrakt) und "Fallprinzip" (konkret) sind die folgenden Inhaltsstrukturen beizufügen.

  • konkret - Fall, Situation und Problem,
  • abstrakt - Institution, Sozialstruktur, System und Prozess.
In der Didaktik ergiebig erweisen sich Fall, Situation und Problem. Im Folgenden werden sie genauer beschrieben.

10.2.5.1 Begriff    

Die Begrifflichkeit "Inhaltstruktur" wird von Walter GAGEL(2000, 79) verwendet. Hermann GIESECKE(1993, 56) verwendet die Kunde, einen problemorientierten, konfliktorientierten und tagespolitischen Ansatz. Es fehlt jedoch der Lernanlass. Hier wird der "Lerngegenstand" verwendet(vgl. Tilmann GRAMMES 1998, 237).

10.2.5.2 Fall    

Bezeichnet wird der Fall ("case") als möglichst wirklichkeitsnahe Beschreibung einer Begebenheit, etwa eines politischen Problems und seiner Bearbeitung. Für deren Darstellung ergeben sich relevante Faktoren, zumeist mit einer Abfolge von Ereignissen.

Es ergibt sich damit

  • ein Ereignis (Begebenheit) zeitlicher und räumlicher Abgrenzung, konkret mit Personen, Gruppen und Institutionen,
  • eine Inhaltsgeneralisierung, ein "Fallprinzip" als exemplarisches Lernen (vgl. FISCHER 1993, 19),
  • eine Konstruktion mit einem Gegenstand (Vorfall), der zur Sprache kommt (Berichte, Darstellungen, Dokumente und Quellentexte zur Unterrichtskommunikation). Daraus kann eine unterschiedliche Thematisierung entstehen,
  • eine Methodengeneralisierung mit der Fallanalyse. Wer ist daran beteiligt? Worum geht es? Welche Absichten verfolgen die Beteiligten? Welche Mittel der Durchsetzung werden angewendet? Wie ist der Verlauf? Zu erwarten wäre nunmehr ein Transfer.
Der Fall ist in der Politischen Bildung ein Mittel des Entscheidungstrainings.

10.2.5.3 Situation    

In der Politischen Bildung bedingt die Situation Interaktion' (Miteinanderhandeln). Ein Bewirken bedingt Handeln.

  • Es kommt auf die Sinndeutung der Situation durch die handelnden Personen an (subjektive Perspektive der Beteiligten).
  • Die erfahrende Umwelt der Personen spielt eine Rolle. Die Haltungen der Beteiligten lassen sich aus der eigene Biographie erklären.
Schlüsselfragen (Analyseschemata) ergeben sich aus

  • den objektiven Bedingungen der Handelnden,
  • dem Einbringen der Haltungen in die Situation und
  • den Folgen der Definition der jeweiligen Situation.
10.2.5.4 Problem    

Ein Problem ergibt sich aus der Spannung von Wissen und Nichtwissen.

Politische Probleme haben zudem

  • die Dringlichkeit (Zugzwang zum Handeln),
  • die Ungewissheit,
  • das praktische Problem (Thema zum Handeln) und
  • die Konkretheit (Betroffene, Beteiligte).
Für die Didaktik gibt es die Schlüsselbegriffe wie das Ausmaß, die Entstehung, Betroffenheit, Lösungskonzepte und Interessen sowie Folgen (vgl. SANDER 2014, 258-265, bes. 263).

10.2.5.5 Mikro- und Makrowelt    

BERGER-BERGER (1976, 11-17) haben die Begrifflichkeit "Mikrowelt" und "Makrowelt" eingeführt, um den Zusammenhang von konkretem und abstraktem Wissen aufzuzeigen. Um Gesellschaft zu erfahren, leben wir gleichzeitig in verschiedenen Welten - der Mikrowelt mit unmittelbaren Erfahrungen, einer vertrauten Umwelt mit face-to-face-Beziehungen und einer Makrowelt mit nicht erfassbaren umfassenden Strukturen und abstrakten Beziehungen (vgl. DEICHMANN 1996, 36).

Andere Begrifflichkeiten werden auch verwendet. So wird die Mikrowelt mit Fall-Situation-Problem, Konkretisierung, Alltags- und Lebenswelt sowie Alltagswissen, die Makrowelt mit Institution, System, Abstraktion, Politik und wissenschaftlichem Wissen bezeichnet.

Für die Didaktik ergibt sich das Problem, wie Lernenden ein Wissen über die Makrowelt vermittelt werden kann.

  • Ein Unterricht ergibt sich aus Situationen, die an einer Nahtstelle zwischen Individuum und Gesellschaft liegen. Solche Lerngegenstände ergeben den Zugang zu einem überbrückenden Lernprozess (Verzahnung) und (wissenschaftlichem) Wissen. Fall und persönliche Erfahrungen ergeben eine Verzahnung bzw. umgekehrt.
  • Kognitive Orientierung in Form von Zuordnung normative Klärungen und evaluative Orientierung als richtiges und verantwortungsvolles Handeln ist hilfreich.
10.3 Inhaltsauswahl    

Eine Auswahl der Unterrichtsinhalte (Didaktik) ist die entscheidende Frage (vgl. mit Stand 2020 auch in Österreich die Frage, welche inhaltlichen Schwerpunkte im Unterricht von "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung" als verbindlicher Kanon gesetzt werden).

Bereits 1966 wurde in der Fachliteratur ein Diskurs über Unterrichtsinhalte geführt, der mit den folgenden Auswahlkriterien benannt wurde: Aktualität, Lebenshilfe und Konfliktvermeidung(vgl. Forschungsberichte der Max Traeger - Stiftung 1966, Zur Wirksamkeit politischer Bildung Teil I: Eine soziologische Analyse des Sozialkundeunterrichts, Frankfurt, 113, 121).

Die Frage blieb schon damals offen, ob die Kriterien eindeutig, annehmbar und begründbar seien.

10.3.1 Auswahlprozesse    

Mit der Fülle des Unterrichtsstoffes bedarf es für Lehrende einer Auswahl(vgl. die wenig rezipierte Möglichkeit bei Rahmenlehrplänen, eine stoffliche Auswahl/Selektion und eine Vereinfachung/Reduktion vornehmen zu können).

Hilfreich erscheint

  • eine Reduktion auf Sektoren aus der Soziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie.
  • Nochmals selektiert werden kann das Wissen aus den Lehrplänen und Schulbüchern. Unterrichtliche Präferenzen - etwa erarbeitet in einem (Schul-) Entwicklungsprozess - ergeben eine fast natürliche Themenauswahl einer Politischen Bildung (vgl. die IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: schulisch: Lernfeld Politik, Europa als Lernfeld und erwachsenenpädagogisch: Lehrgang Politische Bildung in der Erwachsenenbildung).
  • Eine Selektion und Reduktion ergibt ohne Zweifel der Bereich der Massenkommunikation. TV, Hörfunk, Internet und Printmedien transportieren in quantitativ-reduziertem Umfang Informationen. Korrigiert werden kann das durch Medienkunde, die hinter die Kulissen sieht. Kriterien dafür wären etwa die Nähe der Ereignisse, Bezogenheit, Auswahl der Grundthemen, Dynamik, Personalisierung und ein Negativismus, womit ein "Weltbild" durch die Medien entsteht (vgl. den IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Medienarbeit, Aspekte von Netzwerkarbeit). Die Komplexität zeigt sich in der Vielfalt der Medienarbeit.
  • Als didaktische Reduktion ist die Rückführung komplexer Sachverhalte anzusehen, die für Lernende wesentliche Lernelemente überschaubar macht (vgl. MORITZ 1999, 178-184). Beispielhaft kann das am Thema "Konflikt" dargelegt werden. Umstrittenes, Offenes wird in einem Prozess der Auseinandersetzung um Streitfragen der Gesellschaft inhaltlich und formal behandelt. Die didaktische Reduktion/Vereinfachung beginnt mit der Alltagserfahrung. Kriterien wären etwa der Konflikt, die Konkretheit, Macht, Recht, Interesse, Mitbestimmung, Solidarität, Ideologie, Historie und Menschenwürde(vgl. GIESECKE 1965, 21).
Zu unterscheiden sind eine

  • vertikale Reduktion als Umformung innerhalb der wissenschaftlichen Sprache mit einem Übergang zu einem geringerem Gültigkeitsumfang und
  • eine horizontale Reduktion mit einer Überleitung in eine methodische Vereinfachung und Transformation in eine konkretere Form zur leichteren Verständlichkeit wie etwa Analogien, Worten und Unterrichtsmedien (vgl. dazu das Angebot der ARD-Tagesschau in 15 Minuten und der Kurzfassung in 100 Sekunden).
  • Auch die didaktische Reduktion muss Anforderungen erfüllen. Eine Stichhaltigkeit und Begründbarkeit von Selektionskriterien muss gegeben sein ("Organisierbarkeit der Selektivität").
Mit dem Hang zur Vereinfachung von Erklärungen und Alternativen sowie dem "Entweder - Oder" kommt es zu einem politischen Reduktionismus. Die Meinung des Anderen wird nicht angehört, vielmehr von vornherein abgelehnt. Daraus entsteht das "Freund-Feind-Schema", das Andere nicht toleriert, vielmehr ausschließt (vgl. den Anspruch von Interkultureller Kompetenz).

  • In der Politischen Bildung ist dies pädagogisch abzulehnen, denn es verhindert selbständiges Denken und Lernen,
  • Politisch' verleitet es zu Feindschaft und hilft politischer Auseinandersetzung zu ideologisch besetzten politischen Konflikten (vgl. GAGEL 2000, 117).
Zu bedenken ist das Element des Zufalls. Wesentlich ist das "Woraufhin" reduziert werden soll. Selektionszwang heißt Kontingenz, Kontingenz heißt aber auch Risiko (vgl. LUHMANN 1984, 47). Die Vielzahl der Alternativen bedeutet naturgemäß die Notwendigkeit der Auswahl, damit ist es Kontingent. Kontingenz bedeutet das Zufällige im Gegensatz zum Notwendigen, das Gegebene im Gegensatz zum Unmöglichen. Die Auswahlentscheidung muss also begründet werden können (Legitimierung von Auswahlentscheidungen).

10.3.2 Auswahlverfahren    

Im Folgenden sollen Problembereiche bei Auswahlverfahren erkennbar und Lösungsvorschläge beurteilt werden.

1 Bedürfnisse -Interessen

Nach SCHMIEDERER (1977, 114) soll sich Unterricht nach den Bedürfnissen und Interessen (sowie Wünschen) Lernender orientieren. Auswahlprinzip ist der von ihm genannte "subjektive Faktor" in einem schülerorientierten Unterricht.

Themen sind demnach etwa

  • die Lebenswelt der Lernenden (Lernmotivation, Leistungsüberprüfung, Lehr- und Lernbedürfnisse),
  • Migrationsprobleme bzw. Problembereiche von ausländischen Mit-Lernenden,
  • Neue Medien und
  • Freizeitprobleme.
Hinzuweisen ist auf subjektive und objektive Interessen. "Der Schüler soll befähigt werden, seien (objektiven) sozialen und politischen Interessen zu erkennen" (vgl. SCHMIEDERER 1977, 115).

  • In der Folge ist ein Kontext zwischen objektiven Interessen und subjektiven Bedürfnissen herzustellen. Es bedarf ausreichender Informationen ohne Manipulationen sowie einer objektiven sozialen Lage.
  • Eingefordert wird eine Zustimmung der Individuen.
  • Versteht man Interessen als didaktische Kategorie, geht es um das Erfassen einer sozialen Realität und Denken in Alternativen.
  • Damit wird didaktisch ein Zugang zur Gesellschaft geboten, nicht aber einer Gesellschaftstheorie.
2 Auswahlaspekte

Bernhard SUTOR (1992, 40-41) bezeichnet die Zukunftsbedeutsamkeit, Aktualität und den Problemgehalt als wesentlich. Fragerichtungen mit Aspekten sollen es sein, weil die Exaktheit zwingender Kriterien nicht erreicht wird. Auch Inhalte sollen genannt werden, vielmehr geht es um Aufgabenfelder. Der Anspruch an Exaktheit wird als unerfüllbar hingestellt (vgl. GAGEL 2000, 125).

  • Zukunftsbedeutsamkeit betrifft die subjektive Betroffenheit der Lernenden mit einer Horizonterweiterung(vgl. WEINBRENNER 1992, 121). Zukunftsdidaktik(Lernen für die Zukunft) in der Politischen Bildung sind die Risikozunahme, Beschleunigung, Globalisierung, das Nichtwissen und die Unsicherheit sowie die Irreversibilität. Nicht zu vergessen ist Interkulturalität und das Wissen um Europa mit der Vielfalt der Themenbereiche(vgl. die IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz, Globales Lernen, Europa als Lernfeld).
  • Aktualität enthält auch eine Erweiterung über die gegenwartsbezogene Fallanalyse. Der Aspekt eröffnet Historie, wobei die gegenwärtigen und zukünftigen Problembereiche angesprochen werden("zeitgeschichtliche Bestimmbarkeit"). Didaktik und Schule bedürfen des öffentlichen Diskurses mit der Politik und Wissenschaft(vgl. die Bedeutung der Zukunftsforschung).
  • Der Problemgehalt umschreibt Bereiche aktueller Politikfelder, also die Diskrepanz von erfahrbaren Zuständen und Zielen bzw. Werten. Zielwerte wären demnach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.
3 Historie

Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit historisch-politische Situationen Lerninhalte liefern können. Das Jahr 1989/90 kann als Beispiel für diesen Ansatz gelten (vgl. MISSELWITZ 1991, 3-8, hier 7; ROTHE 1992, 47-57, hier 48-49; GAGEL 1992).

  • Es geht um eine Kluft gegensätzlicher Traditionen.
  • Differenzen von Grundwerten ergeben sich in den Begrifflichkeiten "Freiheit"(Grundrechte), "Wohlstand"(Marktwirtschaft) und "Sicherheit"(internationale Einbindung, Souveränität, Friedenssicherung, Gewaltverzicht).
  • Fallbezogene Problemerörterungen als Lehrgüter und Lernaufgaben können nach ROTHE (1992, 49) Grund- und Menschenrechte, Rechts- und Verfassungsstaat, freie Wahlen, Parteienkonkurrenz, Bürgerprotest, Verbände, Tarifautonomie, Marktwirtschaft, Freiheit einer wirtschaftlichen Tätigkeit, soziale Sicherheit/Sozialstaatlichkeit, Konfliktausgleich und internationale Integration sein(vgl. Rothes Bemühungen exemplarisch um eine Mitte zwischen Werten und Traditionen der damaligen Bundesrepublik und der ehemaligen DDR aus westlicher Sicht/Didaktik einer Reduktion auf institutionelle Erfahrungen in unterschiedlichen politischen Systemen).
  • Anders ergeben sich die Themen etwa bei Hans MISSELWITZ (1991, 3-8). Das Alltagswissen der DDR-Bürger, ihre erlebte Vergangenheit und Gegenwart, eine Aufarbeitung/Transformation und die Erfahrungen eines Wandelns stehen im Mittelpunkt (vgl. der didaktische Zugang einer Institutionenkunde bei Rothe und die Erfahrungsorientierung bei Misselwitz; eine Verbindung ergibt sich aus der fallbezogenen Problemerörterung mit Fallprinzip und Systemwissen).
4 Suchinstrumente

Sybille REINHARDT (1997, 29-30) weist auf Gründe hin, die in der Politischen Bildung Angaben verbindlicher Inhalte auf der Ebene von Richtlinien nicht möglich machen (vgl. in Österreich verbindliche Module im Fach "Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung" für den Teilbereich Politische Bildung).

Angesprochen werden

  • der soziale Wandel mit Änderungen der Realität,
  • der Erkenntniswandel in den Bezugswissenschaften,
  • die Mitbeteiligung Lernender,
  • die Professionalität Lehrender und
  • die Notwendigkeit einer Auswahl von Inhalten.
  • Als Problem stellt sich demnach die Verbindlichkeit und Geltung. Zu beachten wäre demnach das Kriterium mit dem Risiko einer Beliebigkeit, Zufälligkeit und Unsicherheit. Vermindert werden kann dies etwa in einer Matrix von Handlungstypen und Situationsfeldern (vgl. GAGEL 2000, 144-145). REINHARDT sieht die Verklammerung von Leben und Wissenschaft über das Handeln in dieser Brückenbildung.
5 Betroffenheit

Politik macht durch den Eingriff in das Leben betroffen (vgl. WEISSENO 1990, 214).

  • Politische Entscheidungsprozesse verlaufen auf der Ebene der Makrowelt und reichen in ihren Auswirkungen in die Mikrowelt.
  • Lernende spüren dies als Betroffenheit.
  • Es gilt nunmehr das Risiko der Auswahl zu reduzieren, Alternativen aufzuzeigen und den Gegensatz von Offenheit und Beliebigkeit zu bewältigen.
Subjektiv und objektiv als Begriffe sollten ergänzt bzw. vertieft werden mit Betroffenheit (subjektive Dimension) und Bedeutsamkeit (objektive Dimension).

  • Man beachte eine direkte (unmittelbar in mein Leben) und indirekte Betroffenheit (Empathie für andere).
  • Dies bedingt eine Anstrengung nach einer Lösung (etwa in Form nach Befriedigung, Glück und/oder Hoffnung auf Besseres).
10.4 Denken oder Handeln als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts    

Im Folgenden werden Lernzielarten, Schlüsselbegriffe, Operationen und Schemata besprochen.

10.4.1 Einführung - Denken und Handeln    

Perspektiven und Schwierigkeiten in Zielen bzw. Zielbestimmungen eines Unterrichts in Politischer Bildung ergeben sich in

  • Unzulänglichkeiten von Definitionen bei Zielbestimmungen. Man denke etwa an Engagement, Mitbestimmung, Konflikt und Menschenwürde, die mehrdeutig sind;
  • Denken und Handeln als ein ergänzendes Verhältnis;
  • der Unvereinbarkeit von politischem Lernen und politischer Aktion. Bildungsinstitutionen lehren Politische Bildung, Lernende lernen diese - Lehre bzw. Unterricht haben propädeutische Funktion. Politisches Handeln wird vorbereitet, politische Handlungen werden nicht von Bildungsinstitutionen organisiert. In der Folge tragen Handelnde die Verantwortung, nicht die Bildungsinstitution.
  • Jedenfalls sind Werte und Normierungen ein Zielbegriff für Denken und Handeln. Diese sind erforderlich, "[...]weil dem Handeln eine Wahl unter Handlungsalternativen vorausgeht, welche ein Werten erfordert" (vgl. GAGEL 2000, 187). Damit ergibt sich eine Gliederung der Ziele (vgl. kognitive und evaluative Orientierung/erkennende und wertende Orientierung, Sozialwissenschaften - Politische Bildung).
10.4.2 Lernzielarten/Strukturelles Lernen    

Lernzielarten werden nach GAGEL (2000, 188) unter dem Begriff "Strukturelles Lernen" zusammengefasst, womit eine Beziehung zur kognitiven Lerntheorie geschaffen wird. Benannt wird ein Lernen zum Erwerb von Denkstrukturen, mit dem Wissen geordnet und erweitert wird.

Dies bedeutet didaktisch die Fülle von Informationen für die jeweilige Entscheidung zu reduzieren. Die Entscheidung wird erleichtert, man kann das Vorwissen verwerten.

10.4.3 Kategorien/Schlüsselbegriffe    

Erfahrungen und Wahrnehmungen werden mit Hilfe von Kategorien geordnet. Wolfgang HILLIGEN (1985, 88) verwendet Kategorien synonym mit Schlüsselbegriffen (Erkenntnismöglichkeiten, Grundbegriffe/Ordnungsfunktion, Erkenntnisfunktion und Erklärungsfunktion).

10.4.4 Operationen    

Kognitive Strukturen entstehen, in denen Wissen in typischen Zusammenhängen organisiert wird (in Form einer Ordnung von Antworten und deren Beurteilung; vgl. Vorberufliche Bildung/ Berufsorientierung: Themenbereich Berufswahl > Gesellschaft, Berufsfelder, persönliche Voraussetzungen, Informationsniveau).

Operationen helfen in ihrer unterschiedlichen Komplexität

  • Begriffe zu bilden,
  • Interpretationen vorzunehmen und
  • Anwendungen zu ermöglichen.
Die einzelnen Denkhandlungen werden in einem Lernprozess zusammengefasst. Diese Denkhandlungen bilden eine Komplexität in aufeinanderfolgenden Schritten ("step for step"). Ziel ist die Handlungsfähigkeit.

10.4.5 Schemata    

Als Handlungsprogramm (auch "Script" genannt) kann ein Unterricht etwa ein Rollenspiel initiieren (etwa in Form eines nachgespielten Entscheidungsprozesses oder einer Diskussion oder Debatte/ Didaktikmodell: "Politzyklus" > Problem - Beratung/Auseinandersetzung - Entscheidung - Bewertung/Reaktionen - neue Problemstellung).

10.5 Kognitive Lerntheorie in der Politischen Bildung    

Die kognitive Lerntheorie ist für das Verständnis der Lernzielarten und Lerntheorien notwendig. Der folgende Abschnitt soll daher ausführlicher darauf angehen.

10.5.1 Kognitive Struktur    

Als Gefüge von Begriffen, Operationen und Schemata verändert die kognitive Struktur das Bewusstsein der Individuen. Erkenntnis, Denken und Handlungen werden beeinflusst.

  • Lernen meint die Veränderung der vorhandenen Struktur (Anreicherung, Differenzierung, Verbesserung der Erkenntnisqualität und des Denkvermögens).
  • Lehren vermittelt den Lernenden geeignete Strukturen, die Erkenntnisse und Denken ermöglicht. Ausgelöst wird ein aktives Lernverhalten bzw. eine Wahrnehmung.
Kognitive Strukturen lassen sich

  • inhaltlich beschreiben (Grundbegriffe, Begrifflichkeiten, Schemata),
  • generalisieren (weitgehende Gültigkeit in Einheit und Geschlossenheit) und
  • verändern die Kognition (etwa in der Dependenz/Abhängigkeit, Interdependenz/wechselseitige Abhängigkeit, Anpassung an neue Informationen/Akkomodation, Einordnung in vorhandene Strukturen/Assimilation).
10.5.2 Theoretische Ansätze    

Im Folgenden geht es um die Begriffe "kognitive Struktur" und "kognitive Komplexität".

Die kognitive Struktur als Begriff umfasst die Theorien des sinnvollen und einsichtigen Lernens. Jerome BRUNER (1970, 25, 31) definiert dieses Lernen als ein Verständnis der Grundstruktur für den Lerngegenstand.

  • Damit ergibt sich eine Unterscheidung zwischen der Struktur des Gegenstandes und der kognitiven Struktur des Lernenden ("mentale Konstruktion").
  • Merkmale sind die Beziehungen zwischen den Sachverhalten und der Anwendbarkeit.
David P.AUSUBEL spricht von "Ankerbegriffen" ("advance organizer") für ein sinnvolles Lernen (vgl. den Politikzyklus in seiner Bedeutung für Lernprozesse der Politischen Bildung).

  • Die kognitive Komplexität erweitert den Begriff vom Was (Sache) auf das Wie, also die Systeme wie etwa auf Vorstellungen, Begriffe, Meinungen, Einstellungen und Motive.
  • Lernen wird neben der reinen Kognition auch als sozialer Prozess aufgefasst (vgl. SEILER 1973, 37).
10.5.3 Umsetzbarkeit im Unterricht/Lehre    

Die beschriebenen Ansätze machen es möglich, die Lernzielarten zu verwenden. Es zeigt sich, dass strukturelles Lernen sich an der kognitiven Struktur orientiert. Andererseits werden die Lernzielarten durch die kognitive Komplexität definiert und zugeordnet.

Ein Problem stellt sich in dieser Kombination. Folgerungen für die Politische Bildung ergeben sich aus der Theorie der kognitiven Komplexität. Wissen ist gegenüber Bewertungen und Handlungen zweitrangig, weil diese und nicht die Inhalte Merkmale für die Verarbeitung enthalten.

  • Unterricht bzw. Lehre wirkt weniger durch Inhalte als durch die Lernsituation, Unterrichtsstil und "heimlichen Lehrplan". Kommunikative Didaktik wirkt stärker als der Inhaltsaspekt. Kognitive Komplexität wirkt so als Lernumwelt, weniger als Vermittlung von Inhalten.
  • Andererseits kann Didaktik nicht auf Inhalte verzichten. Es geht um die Orientierung in der Umwelt bzw. dem Alltag, die Betroffenheit der Subjekte und die existentielle Bedeutsamkeit von Situationen und Problembereichen.
  • Politische Bildung verlangt die Einübung sachbezogener kognitiver Prozesse, damit der Bereich "Politik" in seiner Realität erschlossen werden kann.
  • Kognitive Komplexität ist Voraussetzung zur Bewältigung neuartiger und komplexer Situationen und hängt mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen (Selbstsicherheit, positive Einschätzung eigener Fähigkeiten; vgl. DÖRNER 1989, 46).
Hilfreich ist das Modell des Aufbaues kognitiver Strukturen (vgl. GAGEL 2000, 241).

  • Erste Stufe - Person orientiert sich an Regeln und Standards, Aufnahme nur eines Standpunkts, Zustimmung der Bezugsperson
  • Zweite Stufe - zunehmende Differenziertheit, Mehrdeutigkeiten von Regeln und Situationen, Standpunkterweiterung des "Entweder - Oder", Erweiterung von Aktionsmöglichkeiten (Ablehnung, Zurückweisung)
  • Dritte Stufe - Erweiterung bzw. Integration kognitiver Strukturelemente (sozialer Kontext/wechselseitige Abhängigkeiten, Bewertungen, Vermeidung von Ablehnungen)
  • Vierte Stufe - Synthese verschiedenartiger Aspekte, Neuinterpretation der Situation, vermehrte Unabhängigkeit von äußeren Vorgaben und Vorschriften
Stufen 3 und 4 sind Lernzielen der Politischen Bildung zuzuordnen.

10.5.4 Lernaufgaben der kognitiven Komplexität    

Kognitive Strukturen stellen als Lernziele Begriffe, Grundbegriffe/Schlüsselbegriffe, Operationen, Schemata und Modelle dar.

Kognitive Komplexität''' ergibt sich als Lernziele/ Lernaufgaben in fundamentalen Problemen, kontroversem Denken und Problemlösungsfähigkeit. Im Folgenden wird darauf näher exemplarisch eingegangen.

10.5.1 Fundamentale Probleme    

Kognitive Orientierung in der Umwelt ergibt die didaktische Frage, was Lernende wissen müssen, etwa grundlegende Merkmale der jeweiligen Umwelt bzw. allgemein der Umwelt. Das Kriterium der Bedeutsamkeit filtert die Fragestellung.

Wesentlich ist die Reichweite und die Darstellung des Begriffs.

Fundamentale Probleme (mitunter auch "Schlüsselprobleme" genannt) zeigen sich in der Regel in Folgeproblemen und erzeugen Betroffenheit (vgl. bei der Thematik "Arbeitslosigkeit" als Folgeproblem Armut-soziale Ungleichheit, global Migrationsbewegungen, Bevölkerungswachstum und massive Gesundheitseinschränkungen[etwa Epidemien]).

In der Begrifflichkeit zeigen sich weltweite Interdependenzen, kaum kontrollierbare Entwicklungen in der Wissenschaft (vgl. die Gentechnik), Möglichkeiten der (Selbst-) Vernichtung der Lebensgrundlagen (vgl. Umweltkrisen) und die Notwendigkeit der medialen Erfahrung (vgl. Entwicklungen in den Medien von Subjektivität) (vgl. HILLIGEN 1991, 22; HILLIGEN besteht darauf, dass Chancen und Gefahren bedacht werden, die er didaktisch in einem kognitiven Schema als Denkmodell sieht).

10.5.2 Kontroverses Denken    

Das Aufschlüsseln fundamentaler Probleme auf innere Gegensätze ergibt ein kontroverses Denken (vgl. das Nahost-Problem aus historischer und politischer Sicht Israels und Palästina).

Die Information über gegensätzliche (kontroverse) Standpunkte und Meinungen weist auf Barrieren hin.

  • Kognitive Dissonanz bezeichnet den Widerspruch zweier kognitiver Elemente (Erkenntnisse, Informationen, Widersprüche, Einstellungen zu einem Objekt). Dies erzeugt eine psychische Spannung bzw. Ungleichheit. Das Individuum tendiert zum Abbau und Überwindung der kognitiven Dissonanz.
  • Das Argument der didaktischen Verfrühung betrifft die Vermeidung widersprüchlicher Aussagen. Hier sind in der Regel historische Kenntnisse notwendig, um Aussagen zu verstehen (vgl. die Folgerung, dass Lernende zunächst einmal Grundwissen benötigen, um sachgerecht urteilen zu können).
Bedenken sind bei einer Vereinfachung zu äußern,

  • denn es käme zu einer Einseitigkeit von Inhalten (vgl. die Möglichkeit der Indoktrination; man beachte den "Beutelsbacher Konsens" 1976/BRD mit dem Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot[vgl. "Dissensgebot" nach GRAMMES 1998, 244] und der Analyse- und operationalen Fähigkeit).
  • Zu beachten ist ebenso die Widersprüchlichkeit der Umwelt (vgl. die divergierenden und gegensätzlichen Interessen mit der Folge von Kontroversen).
  • Statt einem "Entweder-Oder" in der Didaktik bedarf es in der Politischen Bildung eines "Sowohl-als-Auch" mit dem Grundsatz der Bewahrung von Vielfalt/Diversität (vgl. CLAUSSEN 1981, 322). Es geht um
    • sachstrukturelle Aspekte (Komplexität der Sache),
    • kommunikative Aspekte (Dialogfähigkeit) und
    • politische Aspekte ("Für und Wider"-Konflikt).
Verlangt wird demnach kognitive Leistungen und affektive Eigenschaften bzw. Haltungen.

Lernaufgaben liegen immer normative Prämissen und Postulate zugrunde (vgl. Streitfragen, Konsensfähigkeit, begrenzte Erkenntnis, Reflexion eigener Positionen).

Didaktisch ist die Rolle von Lehrenden zu hinterfragen. Vielfalt von Meinungen, Aspekten und Hintergründen sind in der Sachanalyse und Didaktik der Unterrichtsvorbereitung zu berücksichtigen. Zu beachten ist die jeweilige Unterrichtssituation für die Lehrenden (unterschiedliches Verhalten - Zurückhaltung, Engagement bei politischen Absichten in der Lerngruppe).

10.5.3 Problemlösungsfähigkeit    

Ging es bisher um die Struktur des Lerngegenstandes, so soll nunmehr die Struktur des Denkens mit dem Problem der Lösungsfähigkeit behandelt werden. Von Interesse ist die Didaktik, die kognitive Qualifikationen erforderlich macht.

Das Modell der kognitiven Struktur umfasst die

  • Wissensstruktur mit Inhalt (Begriffen und Regeln), reproduktivem Denken und der Leistung (Bewältigung der Aufgabe) und
  • der Problemlösestruktur mit Problemlöseverfahren (Heurismen), produktivem Denken und als Leistung der Lösung von Problemen. Wesentlich ist das Vorwissen (Erfahrungen).
Stationen (Modell) des Problemlösungsprozesses sind die (vgl. GAGEL 2000, 263)

  • Zielausarbeitung (Problemstellung),
  • Modellbildung und Informationssammlung (Gründe, spezielle Bedingungen),
  • Prognose und Extrapolation (Verwerfen von gängigen Fragestellungen),
  • Planung von Aktionen (Entscheidung-Durchführung/Methodendiskussion) und
  • Effektkontrolle und eventuelle Revision der Handlungsstrategie
Gekennzeichnet ist ein Problem durch einen unerwünschten Anfangszustand, erwünschten Endzustand und Barrieren. Kern des Problems sind Barrieren. Diese ergeben als Umstrukturierung den Problemraum, die Situationsanalyse (= Problem), den Suchraum und die Lösung mit einer Evaluierung (= Lösung).

Kann man nach einem solchen Muster ggf. von einer Normalität einer Lösungsfindung sprechen, so gibt es auch eine "Logik des Misslingens" (vgl. ein Fehlverhalten, wie es in politischen Situationen durchaus vorkommt). Unzulänglichkeiten im Denken beim Umgang mit Unbestimmtheiten und einer Komplexität beruhen auf Ökonomie-Tendenzen, Kompetenzschutz, Schwächen des menschlichen Gedächtnisses und/oder einer Überwertigkeit des aktuellen Motivs (vgl. DÖRNER 1989, 288--295).

Positive Problemlösungsfähigkeit ergibt sich aus einer Mischung von kognitiven Qualifikationen und Verhaltensmerkmalen und weisen auf die folgenden Merkmale hin:

  • Umgang mit Komplexität (Überblick mit Erfassen der Struktur und Dynamik),
  • spezieller intellektueller Leistungsfähigkeit (breit gefächertes Wissen, Analogiebildung, Strukturierung des Problems),
  • Entscheidungsfreudigkeit (relevante Maßnahmen werden überprüft),
  • Selbstsicherheit (Korrektur von falschen Hypothesen, eigene Kompetenz bewahren) und
  • Verantwortung und Stabilität des Handelns (Selbstreflexion des Handelns, eigene Verantwortlichkeit).
10.6 Werte als Lernprozesse - Ziele von Lehre/ Unterricht    

Im Folgenden geht es um den Sinn und die Grenzen einer Wertorientierung - Lehr- bzw. Studienpläne, Parteinahme und Parteilichkeit sowie oberste Lernziele - und Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens - "richtige" Werte, moralische Urteile, demokratische Tugenden und Grundwerte bzw. Leitideen.

10.6.1 Sinn und Grenzen einer Wertorientierung    

Es geht um evaluative Orientierung, die als Fähigkeit zu Stellungnahmen und Handeln zu verstehen ist. Neben der Erkenntnis ergänzt sie die Einsicht, was es sein soll. Erst durch das Handeln erhält sie einen Wert.

Evaluative Orientierung wird daher auch Wertorientierung benannt (vgl. GAGEL 2000, 271). Werte werden materiell (Güter), geistig-kulturell (Wissen, Bildung, Sinnorientierung) und sozial (Einfluss, Prestige, Autorität) eingestuft.

10.6.1.1 Lehr- und Studienpläne    

In Lehrplänen bzw. Studienplänen werden Werte an Inhalten und Lernzielen sichtbar. Sie bilden das politische Programm der Politischen Bildung. Merkmale sind die von Hans-Hermann HARTWICH (1977) beschriebenen Indikatoren der Sozialstaaten-Modelle.

  • Konservatives Sozialstaaten-Modell - Rechtsstaat, Soziale Marktwirtschaft, Verfassung, Staat als Schutz- und Korrekturfunktion, Sozialstaat als System und Zustand, Grenzen des Sozialstaates, Freiheit, Wert ist individuelle Freiheit
  • Progressives Sozialstaat-Modell - Sozialstaat als Auftrag in einem politischen Prozess, Zielwerte sind soziale Gerechtigkeit-Chancengleichheit, Überwindung sozialer Ungleichheit, sozialgestaltende Interventionen des Staates, Arbeit ist Sektor der Sozialpolitik mit Beschäftigungspolitik und Wirtschaftsdemokratie.
Lehrpläne beinhalten ein (bildungs-) politisches Programm. Sie hängen von der Zusammensetzung der Lehrplan-Arbeitsgruppe, ihrem Selbstverständnis, fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenz ab.

Eine Analyse von Lehrplänen beinhaltet die

  • Inhaltskomponente mit Aussagen zum gesellschaftlichen und politischen Umfeld, den Systemrahmen und Erweiterungsmöglichkeiten sowie der
  • Verhaltenskomponente mit wünschenswerten Fähigkeiten (wie Sachlichkeit, Verantwortlichkeit und Partizipation). Der "demokratiekompetente Bürger" mit einem Grad des Engagements wird angestrebt (vgl. zusehen, interventionsfähiger Bürger, Aktivbürger; KUHN 1999, Politische Bildung 32/1999, Heft 2, 162).
10.6.1.2 Parteinahme und Parteilichkeit vs. Indoktrination    

Politische Bildung bedeutet die Auseinandersetzung mit Politik und ihren Einzelformen, sie beinhaltet daher Politik im Sinne von Inhalten und Verhalten bzw. Handlungsfähigkeit.

Politische Programme meinen die Entscheidung für eine Richtung, was auch für andere Richtungen zu gelten hat. In jedem Fall kommt es zu Entscheidungsproblemen.

Parteilichkeit für Lehrende gilt nur,

  • wenn es um die Interessen der Lernenden geht.
  • Dies bedeutet didaktisch chancengleiche Kommunikation und angstfreies Lernen (kompensatorische Funktion).
Denkvoraussetzungen einer Politischen Bildung haben Prämissen. Unbestreitbar gibt es gültige Aussagen über eine gesellschaftliche und politische Wirklichkeit.

  • Dazu gehört politisches Bewusstsein, das argumentative Offenheit beinhaltet. Subjekte haben die Chance zu erhalten, ihre Interessen definieren zu können.
  • Interessen allein genügen nicht. Es gilt auch, für die Zukunft offen zu sein (vgl. antizipatorisches Verhalten; Ausgleich von subjektiven und objektiven Bedürfnissen; beispielhaft: Parteinahme für eine Ökologie als politisches Problem vs. Parteilichkeit für politische Ideen wie Klimaschutzprogramme und Organisationen).
Indoktrination beinhaltet ein Verfahren, Erkenntnisse, Einsichten und Verhalten zu erzwingen (Sanktionen, einseitige Information, Verschweigen von Kontroversität oder Abqualifizierung anderer Erkenntnisse; vgl. das Überwältigungsverbot im "Beutelsbacher Konsens" 1976).

Lösungen zur Verhinderung ergeben sich aus dem bereits besprochenen strukturellen Lernen und der kognitiven Komplexität.

10.6.1.3 Oberste Ziele eines Unterrichts/Lehre    

Die Bezeichnung beinhaltet die Frage nach der Reichweite von Lernzielen.

Lernziele wecken (Lern-) Erwartungen, womit aus der Sicht einer Politischen Bildung ihre Funktion zu untersuchen ist (vgl. LOMPE 1971, 226).

  • Regulativ dienen sie in der Regel methodisch richtungsgebend für den Fortgang eines Lernprozesses. Sie beeinflussen die Richtung des Handelns (etwa die "Selbstbestimmung").
  • Operativ werden sie durch einen zu planenden Handlungsablauf realisiert. Damit sind dies Lernziele (auch Feinziele) einer Unterrichts- bzw. Lehrstunde.
Die Reichweite , also Wirksamkeit, wird bestimmt durch die

  • Richtung des pädagogischen Handelns, wobei sie den Lehrenden helfen zu beurteilen, ob Lernende in der Unterrichtsphase einen Zuwachs (ein Mehr im Vergleich zu früher) an erhalten zu haben;
  • Relation zu dem früheren Zustand. Es zeigt sich, dass Lernziele nur relativ zur Biographie der Lernenden bezogen werden können. Lehrende werden demnach den Bezug zum Entwicklungsstand der Lernenden zu bedenken haben. Angestrebt wird eine Veränderung auf einen gewünschten Zustand, aber in Relation zum bisherigen;
  • Möglichkeit des pädagogischen (und in diesem Fall politischen) Handelns. Die gegebenen Umstände bestimmen den Spielraum der Möglichkeiten (vgl. die Unterschiedlichkeiten von Lerngruppe zu Lerngruppe und von Bildungsinstitution zu Bildungsinstitution und in jedem Fall dem jeweiligen Bildungsrahmen).
Zu fragen ist ebenfalls die Funktion oberster Lernziele in der Didaktik und Reflexion Lehrender.

  • Hier geht es um die Offenlegung der Normenentscheidung, also des Wertbezugs. Angesprochen ist die pädagogische Verantwortung der Lehrenden. Es geht um Zumutbarkeit und Kritikfähigkeit, in der Folge Legitimationsfähigkeit und Rechtfertigung.
  • Es geht auch um das Lernziel, das die Lernenden verändert(also die Richtung).
  • Es geht um die Auswahl und Gewichtung von Inhalten, also um das Kriterium der Bedeutsamkeit. Oberste Lernziele lassen eine Beurteilung der didaktischen Relevanz von Lerngegenständen zu. Sie ermöglichen eine didaktische Analyse und Planung von Unterricht bzw. Lehre.
10.6.2 Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens    

Fragen ergeben sich um die Richtigkeit von Werten, moralischen Urteilen, demokratischen Verhaltensweisen, Grundwerten und Leitideen. Im Folgenden wird auf diese wesentlichen Fragen für die Didaktik näher eingegangen.

10.6.2.1 Richtigkeit von Werten    

Bei dem Diskurs um Werte prallen zwei Demokratietheorien aufeinander, die Werttheorie und die Prozesstheorie der Demokratie.

  • Werttheorie als fixe Größe, verfassungsgemäß festgelegt und objektiv > Festlegung in der Verfassung (objektive Wirklichkeit - materiale Wertethik);
  • Prozesstheorie der Demokratie als politische Entscheidungsfindung, Mehrheitsregel > Wertewandel (gesellschaftliche Größe - formale Zielethik).
Für die Politische Bildung lässt sich eine Hierarchie der Werte formulieren (vgl. HEPP 1999, 144).

Menschenwürde

  • Gleichheit - Gerechtigkeit - Pluralität - Frieden > Grundwerte
  • Partizipation - Demokratisierung - Solidarität - Mündigkeit - Toleranz - Zivilcourage - Gemeinsinn > politische Werte
  • Verhaltens- und Sollensanforderungen - etwa Disziplin und Gehorsam > Normen und Regeln
Anders wird die Wertediskussion in der Politische Bildung bei HENKENBORG (1999, 610-616/"Reflexionstheorie der Moral") gesehen.

  • Politische Bildung als Erziehung zur Mündigkeit hat moralische Selbstbestimmung zum Ziel. Sie ist deshalb ein Ort für wertbezogenes Argumentieren (Zielbestimmung, Sinn- und Orientierungsfragen, Wertkonflikte).
  • Ethik als Reflexionstheorie der Moral in der Politischen Bildung stellt normative Fragen nach Handlungsweisen bei der Bewältigung politischer Herausforderungen("policy"), bei der Gestaltung politischer Institutionen("polity") und in politisch-gesellschaftlichen Konflikten("politics"). Begründet werden sie von einem moralischen Standpunkt("moral point of view"), der Alternativen bzw. Entwicklungen als wünschenswert ansieht(vgl. "moral education").
Didaktisch verlagern sich Wertprobleme auf eine andere Ebene. Es geht um ein sozial bezogenes Handeln. Pädagogisch relevant ist die Geltung von Werten in realen Situationen (vgl. GAGEL 2000, 303).

Keineswegs wird ein wertfreier oder wertneutraler Unterricht angestrebt.

  • Lernenden sollen Werten im Unterricht bzw. in der Lehre begegnen.
  • In einer pluralistischen Gesellschaft werden Entscheidungssituationen in Politischer Bildung mit Hilfe von Werten durchdacht, ggf. auch durchlebt. Die Realität von Werten ist bewusst zu vollziehen, somit auch durch Nachdenken zu begleiten.
10.6.2.2 Struktur des moralischen Urteils    

Lawrence KOHLBERGs sechs Stufen bilden ein Schema bzw. eine Hierarchie der Urteilstypen. Es zeigt sich eine Verfeinerung des moralischen Urteils von der präkonventionellen zu den postkonventionellen Stufen. Kohlberg hat die Stufen nicht nur als Hierarchie, vielmehr als Entwicklungsstufen kognitiver Fähigkeiten entworfen (vom kindlichen Stadium zum Erwachsenenstadium).

Schema der Entwicklung moralischen Bewusstseins nach KOHLBERG (vgl. GAGEL 2000, 309)

Ebene I (präkonventionell)

Werte sind Eigenschaften von externen Ereignissen

Stadium 1: Gehorsam und Orientierung an Bestrafung

Stadium 2: Naiv-egoistische Orientierung

Ebene II (konventionell)

Stadium 3: Orientierung an Bravheit

Stadium 4: Orientierung an Autorität und Aufrechterhaltung an sozialer Ordnung - Orientierung an Pflichterfüllung

Ebene III (postkonventionell)

Stadium 5: Kontraktueller Legalismus

Stadium 6: Gewissens- oder Prinzipienorientierung

Als Kompetenz des Urteilens helfen die Stufen Unterrichtsverläufe zu erkennen und zu beurteilen.

Kohlbergs Urteilsformen sind deswegen für die Politische Bildung praktizierbar, weil sie situations- und bereichsunabhängig sind, keine Verhaltensregeln beinhalten, vielmehr zu Verhaltensbegründungen auf die Struktur zurückführen. Die Formen moralischen Urteils erweisen sich genereller Natur, vernachlässigt werden situative oder kulturelle Besonderheiten.

Kritisch ist zu vermerken, dass die Gefahr einer gesinnungs-ethischen Moralisierung der Politik unter Vernachlässigung der situativen, interessens- und machtbedingten Zusammenhänge bestehen kann (vgl. SUTOR 1984, 30).

Die Unterschiedlichkeit zwischen einem moralischen Urteil und einem politischen Denken im Kontext mit moralischen Elementen zeigt sich in der Verschiedenartigkeit der Konflikte.

  • Kohlbergs Forschungsansatz stellt individuelle Entscheidungskonflikte in den Mittelpunkt.
  • Politische Konflikte besitzen Dynamik, haben eine höheren Grad an Vernetzung mit Folgewirkungen, sind wenig transparent und besitzen zumeist viele Lösungsmöglichkeiten.
Diese Komplexität erkennt man an Bernhard SUTORs Modell des politischen Entscheidungsdenkens (vgl. SUTOR 1992, 35).

Modell des politischen Entscheidungsdenkens nach SUTOR (1992)

Kategorien einer Politischen Bildung in der Problemanalyse

Vorphase: Einstieg und Planungsgespräch - Problem/Konflikt, Betroffenheit, Bedeutsamkeit, Meinungen

Erste Hauptphase: Situationsanalyse - Information, Interessen, Beteiligte - Interpretation, Ideologien, Geschichtlichkeit

Zweite Hauptphase: Möglichkeiten - Macht, Organisation, Recht/Verfahrensregeln, Institutionen, - Beteiligung - Koalition, Kompromiss, Zielkonflikte - Durchsetzung

- - -

Zwischenschritte: Information - Planungsgespräche - Zwischenzusammenfassung

- - -

Dritte Hauptphase: Urteilsbildung, Entscheidungsdiskussion - Menschenwürde - Grundkonsens/ Zumutbarkeit, Gemeinwohl - Wirksamkeit, Folgen, Verantwortlichkeit

Schlussphasen: Transfer, Kontrolle und Kommunikation

- - -

Die dritte Phase verbindet Werte und Realität, die keinesfalls einseitige Denkvorgänge sein müssen, vielmehr durchaus verknüpft werden können. Bewerten in Form einer Qualität von Begründen und politisches Handeln sind im politischen Entscheidungsdenken verbunden. In der Urteilsebene wird das Für und Wider abgewogen.

Politisch moralisch ist,

  • selbst zu denken,
  • autonom zu urteilen und zu handeln.
  • Reflexivität soll/ muss als Analyse und Bewertung praktiziert werden. Dies wäre das Ziel von Unterricht bzw. Lehre.
Die didaktische Funktion ergibt sich im Kohlbergschen Konzept eines moralischen Urteils aus der

  • diagnostischen Funktion, in dem Lehrende den Reflexionsstand der Lerngruppe bzw. der Lernenden zu einer Stufe zuordnen kann;
  • instrumentellen Funktion, in dem Lehrende die Diskussion lenken und den Denkprozess verbessern können;
  • intentionalen Funktion, in dem Lernende ihr Urteil von Stufe zu Stufe verbessern und sich an allgemeinen Prinzipien orientieren können;
  • autonomie-erweiternden Funktion, in dem für Lernende das Konzept als Instrument der Analyse und Bewertung eigener Urteile verwende und damit die Fähigkeit einer Reflexivität erlangt werden kann.
Die Schlüsselfrage für Lernende ist die Fähigkeit zu Stellungnahmen zu sozialen und politischen Entscheidungsproblemen mit wertbezogenen Urteilskriterien, wobei eine Abwägung zu realitätsbezogenen Kriterien vorzunehmen ist. Nur so erreicht man verantwortungsethische Urteilsfähigkeit (vgl. REINHARDT 1999, bes. 51).

10.6.2.3 Demokratische Verhaltensweisen    

Denkformen zu einem moralischen Urteil besagen noch nichts über Handlungsweisen in einer konkreten Situation.

Verhaltensweisen ("Tugenden") dagegen können als vorbildlich, nachahmenswert oder ablehnenswert erscheinen. Der Begriff hat durch die Historie eine Ambivalenz erhalten, die in der Politischen Bildung zu beachten ist.

Jedenfalls stellen Verhaltensweisen - etwa Pünktlichkeit, Fleiß, Ausdauer, Sauberkeit, Verantwortlichkeit, Gründlichkeit, Redlichkeit, Respekt, Solidarität und Toleranz - keinen Wert an sich dar, vielmehr haben sie eine dienende Funktion (vgl. HÖFFE 1997, 306-309).

Durch die Unterschiedlichkeit der "Tugendkataloge" - man denke an die kirchlich-religiösen Kardinaltugenden und/ oder Tugenden des Bürgertums - muss in der Politischen Bildung nach Leitvorstellungen gefragt werden. Dies betrifft demokratische Tugenden, also Verhaltensweisen bzw. Verhaltensmuster für politisches Handeln in einem demokratischen Staat.

Dazu gehört/-en zunächst

  • ein Systembezug mit dem Zusammenhang von Staatsform und Normorientierung, also demokratischen Grundrechten. Rolf DAHRENDORF(1965, 328-339) sprach etwa öffentliche (= soziale Werte) und private (= eigene Vervollkommnung) Verhaltensweisen im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit zwischen der deutschen und angelsächsischen Gesellschaft an.
  • Durch die Unterscheidung von Politischer Bildung als Erziehung zur Demokratie als Staatsform und zur Demokratie als Lebensform kommt es zu
Unterschieden in Aspekten von demokratischen Verhaltensweisen.

    • Dies zeigt sich an den Beispielen als Lebensform wie Kompromissbereitschaft, Zurückhaltung, Konfliktfähigkeit, Sensibilität, Vertrauen bzw. Misstrauen, Engagement bzw. Distanz und Selbstbewusstsein (vgl. von KROCKOW 1979, 9-17).
    • Beispiele als Staatsform sind etwa Loyalität, Mut, Rechtsgehorsam, Kooperationsbereitschaft, Fairness, Partizipation, Argumentation, Toleranz, Respekt und Solidarität (vgl. BEYME-OFFE 1995, 303).
Diese Unterschiede können als Instrument zur Diagnose für Lehrende dienen, wozu die Ziele ihres unterrichtlichen Verhaltens neigen.

In der Folge können zwei Ansätze der Politischen Bildung festgemacht werden, das soziales Lernen und das politisches Lernen einschließt.

"Aber zu hören ist auch die Warnung vor einem 'unpolitischen Unterricht', der sich mit sozialem Lernen begnügt (manchmal aus der Not des fachfremd Unterrichtenden, weil man 'Lebenskunde' betreiben kann und weniger fachwissenschaftliche Kenntnisse benötigt)" (GAGEL 2000, 326).

Die didaktische Erkenntnis folgert, dass beide Aspekte sich ergänzen und damit eine Erziehung zur Demokratie in Lernziele übertragen werden, die auf politische Beteiligung bzw. politisches Handeln sich bezieht. Dies weist auf

  • Demokratie als Teilnahme mit Erlernen von Partizipation,
  • Internalisierung der öffentlichen Verhaltensweisen und
  • Sensibilität für soziale (und globale) Notstände mit Erlernen allgemeinen Demokratiedenkens (vgl. Mehrheit - Minderheit, Diskurs, Kompromiss, Konflikt, Argumentation, Respekt, Toleranz, Solidarität, Entscheidung).
10.6.2.4 Grundwerte - Leitideen    

Es gilt die These, dass im Bundes-Verfassungsgesetz (BVG) Grundwerte festgelegt sind und diese in der/einer Politischen Bildung als Verhaltensweisen von Lernenden verinnerlicht werden sollen.

Die Verinnerlichung ist das didaktische Problem. Werte in einer Persönlichkeitsstruktur lassen sich schwer planen. Vorrangig geht es um deren Anerkennung, also um eine Motivation für ein eigenes Handeln mit dem Ziel, eine Richtschnur zu besitzen.

Weil es um ein didaktisches Vorhaben geht, sollte eher von Leitideen gesprochen werden. Angestrebt wird ein Lernprozess, in dem die grundlegenden Werte in die Persönlichkeitsstruktur integriert werden sollen.

Gemeint ist eine

  • Aktivierung der Vernunft und
  • eine Sensibilisierung des moralischen Bewusstseins/ Urteilsvermögen.
Leitideen sind regulative Ideen, die die Richtung und nicht das Ergebnis vorgeben.

  • Es geht also um Prinzipien des Handelns, um oberste Lernziele.
  • Es geht auch um deren Anerkennung, d.h. sie müssen auch zu rechtfertigen sein. In ihrer Anwendung können sie durchaus strittig sein (vgl. das Machtmonopol des Staates und den Schusswaffengebrauch).
Als Vorschlag für Leitideen können die drei bereits behandelten Themen gelten, nämlich der

  • Situationsbegriff (Prinzip der Gerechtigkeit),
  • fundamentale Probleme (Prinzip der Universalität)und
  • das moralische Urteil (Prinzip des praktischen Diskurses). Dazu sind Bedingungen notwendig wie Wahrheit, Argumentationsanerkennung, keine Einschränkungen beim Diskurs bei Themen und Teilnehmenden sowie der Anspruch auf Rechtfertigung, Gleichheit und Reziprozität.
Als Bezug zur Bundesverfassung stehen die Leitideen mit den Begriffen Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden. Für den Lehrenden gilt die subjektive Seite mit dem Aspekt, die Werte zu hinterfragen - als Selbstprüfung, diskursive Rechtfertigung, Bestandteile eines (globalen) Ordnungssystems und Realisierungsmöglichkeit durch politisches Handeln (vgl. auch die Lernzielzusammenhang als Zusammenfassung nach GAGEL 2000, 335).

10.7 Legitimierung von Zielen und Inhalten    

Mit der Auseinandersetzung um Fach vs. Fachprinzip/ Unterrichtsprinzip und didaktischen Konzeptionen - siehe OETTINGER, FISCHER, GIESECKE, HILLIGEN, SUTOR, ROLLOF, SCHMIEDERER, SCHAUSBERGER, HEINTEL, LÖSCH, THIMMEL - sowie pädagogischer Normen erweist sich die Notwendigkeit einer fachdidaktischen Diskussion um eine Legitimierung von Zielen und Inhalten in der Politischen Bildung.

Richtlinien als Erlässe bzw. Lehrpläne bzw. Studienpläne als Verordnungen stellen ein Politikum dar. Sie werden durch politische Entscheidungen mit hinreichender Zustimmung getroffen. Prozesse des Aushandelns bestimmen die Geltung im Sinne einer Verbindlichkeit (Legitimation, Legalität).

Die Rechtfertigung im pädagogischen Bereich ergibt sich aus der Tatsache, dass Lernende im Mittelpunkt des Handelns stehen, im Falle der Politischen Bildung das pädagogische Konzept Rahmenbedingungen bedarf, die eine pädagogische Legitimation ergibt. Es gilt der Übergang von kontroversen zu konsensfähigen Lernzielen.

10.7.1 Politische Legitimation    

So gesehen benötigen Lehrende (und Lernende) politische Legitimation von Inhalten und Zielen:

  • Die Legitimationsbasis muss vorhanden sein,
  • das Handlungsfeld muss abgesteckt und
  • der Handlungsspielraum erkennbar sein.
  • Die Öffentlichkeit (Außenperspektive) und die jeweilige Bildungsinstitution (Innenperspektive) bilden die zwei Ebenen.
10.7.2 Legitimation in der Pädagogik    

Daneben gibt es noch Grundformen für eine Legitimation in der Pädagogik.

  • Eine normative Legitimation besteht im Kontext mit Lernzielen und Lerninhalten auf vorpädagogische Normen (Religion, Metaphysik, normative Anthropologie).
  • Eine Verfahrenslegitimation besteht aus Entscheidungen, die durch legitime Verfahren zustande gekommen sind.
  • Eine diskursive Legitimation besteht in der Begründbarkeit von Wertentscheidungen, wobei durch eine Diskussion eine Vergewisserung der Berechtigung erreicht wird.
  • Eine Legitimation durch Wissenschaft und Fachdidaktik ergibt mehrere Antworten (vgl. HABERMAS 1968, 121-127).
    • Im dezionistischen Modell liefert die Wissenschaft die Daten, die Politik trifft die Entscheidungen nach außerwissenschaftlichen Kriterien.
    • Im technokratischen Modell liefert die Wissenschaft die Sachzwänge, die Politik praktisch überflüssig macht.
    • Im pragmatistischen Modell bewirkt ein kritischer Dialog zwischen Wissenschaft und Politik unter Einbeziehung der Öffentlichkeit eine Beratung durch Experten die Entscheidungsvorbereitung der Politiker (vgl. etwa die Praxis von parlamentarischen Anhörungen).
    • Im Professionsmodell bewirkt die Fachdidaktik ihre Legitimation. Im Selbstverständnis und der Kompetenz werden Inhalte und Ziele, etwa in Lehr- bzw. Studienplänen, ausgearbeitet. Zu beachten ist der Einfluss der Bildungsverwaltung mit ihren Kompensationsmöglichkeiten. Das letzte Wort besitzt die Politik.
10.7.3 Legitimation durch gesellschaftlichen Konsens    

Eine Legitimation durch Konsens lässt erwarten, dass es in einer Gesellschaft Übereinstimmung über Anschauungen und Überzeugungen bzw. Normen, Werten und Vorgangsweisen gibt (vgl. GAGEL 2000, 362-364). In einer pluralistischen Gesellschaft muss man allerdings von einem Minimalkonsens ausgehen (d.h. eine Übereinstimmung in wesentlichen Grundfragen bei Fortbestehen von Gegensätzen in anderen Fragen in Form einer gewaltfreien Regelungen von Konflikten).

  • In der Politischen Bildung wird die Tauglichkeit eines Minimalkonsenses für Legitimationsprobleme bestritten. Wesentlich sind nicht die Wertübereinstimmungen, vielmehr die Mechanismen der Konfliktregelungen unter Ausklammerung der für den Bereich der individuellen Werteproblematik (vgl. SCHISSLER 1977, 81-86, bes. 81). Zu bedenken ist allerdings, dass auch die Verfahrensweise einer Konfliktregelung einer Werteübereinstimmung bedarf (vgl. SUTOR 1977, 104-109, bes. 105-106).
  • Für Bildungseinrichtungen hat eine Formalisierung geringe Bedeutung. Verwaltungsakte können nicht mit Vorbereitungen von Gesetzen verglichen werden (vgl. die Vorgangsweisen von bürokratieinternen Entscheidungen und das Erfordernis der Öffentlichkeit bei Gesetzesvorlagen). Wie brüchig allerdings die Vorgangsweisen sein können, zeigt die Diskussion um den Unterrichtserlass zur schulischen Sexualerziehung.
Demnach hat eine Politische Bildung auf Bedeutungsvarianten des Konsensbegriffs hinzuweisen.

Konsens kann als

  • Übereinstimmung über Normen, Werten und Überzeugungen,
  • als Übereinkunft von Regelungen,
  • als Zustimmung für eine Unterstützung von Entscheidungen und ihre Befolgung und
  • als Zumutung von Entscheidungen für diejenigen, die nicht zustimmen, aber wenigstens es hinnehmen können,
verstanden werden.

Damit wird der Konsens zu einem sozialen Prozess. Eine Zustimmung kann auch (und muss mitunter) gebildet werden. Es gibt eine Toleranzbreite für eine Zumutbarkeit.

Für Lehrende sollte gelten, dass in einem solchen Prozess die Adressaten von Entscheidungen tatsächlich oder zumindest antizipierend in eine Kommunikation über Inhalte der Entscheidung einbezogen werden.

10.7.4 Legitimation durch Kommunikation    

Legitimation ergibt sich aus der Art der Erziehungsziele. Dazu bedarf es einer dialogischen Struktur der Begründung von Zielen und Inhalten.

  • Geht es um das Menschenbild( anthropologischer Bereich), steht die mündige Person im Mittelpunkt.
  • Geht es um Zielsetzungen von Normen und Werten (normativer Bereich), werden diese für den Bildungsprozess und menschlichen Handelns als verpflichtend angesehen.
  • Geht es um die Aufgaben der Gesellschaft( pragmatischer Bereich), werden diese als Rechtfertigung angesehen.
Schwierigkeiten treten auf, wenn gegensätzliche Auffassungen vertreten werden (vgl. die Differenzen zum Thema "Aufgaben der Gesellschaft"/normative Bewertung und "Erziehung zur Selbständigkeit"/pädagogische Bewertung).

Kommunikative Handlungen über Ziele und Inhalte setzen einen Austausch von Argumenten und Gegenargumenten voraus.

  • Angestrebt wird Intersubjektivität, also der Chance der eigenen Anerkennung von Zielsetzung durch Beratung mit anderen.
  • Angestrebt wird der Dialog, um im Umfeld verstanden zu werden.
10.7.5 Diskursprinzip    

Das dialogische Prinzip hat Konsequenzen für die Politische Bildung, auf die näher einzugehen ist (vgl. HABERMAS 1981, 385-387).

  • Lehrende haben ungeachtet ihrer Position Wertpräferenzen der Diskurspartner anzuerkennen und zu berücksichtigen.
  • Verlangt wird Offenlegung, Aufklärung und ggf. Einlenkung. Ziele und Inhalte müssen demnach konsensfähig sein.
  • Kommunikative Handlungen zielen auf beidseitige Verständigung. Dazu bedarf es jedenfalls kritisierbarer Ansprüche, die anzuerkennen bzw. abzulehnen sind.
  • Argumentieren bedeutet die Prüfung der Einwände des/der Dialogpartner/-s.
Eine Auseinandersetzung um Politische Bildung kann in der Öffentlichkeit und /oder Bildungsinstitution stattfinden. Beide Handelnde sind einem Legitimationszwang ausgesetzt.

  • Wissenschaft, Verfahren und Konsens können nicht ausreichen.
  • Die Didaktik ist gefordert, um an Beispielen politisches Handeln zu begründen/ legitimieren.
  • Das Diskursprinzip eröffnet einen Weg zur Kommunikation, es garantiert ihn nicht.
10.8 Politische Erwachsenenbildung    

Mit der Herausgabe der Publikation "Politische Erwachsenenbildung. Plädoyer für eine vernachlässigte Disziplin" (HUFER 2016) hat die Bundeszentrale für politische Bildung(Bonn) ein Zeichen gesetzt, ein Handbuch zu publizieren, das wesentliche Theorie- und Praxisthemen zur politischen Erwachsenenbildung beinhaltet.

  • Neben historischen Entwicklungen (S. 25-36), wissenschaftlichen Erkenntnissen (S. 37-45), bildungspolitischen Positionen/Deutschland (S. 59-65) geht es um außerschulisches Lehren und Lernen.
  • Es geht also um didaktisches Prinzipien wie Teilnehmer- und Subjektorientierung, Lebenswelt- und Handlungsorientierung (S. 83-89).
  • Das Theoriekapitel umfasst den Konstruktivismus, Vorurteile und die Theorie der kognitiven Dissonanz(S. 77-83).
  • Politische Bildung in der Erwachsenenpädagogik ist nicht nur ein Thema der Politikwissenschaft, vielmehr auch der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften (S. 47-58). Dies zeigt sich in Lernprozessen wie Mündigkeit, Emanzipation und Aufklärung, aber auch in "Interkultureller Kompetenz"/Diversität und allgemeiner Menschenbildung (vgl. die IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz, Lernfeld Politik).
  • Der "Beutelsbacher Konsens"(1976) als Übereinkunft von Grundprinzipien einer Lehre bzw. pädagogischem Haltung ist Bestandteil politischer Erwachsenenbildung (S. 89-90).
  • Für die Erwachsenenpädagogik ist wesentlich pädagogisches Handeln, etwa Planungen von Veranstaltungen, Methoden-Lernformen und Gruppenprozesse (S. 91-100).
  • Qualität und Wirkung des Fachbereichs zeigen sich im Selbstverständnis, in der Legitimation bzw. Wirkungsforschung und im Qualifikationsrahmen (etwa für "lebenslanges Lernen") (S. 101-110).
  • Politische Erwachsenenbildung als Profession und eigenes professionelles Handeln ist im Verständnis der Erwachsenenbildung wesentlich (S. 111-120).
Wenn Politische Bildung als Fortsetzung schulischer Bemühungen ein wesentlicher Faktor von Bildung sein soll, dann bedarf es

  • eines Forums von Erwachsenen- bzw. Weiterbildung (Institutionen der Erwachsenenbildung/ Lehre-Lernen, Universitäten-Hochschulen/Lehre-Forschung),
  • der Beachtung der Erkenntnisse der Bezugswissenschaften (Interdisziplinarität),
  • des Engagements der Bürgerinnen und Bürger sowie
  • eines pragmatischen Ausgleichs von Erwachsenenbildung (Erwachsenenpädagogik)-Bildungsmarkt (Betriebswirtschaft)-Organisationsentwicklung (Trägerfelder: Staat-Institutionen).
2018 initiierte der "Ring Österreichischer Bildungswerke" ein Forum für Politische Bildung (vgl. http://ring.bildungswerke.at/pages/62/politische-bildung > Veranstaltungen [20.1.2018]). Der Autor bietet im Rahmen des "Evangelischen Bildungswerkes in Tirol" 2018 vier Veranstaltungen an.

10.9 Didaktik der Politischen Bildung - Unterrichtsmodell/ Staat und Ehe    

Thematik und Lernziele

Ehe und Familienbild als Politikum-Multiperspektivität/ Diversität in einer Demokratie

Lernziele sind

  • Konsens bzw. Dissens/Kontroversitätsgebot
  • Pluralismus
  • Diskussionskultur
  • Meinungs- bzw. Urteilsbildung
  • Orientierung
Lehrplanhinweise/Stand 2018

  • AHS-Oberstufe, 7.Klasse - Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung
  • Kompetenzmodul 6: Politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklungen vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart
Kompetenzförderung

  • Historische Orientierungskompetenz
    • Darstellung der Vergangenheit hinsichtlich angebotener Orientierungsmuster für die Gegenwart und Zukunft
    • Orientierungsangebote aus Darstellungen der Vergangenheit - Konfrontation mit alternativen Angeboten
  • Politische Handlungskompetenz
    • Differenz in politischer Diskussion
    • persönliche Urteilsfähigkeit/ Alternativbildung-Diskriminierung
  • Historische Methodenkompetenz/ Re- und De-Konstruktionskompetenz
    • Aufbau der Vergangenheit/Inhaltsgewichtung
    • Darstellung der Vergangenheit/ Argumentationslinien-Erzähllogik
Stundenablauf - Kioskmodell/ Kontakt-Information-Organisation-selbstgesteuertes Lernen-Kontrolle

  • Themenvorstellung - Vorwissen
  • Erklärung der Aufträge - Arbeitsmaterialien - Gruppeneinteilung
  • Erarbeitung der Aufträge - Rundgespräch
  • Kontrolle - Zusammenfassung/Diskussionsrunde
  • ggf. Rollenspiel
  • Reflexion
Didaktische Überlegungen

  • Leitprinzip > Politisch handeln ist selbst zu denken, autonom zu urteilen und zu handeln > Reflexivität muss als Analyse und Bewertung praktikabel sein
  • Basiskonzept
    • Zustandekommen eines politischen und historischen Wissens
    • Zusammenhänge des menschlichen Zusammenlebens
  • Didaktische Prinzipien
    • Gegenwarts- und Zukunftsbezug
    • Lebensweltbezug und Subjektorientierung
    • exemplarisches Lernen
    • Multiperspektivität und Kontroversitätsprinzip
  • Diskursprinzip
    • Wertpräferenzen der Diskurspartner
    • Förderung der Begründung bzw. Offenlegung/ggf. Einlenkung
    • Kommunikation - Verständigung
    • Prüfung der Einwände - Legitimationszwang
  • Diskusion
    • Reißverschluissmethode
    • Zeitzuweiser
    • Beobachter
    • Vertreter der Parteien - Vorsitz
Arbeitsblatt

  • Arbeitsauftrag -Gruppenbildung
    • Bearbeitung de Stellungnahme einer der fünf im Nationalrat 2017 vertretenen Parteien zum Thema "Ehe für alle?" > https://www.youtube.com/watch?v=gvefCOJIYjM (25.1.2018)
    • Auflistung der Argumente eines Abgeordneten
    • Analyse der Schlüssigkeit der Argumentation
    • Reflexion der Argumentation mit den Gruppenmitgliedern und eine Beurteilung der Gültigkeit
    • Benennung eines Vertreters in die Diskussionsrunde
  • Kriterien für eine Argumentation
    • Begründung der These(n)
    • Logik der Argumentation - Belege-Beispiele-Analogien-Zitate-Erläuterungen
    • Verzicht auf Verallgemeinerungen
    • Sachlichkeit - Fairness
11 Reflexion    

"Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung" (THEODOR W. ADORNO, Vortrag im Hessischen Rundfunk, 18.4.1966, GS 10.2, 674; vgl. ADORNO 1977).

Politische Erziehung wird im deutschen Sprachraum begrifflich als Folge der nationalsozialistischen Diktatur, Indoktrination und erziehungsstaatlicher Manipulation zurückhaltend verwendet.

Stattdessen hat sich der Begriff "Politische Bildung" durchgesetzt, "[...]um normativ die jederzeit notwendige reflexiv-kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik hervorzuheben" (GRAMMES-WELNIAK 2012, 676).

Verwendet wird der Begriff "politische Sozialisation".

Für den pädagogischen Begriff mit Unterricht bzw. Lehre, Realbegegnungen, Erkundungen, Expertengesprächen, persönlichem Wissen und Engagement verbleibt die Bezeichnung "Politische Bildung" ("citizenship education").

11.1 Perspektiven    

Menschen sind soziale Wesen, auf ein Zusammenleben angewiesen. Diese anthropologische Existensbedingung mit Verschiedenheit und aufeinander Angewiesenheit ergibt "das Politische". Das Formale in interessens- und konfliktbezogenen Gesellschaften und Staaten ergibt "die Politik".

Daraus ergibt sich die pädagogische Frage und Zielvorstellung, wie Menschen lernen können, in Freiheit und Frieden zusammenzuleben. Benötigt wird soziale Intelligenz und politischer Systembau (vgl. PATZELT 2008, 108-121).

Die Aufgabe, dass nicht alles politisch, aber jeder Sachverhalt kontrovers im öffentlichen Diskurs stehen und politisch entschieden werden kann, hat die Demokratiepädagogik aufgegriffen, die auf den Ebenen Lebensform, Gesellschaftsform und Staatsform konzipiert ist (vgl. HIMMELMANN-LANGE 2010).

11.1.1 Politische Bildung international    

Im angelsächsischen Bereich hat dies früh zur Verlagerung vom Nationalstaat auf die Zivilgesellschaft geführt. In der "Civic Education" zeigt sich Demokratie als Lern- und Experimentiergemeinschaft in allen Institutionen und sozialen Problemlösungen mit der Möglichkeit von Veränderungsmöglichkeiten (vgl. DEWEYs Pädagogik bereits 1916; OELKERS 2009).

In pluralistischen Gesellschaften im Kontext mit Globalisierungsaspekten kann der Ort des Politischen naturgemäß unscharf sein. Politische Bildung zeigt hier seine Grenzen zu anderen Erziehungsaufgaben. Dies erkennt man man im internationalen Diskurs etwa bei Multicultural Education, Intercultural Education/Studies, European Education, Global Education, Human Rights Education und Peace Education (vgl. SALOMON-CAIRNS 2010). Im Globalen Lernen weist sich Politische Bildung im Kontext mit Interkultureller Kompetenz/ Bildung durchaus als griffig und antizipierend aktuell.

Im internationalem Sprachgebrauch wird Politische Bildung/Erziehung als Citizenship Education diskutiert (vgl. ARTHUR-DAVIES-HAHN 2008, GEORGI 2009).

11.1.2 Funktionen der Politischen Bildung    

Es lassen sich drei Funktionen einer Politischen Bildung festhalten (vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 677):

  • Herrschaftslegitimation - Primat der Politik vor der Pädagogik, Gesinnungsunterricht und Indoktrination/"Untertan" - Kaiserreich/Monarchie, "Volksgenosse"-Nationalsozialismus, "sozialistische Persönlichkeit" - beispielhaft DDR (vgl. DENGEL 2007, SCHLUSS 2007),
  • Mission - Politische Bildung als Funktion für gesellschaftliche Probleme (etwa soziale Trainings/Lösung für soziale Desintegration) und
  • Mündigkeit - Emanzipation und Aufklärung, Primat des Subjekts vor der Politik, Kernbestand einer kritisch-reflexiven politischen Sozialisation (vgl. AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016, 13-16).
11.1.3 Kriterien einer Politischen Bildung    

Die drei Kriterien des "Beutelsbacher Konsens" (1976) gelten für eine demokratische Politische Bildung (vgl. HELLMUTH-KLEPP 2010, 65; AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016, 24-25): https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/ (18.7.2023)

  • das Überwältigungsverbot,
  • das Kontroversitätsgebot und
  • die Analysefähigkeit und operationale Fähigkeiten.
Demokratiebezogene Kompetenzen sind etwa

  • die Perspektivenübernahme,
  • Konfliktfähigkeit,
  • Analysefähigkeit,
  • politische Urteilskraft und
  • Partizipationsfähigkeit.
Alternativen und abstraktes Denken sowie Urteils- und Handlungskompetenz in Verbindung einem Verständnis von Institutionen, Gesetzen und Wirkungszusammenhängen gehören zu einer demokratischen Politischen Bildung/ Kultur.

"Neue Medien" (elektronische Demokratie) und basisorientierte Diskussionsformen ergänzen das Repertoire(vgl. http://www.imoox.at [25.4.2017] ).

Lernfelder ergeben den Bezugsrahmen für lokale, nationale und europäische und weltbürgerliche Ebenen (vgl. die Bemühungen um Globales Lernen - IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Globales Lernen; vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 678).

In einem kosmopolitischen Bürgermodell werden die Differenzen zwischen Menschen und damit die universellen Menschenrechte anerkannt und sind Grundlage politischen Denkens und Handelns.

Politische Kultur und politische Sozialisation werden im gesamten Lebenslauf in formellen, informellen, latenten und manifesten Entwicklungsprozessen erworben (vgl. CLAUSSEN-GEISSLER 1996, WELNIAK 2011).

11.2 Bildungsbereiche    

Politische Bildung findet auf allen Bildungsstufen statt und ist Aufgabe aller vier Bildungsbereiche (Elementarbereich: Kindergarten-Vorschule; Primarbereich: Grundschulbereich; Sekundarbereich: HS-MS-AHS-Unterstufe, PTS-BMS-BHS-AHS-Oberstufe; Tertiärbereich: Universitäten-Fachhochschulen-Kollegs-Universitätslehrgänge; Quartärbereich: Erwachsenenbildungsinstitutionen) (vgl. RICHTER 2007, STURZENHECKER 2011).

Zu vermerken ist, dass es ein Lehramtsstudium nur für das Fach "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung" gibt und daher gravierende Mängel in der Ausbildung von Lehrenden vorhanden sind (vgl. dazu die Presseaussendung der Interessensgruppe Politische Bildung/IGPB vom 13.5.2013 > http://www.ots.at/pressemappe/11029/aom). Angeboten werden zudem Universitätslehrgänge als postgraduales Studium.

11.2.1 Lernfelder    

Interdisziplinär ergeben sich Lernfelder wie

  • die Gestaltung sozialer Beziehungen (Familie, Schule, Gemeinschaft/Freizeit-Freundeskreis-andere Kulturen-Gewalt/Sucht-Gemeinde),
  • demokratische Ordnung und politische Willensbildung (Verfassung-Parlament/Gesetzgebung-Sozialstaat-Föderalismus-Parteien-Wahlen-Interessensvertretungen),
  • internationale Politik und Friedenssicherung (Europäische Union-Landesverteidigung-internationale Friedenssicherung-Entwicklungspolitik),
  • Interkulturalität (Migration, Diversität/Werte, Sitten, Bräuche, Normen, Kulturen, Religionen/Weltanschauungen, Sprachen/Kommunikationsmodelle - Respekt, Toleranz),
  • Recht und Rechtsordnung (Rechtsstaat-Rechtswege-Rechtsprechung-Rechtsfragen des Alltags),
  • Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik (wirtschaftliches Handeln-Soziale Marktwirtschaft-Geld-/Kapitalmarkt-Arbeitsmarkt-technischer Fortschritt),
  • Medien (Aufgaben und Organisationsformen-Informationsquellen-Pressefreiheit-Manipulation-kritische Nutzung),
  • Berufsorientierung/Vorberufliche Bildung und
  • Politische Systeme (vgl. HÄNDLE-OESTERREICH-TROMMER 1999, 104-114).
Entsprechend ergeben sich die Bezüge zur Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Berufspädagogik, Zeitgeschichte und Intercultural Studies/ Migrationsforschung sowie Kultur- und Sozialanthropologie.

Vermehrt bedarf es einer Berücksichtigung der Didaktik der Politischen Bildung (vgl. GAGEL 2000; AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016).

In "In-Groups" kann auf Grund der Erhöhung von Selbstwertgefühlen es zu einer Abwertung von fremd wahrgenommenen Gruppen kommen (Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz).

Massenprintmedien, digitale Medien und strukturelle Gruppenphänomene einer Mehrheitsgesellschaft führen mitunter zu Diskriminierungen und vermitteln Bilder gesellschaftlicher Schichtung (vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 678-679).

11.2.2 Politische Institutionen - Politikformen    

Wenig attraktiv wirken auf Heranwachsende (und mitunter auf Erwachsene) in der Regel politische Institutionen und ihre Politikformen, weil wenig (er) demokratische Mitwirkungsformen und gesellschaftlich-soziales Engagement möglich sind (vgl. 16. SHELL-JUGENDSTUDIE 2010).

Freiwilligendienste sind für diese Gruppierungen eher attraktiv (vgl. den Zulauf zu Freiwilligen Feuerwehren und im Rahmen des Zivildienstes zu sozialen Hilfsorganisationen; man denke an das Angebot von Musikkapellen, Bergwacht, Bergrettung, Sportvereinen und Kulturorganisationen sowie von Clubs und informellen Organisationen).

Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang, dass Freiwilligkeit in Bildungsinstitutionen, insbesondere der Erwachsenenbildung, mit Nachwuchsproblemen verbunden ist (vgl. Webside der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke in Österreich > http://www.aebw.at/rueckblick/ehrenamtlichkeit-der-erwachsenenbildung).

Unterschiedlich bewertet wird die steigende Zahl der Nicht-Wähler in Demokratien. Gründe werden in einer Form einer Opposition und/oder in mangelhaftem Interesse und politischer Apathie gesehen. Kontrovers wird diskutiert, ob das Absenken des Wahlalters und die Vorbildwirkung politischer Eliten als Mittel einer Politischen Bildung anzusehen sind. In diesem Kontext ist auch der beginnende Diskurs über eine Einführung einer Politische Bildung in der Sekundarstufe I in Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung mit Pflichtmodulen zu sehen (Stand: März 2015).

11.2.3 Herausforderungen für Politische Bildung    

Als Herausforderung für Politische Bildung gilt die Konfrontation mit totalitären bzw. autoritären Weltbildern, wobei professionelles Wissen, Empathie und Handeln pädagogische Interaktionen und Kommunikation in Verbindung mit Akzeptanz und Wertschätzung erforderlich machen (vgl. die Diskussion um ein Lehramt für Politische Bildung bzw. eine universitäre Ausbildung von Lehrenden; man beachte die bestehenden Universitätslehrgänge und ihre Professionalität für schulische und erwachsenenpädagogische Politische Bildung).

Schule agiert auf fünf Ebenen in der Vermittlung von Politischer Bildung im:

  • Erziehungsstil (Interaktion - Kommunikation),
  • Fachunterricht mit reflektierendem Lernen (Fallstudien, Analysen), simulierendem Lernen (Planspiele, Simulationen) und realitätsbezogenem Lernen/Handeln? (Projekte),
  • fächerübergreifenden Unterricht (Unterrichtsprinzip),
  • in Schulkultur - standortbezogene Schulentwicklung (Partizipation-Feste-Rituale) und
  • in der Öffnung zum zivilgesellschaftlichen Umfeld ("community education") - Service Learning, Projektlernen, Vernetzung mit politischer Jugendarbeit/Freiwilligendienst (vgl. HAFENEGER 2011).
Offene Jugendarbeit stellt Heranwachsenden Räume zur Verfügung, in welchen sie sozialen und gemeinschaftlichen Umgang, Diskursfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Perpektivenübernahme/-wechsel entwickeln können.

Jugendverbände ermöglichen eine politische Vorbereitung durch Aktivitäten und Beteiligungen.

Die Hochschuljugend/Hochschülerschaft gilt mitunter als Kaderschmiede für kommende politische Eliten.

Die Erwachsenen- bzw. Weiterbildung ist vermehrt gefordert, sich mit Politischer Bildung in ihren Teilbereichen auseinanderzusetzen.

  • Hemmend sind die ungleichen Berufsprofile der Lehrenden und ihre fachlichen Kompetenzen.
  • Als förderlich gelten das Vorwissen, die Berufserfahrungen und das persönliche Engagement.
Internationale Begegnungen ergeben interkulturelle Erziehungsprozesse mit einem Abbau von Ängsten, Vorurteilen und Stereotypen sowie Lernprozessen für neue Weltbilder, Kultur- und Kommunikationsformen.

Politische Bildung unter dem Aspekt von Interkulturalität ist ein Erfordernis einer pluralen und globalisierten Gesellschaft geworden.

In der Politischen Bildung gestaltet der Lernende die Gesellschaft. Lehrende beeinflussen Lernende und umgekehrt.

Es gehört zur pädagogischen Ethik, Lernende nicht für Interessen von Erwachsenen zu funktionalisieren.

Politische Bildung hat mit nicht beabsichtigten Folgewirkungen zu rechnen. So können etwa Lippenbekenntnisse, öffentliche Meinungen, Massenmedien, Ideologien, Vorurteile und Stereotypen Meinungen bilden, die zu hinterfragen sind.

Die Gefahr von subtilen Formen von Machtausübung ist auch in offenen, demokratischen und individualisierten Lernformen gegeben (vgl. etwa moralisierende Losungen und repressive Klassenregeln).

Räume der Reflexion sind in einer Politischen Bildung notwendig und müssen praktiziert werden können (vgl. etwa die Bedeutung von Erwachsenenbildungsinstitutionen mit ihren Angeboten, institutionalisierte Foren, Leserforen, Jugendzentren, Freiwilligentätigkeiten und zivilgesellschaftliches Engagement).

Wesentlich ist die Praktizierung demokratischer Modelle mit belebenden Aktivierungen wie demokratischen Strukturen, Debatten, gegenseitigem Respekt, Ablehnung von Vorurteilen-Diskriminierung-Rassismus, Reflexion über den Bereich der IT-Einrichtungen ("digitale Demokratie") und den Randbedingungen moderner Politikgestaltung mit neuen Attributen einer Demokratie (vgl. HÖFFE 2009; MARSCHALL 2014, 104-106).

In der Unterrichts- bzw. Lehrkommunikation bilden sich bei der Wissensvermittlung mitunter typische Fallen, die eine/-n unpolitischen Unterricht bzw. Lehre ergeben (vgl. AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016, 92-93):

  • Wissensfalle/Kontextfalle - es bedarf eines Kontextes zur Interessenslage und der Bedürfnisse der Lernenden,
  • Meinungsfalle - es bedarf einer Verhinderung eines kritiklosen Relativismus, der ein Orientierungsbedürfnis Lernender behindert,
  • Moralisierungsfalle - Unterscheidungen von Gut und Böse sollen skeptische Fragen und Kritik unterbinden. Folgen können Denkverbote und Lippenbekenntnisse sein,
  • Parallelisierungsfalle - Grenzen von Analogien werden nicht aufgedeckt (Staat-große Familie, Klassenrat-unser Parlament).
11.3 SORA-Studie: Politische Bildner und Bildnerinnen 2014 - Politische Bildung in Volksschulen und Schulen der Sekundarstufe I    

Im Folgenden wird auf die SORA-Studie 2014 zur Politischen Bildung in Wien eingegangen. Auftraggeber waren die AK Wien und PH Wien.

Lehrende, die einen Beitrag zur Politischen Bildung leisten sollen, stehen mitunter allen auf weitem Feld. Die Lernziele haben sich bisher nicht entsprechend in der Aus- und Weiterbildung niedergeschlagen. Mit der Gründung des "Zentrums für politische Bildung" sollen Entwürfe für Konzepte zur Vermittlung der Politischen Bildung etwa in der Aus- und Fortbildung bzw. der Organisation fachspezifischer Tagungen in den Unterricht einfließen (S. 3) (vgl. die vielen Angebote und Materialien des zentrums polis).

An der Erhebung haben 476 Wiener LehrerInnen teilgenommen - 201 Lehrende an Volksschulen und 275 Lehrende der Sekundstufe I (S. 4).

Aus der Sicht Wiener Lehrender an allgemein bildenden Pflichtschulen (APS) hat die Schule einen wesentlichen Auftrag in der Politischen Bildung von Kindern und Heranwachsenden. Auch der Kompetenzerwerb wird von allen Lehrenden anerkannt. Die Volksschule wird bereits als gefordert gesehen. Lehrende der Sekundarstufe I sehen den Freundeskreis und Freizeiteinrichtungen als wesentlich an. Lehrende an Volksschulen schreiben zudem den Eltern einen deutlichen größeren Beitrag zu (S. 5-6).

Zentrale Aufgabe der Schule ist die Vermittlung von Konfliktlösungskompetenzen (80 Prozent), das kritische und unabhängige Denken (77 Prozent) sowie das Vertreten einer eigenen Meinung (71 Prozent). Wissen über Rechte und Pflichten (55 Prozent), Analyse und Reflexion von gesellschaftlichen Zusammenhängen (52 Prozent) und Weckung von Interesse am politischen Leben (45 Prozent) folgen. Im unteren Drittel finden sich die Vorbereitung auf politische Teilhabe (41 Prozent), die Fähigkeit wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen (35 Prozent) und das Wissen über soziale und politische Institutionen (32 Prozent). Zuletzt wird die Mitbestimmung der Lernenden in der Schule benannt (32 Prozent) (S. 7-8).

Lehrende setzen kaum auf Institutionslehre, vielmehr geht es um Kompetenzen.

Auf Grund des Unterrichtsprinzips hängt die Umsetzung von Politischer Bildung stark vom einzelnen Lehrenden ab. Bei der Vorbereitung verlässt man sich auf eigene Ideen, selbstgestaltetes Material, Medien und Schulbücher. Eine untergeordnete Rolle spielen Lehrpläne und Erlässe. Vorwissen der Lernenden werden eher selten aufgegriffen. Wenn Erfahrungen der Lernenden miteinbezogen werden, wird von positiven Erfahrungen berichtet (S. 9-10).

Schuldemokratische Elemente werden eher formal mit Abstimmungen, Klassenrat und/oder Wahlen praktiziert. Nach Selbsteinschätzung der Lehrenden gelingt die Mitgestaltung und Mitbestimmung des Unterrichts durch die Lernenden nur mäßig und oftmals fehlt es an der Begleitung sowie Vor- und Nachbereitung schuldemokratischer Prozesse (S. 10).

Eine deutliche Mehrheit der Lehrenden wünscht sich mehr Fort- und Weiterbildung, allerdings hat bisher nur ein kleiner Teil davon Gebrauch gemacht (S. 12).

2014 wünschen sich Lehrende eine Ausweitung des Kombinationsfaches Geschichte/Sozialkunde/Politische Bildung auf die 6. Schulstufe (S. 12).

Identifiziert werden konnten verschiedene Typen Lehrender für Politische Bildung (S. 14):

Typ 1 - Partizipative: Interesse-Analyse-Reflexion-Mitbestimmung im Unterricht, weniger Ängste, mehr Unterrichtszeit, häufiger Fort- und Weiterbildungen

Typ 2 - Beobachtende: vertraut mit dem Unterricht, häufiger Vermittlung von Wissen, Angst vor Parteiwerbung in der Schule, Wunsch nach mehr Angeboten der Fortbildung und Unterrichtszeit

Typ 3 - Reservierte: wenig vertraut mit Politischer Bildung, mehr Befürchtungen, Wunsch nach mehr Fortbildung.

11.4 Flüchtlingskinder und -jugendliche an österreichischen Schulen/Stand 2015    

Im Folgenden werden wesentliche Richtlinien zum Rundschreiben 21/2015 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen, Abteilung I/5a, Referat für Migration und Schule referiert (vgl. GZ BMFB - 27.901/0049-I/5a/201):

Definitionen

Asylbewerber sind Personen, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben. Für die Durchführung sind Bundesbehörden zuständig(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl/BFA, bei Beschwerden das Bundesverwaltungsgericht).

Anerkannte Flüchtlinge sind Personen, deren Antrag rechtskräftig positiv abgeschlossen ist.

Subsidiären Schutz genießen Personen, deren Leben und Gesundheit im Herkunftsland gefährdet ist. denen ein befristeter Aufenthalt mit Abschiebeschutz gewährt wird(vgl. die Anwendung bei Personen aus Kriegsgebieten).

Ein Bleiberecht kann Personen ohne Asylberechtigung und subsidiären Schutz gewährt werden - unter Berufung auf den Schutz des Privat- und Familienlebens(Art. 8 EMRK) - wobei eine lange Aufenthaltsdauer, die Selbsterhaltungsfähigkeit und der Grad der Integration berücksichtigt werden.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die ohne Eltern oder erwachsene Begleitpersonen auf der Flucht sind. 2914 haben 2 260 UMF (129 Kinder unter 14 Jahren) einen Asylantrag in Österreich gestellt. 2015 warten es in den ersten fünf Monaten 2 320 Personen (Afghanistan, Syrien und Somalia). Sobald diese Personengruppe zum Asylverfahren zugelassen und in die Landesbetreuung übernommen wurde, werden sie durch die örtliche Kinder- und Jugendhilfe vertreten.

Zahlen - Fakten

Weltweit waren 2014 fast 60 Millionen auf der Flucht. Die Steigerung von 2013 (ca. 51 Millionen) auf 2014 war die höchste der UNCHR. Syrien nimmt den Spitzenplatz mit 7,6 Millionen Binnenvertriebenen und rund 3,9 Millionen Flüchtlingen außerhalb des Landes ein (Afghanistan 2,6 Millionen, Somalia 1,1, Millionen).

Global ist die Flüchtlingszahl ungleich verteilt. 86 Prozent der Flüchtlinge befanden sich 2014 in weniger entwickelten Staaten.

Die Türkei ist weltweit das größte Aufnahmeland mit 1,6 Millionen Personen aus Syrien (Libanon 1,2 Millionen, Jordanien 654 000). Pakistan und im Iran nahmen jeweils 1,5 Millionen bzw. rund 1 Million Personen aus Afghanistan auf. Äthiopien (660 000) und Kenia (551 000)nahmen die Mehrheit der somalischen Flüchtlinge auf.

In Österreich gab es 2014 7 279, 2015 20 620 Asylanträge zwischen Jänner und Mai.

Anträge von UMF gab es von Jänner bis Mai 2015 unter 14 Jahren 132, über 14 Jahren 2 188.

Aufnahme in die Schule

Schulpflichtige Kinder haben das Recht und die Pflicht, die Schule zu besuchen. der zuständige Schulspürengel hat alle schulpflichtigen Kinder (auch Kinder von Asylbewerbern und Kinder mit nicht geklärtem aufenthaltsrechtlichen Status) aufzunehmen und nach Möglichkeit altersgemäß einzustufen. Bei räumlichen Engpässen infolge naheliegender größerer Quartiere muss der zuständige Landesschulrat eine Lösung finden. In der AHS-Unterstufe brauchen die AGHS außerordentliche Lernende nicht aufnehmen.

Offen stehen allen in Österreich wohnhaften Jugendlichen und Erwachsenen ungeachtet ihrer Herkunft, Erstsprache und eventueller Schulabschlüsse die Angebote der "Initiative Erwachsenenbildung" (vgl. https://www.initiative-erwachsenenbildung.at). Ebenso kommen Kurse der Basisbildung für junge Menschen in Frage, die nicht oder unregelmäßig die Schule in ihrem Herkunftsland besucht haben. In der Folge kann dann ein Pflichtschulabschluss angestrebt werden, um einen Zugang zu einer Berufsausbildung und ggf. höheren Bildung zu finden. Ein Berufsschulbesuch im Rahmen einer Lehre steht bis 25 Jahre offen, eine überbetriebliche Ausbildung ist nicht vorgesehen, für asylberechtigte Jugendliche allerdings gegeben (vgl. die monatlichen Ankündigungen des AMS insbesondere für Mangelberufe).

Zu beachten ist jedenfalls, dass die Sprache der Kinder mit einer der offiziellen Landessprachen und ihr Religionsbekenntnis mit der im Lande vorherrschenden Religion nicht identisch ist. Gerade Minderheiten werden verfolgt, weshalb eine genaue Auskunft notwendig ist.

Im Rahmen des außerordentlichen Status an Schulen gibt es die Möglichkeit, maximal zwei Jahre an einem Sprachförderkurs teilzunehmen (vgl. § 8c, Abs. 1 Schulorganisationsgesetz i.d.g.F.).

Alphabetisierung

Für die Alphabetisierung von Seiteneinsteigern in der Zweitsprache Deutsch kann ggf. die Anstellung von Personen mit einer Ausbildung in Deutsch als Zweitsprache und/oder als Basisbildner vorgenommen werden.

Muttersprachlicher Unterricht

Wesentlich ist die Rolle von Lehrenden für einen muttersprachlichen Unterricht als Mittler zwischen Schule, Eltern und Flüchtlingskind. Bei der Suche nach geeigneten Lehrenden ist das BMBF behilflich (elfie.fleck@bmbf.gv.at).

Soziale Leistungen

Unentgeltliche Schulbücher und mehrsprachige Lernsoftware ist im Rahmen der Schulbuchaktion ein Recht für alle Lernenden. Einmal darf ein zweisprachiges Wörterbuch für zwei- bzw. mehrsprachige Lernende bestellt werden.

Schülerfreifahrt

Wer sich in der Grundversorgung befindet und die Schule besucht, werden die Kosten für die Schülerfreifahrt bei Bewilligung des BM.I getragen. Ein Selbstbehalt entfällt (vgl. die Abwicklung über die Firma ORS Service GmbH im Auftrag des BM.I).

Schulbeihilfe - Teilnahme an Schulveranstaltungen

Anerkannte Flüchtlinge ab der 10. Schulstufe haben bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach dem Schülerbeihilfengesetz 1983 Anspruch auf Schülerbeihilfe und die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung für die Teilnahme an Schulveranstaltungen.

Unterstützende Maßnahmen

Zur Bearbeitung von Problembereichen ist eine Zusammenarbeit mit der Schulpsychologie, Bildungsberatung, den Schulberatungsstellen für Migranten, dem Österreichischen Jugendrotkreuz erforderlich bzw. möglich.

Politische Bildung

Im Rahmen des Unterrichtsprinzips und des Unterrichts in Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung sowie von Unterrichtsmaterialien des "Zentrums polis" ist eine Befassung mit Flucht und Migration im Kontext mit Medienbildung unterstützend möglich und wirksam.

Pressehinweise/IT-Hinweise

Rundschreiben an die Landesschulräte > http://orf.at/stories/2295318/2295243/ (25.8.2015)

http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz

Organisatorische Herausforderung > http://orf.at/stories/2295344/2295354/ (26.8.2015)

Keine politische Lösung in Sicht > http://orf.at/stories/2295568/2295569/ (28.8.2015)

11.5 Schule und Politische Bildung - Unterrichtsprinzip/Querschnittsaufgabe    

Die österreichische Schule hat die Aufgabe , demokratisches Lernen zu ermöglichen und zu vermitteln (vgl. § 2 Schulorganisationsgesetz 1962 i.g.F.; Unterrichtsprinzip Politische Bildung). Schule ist nicht von ihrer Tradition und Organisation her demokratisch gehaltvoll (vgl. BEUTEL 2016, 226).

Aspekte einer Schulentwicklung sind daher von Interesse, wobei praktische Schwerpunkte skizziert und Leistungen von Forschungsansätzen und ihre Kritik angesprochen werden.

Man kann davon ausgehen, dass demokratische Erfahrung notwendig ist, um Lernende in einer demokratischen Haltung zu fördern (vgl. BEUTEL 2016, 227-228).

  • Politische Handlungskompetenz mit Fertigkeiten, Fähigkeiten, Engagement und demokratischer Haltung muss erlernt werden. Dazu gehören etwa Analyse- und Urteilsfähigkeit, Diskursfähigkeit, Umgang mit kultureller und ethnischer Vielfalt, Kompromissfähigkeit und Perspektivenwechsel.
  • Demokratie als politische Organisationsform unterliegt einer ständigen Herausforderung und Gefährdung. Lernen, Erziehung und Bildung sind Gegengewichte. Schule und Familie(ohne vorgegebene Erziehungsnorm) ermöglichen primäre demokratische Erfahrungen, Wissen und Handlungsmöglichkeiten, um politisches Lernen zu ermöglichen.
  • Den im deutschsprachigen Raum bzw. in Österreich notwendigen Nachholbedarf kennzeichnet treffend die Charta des Europarates "Education for Democratic Citizenship and Human Rights Education" (vgl. EUROPA-RATS - CHARTA 2010, 5): "Die Mitgliedsstaaten sollten eine demokratische Führung (Governance) in allen Bildungsinstitutionen fördern, sowohl als eine anzustrebende und nutzbringende Führungsmethode per se als auch als zweckmäßigen Weg, um Demokratie und Achtung der Menschenrechte zu lernen und zu erleben".
  • Erziehungsbemühungen und Bildungsziel sind folgerichtig Mündigkeit und Partizipationsbereitschaft.
  • Die Aufgabenbestimmung formuliert ein schulisches Ziel über die Fächer hinweg und nimmt daher alle Lehrenden mit diesem Unterrichtsprinzip/dieser Querschnittsaufgabe in die Pflicht. Die Hierarchie der Schule weist auf keine demokratische Einrichtung hin, weil Erwachsene/Lehrende Anweisungen geben und Kinder bzw. Heranwachsende/Lernende sich danach richten müssen(vgl. TILLMANN 2014, 84). Eine demokratische Atmosphäre muss daher erst geschaffen und kultiviert werden.
  • Politische Bildung/Erziehung und Demokratiepädagogik sind daher eine große Querschnittsaufgabe und folgerichtig als Unterrichtsprinzip anzusehen (vgl. die Notwendigkeit auch eines eigenen Faches zur Vermittlung von Sachwissen und die gegenwärtige Stellung im Fächerkanon, insbesondere die Kombination als "Bindestrich-Fach" mit Geschichte und Sozialkunde in der Sekundarstufe I).
Wenig inhaltlich ausgeprägt in der Schulentwicklungsforschung sind politische Sozialisation und das Thema Demokratie im Sinne einer Notwendigkeit von Politischer Bildung. Beispielhaft soll dies in der Folge dargestellt werden.

  • Im Handbuch für Sozialisationsforschung weist ULRICH (2001/1991, 390) schulische Sozialisation auf die schulische Funktionsstruktur hin, in der demokratierelevante Aspekte der Gerechtigkeit bzw. Ungleichbehandlung angesprochen werden - Schulversagen und Schulangst - grundsätzliches zur Politischen Bildung aber fehlt.
  • Politische Sozialisation wird gerne nur unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit diskutiert (vgl. KULKE 2001/1991, 595).
  • Im Handbuch der Schulforschung fehlen die Stichworte "Politische Sozialisation", "Politische Bildung" und "Demokratie" (vgl. HELSPER-BÖHME 2004).
Inzwischen liegen Studien zur Verbindung eines Unterrichts in Politischer Bildung bzw. eine sozialwissenschaftlichen Unterrichts in Form von Projekten vor (vgl. STEIN 2016; RADEMACHER-WINTERSTEINER 2016). In Österreich engagiert sich das "Demokratiezentrum Wien" mit Projekten und Basisarbeit (vgl. http://www.demokratiezentrum.org [6.9.2016]).

Hinzuweisen ist auf eine fundierte Fachliteratur in Politischer Bildung, die exemplarisch im Literaturverzeichnis/"Literaturhinweise" vorzufinden ist ( vgl. zur Lehrerbildung, Fachdidaktik DICHATSCHEK 2020, 13-78).

IT-Hinweis    

news ORF at: "NGO-Plattform sieht Demokratie unter Druck" > https://www.orf.at/stories/3136653/ (10.9.2019)

11.6 Literaturhinweise Didaktik der Politischen Bildung    

Angeführt sind diejenigen Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.

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SE im Rahmen der Lehrveranstaltung "Didaktik der Politischen Bildung " am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg (2015/2016 - 2017)

III Lehrveranstaltung - Vorberufliche Bildung    

Vorberufliche Bildung versteht sich als pädagogischer Beitrag zur Orientierung in beruflicher Bildung und in der Arbeits- und Berufswelt an der Schnittstelle zu der zunehmend notwendigen Berufsorientierung und Politischen Bildung/ Erziehung Heranwachsender und Studierender bei der Gestaltung künftiger sozialer Beziehungen (vgl. BEINKE 2006; BENNACK 1995, 376-383; HÄNDLE-OESTERREICH-TROMMER 1999, 113-114; SCHUDY 2002).

In Österreich ist die vorberufliche Bildung als Vorbereitung auf eine zunächst stattzufindende Schul- bzw. Studienwahl - in der Folge dann auch Berufswahl - gesetzlich der Schule und dem Arbeitsmarktservice (AMS) zugewiesen.

Bereits die Grundschule bereitet berufsbezogene Bildungsziele vor, die anschließend im Sekundarbereich mit Aspekten einer Persönlichkeitsbildung weitergeführt werden (vgl. RICHTER 2007, 229-244).

Neuere Aspekte einer vorberuflichen Bildung ergeben sich aus der Lehrerbildung und Berufspädagogik an den Instituten für Erziehungswissenschaften bzw. Bildungswissenschaft der Universitäten und an Pädagogischen Hochschulen.

Vermehrt verdienen Beachtung Kooperationsmodelle mit den Berufsinformationszentren des AMS und der Wirtschaft (BIZ), Einrichtungen der Sozialpartner und Eltern, insbesondere im Abbau von Diskriminierungen und dem Aufbau von sozialen Integrationsmodellen in der Berufsorientierung von Mädchen und Ausländer_innen.

12 Einleitung    

Unter "Vorberufliche Bildung" werden alle Interaktionen zwischen Berufswahlsuchenden und anderen Personen verstanden, die unterstützend helfen, das Berufswahlverhalten in didaktischen Schritten und individueller Beratung zu verbessern und so die Ratsuchenden bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung zu unterstützen.

Auf Grund der Teilaufgaben vorberuflicher Bildung/Erziehung wird dieser Bereich der Berufspädagogik zugewiesen.

Abb. 1: Teilbereiche der vorberuflichen Bildung

Vorberufliche Bildung/Erziehung
Orientierung über berufliche Bildung (Bildungsinformation)Orientierung über die Arbeits- und Berufswelt (Berufsorientierung/Berufskunde)

In der einschlägigen Literatur ist das Erreichen einer altersstufengemäßen Berufswahlkompetenz, die entsprechendes Wissen anstrebt sowie Information und Motivation umfasst(vgl. SCHUDY 2003).

12.1 Vorberufliche Bildung/Erziehung    

12.1.1 Schulische Berufsorientierung    

Pädagogische und gesetzliche Aufgabe der Schule in einer vorberuflichen Bildung ist es,

  • einen Orientierungs- und Wissensrahmen zu schaffen, der sich aus verschiedenen Ansätzen der Berufswahltheorien ergibt
  • durch didaktisch-methodische Abstimmung in entsprechenden Lernsequenzen schulische, beratende und wirtschaftsorientierende Lerneinheiten zu vermitteln und
  • selbstständige Verhaltensweisen unter Ausnützung altersgemäßer Motivation einzuüben.
Ziel dieser vorberuflichen Bildung/Erziehung ist eine sachkompetente, möglichst selbstbestimmte und sozial verantwortbare Schul- bzw. Berufswahlentscheidung mit möglichst realistischer Einschätzung der Bedingungen(Lehre; Schule/Studium - Beruf).

Daraus ergeben sich Teilfähigkeiten:

  • Wahrnehmung als wichtige Auffassung, sich damit zu befassen
  • Entwicklung eines Selbstkonzepts mit beruflichen Vorstellungen und Problemlösungsmöglichkeiten
  • Einschätzung der verschiedenen Situationen und Bewusstmachung der verschiedenen Einflüsse
  • Erkennen und Akzeptanz der Verantwortung und
  • Verwirklichung der Entscheidung in Verbindung mit situationsgerechtem Handeln.
Unter Zugrundelegung der verschiedenen Berufswahltheorien zu einem Rahmenkonzept ergibt sich, dass ein längerfristiger Prozess der Schul- bzw. Berufswahl, der früh genug und altersstufengemäß didaktisch-methodisch als

  • Unterricht
  • Realbegegnung (Exkursion, Lehrausgang, Erkundungen; berufspraktische Tage/Woche) und
  • Beratung zu gestalten ist.
Abb. 2: Rahmenkonzept einer schulischen Berufsorientierung

SCHULE
Unterricht
(Berufsorientierung)
VORBERUFLICHE BILDUNG/ERZIEHUNG SCHULE-ARBEITSMARKTVERWALTUNG
Beratung: Schülerberatung/Schule
Jugendberatung/BIZ
Projektarbeit
SCHULE-WIRTSCHAFT
Realbegegnungen
SCHULE
Elterninformation

Exkurs: Berufswahltheorien - Berufswahl als Prozess

Unter der Perspektive des Zukunftsbezugs bzw. des Lebenslaufes ist die Berufswahl ein jahrelanger Entscheidungsprozess, im Laufe dessen die Berufswünsche im Zeitraum zwischen einem Abschluss einer Allgemeinbildung an einer Schule und der Übernahme einer beruflichen Erstausbildung oder Arbeit auch durch Fremdeinflüsse mit unterschiedlicher Intensität festgelegt werden.

Nach SCHARMANN geht die Berufswahl in der Schweiz erstmals um 1950, in Deutschland und Österreich erstmals in den sechziger Jahren unter Bedingungen vor sich, die es der Mehrzahl der männlichen Jugend möglich machen, einen Ausgleich zwischen Berufsneigung und Aufstiegswunsch einerseits sowie Ausbildungsmarktbedingungen andererseits zu erreichen. Ab diesem Zeitpunkt kann man "zum erstenmal vom Recht der freien Berufswahl im Sinne der bürgerlich-individualistischen Berufsauffassung und ihren modernen Spielarten faktisch" sprechen (SCHARMANN 1966, 76). Sieht man von den wenigen Ausnahmefällen ab, bei denen durch Sonderbegabung das Kind auf einen häufig künstlerischen Beruf fixiert ist, so ist die Berufswahl ein jahrelanger Entscheidungsprozess, im Laufe dessen die Berufswünsche wechseln und die Fremdeinflüsse mit unterschiedlicher Intensität wirken. Die Berufswahl ist also kein einmaliger Akt (vgl. DAUENHAUER 1978, 137). Der Verlauf dieses Prozesses lässt sich als eine Folge von Situationen darstellen, die man als Berufslebenslauf (Berufsbiographie) bezeichnet.

Nach HOPPE ist berufliches Verhalten in der gesellschaftlichen Realität gekennzeichnet durch nicht eindeutig festgelegte Verhaltenssituationen für den Einzelnen mit offenen Entscheidungs- und Handlungspielräumen für das Individuum. Menschliches Handeln erfolgt daher als Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen, Erwartungen und Ziele (vgl. HOPPE 1980). Daraus folgern vier theoretische Ansätze (Berufswahltheorien), die Handlungs- und Entscheidungssituationen differenziert darstellen und unter dem Gesichtspunkt pädagogisch notwendiger Maßnahmen im Berufswahlunterricht darzulegen sind.

  • Berufswahl als Entscheidungsprozess
Darunter versteht man einen Interaktionsprozess zwischen einer Person (Persönlichkeitsstruktur) und einem beruflichen Objektbereich (Berufstruktur) mit dem Ziel, verschiedene Berufstätigkeiten zu analysieren und alternativ zu vergleichen und auf Grund subjektiv wie objektiv gesetzter Prioritäten eine Entscheidung zu treffen. Für Schüler stellt sich der Übergang von Bildungs- in Beschäftigungssysteme als Entscheidungssituation dar, in der sie unter einer Vielzahl von möglichen Ausbildungswegen und Berufsfeldern bzw. Berufen auswählen müssen.

Dieser Prozess vollzieht sich mehrstufig über einen längeren Zeitraum mit Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung. Nach LANGE/BÜSCHGES gibt es mit den drei Modellen der rationalen Wahl, des Durchwurstelns und der Zufallswahl Formen der Entscheidung (vgl. LANGE-BÜSCHGES 1975, 101-102).

  • Berufswahl als Entwicklungsprozess
Nach RIES ist die Berufswahl keine isolierte zeitliche Handlung, sondern als Abschnitt im Laufe eines lebenslangen beruflichen Entwicklungsprozesses anzusehen. Berufswahl ist die Resultante einer Kette von determinierten Wahlen, ein Prozess also, der weitgehend auf Grund des Drucks, den die Realität und die Gesellschaft ausübt, irreversibel ist (vgl. RIESS 1970, 33-34). Eine solche Berufswahl beginnt bereits mit der Entscheidung für die Schulbildung, die den weiteren Zugang zu Ausbildungsituationen determiniert. Im österreichischen Schulsystem kommt es jeweils nach Abschluss der Grundschule (Vor- und Volksschule/VS), Hauptschule/HS bzw. Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule/AHS, der Polytechnischen Schule/PTS, der Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schule/AHS, der berufsbildenden mittleren/BMS und höheren Schulen/BHS zu entscheidenden Schulwahl- und Berufswahlmomenten (Schnittstellenproblematik des Schulsystems). Im weiteren Verlauf dieses Prozesses kommt es zu konkreten Entscheidungen bei der Wahl der Berufsposition und in der Folge zu Entscheidungen der beruflichen Fort- und Weiterbildung (vgl. DECKER 1981, 47). Berufswahl umfasst somit den gesamten Bereich einer beruflichen Karriere. Um Problemsituationen von Berufswählenden verstehen zu können, bedarf es der Kenntnis der individuellen Entwicklungsgeschichte und Sozialisation, wobei dies aus der Biographie begriffen werden kann. In das im Laufe einer Sozialisation aufgebaute berufliche Selbstkonzept fließen individuelle Erfahrungen und Vorstellungen des Berufswählenden ein. Bestimmte berufliche Rollen beeinflussen dieses Selbstkonzept.

  • Berufswahl als Allokationssprozess
In der Diskussion um den entscheidungstheoretischen und entwicklungstheoretischen Ansatz bei der Berufswahl werden oft unterschiedliche Bezugsruppen, die eine Identifikation des Berufswählenden bewirken, schichtenspezifische Ungleichheiten und ein unterschiedliches Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen vernachlässigt. Diese gesellschaftlichen Faktoren bewirken geringere individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und engen damit die Entscheidungsfreiheit ein. Nach SEIFERT sind zwei Bedingungsfaktoren wesentlich, weshalb man auch von sozioökonomischen Bedingungen spricht:

  • Ökonomische Determinanten
    • allgemeine Wirtschaftslage
    • lokale Wirtschaftstruktur
    • Arbeitsmarktsituation
    • Arbeitsmarktpolitik
    • Struktur der Berufe
    • Verdienstmöglichkeiten
    • Einkommensverhältnissen
- Soziokulturelle und sozialpsychologische Determinanten

    • kulturelle und epochale Einflüsse
    • schichtenspezifische Zugehörigkeit
    • Familie - Elternhaus
    • Schule
    • Gruppe der Gleichaltrigen(peer group)
    • Institutionen der Berufs- und Erziehungsberatung
    • wirtschaftliche Interessensverbände
Man kann also feststellen, "dass 'das formale Recht' der freien Berufswahl, wie es das Grundgesetz garantiert, für die meisten Mitglieder der Gesellschaft druch das 'faktische Recht' der gesellschaftlichen Verhältnisse ausgehöhlt wird und damit zu einer Leerformel in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung gerät" (LANGE-BÜSCHGES 1975, 91).

  • Berufswahl als Interaktionsprozess
Die Berufswahl wird als Ergebnis von Wechselbeziehungen aufgefasst, in der mehrere Interaktionspartner - Wählende, Eltern, Lehrer, Berater, Gleichaltrige und Medien - über einen bestimmten Zeitraum miteinander interagieren, um das Berufswahlproblem zu lösen. Verschiedenste Interessen und Wertvorstellungen der Beteiligten fließen ein. Je mehr einzelne Fähigkeiten und Fertigkeiten für einen künftigen Beruf ausgeprägt sind, desto leichter ist eine Berufswahl. Bei Schülern mit mehr Kontakt zu Eltern und Lehrern verläuft die Berufswahlentscheidung rationaler. Es besteht eine Korrelation zwischen Herkunftsschicht, Schulleistung und Rationalität. Schüler mit einem hohen Grad an rationaler Entscheidung halten leichter auch bei einem knappen Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen fest. Bei Schülern mit unterrichtlicher Erfahrung mit Realbegegnungen - Erkundungen, berufspraktische Tage/Woche - ergibt sich eine größere Chance einer rationalen Entscheidung.

Nach SEIFERT kann man fünf Hauptgruppen von Interaktionspartnern unterschieden: Lehrer, Berater, Berufsverbände, soziale Bezugsgruppen und Medien (vgl. SEIFERT 1977, 426-453).

Abb.3: Interaktion (vgl. DECKER 1981, 170)

INTERAKTION
bezieht sich auf das Handeln
von Personen und Gruppen
soziale Interaktion
sachliche Intraktion
Auseinandersetzung mitMenschen(Kommunikation), Problemen und Aufgaben
IN SOZIALEN SYSTEMEN
(= Prozesse, Geschehnisabläufe, Ereignisse)

HOPPE ergänzt noch die Einflussfaktoren mit dem Begriff "gesellschaftliche Realität".

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Feststellung der Einflussfaktoren bei einer Berufswahl spielen Eltern eine große Rolle, weil sie jedenfalls Hilfstellungen geben können und eine gewisse Sicherheit bei der Entscheidung vermitteln. Am Besten in Erinnerung bleiben den Vierzehnjährigen - also jener großen Gruppe am Ende der Sekundarstufe I - jene Informationen, die sie bei im Berufswahlunterricht bei Aspekterkundungen und in den Berufsinformationszentren mit Impulsfilmen und TV-Sendungen erhielten. Antizipiertes Lernen in Verbindung mit Selbsterkundung - "entdeckendes und planvolles Lernen" - ist ein Lernverfahren mit hohem Speicherwert (vgl. EDELMANN 2000, 138-141, 199). Der Einfluss der Schüler- bzw. Bildungs- und Jugendberatung muss ingesamt eher als gering bezeichnet werden. Allerdings helfen solche Beratungen, wenn die Ratsuchenden bestimmte Vorstellungen bereits mitbringen.

Die Wahl des Erstberufs stellt nur eine, wenn auch besondere Phase dar. Diese Phase fällt in einen entscheidenden Entwicklungsabschnitt für das Hineinwachsen des Jugendlichen - auch in Rollen in Familie, Freizeit und öffentlichem Leben - und steht zumeist in Wechselbeziehungen dazu. In diesem Entwicklungsprozess spielen Reifungsprozesse mit persönlichen Lernerfahrungen zusammen, die auf diesen Altersstufen, insbesondere auch von der Schule, vermittelbar sind.

Eine Abstimmung der Aufgaben von Schule und Arbeitsmarktservice (Jugendberatung) gründet sich auf eine Rahmenvereinbarung zwischen den damaligen Bundesministerien für Unterricht und Kunst (BMUK) und Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Jahre 1974 (BMUK/Erlass v. 10.9.74, Zl. 47.370-ADM/74; BMAS/Erlass v. 17.9.74, Zl. 36800/10-19/74). Danach soll die Schule Kenntnisse über die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt, gegebenenfalls auch Berufswahlunterricht - damals Berufskunde am Polytechnischen Lehrgang - vermitteln , während die damalige Berufsberatung der Schule Ergänzungen bzw. Unterstützung anbot (vgl. dazu AMFG §§ 3-5).

In Schulversuchen mit Modellschulen/Modellklassen wurden Formen der Kooperation erprobt bzw. an außerschulischen Lernorten freiwillig angeboten. Solche Erprobungen und die Weiterentwicklung von Unterrichtsgegenständen, in denen Kenntnisse über die Arbeits- und Berufswelt vermittelt wurden, führten in der Folge dazu, dass sich Gegenstandsbereiche herausbildeten, die im engeren Sinne zur schulischen Berufsorientierung gerechnet werden (vgl. dazu Schulversuch/Schulmodell Interessen- und Berufsorientierte Hauptschule; Landhauptschule - Kurs Berufsorientierung; R 30 Berufsorientierung - Beratungsprojekt für Schüler/Innen höherer Schulen im nördlichen Weinviertel). Dies führte zu unterschiedlichen Konkretisierungen im schulischen Bereich.

Im Gesamtfeld vorberuflicher Maßnahmen darf nicht vergessen werden, wie wichtig der Einfluss von Eltern, Familie, Medien und Gleichaltrigen (peer group) ist.

Folgende Möglichkeiten in den verschiedenen Schularten ergeben sich bei der Einführung in die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt:

  • als eigener Unterrichtsgegenstand: Berufsorientierung/Lebenskunde in der Polytechnischen Schule (PTS)
  • als Unterrichtsprinzip (Fächerverbund), wobei die Inhalte des Lernbereichs Gegenstand in thematisch verbundenen Unterrichtsgegenständen werden: Unterrichtsprinzip "Vorbereitung auf die Arbeits- und Berufswelt"
  • als Verbindliche Übung in der Sekundarstufe I ("Berufsorientierung" bzqw. Unverbindliche Übung/Freigegenstand und unverbindliche Übung in der Sekundarstufe II (AHS-Oberstufe "Orientierung auf Berufs- und Arbeitswelt") und
  • als fächerübergreifende und projektorientierende Ansätze als Teil bestehender Fächer.
Das Prozesshafte der Schul- bzw. Berufswahl kann dazu verführen, die Berufsorientierung in der Schule zum ausschließlichen Unterrichtsprinzip zu machen und ihr damit keinen festen didaktischen Ort im Fächerkanon zuzuweisen (vgl. VERBINDLICHE ÜBUNG "BERUFSORIENTIERUNG"/MS und AHS-Unterstufe/3. und 4.Klasse; UNVERBINDLICHE ÜBUNG "ORIENTIERUNG AUF BERUFS- UND ARBEITSWELT"/AHS-Oberstufe 5. bis 8. Klasse auf zwei aufeinanderfolgenden Schulstufen). Dies bedeutet, dass sich für Kerninhalte und den Zusammenhang zwischen Teillernzielen der Berufsorientierung in anderen Fächern kein Unterrichtsgegenstand verantwortlich fühlt (vgl. BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT, Handbuch zur Berufswahlvorbereitung, Nürnberg 1992, 19; VOHLAND 1980, 197-198). Dies führt dazu, dass einige Fächer nur gelegentlich auf Anforderungen der Berufsorientierung eingehen oder der Fachbereich kaum als existent erscheint.

Kerninhalte einer schulischen Berufsorientierung bedürfen eines festen didaktischen Ortes, man denke bei anderen Unterrichtsprinzipien vergleichsweise an die Sprech- und Leseerziehung in Deutsch und die Umwelterziehung in Biologie und Umwelterziehung.

Abb.3 Vorberufliche Bildung - Themenbereiche

VORBERUFLICHE BILDUNG - SCHULISCHE BERUFSORIENTIERUNG
KOOPERATION SCHULE-WIRTSCHAFT-AMS BEREICHE DES AMS
Unterrichtsprinzipien:Jugendberatung
Vorbereitung auf die Arbeits- und BerufsweltArbeitsplatzvermittlung
Politische BildungBerufsinformationszentren/BIZ
WirtschaftserziehungTeilnahme an Elternveranstaltungen
UmwelterziehungBerufskundliche Ausstellungen
Vorbereitung auf neue Techniken/
Kommunikations- und Informationstechniken
 
Schüler- bzw. Bildungsberatung 
Berufsorientierungsunterricht 
Realbegegnungen: Erkundungen-Lehrausgänge/
Exkursionen, berufspraktische Tage/Woche
 
Projektarbeit 
Elternarbeit 
Ausstellungen/Informationsveranstaltungen 
Berufsinformationszentren/BIZ des AMS und
der Wirtschaft
 

Gesetzliche Grundlage der Schule: SCHULGESETZE - Gesetzliche Grundlage des AMS:AMSG §§ 3-8 i.d.g.F.

Die Gegenstandsbereiche der Schule und der Lehrerbildung, in denen Basiskenntnisse/Haltungen über die Arbeits- und Berufswelt vermittelt werden, zeigen die Lehrpläne der einzelnen Schultypen, wobei die Aussagen zu den einzelnen Unterrichtsgegenständen zu beachten sind.

Der Aufbau eines Lehrganges "Berufsorientierung"/Verbindliche Übung(HS, AHS-Unterstufe), 7. und 8. Schulstufe, geht von den folgenden Bildungs- und Lehraufgaben, Bildungszielen und didaktischen Grundsätzen aus.

Abb.4: Berufsorientierung - Lehrplanangaben

BILDUNGS- UND LEHRAUFGABEN, BILDUNGSZIELE UND LEHRSTOFF, DIDAKTISCHE GRUNDSÄTZE

Bildungsziele:

  • Arbeit als wesentlicher Teil des Lebens mit persönlichem Stellenwert
  • Entstehung und Entwicklung von Bedingungen von Arbeit, Beruf und Wirtschaft
  • Kriterien von Berufsbereichen
  • Erforschung eigener Interessen und Neigungen sowie subjektiver Begabungen und Fähigkeiten
  • Reflexion persönlicher Erwartungen bzw. Erkennen der Erwartungen von Eltern, Freunden und der Gesellschaft
  • Wege in die Berufswelt - Bildungsformen und Bildungswege/Durchsetzung
  • Ausbildungsweg zum eigenen Berufswunsch/Erstellen eines Selbstkonzepts
  • Hilfen bei der Planung des Berufsweges/Beratung - Beratungssituation
  • Strukturen der Arbeits- und Berufswelt/Wirtschaft mit Schwerpunkt der Region
  • Maßnahmen gegen Benachteiligungen und Handicaps auf dem Arbeitsmarkt
  • Aufnahme- und Bewerbungsverfahren
Für eine schulische Berufsorientierung in der Sekundarstufe II sind die Polytechnische Schule(PTS) mit dem Pflichtfach "Berufsorientierung/Lebenskunde" und die AHS-Oberstufe mit der Unverbindlichen Übung "Orientierung auf Berufs- und Arbeitswelt" von Bedeutung.

Abb. 5: Berufsorientierung - Lehrplanangaben

AUFBAU EINES BERUFSORIENTIERUNGSLEHRGANGES, PFLICHTFACH MIT SCHWERPUNKTBILDUNG (PTS), 9. SCHULSTUFE
Hauptbereich

Von der Schule in die Arbeitswelt
Arbeit und Leben
Berufsfelder und Berufe
Die Arbeitswelt erfahren
Berufsfindungsprozess und Berufswahlvorbereitung
Aspekte

Gesellschaftliche Bedingungen von Arbeit und Beruf
Arbeit und Beruf im historischen Prozess
Neue Technologien und Zukunftsorientierung
Frauen und Männer in der Arbeitswelt
  
 Allgemeine Berufskunde

Berufs- und arbeitsrechtliche Bestimmungen
Sozialgesetzgebung und ihre Bedeutung
Berufsbegleitende Institutionen und
Weiterbildungsmöglichkeiten
  
 Menschengerechte Arbeitswelt
  
 Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung im
Betrieb
  
 Aspekte des Umweltschutzes im Betrieb

Im Folgenden soll zusammenfassend aufgezeigt werden, welche Begründungen für eine vorberufliche Bildung in der Schule bestehen:

  • Eine Schule mit neuhumanistischer Bildung, Herbartscher Lernpsychologie und einer "Pädagogik vom Kinde aus" schließt sich heute gegenüber einer industrialisierten und bürokratisierten Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt ab.
  • In der allgemeinbildenden Pflichtschule(APS) soll der Schüler daher ein Vorverständnis rationalisierter Arbeitsverfahren in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen gewinnen. Es soll ihm aus einer didaktischen Einheit von kognitiver, psychomotorischer und affirmativer Erziehung zur Arbeit ein zeitgemäßes Stück von Allgemeinbildung zuwachsen.
  • In der Sekundarstufe II soll dieses Vorverständnis verbreitert und ausgeweitet werden und letztlich in eine Realisierung einer Berufs- bzw. Studienwahl einmünden.
  • Explizite Lehr- und Lernziele in den Fachlehrplänen der Grundschule, Sekundarstufe I und II - man beachte hier besonders die PTS - und ein eigener Fachbereich sind Voraussetzungen zur Bewältigung der heutigen Anforderungen in der Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt.
  • In diesem Zusammenhang ist künftig der Schüler- bzw. Bildungsberatung - insbesondere in der Sekundarstufe I mit ihren großen und breiten Bildungsströmen - mehr Bedeutung zuzumessen. Die bisherige Beratung wird damit zu einer Schüler- und Elternberatung im Sinne einer echten Lebenshilfe in Verbindung mit unterrichtlichen Maßnahmen in den aufgezeigten Unterrichtsgegenständen (vgl. die Rolle des "school counsellor" in den USA und des Berufsberaters in der Schweiz).
12.1.2 Lehrerbildung in der APS    

Ab dem Schuljahr 1991/92 wurde an den Pädagogischen Instituten (PI) ein Studienversuch für ein Lehramt "Berufsorientierung und Bildungsinformation/Berufskunde"(Hauptschule/Polytechnischer Lehrgang)mit dem Ziel eingerichtet, die Kompetenz des Lehrers dieses Fachgebietes neben den (damaligen) beiden Unterrichtsgegenständen auch für eine Betreuung der Realbegegnungen(Erkundungen-Lehrausgänge-Exkursionen; berufspraktische Tage/Woche) zu erweitern. Die Lehrveranstaltungen vermitteln den anschaulichen Hintergrund schulischer Berufsorientierung - "Lernen vor Ort" - mit einer methodisch-didaktischen Umsetzung der praktischen Berufsorientierung im Unterricht. Die solcherart ausgebildeten Lehrer bieten Jugendlichen Hilfestellungen bei einer erfahrungsorientierten und eigenständigen Auseinandersetzung mit der Arbeits- und Berufswelt unter Einbeziehung von Bildungsmöglichkeiten und Bildungswünschen(vgl. DICHATSCHEK 1989, 49-57).

Ab dem Schuljahr 1994/95 wurde an vier Pädagogischen Akademien(PA) ein Zusatzstudium/Drittfach eingerichtet. Eine Besonderheit in der Lehrerbildung der APS stellte in Tirol der Lernverbund von PI und PAs dar, in dem Lehrbeauftragte der drei lehrerbildenden Institutionen(PI des Landes Tirol, PA des Bundes in Tirol und PA der Diözese Tirol) zusammenarbeiteten. 1993/94 wurde hier mit einem allgemeinen Betriebspraktikum für studierende im 2. Ausbildungssemester der HS und ASO begonnen. Die darauf folgenden Ausbildungslehrgänge - als Ergänzungsfach an den PAs konzipiert - bauen auf diesen Erfahrungen auf.

Abb. 6: Lehramt für Berufsorientierung (APS: MS/PTS)

AUSBILDUNGSGANG

4 Qualifikationsbereiche:

1. Einführung in den Fachbereich - Berufsorientierung als Entwicklungsprozess
2. Möglichkeiten der Schul- und Berufsausbildung - Kooperation im Fachbereich
3. Der Mensch in der Arbeits- und Berufswelt - Arbeitsmarkt
4. Fachdidaktik-Methodik-Realbegegnungen

Realbegegnungen

  • Teilnahme an einem Betriebspraktikum
  • Mitarbeit an Erkundungen
Grund- und Weiterbildungsseminar
Dokumentation des Betriebspraktikums und eines schulbezogenen Projekts

Vor- und Lehramtsprüfung

Mit dieser Verbesserung der Lehrerbildung wird dem in anderen Ländern Europas vollzogenen Trend, vermehrt eine Orientierung über berufliche Bildungsmöglichkeiten und die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt in allgemeinbildenden Schulen in die Lehrerbildung zu integrieren, auch in Österreich Rechnung getragen. Kooperationsformen zwischen Schule, Wirtschaft und AMS erhalten dadurch einen neuen Stellenwert. Die Multiplikatorwirkung dieses neuen Lehrertyps muss hoch eingeschätzt werden.

12.1.3 Lehrerbildung in der AHS    

Eine universitäre Ausbildung für ein Lehramt in Berufsorientierung gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Hochschullehrgänge des Instituts für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universitäten Klagenfurt, Wien, Innsbruck und Graz (IFF) werden immer wieder angeboten, die die Thematik von Berufswahl und Laufbahnberatung betreffen. Schwierigkeiten einer Absolvierung solcher Hochschullehrgänge ergeben sich bei der zunehmenden Ökonomisierung und Beurlaubungspraxis von Lehrkräften.

12.2 Vorberufliche Bildung - Universität    

Im Regelfall ist heute ein Universitätsstudium eine berufsbezogene Ausbildung, zumeist ein Bestandteil einer solchen Ausbildung. Das Humboldtsche Ideal eines Studiums mit dem Ziel der Vervollständigung der Allgemeinbildung hat angesichts der heutigen hohen Anforderungen an die Berufsqualifikationen seine Geltung eingebüsst. Aus diesem Verständnis heraus beschäftigt sich die Erziehungswissenschaften im Teilbereich Berufspädagogik auch mit vorberuflicher Bildung als Hinführung zur Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt und einer Orientierung über berufliche Bildung.

Am Beispiel des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität Wien werden die beiden Lehrveranstaltungen des Autors dieses Beitrages als Weiterführung des Fachbereiches in der Sekundarstufe II vorgestellt.

Abb.7: Vorberufliche Bildung - Universität Wien/Studienjahr 2002-2003

LEHRVERANSTALTUNG "VORBERUFLICHE BILDUNG I UND II" - WS und SS
Vorberufliche Bildung I(VO)Vorberufliche Bildung II(SE)
BerufswahltheorienVorberufliche Bildung in dem AMS/Wirtschaft:
Einführung in das Fach mit
Teilbereichen
Jugend- und Maturantenberatung
 Migrantenberatung
 Realbegegnungen
Berufsinformationszentren/BIZ-Exkursion
 Lehrerbildung

12.3 Vorberufliche Bildung durch das AMS    

Zu den Aufgaben des AMS gehört es, Ratsuchende zu informieren und zu orientieren. Unter Berufsorientierung in diesem Sinne versteht man alle Maßnahmen und Mittel, die den Ratsuchenden mit Eltern, Lehrer und interessierte Gruppen vorrangig informieren.

12.3.1 Themen und Inhalte    

In einer solchen vorberuflichen Bildung sind alle Faktoren und Bedingungen, die Einfluss auf eine Schul- bzw. Berufswahl haben, thematisch und inhaltlich zu bearbeiten:

  • Wege der beruflichen Bildung(duale Ausbildung; BMS-BHS; Studium)
  • Berufe mit ihren Anforderungen, Aussichten und Entwicklungen
  • aktuelle Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten
  • Trends und Chancen auf dem Arbeitsmarkt und
  • finanzielle Förderungsmöglichkeiten(Unterstützungen, Beihilfen und Stipendien).
12.3.2 Zielsetzungen und Zielgruppen    

Vorberufliche Bildung will dazu beitragen, die Berufswahlkompetenz Jugendlicher zu fördern, die nach BUSSHOFF so beschrieben werden kann(vgl. BUSSHOFF 1989, 66-69):

Stufe 1: Wahrnehmung der Berufswahl als Aufgabe

Stufe 2: Analyse des Problemgehaltes - Entwicklungen eines Selbstkonzepts und verschiedener Problemlösungsmethoden

Stufe 3: Entdeckung von Selbstbestimmungschancen/realistischer Einschätzung der Berufswahlsituation

Stufe 4: Ausarbeitung von Handlungsmöglichkeiten und -alternativen

Stufe 5: Verantwortung der Handlungsentscheidung und

Stufe 6: Realisierung der Berufswahlentscheidung

Bei der Verwirklichung des Zieles, diese (Berufswahl-)Kompetenz zu fördern, arbeiten Jugendberater, Eltern und Lehrer zusammen. Die Orientierungsangebote wenden sich demnach an Jugendliche/ Ratsuchende, Eltern und an junge Erwachsene vor vor der Berufswahl: Schüler der Sekundarstufe I und II, Lehrlinge und Universitäts- bzw. Fachhochschulabsolventen während ihrer Erstausbildung. Weitere Zielgruppen sind Lehrer, Sozialarbeiter und andere Betreuer Jugendlicher/ Ratsuchender (z.B. Bewährungshelfer).

12.3.3 Veranstaltungsformen    

Vorberufliche Bildung im Rahmen des AMS will ihre Klienten anregen, die eigene Schul- bzw. Berufswahl gründlich vorzubereiten und dabei selbstständig und planend vorzugehen(vgl. als Lernform das antizipierende Lernen). Dafür bieten die Berater verschiedenste Formen an.

Abb. 8: Maßnahmenformen der Beratung

MASSNAHMEFORMEN DER JUGENDBERATUNG

  • Schulbesprechung - Erstkontakt
  • Sprechstunde
  • Teilnahme am Berufsorientierungsunterricht
  • Vortragsveranstaltungen/Jugendliche-Eltern
  • Gruppenveranstaltungen
  • Berufs- und studienkundliche Nachmittage
  • Initiierung von Erkundungen und Betriebskontakten
12.3.4 Schriften zur Berufswahl    

Neben dem personellen Angebot der Beratung gibt es zur Ergänzung eine Reihe von berufskundlichen Schriften. Entsprechend der Zielsetzung gibt es Unterschiede:

  • Berufsorientierende Schriften behandeln allgemeine Fragen der Schul- bzw. Berufswahl.
  • Berufs- und studienkundliche Schriften vermitteln konkrete Überblicke über Ausbildungs-, Studien- und Berufsmöglichkeiten und geben berufskundliche Einzelinformationen.
  • Beratungsvorbereitende Selbsterkundungsprogramme sollen persönliche Voraussetzungen und Zielvorstellungen bewusst machen. Sie ermöglichen die Vorbereitung auf das Beratungsgespräch.
12.3.5 Kooperationsformen in der Jugendberatung    

Der wichtigste Partner der Jugendberatung ist die Schule mit den Schülern, Eltern und Lehrern (Berufsorientierungslehrer und Schüler- bzw. Bildungsberater), weil hier gezielte und kontrollierte Lernschritte in einer vorberuflichen Methodik und Didaktik durchgeführt werden können. Ebenso arbeitet die Jugendberatung mit der Wirtschaft und den Universitäten - hier in Form der Maturanten- und Jungakademikerberatung - zusammen.

Der Auftrag der Jugendberatung zu einer vorberuflichen Bildung ist immer der Anlass, mit Stellen zusammenzuarbeiten, die das Umfeld des Ratsuchenden - sozial und/oder wirtschaftlich - kennen und bei einer Erst- oder Folgewahl mitwirken. Dazu zählen die Sozialpartner, Träger der Sozialhilfe und andere spezifische Beratungsinstitutionen (u.a. Mädchenberatung, Bewährungshilfe, Ausländerberatung).

12.4 Studienberatung    

Studieninteressenten haben es heute unvergleichlich schwerer als früher, Studienentscheidungen zu treffen. Zusätzliche Desorientierung schafft die ständige widersprüchliche Behandlung in den Medien von studienbezogenen Themen (vgl. Studiendauer, "zukunftssichere Studiengänge", "Karriereratgeber").

Studienberatung ist ein Kürzel für Studien- und Studentenberatung im Rahmen der Universität/Fachhochschule. Wichtigste Elemente sind dabei:

  • die Studienfachberatung durch die Lehrenden (an den Instituten),
  • die psychologisch-psychotherapeutische Beratung für Studierende und
  • die Studentenberatung der Hochschülerschaft für Studierende und Studieninteressierte.
Zunehmende Bedeutung erlangen private bzw. halböffentliche Institutionen zur Karriereplanung von Studierenden, die nach dem Vorbild angelsächsischer Carrier-Centers arbeiten.

12.5 Berufsinformationszentren (BIZ) - Jugend-, Maturanten- und Studienberatung des AMS und der Wirtschaftskammern/WIFI    

Die Berufsinformationszentren des AMS und der Wirtschaftskammern erweitern in einer Schlussphase des Schulwahl-, Studienwahl- bzw. Berufswahlprozesses das Angebot mit der Möglichkeit, Eigen- und/oder Gruppeninformation mit Hilfe von Medien unter Anleitung eines Beraters zu erhalten. BIZ wenden sich vor allem an Heranwachsende vor der Schul- bzw. Berufswahl, auch an Eltern und Lehrer sowie an alle Arbeits- und Ratsuchenden, besonders bei einer Umschulung oder Umorientierung in andere Tätigkeitsbereiche, Branchen oder Berufe.

Die BIZ-Ratsuchenden bestimmen selbst den Zeitpunkt, die Dauer und Auswahl der Medien (Mappen, Prospekte, Filme und Videos - Internet). Der Mitarbeiter stellt Informationen und Medien vor und zur Verfügung und hat Übung, in die Nutzung einzuschulen. BIZ-Einrichtungen fördern die Eigeninitiative der Ratsuchenden. Neben einer Nutzung dieses Angebots für den Berufswahlunterricht dienen solche Zentren auch der Hilfestellung bei Erkundungen und der Vorbereitung bzw. Verwendung für berufspraktische Tage/Wochen. Damit ist ein wesentlicher Schritt zu einer Intensivierung verschiedenster Möglichkeiten in der vorberuflichen Bildung getan.

12.6 Berufswahl benachteiligter Jugendlicher    

Die Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage für Jugendliche und junge Erwachsene während der achtziger Jahre war durch Defizite an Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsstellen auf dem Hintergrund geburtenstarker Jahrgänge gekennzeichnet. Derzeit hat sich der Ausbildungsmarkt umgekehrt. Es werden mehr Ausbildungsstellen angeboten als Bewerber nachfragen. Branchenspezifisch gibt es mitunter einen Lehrstellenmangel.

Gleichwohl gibt es Jugendliche, die unabhängig von der Ausbildungsmöglichkeit auf Grund individueller Gegebenheiten benachteiligt sind. Sie haben schwierige Ausbildungssituationen und finden im Anschluss daran schwer eine Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle.

Spezifische Problematiken ergeben sich bei der Schul- bzw. Berufswahl solcher Heranwachsender. Eine Benachteiligung ist relativ, sie ist jedenfalls in Relation zu regionalen, strukturellen und technologischen Entwicklungen zu sehen und muss zu unterschiedlichen Anforderungs- und Auswahlkriterien sowie Strukturen und Situationen der Ausbildungsstätten (Schule - Betriebe) gesetzt werden.

In der Berufspädagogik wird seit 1980 eher von "benachteiligten Jugendlichen" gesprochen. Hinter diesem Sammelbegriff in der sozialwissenschaftlichen Diskussion versteckt sich eine Vielzahl von individuellen, sozialen und situativen Merkmalen bei Jugendlichen, wobei Formen und Ausprägungen höchst unterschiedlch sein können, sich überschneiden und auch häufen können. Betroffen davon sind zunächst ausländische Jugendliche, lernbehinderte Auszubildende, sozial Benachteiligte unabhängig vom Schulabschluss und alle Arten der Behinderten. Auch "Marktbenachteiligte", wenn also keine betriebliche Ausbildung ermöglicht werden kann, fallen in diese Gruppe.

Da es eine heterogene Gruppe von benachteiligten Heranwachsenden gibt, ist auch eine spezifische Berufswahltheorie oder Vorgangsweise für solche Berufswähler nicht vorhanden. Es gibt beobachtbare Umstände und Vorgehensweisen bei Teilgruppen, die mit vergleichbaren Altersgruppen mit Normvorausetzungen in Relation zu setzen sind. Jedenfalls hat das Sozialisationsfeld - Elter und soziale Schichtung - Einfluss auf die Schul- bzw. Berufswahl. Längsschnittuntersuchungen belegen - differenziert nach sozialer Herkunft - eine überdurchschnittlich hohe Rate an fehlender Berufsausbildung bei Jugendlichen, deren Väter als un- bzw. angelernte Arbeiter tätig sind. Eltern von sozial benachteiligten Kindern verfügen oftmals nur über wenige für den Berufsfindungsprozess so wichtige Informationen und Vorgangsweisen, um Überlegungen ihrer Kinder unterstützen zu können (vgl. HURRELMANN-ULICH 1991, 408-410). Zu beobachten sind irrationale Ratschläge, Überschätzungen der schulischen Situation bei gleichzeitig hoher Schwellenangst vor dem Einholen spezifischer Beratung, so dass der Prozess der Schul- bzw. Berufswahl erschwert wird (vgl. BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT, Handbuch für Berufswahlvorbereitung, Nürnberg 1992, 141-142).

Die Gruppe der Mädchen/jungen Frauen ist eine spezifische und wird zunächst im folgenden Kapitel 5.1 ausführlich behandelt. Bemerkungen zur politischen Bildung/Erziehung sind im Kapitel 6.3.1 vorzufinden. Kapitel 5.2 bespricht die besonderen Aspekte ausländischer Jugendlicher bei der Berufswahl und den Teilbereich der gesellschaftlichen Entwicklung türkischer Gastarbeiter zu einer heutigen westeuropäischen Minderheit.

12.6.1 Benachteiligungsaspekte von Mädchen    

Bei gesellschaftspolitischen Zuständen, für die niemand sich zuständig fühlt, wird gerne der Ruf nach dem Bildungsauftrag der Schule laut. Politische und gesellschaftliche Defizite werden zu Bildungsproblemen umdefiniert. Zudem werden sie denen mitunter angelastet, die häufig darunter leiden. Dies scheint besonders bei der Diskrepanz zwischen dem Gleichheitsgrundsatz und einer beruflichen Benachteiligung von Frauen/Mädchen der Fall zu sein. Die "Schule" wird aufgefordert, das Bildungsdefizit von Mädchen/Frauen abzubauen, je nach Wünschen und womöglich nach Bedarf soll die Familienordnung von Mädchen gefördert/reduziert, eine Berufsmotivation gezügelt/geweckt und Mädchen in Handwerksberufe gelenkt werden. "Schule" soll auch gegen die "Technikdistanz" von Mädchen etwas unternehmen.

Es geht im Wesentlichen um einen Abbau der Benachteiligungen von Mädchen/Frauen am Berufs-, gesellschaftlichen und politischen Leben. Man hat es mit einem klassischen Thema politischer Bildung/Erziehung zu tun. Ein solches gesellschaftspolitisches Thema benötigt Mittel der Gesellschaftspolitik, d.h. es geht um Quotierungsprobleme, Frauenförderung und Umverteilung/Umbewertung gesellschaftsrelevanter Arbeit. Hier ist schulische Berufsorientierung auch gefordert, weil

  • die Schule nach Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes der Chancengleichheit von Mädchen/Frauen verpflichtet ist (Artikel 7(1) des BVG: Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen; vgl. auch Art. 2 und 3 StGG, Art. 6 des Staatsvertrages, Art. 14 MRK, das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau/BGBL. 1969/256 sowie die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau samt Vorbehalten/BGBL. 1982/443).
  • schulische Berufsorientierung die Aufgabe hat, SchülerInnen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Arbeits- und Berufswelt zu befähigen (vgl. die Lehrpläne von "Berufsorientierung"/HS, AHS und PTS; vgl. DICHATSCHEK 1998, 493-497).
  • Mädchen/Frauen nicht nur Objekte gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern auch Subjekte ihrer Lebensbedingungen sind. Es bedarf also in einer demokratischen Gesellschaft ihrer Zustimmung/Ablehnung, wenn sich Bedingungen verändern oder stablisieren. Diesen Zustand transparent zu machen und einen Diskurs zu ermöglichen und zu führen, ist Aufgabe und pädagogischer Beitrag schulischer Berufsorientierung zur politischen Bildung/Erziehung (vgl. "Erlaß zur Politischen Bildung in den Schulen", BMUK Zl. 33.446/6-19a/1978, Pkt. I/2 und 3; Wiederverlautbarung mit GZ 33.466/103-V/4a/94, Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten).
12.6.1.1 Aspekte eines Berufsfindungsprozesses von Mädchen    

Zunächst erscheint eine Veränderung der schulischen Bedingungen unnötig: Mädchen/Frauen haben kaum Bildungsdefizite(vgl. u.a. FISCHER-KOWALSKI/SEIDL u.a. 1986, 80-106). Mädchen/Frauen haben gute - wenn nicht bessere - Abschlüsse als Knaben. Die jahrelange Diskussion von einer "Berufsnot Jugendlicher" ist einer Diskussion um den Lehrlings- und Facharbeitermangel gewichen. Übersehen werden gerne Jugendliche ohne Ausbildung und regionale und berufsbezogene Engpässe. Man wirbt intensiv - je nach Notwendigkeit - um einen Nachwuchs in handwerklichen Berufen und spricht in diesem Zusammenhang die Zielgruppe der Mädchen an(vgl. die "Girlie Days" der Wirtschaftskammern nach US-Vorbild). Gelobt werden die Führungsqualitäten von Frauen(vgl. CAPITAL 9/89, 262). Man liest, dass Betriebe keine oder zu wenig Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen der Mitarbeiterinnen nehmen. Zur Diskussion steht - mitunter als sehr heftig geführter öffentlicher Diskurs - der Brückenschlag Beruf - Familie - Freizeit, wie der Diskurs im Sommer 2003 gezeigt hat.

Dagegen stehen zwei Gegenthesen, die zur Diskussion gestellt werden:

  • Die Berufsorientierungsprobleme Jugendlicher beim Übergang von der Schule in die Arbeits- und Berufswelt haben sich seit Jahren verschärft. Ökonomische und ökologische Krisen, technische und arbeitsorganisatorische Rationalisierungsmaßnahmen haben berufliche Arbeit verändert und Jugendliche über ihre Zukunft in der Arbeit- und Berufswelt verunsichert. Der "Beruf für das ganze Leben" - bei Mädchen/Frauen stets eher eine seltene Realität - wird immer mehr zur Illusion. Zugleich gewinnt als berufliche Basisqualifikation der richtige Einstieg in das Berufsleben und ein lebensbegleitendes Lernen an Bedeutung(vgl. bm:bwk, HINTERGRUNDBERICHT ZUM ÖSTERREICHISCHEN LÄNDERBERICHT - MEMORANDUM ÜBER LEBENSLANGES LERNEN DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION, Wien 2001).
Berufliche Mobilität wird auch von jungen Leuten gefordert und ist erforderlich. Dass damit neue Gruppierungen von Benachteiligungen geschaffen werden, die bereits in der Schule davon wissen, sollte festgehalten werden.

Neben Eignung und Neigung ist das Wissen von Einstiegsbedingungen, Entwicklungstendenzen und das Verwertenkönnen von erworbenen Qualifikationen bedeutsam.

  • Für Mädchen ist Berufsorientierung mehr als eine Entscheidung für einen beruflichen Ausbildungsweg. Gibt es in der Schule noch formal gleiche Chancen, zeigt sich beim Übergang von der Schule in das Berufsleben die Bedeutung des Geschlechts für die gesellschaftliche Zuordnung in (1) ungleichen Zugängen zu Ausbildungsplätzen, Ausbildungsberufen und Ausbildungsgängen, (2) in größeren Übergangsrisiken über die Ausbildung hinaus und (3) in ungleicher Verteilung von Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten.
Mädchen werden im Berufsfindungsprozess neben dem Wandel der Qualifikationsanforderungen und beruflichen Perspektiven auch mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, einengenden Geschlechtsstereotypen, mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen und mitunter diskriminierenden Ausgrenzungen konfrontiert(vgl. Mobbing in der Schule und Arbeitswelt > www.tolerantschools.org). Mädchen wollen aber einen qualifizierten Beruf, der Spaß macht und Perspektiven eröffnet. Sie wollen unabhängig und selbstständig sein und ihre Rechte einfordern können. Berufsausbildung steht an erster Stelle ihrer Lebensplanung. Somit kann auf schulische Berufsorientierung als Motivationsschub für Mädchen schon auch deshalb nicht verzichtet werden. Die teilweise Auflösung traditioneller weiblicher Lebensmuster hat eine stärkere Individualisierung und Ausdifferenzierung der beruflichen Biographien von Mädchen/Frauen mit sich gebracht. Folglich kam es zu einem verstärkten Anspruch auf Selbstbestimmung und eigene Existenzsicherung. Zugleich kommt eine verstärkte Konkurrenz zwischen Abgängerinnen verschiedener Schultypen und Unausgebildeten sowie jungen und alten Frauen. Für kinderlose Frauen eröffnen sich bessere Berufs- und Karrierechancen. Die Mehrheit der Mädchen/Frauen bleibt allerdings beruflich gefährdet, teilweise ungeschützt und in der Regel doppelbelastet.

Tendenziell stößt man beim Übergang von der Schule in die Arbeits- und Berufswelt auf Schwierigkeiten: Beim Einlösen von Ansprüchen, die an die Berufswelt gestellt wreden, stehen nur begrenzte Handlungsräume zur Verfügung. Im Vordergrund stehen marktwirtschaftliche Verwertungsinteressen mit an männlichen Berufsvorstellungen gekoppelten Erwartungen, die sich am vorherrschenden Weiblichkeitsbild orientieren(vgl. FRAKELE-LIST-PAURITSCH 1987, 257-259). Trotz der besseren schulischen Abschlüsse haben Mädchen größere Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Mädchen sind auch zu hoch in der Gruppe der Jugendlichen ohne Ausbildung vertreten.

Im dualen Ausbildungssystem - "Lehre"/betriebliche Ausbildung und Berufsschule - steht Mädchen ein enges, im Vergleich zu Knaben völlig unterschiedliches Berufsspektrum zur Verfügung. Mädchen werden nach wie vor in traditionellen Frauenberufen ausgebildet. Ein- und zweijährige weiterführende Schulen - man denke an Haushaltung- und Hauswirtschaftsschulen - mit kaum verwertbaren Abschlüssen werden weiterhin besucht. Man orientiert sich in der heutigen Gesellschaft - mit EU-Ansprüchen - noch auf die ausschliessliche Rolle als Haus- und Familienfrau. In der Folge erzeugt man bei solchen Orientierungsmustern ein hohes Übergangsrisiko bei einem Berufswechsel. Ebenso behindern geringere Verdienstmöglichkeiten eien Existenzsicherung und lassen Frauen als prädestiniert gelten, während der Familienphase die Berufstätigkeit zu unterbrechen, weil es sich ökonomisch besser rechnet, wenn man aussteigt.

Derzeit stellt sich eine Alternative Frauen- oder Männerberufe nicht. Ganze Berufsbereiche mit überwiegender Frauenbeschäftigung verschwinden oder sind von Rationalisierungsmaßnahmen bedroht. In Berufsfeldern mit Technik und arbeitsorganisatorisch neuer Gestaltung sind Frauen/Mädchen verschärfter Konkurrenz ausgesetzt, man denke an Verwaltung und Management. Modellversuche wie "Töchter können mehr" haben ernüchternd gezeigt, wie realistisch Einschätzungen vorgenommen werden. Unbestritten können heute Mädchen/Frauen mehr Qualifikationen erreichen,, die ihnen früher verschlossen blieben. Unbestritten ist ebenso das hohe arbeitsinhaltliche Interesse der Mädchen, die in gewerblich-technischen Bereichen ausgebildet werden(möchten).

Die bisher aufgezeigten Problembereiche zeigen nur eine Seite des weiblichen Berufsfindungsprozesses. Die andere Seite wird zumeist verschwiegen oder negativ gegen Mädchen gerichtet. Junge Frauen der neunziger Jahre und des beginnenden 21. Jahrhunderts wollen Beruf und die Verwirklichung privater Vorstellungen in Freizeit und Familie. Diese "doppelte Orientierung" ist empirisch abgesichert und dokumentiert den Anspruch, beide Lebenspraxen zu vereinbaren - übrigend auch ein Anspruch, den gleichaltrige männliche Jugendliche vertreten(vgl. JUGEND 2000 - 14. Shell Jugendstudie, Frankfurt/M. 2002, bes. 86-90). Die Differenzierung liegt darin, dass Mädchen Vorstellungen haben, in denen das eine das andere ausschließt.

Nur Mädchen werden gezwungen, über Verzicht oder Doppelbelastung nachzudenken. Im Berufsfindungsprozess der Mädchen verschärfen sich die Probleme. Bei Knaben stehen im Mittelpunkt ihres beruflichen Sozialisationsprozesses die Konzentration auf Berufschancen, Einkommen und Karriere. Mädchen haben dagegen widersprüchliche Verhaltenserwartungen. Sie sollen einerseits die Aufgabe der sozialen Reproduktion im familiären Bereich übernehmen und andererseits ihren Anteil an Erwerbsarbeit mitgestalten. Einserseits diktiert der Erwerbsmarkt, andererseits wird ihnen sofort unterstellt, bei Familiengründung diese Maßstäbe langfristig nicht erfülllen zu können/wollen. In dieser Situation darf es nicht erstaunen, dass Mädchen sich am traditionellen "Drei-Phasen-Modell" Ausbildung-Beruf-Familie orientieren. Eine Mehrheit der Mädchen akzeptiert einerseits die den Frauen zugesprochene Verantwortlichkeit für den privaten Bereich, andererseits ergeben sich aus der Emanzipation Ideologien, die sich in einer Absage an der Mutterrolle zeigen.

Eine doppelte Orientierung der Mädchen lässt auch als Kritik an der Organisation der Erwerbsarbeit auffassen, die sich nur an ökonomischen Kriterien orientiert und Aufstieg und beruflichen Erfolg nur denjenigen ermöglicht, die keine außerberuflichen Verpflichtungen eingehen.

12.6.1.2 Lehrplanarbeit für beide Geschlechter    

Unterstützung bei der Lösung dieser vielfältigen Orientierungsprobleme, die hier beschrieben werden, finden Mädchen beim Übergang von der Schule in die Berufswelt kaum. Zwar haben sich in den letzten Jahren die Lehrpläne geändert - vgl. dazu den Interhinweis www.gemeinsamlernen.at - und emanzipatorische Unterrichtsinhalte fließen in die einzelnen Unterrichtsgegenstände ein, explizite Lehr- und Lernziele sind besonders im schulischen Fachbereich "Berufsorientierung", "Deutsch", "Geographie und Wirtschaftskunde" und "Geschichte und Sozialkunde" enthalten. Kaum ein Mädchen hat die Schule durchlaufen, ohne solche Unterrichtseinheiten nicht wenigstens durchgespielt zu haben, aber gesellschaftliche Hintergründe bleiben zumeist auf der Strecke und/oder werden kaum hinterfragt. Das traditionelle Frauenbild schlägt durch, die Orientierung und die Interessen der Knaben gelten als vorrangig (vgl. SCHUDY 2002, 125-141).

Derzeit vorliegende Konzepte schulischer Berufsorientierung - Berufswahlunterricht; Realbegegnungen/bes. Erkundungen, Projekte und berufspraktische Tage/Wochen; Beratung - erscheinen im Allgemeinen geschlechtsneutral. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass Widersprüche bei der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der spezifische weibliche Berufsfindungsprozess kaum berücksichtigt werden. ''Doppelte Orientierung, Berufsunterbrechung, Probleme des Wiedereinstiegs und Versorgung von Kindern neben der Berufstätigkeit sind kaum Themen schulischer berufspädagogischer Bemühungen. Strukturelle Probleme werden implizit personalisiert und als individuelle Aufgabe der Frau deklariert. So lernen Mädchen über den " (un-) heimlichen" Lehrplan, dass männliche Berufsprobleme wichtiger und dominanter sind. Sie (müssen) lernen, sich in hierarchischer Geschlechtsverteilung einzuordnen und Widersprüchen mit individuellen Lösungen zu zu begegnen (vgl. METZ-GLÖCKEL 1987, 455-474).

12.6.1.3 Ansätze für eine veränderte schulische Berufsorientierung    

Schulische Berufsorientierung - unabhängig von Schulstufen und Schularten - ist dem Gleichheitsgebot des Bundes-Verfassungsgesetzes verpflichtet und hat daher zum Abbau von bestehenden Benachteiligungen von Mädchen(und Knaben) beizutragen. Ebenso geht es um den Abbau von einseitigen und unzureichenden Erklärungsversuchen und -zusammenhängen.

Ziele schulischer Berufsorientierung zur Erweiterung einer individuellen und kollektiven Handlungsfähigkeit von Mädchen (und Buben):

Didaktische Bezugspunkte

  • Ambivalente Erfahrungen
  • Doppel-Orientierung von Mädchen
  • Zusammenhang von Produktions- und Geschlechterverhältnissen
  • Erweiterter Arbeitsbegriff
Vorschläge von problem- und handlungsorientierten Themeneinheiten

Projekt "Mädchen und Berufsfindung" mit folgenden Themeneinheiten:

  • Ansprüche an Arbeit und Beruf
  • Arbeitssituation im Haushalt und in der Familie - Berufsverläufe von Frauen und Männern - einst und jetzt
  • Kosten und Nutzen neuer Technologie - Technik ist auch Frauensache
  • Quotierungsprobleme - Beruf und Familie als Lösungsversuch
Vorschläge von themenzentrierten und projektorientierten Erkundungen/berufspraktische Tage

  • Vergleich der Arbeitssituation im Haushalt (Familie) und Betrieb (Beruf)
  • Vergleich von Belastungen und Entfaltungsmöglichkeiten an Frauen- und Männerarbeitsplätzen (vertikale Arbeitsteilung)
  • Vergleich frauen- und männerdominierter Berufe und Bereiche (horizontale Arbeitsteilung)
Abb. 9: Bildungspolitische Maßnahmen

BILDUNGSPOLITISCHE MASSNAHMEN ZUR ERREICHUNG VON KOMPETENZEN FÜR EINE GLEICHBERECHTIGUNG DER GESCHLECHTER

  • Überprüfung vorliegender Richtlinien auf eine einseitige Orientierung und verkürzte Erklärungszusammenhänge
  • Entwicklung von Materialien und Methoden zur schulischen Berufsorientierung von Mädchen (vgl. Materialien des Ministeriums für die Gleichberechtigung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen "Wir werden was wir wollen!" - Schulische Berufsorientierung (nicht nur) für Mädchen, Bd.1-6, Düsseldorf 1992/1993/1995
  • Verankerung themenzentrierter, projektförmiger Erkundungen im Stundenplan
  • Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung zur Thematik "Mädchen und Berufsorientierung" und
  • Kooperationsmodelle mit außerschulischen Einrichtungen/ AMS, Kammern, Ausbildungszentren und Privatinitiativen
12.6.1.4 Zusammenfassung    

Ein noch so gutes didaktisches Konzept zur Berufsorientierung verändert nicht den geschlechtspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Gesellschaftliche Defizite dürfen nicht den Jugendlichen angelastet werden. Schulische Berufsorientierung kann dazu beitragen, dass sich Mädchen nicht als Objekte von bestimmten Zwängen der Berufswelt erfahren, sondern vielmehr als Subjekte ihrre persönlichen Lebensverhältnisse bestimmen. Viele Fragen, die nicht durch einen Berufsorientierungs-, Deutsch-, Geographie- und Wirtschaftskunde- und Geschichte - und Sozialkundeunterricht in Verbindung mit politischer Bildung/Erziehung und vorberuflicher Bildung/Erziehung beantwortet werden können, lassen sich durch mehr Wissen und die Erkenntnis, dass die Arbeits- und Berufswelt von Menschen nach bestimmten Interessen und Möglichkeiten gestaltet wird, besser in den Griff bekommen.

Für einen solchen Lern- und Erkenntnisprozess im Rahmen einer längerfristigen Berufsfindung/Schulwahl ist das schulische Repertoire vorberuflicher Bildung/Erziehung notwendig, weil

  • Schule durch gemeinsames kontrolliertes Lernen einen Qualitätsnachweis ermöglicht,
  • Schule durch Bearbeiten von Problemen - fächerübergreifend und projektorientiert - analysierend und handlungsorientiert arbeiten kann,
  • Schule im Fachbereich "Berufsorientierung" lebensbegleitendes und -förderndes Lernen ermöglicht und Schülern existentielle Grundlage für später mitgibt sowie
  • durch ein Methodenrepertiore Fragen aufwerfen und durch Realbegegnungen zu beantworten versucht, die im Alltag kaum oder gar nicht angesprochen werden.
Eine Aufwertung einer solchen Berufsorientierung - derzeit als verbindliche Übung in der Sekundarstufe I und als unverbindliche Übung/ AHS-Oberstufe in der Sekundarstufe II - erscheint (mehr als) gerechtfertigt (vgl. DICHATSCHEK 1998, 493-497).

12.6.2 Benachteiligungsaspekte von ausländischen Jugendlichen    

Mehr als die Hälfte der jungen Frauen und beinahe 50 Prozent der jungen Männer ausländischer Nationalität, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind und in Österreich leben, haben keinen beruflichen Ausbildungsabschluss. Ein Teil dieser Gruppe ist arbeitslos, ein Teil ist auf dem grauen Markt der Gelegenheitsarbeiten und ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse oder arbeitet als Ungelernte. Gerade für Ausländer ist aber die abgeschlossene Berufsausbildung eine fast unabdingbare Garantie für einen Arbeitsplatz.

Alle verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass gerade junge Türken besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Alle ausländischen Jugendlichen haben eine deutlich geringere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Besonders problematisch ist die Situation ausländischer Mädchen. Obwohl sie bei der Wahl der Schulform und bei der Benotung erfolgreicher abschließen, ist ihre Ausgangssituation im Bergleich zu österreichischen Mädchen und ausländischen Knaben deutlich schlechter.

Für die Benachteiligung ausländischer Schüler sprechen die schlechteren Sprachkenntnisse, ihre niedrige Zahl an AHS und BHS, die große Zahl derer, die keinen regelmäßigen und für Ausländer spezifischen Berufswahlunterricht in der Sekundarstufe I besuchen und die geringe Zahl der Lehrlinge mit Lehrabschluss. Dazu kommt in der Regel ein anderes Berufswahlverhalten, das ein Teil ausländischer Jugendlicher besitzt. Oberflächlich sind die Berufswünsche ähnlich denen österreichischer Jugendlicher, die Gründe für die Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter Berufe sind jedoch anders, wobei bei der Berufswahl noch andere Faktoren zum Tragen kommen: frühe Heirat, Religion, Gesellschaftsrolle, Heimkehr, Verdienstmöglichkeiten und Selbstwertgefühl/Ehre der Familie.

Die geringeren Ausbildungsquoten verlangen über die bisherigen Aktivitäten hinaus zusätzliche Bemühungen von Institutionen und Personen(-gruppen), die am Berufsfindungs- und Berufswahlprozess beteiligt sind. Dies gilt besonders für die Bereiche der

  • Verbreitung nationalitätenbezogener Medien für die Berufsorientierung und Jugendberatung
  • Verstärkung der Elternarbeit
  • Intensivierung der Kooperation aller Gruppierungen - Schule, Beratungsstellen, Sozialpartner/Kammern und Gewerkschaftsbund (ÖGB) - mit der Zielsetzung, einen Regionalverbund für Berufsorientierung ausländischer Jugendlicher aufzubauen:
    • Berufswahlunterricht für ausländische Jugendliche
    • Ausländer-Beratungsdienst
    • Medienverbund für ausländische Jugendliche und Eltern und
    • besondere Angebote für ausländische Mädchen/Projektinitiativen und Kooperationsmodelle in/mit Jugendzentren.
Zu beachten ist jedenfalls bei allen berufsorientierenden Maßnahmen für Jugendliche ausländischer Herkunft die Gefahr von Aversionen und Vorurteilen auch bei jenem Teil der Bevölkerung, die sich bisher mit dieser Thematik kaum oder gar nicht beschäftigt haben.

Vom Gastarbeiter zur Minderheit - Türken in Deutschland
EU-Vergleich

Rund 3,5 Millionen türkische Staatsbürger leben derzeit - verteilt in Europa, Nordafrika, im Mittleren Osten, Saudi-Arabien und Australien - im Ausland. Die Mehrheit davon - etwa 3 Millionen - ist in Europa, von denen wiederum der größte Teil in Deutschland lebt(1997: 2 107 426). Die nächstgroße Gruppe von türkischen Staatsbürgern lebt in Frankreich, gefolgt von den Niederlanden und Österreich.

Die eigentliche Migration erfolgte ab 1961 mit dem Anwerbeabkommen mit Deutschland, weitere Verträge wurden 1964 mit den Niederlanden, Belgien und Österreich, 1965 mit Frankreich und 1967 mit Schweden abgeschlossen. Von Anfang an betrachtete die Türkei die Migration als wirtschafts- und innenpolitisches Mittel, Problembereiche aufzufangen. Dementsprechend bemühte man sich auch nicht um eine Migrationspolitik, wobei kulturelle, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Probleme einer Migration beachtet wurden. "Eine Hilfestellung für die Arbeitnehmer selbst blieb aus" (CIGDEM-ÖZBEK-SEN 1998, 305). Mitte der siebziger Jahre kam es zur Nachholung der Familienangehörigen, mit dem Nachzug änderten sich die Lebensbedingungen, insbesondere kam es zu einer besseren Ausbildungsmöglichkeit der Kinder. Damit verschoben viele Migranten eine Rückkehr in die Türkei. Als Folge der Erdölkrise 1973 kam es zu einem Aufnahmestopp ausländischer Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten. Zu Beginn der achtziger Jahre begann man die Rückkehrbereitschaft zu fördern, immerhin erreichte die Rückkehrerquote zwischen 1981 und 1984 fast 15 Prozent. Ein erheblicher Teil der zweiten Generation, der hier Schule und Berufsausbildung absolvierte, möchte gar nicht mehr oder erst in ferner Zukunft in die Türkei zurückkehren. Daher stehen türkische Pensionisten vor der Wahl, entweder allein in die Türkei zurückzukehren oder in Europa zu bleiben.

Zu beachten ist auch, dass die ältere Generation immer weniger nahestehende Verwandte in der Türkei hat. Soziale Kontakte mit der Heimat haben sich abgeschwächt, die jüngere Generation hat ihren Freundeskreis hier aufgebaut. Sieht man sich die Aufenthaltsdauer der Türken an, so hat ein Großteil der ersten Generation mehr als die Hälfte ihres Lebens hier verbracht, für die zweite und dritte Generation, die hier geboren wurde, gibt es kein anderes Land, dessen Alltag, Lebensweisen und gesellschaftliche Strukturen man kennt.

Dass dennoch Türken sich eine Rückkehroption in ihre Heimat offen lassen, ist mit ihrer Gefühlswelt und der mitunter großen Isolierung in Westeuropa zu erklären(1999: Rückkehrerquote 2,3 Prozent). Ein ebenfalls wichtiger Grund für den Aufenthalt in Westeuropa sind die Entwicklungen in der Türkei. Die starken Veränderungen lassen vielen Migranten ihre Heimat fremd erscheinen. Viele Migranten stehen vor dem Phänomen einer doppelten Fremdheitserfahrung, die sie oftmals zum Bleiben bei der Familie veranlasst. Hinzu kommen noch die inzwischen perfekten Kommunikationsmedien: Telefon und TV, zeitgleich im Informationsstand mit den Verwandten. Nicht zu übersehen sind auch, durch den gewachsenen Wohlstand, häufigere Besuche der türkischen Migranten in ihrer Heimat. Eine türkische Infrastruktur in Deutschland ermöglicht und erleichtert gruppenspezifische und bedürfnisorientierte Angebote für den Alltag: Organisationen, Moscheen, Freundeskreis, Geschäfte, Lebensmittel und kulturelle Angebote.

Neben dem Verbleiben türkischer Migranten in den Gastländern Westeuropas will die Türkei nicht auf die engen Bindungen der Migranten zu ihrer Heimat verzichten, zumal man finanziell profitiert. Wirtschaftliche Kooperationen - man denke hier besonders an den Tourismus und Handel, aber auch an die Wissenschaft - und der politischer Wille, Europa näher zu kommen - man denke hier an einen möglichen EU-Beitritt(wobei die Türkei im Europarat und der NATO schon lange politische Beziehungen zu Europa hat) - bestimmen das Verhältnis zum Land.

Jene Benachteiligungen, denen Ausländer aus Nicht-EU-Staaten ausgesetzt sind, basieren besonders auf Einschränkungen politischer Mitbestimmung. So fordern türkische Selbstorganisationen ein kommunales Wahlrecht in Deutschland. Ein EU-Bürger mit mindestens dreimonatiger Aufenthaltsdauer darf nach den Maastricht-Verträgen an Kommunalwahlen teilnehmen, ein türkischer Staatsbürger mit 36 Jahren Aufenthalt in Deutschland hat als Nicht-EU-Bürger kein kommunales Wahlrecht. In der Literatur der politischen Bildung wird daher auch von dieser Widersprüchlichkeit gesprochen und der Begriff Dreiklassengesellschaft mit unterschiedlichen Rechten verwendet: den deutsche Bürgern, den Unionsbürgern und den Drittstaaten-Angehörigen. In Deutschland stammen etwa zwei Drittel der ausländischen Migranten aus Drittstaaten, womit der Grad der Ungleichbehandlung deutlich wird.

Die dzt. ohne Ergebnis geführten Diskussionen um eine Doppelstaatsbürgerschaft zeigen eine weitere Härte. Das größte Hindernis für einbürgerungswillige Türken war bislang die Weigerung des türkischen Staates, seine Bürger aus der Staatsangehörigkeit zu entlassen. Zu beachten sind auch daraus entstehende Nachteile im Erbrecht, Pensionsrecht und beim Erwerb von Grund und Boden. Psychologisch gibt es das Problem, dass eine Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft gleich einem Verzicht der kulturellen Identität empfunden würde. In diesem Zusammenhang wird man die steigende Fremdenfeindlichkeit beachten müssen, denn im schlimmsten Fall besteht dann noch die Möglichkeit einer Rückkehr.

Trotz der vielen positiven Ansätze einer Integration von Türken in Deutschland, "[...] ist das Land auf dem Weg in eine multikulturelle Gesellschaft ins Stolpern geraten. Für die Bundesrepublik ist zur Zeit eher eine bikulturelle Gesellschaft zu konstatieren, in der sich die Türken wie die anderen ausländischen Bevölkerungsgruppen mit einer relativ eigenständigen sozialen und politischen Infrastruktur eingerichtet haben...Obwohl sie zur Heimat ihrer Eltern nur flüchtige Bindungen haben, die deutsche Sprache in den meisten Fällen besser sprechen als die türkische und sich in Deutschland zu Hause fühlen, wurden und werden sie als Ausländer behandelt. Ihre Andersartigkeit und Nichtzugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft sowohl aufgrund gesetzlicher Rahmenbedingungen als auch unterschiedlicher Verhaltensweisen werden immer betont. Diese Situation löste bei vielen Jugendlichen einen 'Identitätssucheprozess' aus....Die Jugendlichen suchten in der 'eigenen Kultur' oder in der ihrer Eltern , die die Jugendlichen für sich allerdings anders definierten, Zuflucht. Beispiele dieser äußerlichen Betonung sind die Ketten mit Halbmond und Stern oder aber auch das Kopftuch"(CIGDEM-ÖZBEK-SEN 1998, 312-313). Traditionelle Werte und ein Rückzug aus der deutschen Gesellschaft sind beobachtbare Folgen. Die Migrationsforschung sieht darin Gefahren von Selbstisolierung und zunehmendem Radikalismus.

Am deutschen Arbeitsmarkt sind durch die seit Jahren bestehende Massenarbeitslosigkeit auch gut ausgebildete jungen Türken betroffen. Da türkische Arbeitnehmer in Krisenbranchen besonders vetreten waren, gehören sie zu den Hauptverlierern dieser Entwicklung. Mit einer Quote von 25,9 Prozent lagen sie im März 1997 deutlich über dem Durchschnitt - zum Vergleich: die Arbeitslosigkeit bei deutschen Arbeitnehmern lag bei 11 Prozent.

So bewegt sich die türkische Minderheit zwischen Integration und Isolation. Eine zukunftsorientierte Ausländerpolitik könnte den Migranten zeigen, dass sie in der hiesigen Gesellschaft willkommen sind - bei Österreich denkt man an die Bevölkerungsentwicklung um 1900 in der Monarchie - und in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein wirkliches Bild der Situation als Bereicherung darstellen(vgl. DICHATSCHEK 2004, 99-101).

Internethinweis:

http://salzburg.orf.at/stories/169067/

12.7 Teilbereiche vorberuflicher Bildung    

Mit den drei Bereichen der dualen Ausbildung, dem Umweltschutzgedanken und einer politischen Bildung/Erziehung in der vorberuflichen Bildung/Erziehung - Jugendliche in ihrer persönlichen Berufsentscheidung, Jugendliche als Auszubildende und Arbeitnehmer sowie Jugendliche in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung - sollen diese wesentlichen Teilaspekte den Beitrag abschließen.

12.7.1 Duale Ausbildung - Lehrlingswesen    

12.7.1.1 Grundsätzliches zum Lehrlingswesen    

Veränderungsbedarf in der berufliche Erstausbildung entsteht durch einen notwendigen Qualifikationsbedarf, der wirtschaftliche und soziale Gründe hat. Der Veränderungsdruck ist also begründet, weil Ausbildungssysteme nicht am notwendigen Bedarf vorbei produzieren können. Mit dem Strukturwandel der Wirtschaft zu einer fundierten Industrie- und Dienstleistungswirtschaft verändert sich der Ausbildungsbedarf. "In Produktions- und Handwerksberufen hat sich der Dienstleistungsanteil in den auszuübenden Tätigkeiten erhöht, im Handel sind neue Qualifikationen in Richtung des Fachberaters gefordert. Mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel geht der Wegfall von gering qualifizierten Jobs im primären und sekundären Sektor einher. Die Integration von Jugendlichen ohne Ausbildung in die Berufswelt über gering qualifizierte Beschäftigung wird damit immer schwerer. Das Lehrlingswesen gerät dabei unter Erwartungsdruck einer Öffentlichkeit, die faktisch die Vollintegration in Erstausbildung für alle Jugendlichen, die keine schulische Bildung machen können oder wollen, über duale Ausbildungsgänge fordert. Berufliche Integration ohne Ausbildung wird dabei einerseits zur gesellschaftlichen Normabweichung, andererseits strukturell bedingt am Arbeitsmarkt immer schwieriger. Gleichzeitig nimmt die Zahl der angebotenen Lehrstellen ab, die Mindestanforderungen für eine reguläre Erstausbildung in Lehre oder Fachschule steigen tendenziell in Relation zum Bewerberstrom an. Damit sind wesentliche Aspekte von Modernisierungsbedarf angesprochen" (SCHNEEBERGER-NOWAK 2000, 11).

Österreich ist nach wie vor ein Land mit mit relativ hoher Lehrlingsquote (3,4 Prozent - im Vergleich Deutschland und Schweiz mit 5 Prozent). Zu beachten ist der viel stärkere Stellenwert der berufsbildendenen mittleren und höheren Schulen in Österreich (BMS/BHS). Zudem gibt es einen häufigen Wechsel nach dem ersten Jahr einer BMS/BHS sowie der 5. Klasse der AHS in eine duale Ausbildung, der Anteil der Absolventen höherer Schulen - mit Reifeprüfung - ist auffallend gering (1998/99 0,5 Prozent der Lehranfänger). 90 Prozent der Lehranfänger sind in Österreich etwa 15-16 Jahre alt. Damit unterscheidet sich Österreich von den übrigen EU-Ländern mit dualer Ausbildung, besonders Deutschland(auch Dänemark und die Niederlande) hat einen hohen Anteil von Absolventen der mittleren Reife und mit Reifeprüfung.

Die Polytechnische Schule (PTS), einjährige (Haushalt, Landwirtschaft) und zweijährige Fachschulen (Hauswirtschaft), teilweise dreijährige landwirtschaftliche Burschenschulen sowie die BHS mit ihren "Abbrechern" sind in der Regel mit ihrer Schülerklientel Zubringer für das duale Ausbildungssystem (vgl. JÄGER 2001; SCHNEEBERGER 2004, 1-4).

Die vollzeitschulische Ausbildung beginnt in Österreich in der 9. Schulstufe und damit im ersten Jahr der Ableistung des letzten Jahres der Schulpflicht, während die Lehrlingsausbildung erst auf der 10. Schulstufe beginnt. Dadurch erklärt sich der Wechsel von den berufsbildenden weiterführenden Schulen in die duale Ausbildung.

Von Interesse ist die Schaffung neuer Lehrberufe mit einem Modernisierungsschub, wobei neben einer inneren Gliederung von Lehrberufen (Modularisierung) auch Branchenspezialberufe eingeführt wurden. Der technisch-wirtschaftliche Wandel benötigt eine Ausbildungsabsicherung für künftige Fachkräfte.

Der Sinn des Modularisierungskonzepts resultiert aus dem Spannungsverhältnis zum Berufsbegriff. Gäbe es nur fertige Berufsausbildungen, die nicht aufteilbar wären, könnte es keine Modularisierung geben. Die Realität ist ein Kompromiss, da Ausbildungen nur mehr in Teilbereichen genau auf einen Beruf ausgerichtet sind. Ausbildungen bedürfen Spezialisierungen in einem Berufsbereich (-feld).

Erwachsenenbildungseinrichtungen bieten verkürzte Lehrlingsausbildungen in Kursform an, wobei die Kurse modularisiert angeboten werden.

Die Ausbildung in Doppellehren/ zwei Lehrberufen(1999: 11 Prozent der Lehrlinge)praktiziert seit langem das Modularisierungsprinzip.

Für Jugendliche, die weder eine BMS machen wollen oder können(da kein regionales Angebot vorhanden ist), noch von einem Lehrberechtigten als Lehrling aufgenommen werden, gibt es alternative Angebote: die Anlehre, Vorlehre (1. Lehrjahr zeitlich verlängert), vereinfachte Lehrberufe oder zusätzliche Fachschulen (BMS).

Im EU-Vergleich besteht ein Nachholbedarf bei Teilqualifizierungen. Zertifizierte Ausbildungsteile unterhalb einer vollen Lehrlings- oder Fachschulausbildung haben offensichtlich einen geringen bis gar keinen Stellenwert. Es bleibt daher abzuwarten, welche Rolle die Vorlehre hier spielen kann, denn im Kern geht es um jene Gruppe Jugendlicher, die eine erweiterte soziale und berufliche Integration benötigen, weil sie mit Abschluss der Schulpflicht (15 Jahre/9. Schulstufe) (noch) nicht in der Lage waren, eine Lehrstelle oder einen Fachschulplatz zu erhalten. Die Frage dieser betrieblichen und schulischen Einrichtungsmöglichkeiten bzw. einer rechtlichen Übertrittsmöglichkeit ist noch offen. Die Vorlehre ist derzeit das erste Modell einer Teilzeitqualifizierung in Österreich.

Diskussions- und beschlusswürdig sind noch die Fragen von Kernbereichen und Wahlpflichtmodulen in einer allgemeinen Gliederung von Lehrberufen nach Berufsfeldern, zeitlicher und inhaltlicher Differenzierungen je nach Lerntempo der Jugendlichen und Möglichkeiten der Lehrbetriebe (Spezialisierung, zwischenbetriebliche Ergänzungen), aber auch die Frage der Entscheidung über eine Modulauswahl.

12.7.1.2 Tiroler AK-Studie 2004: Berufsverbleib von Lehrlingen    

Von besonderer Aktualität für die duale Ausbildung ist die Tiroler AK-Studie 2004 "Berufsverbleib von Lehrlingen" des Innsbrucker SOFFI-Instituts(Soziales Förderungs- und Forschungsinstitut), die Berufsbiographien der Tiroler Absolventen_nnen einer Lehrlingsausbildung untersuchte. Dabei wurden zwei Vergleichsgruppen - je nach Lehrabschluss vor fünf oder zehn Jahren - gebildet und verglichen. Neben einer Analyse sämtlicher relevanter Daten der Gebietskrankenkasse wurden 1 000 telefonische Interviews sowie weitere 35 persönliche Vertiefungsinterviews geführt. Die Zusammenführung des Zahlenmaterials mit den Angaben und Erfahrungen der Auskunftspersonen verschafft einen klaren Überblick, wie "Karriere mit Lehre" erlebt wird. Gerade die duale Ausbildung erhebt den Anspruch auf eine bedarfsgerechte Ausbildung. Die hier vorgestellten Daten vermitteln für die aktuelle Lehrlingsdiskussion interessante Erkenntnisse.

So ist die Zahl der Berufswechsler innerhalb der Lehrzeit bei ehemaligen Lehrlingen, die vor zehn Jahren ihre Lehre beendet hatten, nur noch neun Prozent. Beim Abgangsjahrgang fünf Jahre später waren es bereits 15 Prozent. Als Motiv geben 34 Prozent andere Vorstellungen vom Lehrberuf an, 25 Prozent hatten Schwierigkeiten mit Vorgesetzten(besonders Tourismus und Bau). Weitere Gründe waren die berufliche Erstentscheidung, so das Fehlen konstanter Bezugspersonen, einseitige produktive Beschäftigung anstelle von Ausbildung und das Ausmaß der verlangten Arbeitsleistung(besonders im saisonalen Bereich).

Das bedeutet, dass die scheinbare Kontinuität innerhalb der dualen Lehrlingserstausbildung eine Fiktion darstellt. Die viel besprochene und geforderte Mobilität und Flexibilität am Arbeitsmarkt greift bereits in die Ausbildungsverhältnisse zumeist minderjähriger Jugendlicher in der Lehre mit erheblichem Anpassungsdruck.

Keineswegs wird die Berufswahl der ehemaligen Lehrlinge als bewusste, reflektierte und seriöse Entscheidung dargestellt. 30 Prozent geben an, dass sie die Berufswahl überfordert hat. 31 Prozent meinen, dass sie sich ausführlicher informieren hätten sollen. 42 Prozent sind der Ansicht, dass sie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht soweit waren, sich konkret für einen Beruf zu entscheiden.

Überraschend war das Ergebnis des Einflusses der Eltern auf die Berufswahlentscheidung. Eltern sind mit Abstand hier die schwächste Komponente, offensichtlich halten sie sich laut Studie zunehmend aus dem Berufswahlprozess heraus bzw. lassen ihre Kinder mit dieser schwierigen Frage auch allein. Die angeführte Überforderung der Jugendlichen scheint auch bei ihren Eltern vorzuliegen. Der Einfluss der Eltern reduziert sich auf die Vorgabe, irgendeinen Beruf abzuschließen.

Besondere Bedeutung hat auch das regionale Lehrstellenangebot. Durchschnittlich 39 Prozent der Ex-Lehrlinge mussten ihre Berufswünsche vor dem Hintergrund des lokalen Lehrstellenmarktes abändern bzw. adaptieren.

Nicht weniger als 41 Prozent der ehemaligen Lehrlinge würden sich heute für einen anderen Lehrberuf entscheiden. Signifikant höher ist dieser Anteil im Ballungsraum Innsbruck(48 Prozent), große Unzufriedenheit herrscht weiters bei Lehrabsolventen aus Handelsberufen sowie aus dem Bereich körperbezogener Dienstleistungen(etwa Friseure). Je selbstständiger - also ohne Elterneinfluss - die Berufswahl getroffen wurde, umso stabiler blieb sie auch.

Nur 41 Prozent der Lehrabgänger sind nach fünf bis zehn Jahren noch im gelernten Beruf tätig. Bei den Absolventen vor zehn Jahren liegt dieser Anteil bei 39 Prozent, bei jenen, die vor fünf Jahren die Lehre abgeschlossen haben, bei 44 Prozent. Überdurchschnittlich ist der Verbleib in den Bereichen Maschinen/Kfz(49 Prozent) und Büro (47 Prozent), unterdurchschnittlich im Handel (35 Prozent), Tourismus (35 Prozent)und bei körperbezogenen Dienstleistungen (33 Prozent). Entscheidend ist auch die Betriebsgröße: Lehrabsolventen aus Großbetrieben sind nach fünf bzw. zehn Jahren noch mehrheitlich im gelernten Beruf tätig (56 Prozent). Absolventen aus Kleinbetrieben nur zu 36 Prozent.

Kaum überraschend sind die Auswirkungen der biographischen Entwicklung auf den Berufsverbleib bei Frauen: Nach fünf Jahren sind 39 Prozent der Frauen noch im gelernten Beruf, nach zehn Jahren nur mehr 28 Prozent. Die Gründe sind in der Regel die Familienphase - etwa die Babypause - mit beachtlichen Auswirkungen auf die berufliche Kontinuität.

Erfahrungen in Lehrbetrieben und Berufsschulen werden von den Absolventen durchwegs im Rückblick positiv gezeichnet. 61 Prozent geben immerhin der Zeit im Lehrbetrieb die Note 1 oder 2. 13 Prozent - bei Frauen 17 und Männern 8 Prozent - vergeben die Noten 4 und 5. Obwohl im Einzelnen viele Lehrlinge Belastungen und Ungereimtheiten während der Lehrzeit in das Treffen führen, wird die Zeit der Berufsausbildung rückblickend überwiegend als wichtige und identitätsbildende Erfahrung dargestellt.

Die Brauchbarkeit des in der Lehre erworbenen Wissens korreliert naturgemäß mit der jetzigen beruflichen Tätigkeit. Über 90 Prozent der noch im gelernten Beruf Tätigen können das Erlernte wenigstens teilweise verwenden. Der Wert sinkt bei den Berufswechslern auf 55 Prozent.

Die duale Lehrlingsausbildung wird in der Studie als Vorbereitung auf die Berufswelt grundsätzlich als geeignet angesehen, wobei allerdings die eindimensionale Festlegung auf eine genau bestimmte Berufsbiographie im Vordergrund steht. Wünschenswert wäre, so die AK Tirol, dass die berufliche Ersterfahrung in der Lehrzeit dem von einer steigenden Zahl der Absolventen zu gewärtigenden Berufswechsel Rechnung trägt.

Abschließend zieht die Studie fünf Folgerungen:

  • Berufsorientierung an der Schwelle zum Übergang in die Arbeits- und Berufswelt ist durch weitere und vermehrte Angebote von Praxiserfahrung vor allem qualitativ zu verbessern. Eine weitere Vorverlegung des Berufswahldruckes auf jüngere Jugendliche sei in Anbetracht der künftigen Mobilität aber weder notwendig noch wünschenswert.
  • Die Lehrlingsausbildung muss völlig neu als Start in das Arbeitsleben insgesamt und weniger als Einbindung in eine spezifisch berufliche Tätigkeit verstanden werden, weshalb berufsübergreifende und allgemeinbildende Inhalte sowie Schlüsselqualifikationen einen völlig neuen Stellenwert zugewiesen bekommen müssen.
  • Es bedarf einer ausbildungsbegleitenden "Berufslaufbahnberatung" spätestens ab Beginn des letzten Lehrjahres, um die Lehrlingen auf bevorstehende Brüche vorzubereiten und Entwicklungsmöglichkeiten rechtzeitig aufzuzeigen.
  • Begrüßt wird eine gewisse Anpassung des starren Berufskonzepts der dualen Ausbildung in Richtung eines modular aufgebauten Curriculums, besonders zur Vermeidung einer Qualitätsverminderung der abgeschlossenen Erstausbildungen. Angedachte Modularkonzepte müssen in Richtung Hebung der Qualifikation und Ausweitung der beruflichen Möglichkeiten gehen und dürfen nicht zu Schmalspurabschlüssen führen.
  • Zur Vermeidung von Abbrüchen während der Lehrzeit muss das pädagogische Umfeld verbessert werden, etwa die Ausbildung der Ausbilder, Mentorensystem in den Betrieben und flexible "Helferkonferenzen" zwischen Ausbilder und Berufsschullehrern.
12.7.2 Umwelterziehung    

In auffallend positivem Ausmaß wächst das Bewusstsein Heranwachsender, sich für die Erhaltung der Umwelt einzusetzen. Ohne Zweifel sind die Leitfächer Sachunterricht (Grundschule) und Biologie und Umweltkunde (Sekundarstufe I und II) in der pädagogischen Verantwortung. Damit ist dieser Teilbereich in der vorberuflichen Bildung - als Umwelterziehung definiert - angesprochen.

Das Zusammenwirken ökologischer Systeme und ihre Abhängigkeiten bedeuten, dass die Zerstörung des einen eine katastrophale Folgewirkung für alles andere hat. Daraus ergeben sich zwei Bereiche eines Engagements für den Umweltschutz:

  • Der unmittelbar persönliche Bereich - privat und beruflich - vom Einkauf über die Haushaltsführung und der Abfallwirtschaft bis zum Einhalten aller Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz und dem Engagement für betriebliche Umweltschutzmaßnahmen sowie
  • die Verantwortung im kommunalen und regionalen Lebensraum mit Natur-, Boden- und Landschaftsschutz - man denke an das Klimabündnis der Gemeinden - sowie der Verantwortung für einen internationalen Umweltschutz.
Umweltschädigendes Verhalten ist verantwortungsloses Handeln an der Gesellschaft, da alle die Konsequenzen tragen. Damit ist Umwelterziehung i.w.S. auch politische Erziehung/ Bildung (vgl. DICHATSCHEK/GADERER-WITERNA/GUMPELMAIR/STOCKHAMMER 1991, 198-199).

Schulische Berufsorientierung vermittelt im Unterricht zukünftige Arbeitsbereiche mit Sicherheitsvorkehrungen, gesundheits- und umweltschädigenden Stoffen und Verhaltensweisen, Gefahren in der Arbeits- und Berufswelt und damit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Vermeidung bzw. Verringerung von verschiedensten Belastungen und eines persönlichen Engagements für Verbesserungen der Gesundheit und der Umwelt. Alternatives Denken und Handeln erscheint in diesem Zusammenhang wichtig.

Im Berufsleben zeigen sich Phänomene, die das Spannungsverhältnis Ökologie vs. Ökonomie für den Einzelnen persönlich aufzeigen - Lohnzuschläge bei gesundheitsgefährdenden Arbeiten/Staub, Lärm und Hitze. Schule wird vom persönlichen Erlebnisbereich der Schüler ausgehen und entsprechendes Handeln in einem Erziehungsprozess einfordern: Trennung von Müll, Altkleidersammlung; Aspekterkundungen in Betrieben und menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung sind aktuelle Themenbereiche(vgl. STEYERER -BRAUN 1985).

Selbstverständlich werden auch wirtschaftskundliche/makroökonomische Aspekte zur Diskussion stehen, denn der internationale Transitverkehr im alpinen Raum ist für weite Bereiche der Verkehrs-, Handels- und Tourismusberufe sowie der Zulieferwirtschaft in technischen Wirtschaftszweigen ein wesentlicher Faktor. Seilbahnwirtschaft vs. Landwirtschaft hat regionale Bedeutung und damit für viele persönliche Konsequenzen. Fächerübergreifende Kooperationen - Projekte, Kurse, Rahmenthemen - können sich Themenbereichen nähern, die aktuellen Bezug zum Alltag und Arbeits- und Berufsleben haben: Klima der Erde, Kontinuität und Veränderung des Lebens - Gentechnik, Licht und Farbe im Alltag sowie Medizin und naturwissenschaftlicher Fortschritt(vgl. SCHUDY 2002, 282).

Ökologisches Denken, Wissen und Handeln sind für den Einzelnen und die Gesellschaft von größter Bedeutung und machen damit pädagogisches Handeln erforderlich.

12.7.3 Politische Bildung in der Vorberuflichen Bildung    

Ohne die Aneignung bestimmter Qualifikationen und Orientierungen können humane und demokratische Ordnungen weder geschaffen noch im Interesse der Mehrheit weiterentwickelt werden, auch nicht im Bereich gesellschaftlicher Arbeit und beruflicher Tätigkeiten.

Hierfür sollten neben technischen, organisatorischen, wirtschaftlichen und sozialen Qualifikationen sowie Kritikvermögen und Phantasie vor allem arbeitsrechtliche, arbeitswissenschaftliche und sozioökonomische Kenntnisse in Verbindung mit der Bereitschaft und Fähigkeit zu selbstständigem beruflichen und solidarischem politischen Handeln und Lernen erworben werden.

Vorberufliche Bildung/Erziehung eignet sich besonders dazu,

  • Heranwachsenden gesamtgesellschaftliche Vorgänge und Zusammenhänge, Interessenskonflikte, deren Bewältigungsversuche und mögliche Auswirkungen für gesellschaftliche Gruppierungen darzulegen und
  • Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und so an einer Erziehung zu politisch denkenden und handelnden Menschen mitzuwirken.
  • Vorberufliche Bildung - und damit schulische "Berufsorientierung" - analysiert Berufe, Berufsbilder, Ausbildungen, setzt sich mit persönlichen Neigungen und der Eignung auseinander und führt letztlich zu einer Umsetzung des Gelernten, also zu einer Handlungskompetenz (Berufswahl-).
Anleitungen zu aktivem Verhalten stehen im Vordergrund pädagogischer Bemühungen der Politischen Bildung/ Erziehung. Dies bedeutet für den Fachbereich "Vorberufliche Bildung", keine negativen Situationen einfach hinzunehmen, sondern vielmehr Interesse und Wille zum persönlichen Einsatz für positive Veränderungen in der Arbeits- und Berufswelt zu zeigen.

In drei wesentlichen Bereichen gilt es, Heranwachsende zu begleiten:

  • in ihrer persönlichen Berufsentscheidung (Schul-, Studien- und Berufswahl),
  • als Arbeitnehmer und Auszubildende und
  • in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
12.7.3.1 Heranwachsende in ihrer persönlichen Berufsentscheidung    

Emanzipatorische Erziehung in der vorberuflichen Bildung bedeutet die Verringerung unfreiwilliger Abhängigkeiten, die Erweiterung ihrer Chancen und Fähigkeiten und die Kenntnis gesellschaftlicher Steuerungsmechanismen. Zur weiteren Demokratisierung der Gesellschaft bedarf es mündiger Bürger mit zunehmenden Qualifikationen.

In der anzustrebenden Persönlichkeitserziehung im Fachbereich "Vorberufliche Bildung" ergeben sich pädagogische Bereiche zur Selbstfindung, die in Form persönlicher Begabungen, Neigungen, Eignungen, Wünsche, Bedürfnisse und Schwächen Arbeitsfelder emanzipatorischer Erziehung sind.

Zwei Fragestellungen sollen die Thematik der persönlichen Berufsentscheidung näher beleuchten.

(1) Welche Interessen und Beeinflussungen stecken hinter den Wünschen von Mädchen, die bewirken, dass diese Gruppe seit Jahren ihre beruflich Laufbahn in einem hohen Ausmaß in der dualen Ausbildung auf fünf Berufe ausrichten?

(2) Wer oder was bewirkt die Vorstellung von Mädchen über die eigene Berufstätigkeit, die immer noch nur als Überbrückung zur Familiengründung gesehen und entsprechend vernachlässigt wird, wenn fast 50 Prozent der Berufstätigen Frauen sind?

Die Befähigung zum Erkennen sozialer Zuordnungen und Manipulationen, ihren Bedeutungen und Auswirkungen für die Jugendlichen derzeit und im späteren Berufs- und Privatleben sollte ein weiteres Ziel politischer Bildung in der vorberuflichen Bildung/Erziehung sein(vgl. DICHATSCHEK/GADERER-WITERNA/GUMPELMAIR/STOCKHAMMER 1991, 194).

12.7.3.2 Heranwachsende als Auszubildende und Arbeitnehmer    

Vorrangig ist hier die unmittelbare Zukunft Jugendlicher gemeint, wobei nicht auszuschließen ist, dass eine spätere berufliche Laufbahn als Selbstständige weitergeführt wird. Vorerst wird man jedoch von einem abhängigen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis ausgehen.

Ausgehend von der Interessenslage wird man bei rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausbildung und Beschäftigung anknüpfen. Vor- und Nachteile - man denke an die duale Ausbildung, die Berufsausbildung in mittleren und höheren berufsbildenden Schulen sowie bestimmter beispielhafter Studiengänge an Universitäten/Fachhochschulen - sind aufzuzeigen, ihre Bedeutung und Beziehung zueinander abzuwägen.

Weitere Aspekte sind Strategien zur Wahrung und Durchsetzung persönlicher und gesellschaftlicher Interessen und Rechte, die Hilfestellung von Beratungsinstitutionen und eine Analyse der Funktion von Kammern und Gewerkschaftsbund/Sozial- bzw. Bildungspartnerschaft.

Damit wird in Übereinstimmung mit dem geltenden Erlass zur Politischen Bildung in Schulen die Überzeugung geweckt, dass Demokratie sich nicht im einem unbeteiligten Einhalten ihrer Spielregeln erschöpft, sondern ein hohes Maß an Engagement erfordert.

Mitbestimmung und Mitverantwortung gehören zu einer verantwortungsvollen demokratischen Gesellschaft.

12.7.3.3 Heranwachsende in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung    

Schule ist der Ort, in der Kinder und Jugendliche gemeinschaftliche Verantwortung kennenlernen. Diese Verantwortung später selbst leben zu können, persönliches Wissen, Können und Engagement zur Verfügung zu stellen, am Schicksal anderer interessiert zu sein und sich für das eigene und der anderen Weiterkommen einzusetzen, bedingt eine prozesshafte soziale, politische und vorberufliche Bildung/Erziehung(soziales Lernen-politischer Unterricht-Berufsorientierung).

Das moderne Methodenrepertoire - etwa Partner-, Gruppenarbeit; offenes Lernen; Projektarbeit, Planspiel; Erkundungen, berufspraktische Tage/Wochen - zeigt auf, dass Lösungen bei einer Zusammenlegung von Wissen und Können schneller gefunden werden können und Kooperationsformen verbinden. Netzwerkarbeit mit neuen Technologien verschafft neue Erfahrungen und neues Wissen.

Im Rahmen vorberuflicher Bildung/ Erziehung geht es auch um die Übernahme von sozialer Verantwortung. Gemeinsames Arbeiten in Kooperationsmodellen im Unterricht, bei Projekten und im Alltag helfen Erfahrungen damit zu sammeln. Soziales Lernen ist in einem hohen Ausmaß Erfahrungslernen. Daneben bedarf es in diesen Lernprozessen auch der Hilfestellung bei der Bewältigung von Problemen und Entscheidungen: Informationsweitergabe, Übung von Aufnahme- und Bewerbungsgesprächen, gemeinsame Überlegungen von Vor- und Nachteilen von Ausbildungsgängen und Entwickeln von tolerantem Verhalten bei anderen Meinungen und Vorstellungen sind Beispiele verantwortungsvollen Handelns in einer sozialen Gruppe (Gemeinschaft).

Einbinden bei Entscheidungen, die den Unterricht betreffen - Auswahl der Betriebe bei Erkundungen und berufspraktischen Tagen, Projektplanung und Gestaltung der Themenplanung - können als Mittel zur Entscheidungsfindung ebenso eingesetzt werden. Im Rahmen von Planspielen können unterschiedliche Interessenslagen beispielhaft durchgespielt werden.

Das Themenangebot im politischen Unterricht zeigt eine Breite, die im Unterricht und den Realbegegnungen hier nur exemplarisch angesprochen werden kann. Pädagogischem Ideenreichtum sind keine Grenzen in diesem Fachbereich gesetzt.

12.8 Zusammenfassung - Reflexion    

Die Schul- bzw. Berufswahl ist ein Lernprozess, der hauptsächlich in die Lebensperiode der Entwicklung und des Heranwachsens fällt und von allen Jugendlichen in mehr oder weniger ausgeprägter Form durchlaufen wird.

  • Hilfestellungen verschiedenster Art - Unterricht, Realbegegnungen und Beratung - zählen zu den weitgefassten Maßnahmen zunächst der Schule, später der außerschulischen Institutionen.
  • Im Allgemeinverständnis verbindet man mit dem Wort "Berufswahl" einen Such- und Findeprozess von Jugendlichen, die nach Beendigung ihrer Schulpflicht in der APS in das Berufsleben überwechseln.
  • In der heutigen Bildungslandschaft wird dieser Prozess durch weiteren Schulbesuch bzw. Studium - Berufsschule; mittlere und höhere berufsbildende Schulen; Universitäten/Hochschulen - verlängert.
  • Bereitet wird der Berufswahlprozess von direkten und indirekten Steuerungsmechanismen wie allen Maßnahmen vorberuflicher Bildung/Erziehung, Politischer Bildung/Erziehung, Fähigkeiten und Kompetenzen der Suchenden, familiären und gesellschaftlichen Wunsch- und Zielvorstellungen sowie Angeboten und Nachfragen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.
Hierbei kommt den verschiedensten sozialen Handlungsfeldern vorberuflicher Bildung/ Erziehung eine besondere Bedeutung zu.

12.9 Literaturhinweise Vorberufliche Bildung    

Angeführt sind diejenigen Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.

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VO/SE im Rahmen der Lehrveranstaltung "Vorberufliche Bildung" am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft der Universität Wien(1990/1991-2010/2011) - Teilbereich/ Lehrveranstaltung im Rahmen der Lehrer_innenbildung "Teach for Austria" (2018)

IV Inklusive Politische Bildung    

13 Didaktik einer inklusiven Politischen Bildung    

Mit dem Anspruch von Inklusion, die Ausgrenzung benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen zu überwinden, ergeben sich in der Politischen Bildung verschiedene Schwerpunktsetzungen (vgl. etwa die Personengruppen mit geringem Bildungsniveau/Bildungsbenachteiligte, Zuwandernde, Frauen/Mädchen und ethnische, religiöse, sprachliche und sonstige Minderheiten).

Der folgende Abschnitt befasst sich mit Menschen von Randgruppen, da diese Gruppen von der Politischen Bildung vernachlässigt werden.

Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention/UN-BRK/2006) ergeben sich Fragen der politischen Partizipation. Dies geht über eine Rechtsfrage hinaus, erfordert es doch eine gesellschaftliche Diskussion. Politische Bildung hat sich daher damit zu beschäftigen. Eine Didaktik muss daher auf inklusive Elemente ausgerichtet sein.

In der UN-BRK wird das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zugesprochen. Ein Bildungsziel ist die Befähigung zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft (Art 24, Abs. 1c; Art 29 Abs. 1a).

"Behinderung" wird nicht als individuelle Schädigung, vielmehr als Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabe verstanden. Die Forderung, der Staat soll die gleichberechtigte Teilhabe an politischen Prozessen ermöglichen, ist eine Aufforderung an die Politische Bildung, Inklusion umzusetzen.

Zentrale Fragen einer Politischen Bildung sind demnach

  • die Planung und Gestaltung inklusiver Bildungs- und Partizipationsprozesse und
  • eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit unterschiedlicher Ausgrenzung.
Leitlinien sind

  • Interdisziplinarität,
  • Multiperspektivität,
  • Fragen der Inklusion,
  • die Breite der Politischen Bildung organisatorisch und inhaltlich sowie die
  • Verbindung von Theorie und Praxis.
13.1 Politische Bildung im Bildungssystem    

Wesentlich ist der Kontext, in welchen Fragen Inklusion in der Bildung und hier in der Politischen Bildung zu berücksichtigen ist und welche Orientierungspunkte vorhanden sind.

  • Zunächst geht es um eine Verbindlichkeit. Die UN-BRK ist eine völkerrechtliche Vereinbarkeit, die allgemeingültige Aspekte der Menschenwürde zum Ausdruck bringt. Entscheidend ist die Umsetzung und deren Überprüfung. Für die Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft ergibt sich eine neue Dimension. Dies ergibt einen Diskurs, der auf Realisierung ausgerichtet ist.
  • Es geht weniger um eine pädagogische, vielmehr um eine bildungspolitische Dimension.
  • Die Sonderpädagogik erhält damit einen anderen Stellenwert.
    • Für die Schule bedeutet dies einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und das Überwinden von Barrieren. Verlangt wird von der UN-Konvention eine Konzipierung eines inklusiven Bildungssystems.
    • Von der Didaktik wird demnach verlangt, dass sie zu einer inklusiven Gesellschaft beiträgt. Kritisch muss auf die Gefahr hingewiesen werden, dass in einem solchen Kontext die Didaktik zu einem bildungspolitischen Steuerungsinstrument reduziert werden kann.
  • Das Verständnis von Inklusion bedeutet, dass nicht Menschen sich an gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen haben, vielmehr sollen gesellschaftliche Verhältnisse so modifiziert werden, dass Heterogenität akzeptiert wird und Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben (vgl. die praktizierte Sprachregelung, dass Zuwandernde in der Gesellschaft integriert, Behinderte inkludiert werden). Es geht vielmehr um das Verständnis von Inklusion, das sich auf alle Menschen bezieht (vgl. eine inklusive Gesellschaft mit Diversität/Vielfalt bzw. Differenz/Unterschiedlichkeit als Normalität).
  • Im deutschsprachigen Raum gibt es zwei unterschiedliche Debatten über Inklusion.
    • Einmal gibt es eine sonderpädagogisch geführte Debatte, die bewusst durch die UN-Konvention angestoßen wurde.
    • Die zweite Debatte aus sozialwissenschaftlicher Sicht betrifft das gesellschaftspolitische Problem neuer sozialer Spaltungen, ausgegangen vom Begriff Exklusion.
    • Maßgebend für das Verständnis von Inklusion sind Aspekte der sozialen Sicht, etwa der Arbeitsmarkt und die Haushalts- und Lebensformen ("soziale Fakten"). Die pädagogische Sicht, durch die UN-Konvention legitimiert, fordert die Menschenrechte für Bildungsbenachteiligte ein, etwa ein inklusives Bildungssystem mit Bezug auf Schule ("normative Basis"; vgl. Art 8).
    • Schulisch ergibt sich das Dilemma einerseits der Selektion und Allokation (Leistungsprinzip) und andererseits der Förderung gesellschaftlicher Kohäsion (Förderprinzip) (vgl. OELKERS 2011, 3).
    • Ungeachtet dessen gibt es Bausteine für eine inklusive Schule, etwa die Teams, eine chancengerechte und demokratische Schule, inklusive Curricula und Fachdidaktiken, förderliche Lernumgebungen mit Lernkulturen/Förderbedarf, differenzierte Beurteilung, Beratung-Supervision-Evaluation und einen Methodenpool (vgl. REICH 2014).
  • Gegensätzlich ist die Erwachsenenbildung als freiwilliges Angebot. Widersprüchlich ist die Zielgruppenorientierung, die jedoch nicht zwangsläufig eintreten muss. Es fehlt allerdings bisher eine reflektierte inklusive Erwachsenenbildung.
  • Bildungsbenachteiligungen bzw. Behinderungen sind keine Krankheit, sie können auch nicht mit einer Schädigung gleichgesetzt werden.
    • Man denke etwa an die Folgen aus kultureller Herkunft, ökonomischen Ordnungsmustern, normiertem Verhalten oder religiös-wertorientierten Mustern.
Politische Bildung hat die reflexive Seite von Bildung zu thematisieren, wesentlich ist Reflexion der eigenen Betroffenheit. Hier haben die Bildungsinstitutionen ein hohes Maß an Verantwortung.

13.2 Verständnis - Politische Bildung und Inklusion    

Politische Bildung hat mit dem Zugang in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen und Selbstbestimmung insofern viel zu tun, weil die Ermöglichung einer Teilhabe für alle den Ausgangspunkt der Politischen Bildung bildet. In diesem Selbstverständnis innerhalb und außerhalb der Schule versteht sich Politische Bildung und Erziehung als keine Elitenbildung, vielmehr allen Menschen politische Mitgestaltung und Mitverantwortung zu ermöglichen (vgl. BESAND-JUGEL 2015, 45).

Bei Würdigung aller Bemühungen um den Fachbereich - und diese ist mit den Begriffsvorstellungen unterschiedlich - ging man einer Inklusion aus dem Wege. Erst mit einer ernsthaften Auseinandersetzung um alle Bereiche von Behinderungen, Benachteiligungen und Diskriminierungen wurde Inklusion auch in der Politischen Bildung anschlussfähig (vgl. etwa die pädagogischen Bemühungen auch in Interkultureller Kompetenz, Migrationspädagogik, Gender, Globalen Lernen und Diversity Management; vgl. HUMMRICH 2012).

Gemeinsam ist allen Vorstellungen der Zugang, die Teilhabe und Selbstbestimmung sowie die Rücksichtnahme auf einen individuellen Bedarf (vgl. WOCKEN 2009, 16). Unterschiede gibt es in der Benennung der Subjekte, den Inklusionsformen und Bestrebungen und der theoretischen Begründung.

Verständigungsdimensionen

Wer soll inkludiert werden? - Inkludierte Menschen mit Behinderung, Bildungsbenachteiligungen, unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft sowie unterschiedlicher Geschlechts- bzw. sexueller Orientierung und Teilhabeerschwernissen.

Wie kann das umgesetzt werden? - Inklusion als Abgrenzung zur Exklusion, Segregation und Integration oder/und als Zustand und Ergebnis von Integration

In welchen Bereichen gibt es diesen Zugang und diese Teilhabe? - Bildungsinstitutionen, Krankenhäuser, Job-Centers, Öffentlicher Dienst, Betriebe und Teilbereiche wie die Arbeitswelt, der Wohnraum, Institutionen oder/und zwischen verschiedenen Kulturen und mikrogesellschaftlichen Bereichen wie Familie und/oder Peergroups

Kennzeichnend ist

  • die prozesshafte Entwicklung im Gegensatz zur Integration und
  • der Kontext zu anderen gesellschaftlichen Bereichen (man denke an Zugangsschwierigkeiten in diesem Zusammenhang; vgl. FEYERER 2012).
13.3 Zielgruppenorientierung - Analysemodell    

Zielgruppenorientierung stellt keinen Gegensatz zur Inklusion, vielmehr eine Bedingung für das Gelingen dar. Strukturelle Barrieren müssen gekennzeichnet und abgebaut werden. Im Kontext der Bedingungen und Anforderungen einer Politischen Bildung mit der Bildungssituation entstehen diese.

In Anlehnung an das Partizipationsmodell bedarf es eines Analysemodells. Hier lassen sich Unterstützungsmöglichkeiten ermitteln und evaluieren.

Schrittfolge eines Partizipationsmodells (vgl. DÖNGES-KÖHLER 2015, 91)

  • Erstellen einer Aktivitätsliste
  • Einschätzung der Partizipation durch Vergleiche
  • Kennzeichnung der Barrieren
  • Planung und Durchführung von Maßnahmen
  • Evaluation der durchgeführten Maßnahmen
Zielgruppenorientierung ist demnach ein Grundpfeiler inklusiver Politischer Bildung.

Eine Etablierung hängt von

  • der bildungspolitischen Förderung,
  • professionalisierten Ausbildung der Lehrenden bzw. Mitarbeitenden,
  • der theoretischen Legitimation und
  • der gesellschaftlichen Akzeptanz ab.
13.4. Begriffe und Konzeption der Politischen Bildung in der Inklusionsdebatte    

13.4.1 Begriffe    

Adressatenorientierung > Bildung ausgerichtet am Bedarf, den Interessen und Bedürfnissen der Zielgruppe

Handlungsfähigkeit > Bildung ausgerichtet an der Teilhabe und Selbstbestimmung sowie individuellen Handlungsfähigkeit mit entsprechenden Zugangsformen

Beutelsbacher Konsens (1976) - Integration von Kontroversen, kein Ausschluss von relevanten Positionen > Ziel - Urteilsfähigkeit

Anpassung der Bildungsangebote an die Adressaten - Lebensweltorientierung - Verständlichkeit und Mediennutzung(Elementarisierung)

Aktivierung von Gruppen, die in der Politischen Bildung eher unscheinbar und schwer erreichbar sind

Prozesshaftigkeit der Politischen Bildung als ständig aktivierende Bildungsarbeit

13.4.2 Leitlinien    

Als Leitlinie gelten nicht nur die Gruppierungen von Behinderten und Bildungsbenachteiligten, vielmehr versteht sich das Konzept für alle Menschen.

Dies bedeutet das Verständnis und die Kenntnis jener Gruppen, die als Randgruppen bzw. Minderheiten bezeichnet werden (vgl. etwa Zuwandernde, Personen verschiedener Altersgruppen, sozialen Milieus, unterschiedlicher Ethnien und Kulturen, unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, unterschiedlicher Weltanschauungen und unterschiedlicher sexuelle Orientierung, Frauen und Männer/Gender).

Bestimmend sind die Leitlinien für Inklusion der UNESCO, die in ihren Formulierungen grundsätzlich von den Rechten aller Menschen ausgehen (vgl. UNESCO 2009, 3).

13.5 Sprache und Inklusion    

Mit dem Konzept der "Leichten Sprache" , welches den Zugang von Menschen mit Lernschwierigkeiten und mangelhafter Sprachkenntnis zu Informationen erleichtern kann, wird in der Inklusionsdebatte eine eigene Sprache für diese Gruppierung entwickelt (vgl. SEITZ 2014, 3-6; RUSTOW 2015, 115-125). Dies ist nicht ohne Ironie, weil dies dem Grundgedanken der Inklusion - einer gleichberechtigten Teilhabe - durchaus widersprechen kann (vgl. Sprache als Distinktionsmerkmal; OEFTERING 2015, 139).

Im Kern geht es darum, den Anspruch einer einfachen Sprache darin zu sehen, bestehende Texte in eine für alle Lesenden verständliche Form zu transformieren (Vereinfachung der Texte, Erklärung der Fachbegriffe). Es geht aber nicht nur um eine Vereinfachung. Es gibt ein festes Regelwerk und ein "Netzwerk Leichte Sprache", das als Institution für Definitionen und das Einführen des Regelwerks zuständig ist. Kritisch ist daher zu bemerken, dass mit diesem Konzept eher eine Exklusion gefördert wird, weil der Anspruch der Inklusion, also der Gleichwertigkeit, verhindert wird. Zudem kann es durchaus zur Verletzung des Überwältigungsverbots kommen, wenn durch Vereinfachungen und Weglassungen Intentionen von Autoren verändert oder durch Einfügungen bestimmter Beispiele zum besseren Verständnis vorgenommen werden, so dass möglicherweise eine eigenständige Urteilsfindung behindert wird (vgl. OEFTERIN 2015, 140).

Mit dem "Netzwerk Leichte Sprache" tritt die Frage auf, ob es nicht zu einer zunehmenden Monopolstellung kommt und ökonomische Interessen eine Rolle spielen können (vgl. die Gefahr einer Ökonomisierung von Sprache mit einer breiten Vermarktung von Dienstleistungen für die angeführten Randgruppen, wobei die spezifischen Bedürfnisse höchst unterschiedlich sind). Natürlich werden so sprachliche Barrieren auch bei weiten Gruppen der Bevölkerung durch einen offenen Zugang abgebaut. Zu bedenken ist in diesem Kontext, dass Personen mit Migrationsgeschichte etwa andere Voraussetzungen für Sprachenkenntnisse mitbringen als Lernbehinderte.

Mit der Einforderung einer "Eigenkultur" in einer Entwicklung einer leicht verständlichen Sprache im Anschluss an die UN-BRK 2006 kommt es zu einer unterschiedlichen Auffassung der Übersetzung des Begriffs "easy" in der deutschen Fassung des UN-BRK, in der nicht eindeutig hervorgeht, ob "leichte" oder "einfache Sprache" eingefordert wird.

Didaktisch ist von Interesse, dass schulisch und außerschulisch Politische Bildung Verständlichkeit benötigt, d.h. Erklärungen, Beispiele, Anschauungsmaterial, praxisbezogene Erkundungen und Peer Counseling in einem Methodenrepertoire vorhanden sein müssen.

13.6 Medienpädagogische Aspekte    

Politische Teilhabe zielt auf die Einflussnahme und Mitgestaltung bzw. Mitverantwortung bei politischen Entscheidungen

  • repräsentativ bei Wahlen und Mitgliedschaften in Gremien, Parteien und Vereinen sowie
  • extra-repräsentativ bei Protesten, Demonstrationen, Petitionen, Kampagnen und Initiativen.
Medienangebote sind Instrumente einer politischen Teilhabe, etwa im Internet, in Leserbriefen, Kommentaren und Beiträgen (vgl. GEBEL-JÜNGER-WAGNER 2013, 33-41). Eine solche Teilhabe in Medien wirkt wesentlich in den Alltag und seine Lebensbereiche hinein und beeinflusst Denken und Handeln (vgl. THEUNERT 2010, 8-10).

Weniger der Zugang als der Umgang mit und die Nutzung der Medien ist bedeutsam. Es zeigt sich, dass dies zu einer ungleichen Beteiligung an Informationen, Bildung und Meinungsäußerung führt (vgl. MOSSBERGER-TOLBERT-STANSBURY 2003). Benachteiligte Gruppen orientieren sich weniger an bildungs- und wissensorientierten Inhalten und teilhabeorientierten Medienpraktiken. Formen der Mitgestaltung im Internet bei Personengruppen mit höherer formalen Bildung orientieren sich an Themen, mit niedriger formaler Bildung eher an Beziehungen (vgl. WELLING 2008, 270).

Personen mit Benachteiligung benötigen zugängliche und nutzbare Medienangebote und Medieninhalte. In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung der bereits angesprochenen "Leichten Sprache" in Text, Bild, Ton und Sprachausgabe hinzuweisen (vgl. RUSTOW 2015, 115-125).

  • Themen und Nutzungsstruktur - in ihrer Aktualität und Sinnhaftigkeit - sind entscheidend für die Nutzung.
  • Soziale Herkunft, Bildung und Nutzung bestimmen die Informationsquellen (vgl. THEUNERT-WAGNER-SCHORB 2013, 8-14).
Für eine Teilhabe aller Personen als Ziel einer Politischen Bildung ergibt sich der Ansatz des Empowerments/Stärkung der Autonomie mit des Aspekten einer Analyse, Reflexion und Bearbeitung von Mechanismen des sozialen Ausschlusses (vgl. HERRIGER 2014).

  • Nutzung von Unterstützungssystemen und Unterstützungsmöglichkeiten,
  • Nutzung der eigenen Stärken und Wissensbestände im Kontext der Aneignung von Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit,
  • Nutzung der gruppenbezogenen Ebene von sozialen Netzwerken und deren Aufbau sowie von Organisationen, Gruppen und Gemeinschaften ("Communities"),
  • Nutzung der institutionellen Ebene für Bereiche im Alltag und in den Lebenswelten und
  • Nutzung der politischen Ebene für eine soziale und politische Teilhabe.
Didaktisch ergibt sich eine pädagogische Intervention in der Politischen Bildung.

  • Aktive Medienarbeit mit Eigenproduktion ist der Ausdruck eigener Kultur, sozialer Kommunikation, individueller Teilnahme und Mitgestaltung bzw. Mitverantwortung(vgl. Projektarbeit; Medieneigenproduktion; Ausgestaltung einer gemeinsamen Handlungspraxis unabhängig von der Kultur, Bildung, Ethnie, dem Geschlecht, der Religion/Weltanschauung?, sexuellen Orientierung, Sitten und Normen bzw. Werten).
  • Politische Bildung und Medienpädagogik bilden den Kitt für ein Empowerment mit dem Ziel einer Weiterentwicklung inklusiver Strukturen in der Gesellschaft(vgl. SCHLUCHTER 2015b, 148).
  • Politische Bildung hat ressourcenorientiert zu sein, indem sie sich auf die Stärken, Wissensbestände, Fähigkeiten und Fertigkeiten, auch an Themen, Bedürfnisse und Anliegen der Menschen bezieht(vgl. BECKER-KRÜGER 2010, 645).
13.7 Inklusionsdidaktische Vernetzungen    

Joachim KAHLERT (2015, 182-183) führt zurecht in seinem Beitrag an, dass inklusionsorientierte Kompetenzbereiche auch umsetzbar sein müssen und nicht nur eine Anspruchsrhetorik sind (vgl. als krasses Beispiel mit 100 Faktoren European Agency for Development in Special Needs Education 2012, 13-21).

Politische Mündigkeit mit den Kompetenzen Urteilsfähigkeit, Interessensbewusstsein, Kompromissfähigkeit und einem Methodenrepertoire zeigen den Umgang mit Heterogenität an.

Medien helfen individuell und kollektiv, Sprache, Wahrnehmung, Information und Rezeption - altersstufengemäß eingesetzt - fördernd zu bearbeiten.

  • Zu erkennen sind zunächst die Grenzen einer Individualisierung.
  • Hilfreich sind Kooperationen mit dem Ziel einer Hinwendung zu Lernenden.
  • Inklusionsorientierte Netze ergeben pädagogische Handlungsmöglichkeiten. Zu erschließen sind
    • die jeweiligen Unterrichtsinhalte unter fachliche Aspekten,
    • die inhaltsbezogenen Lernmöglichkeiten, ggf. auch die Fördermöglichkeiten je nach Bedarf einer Inklusionspädagogik und
    • die Auswahl der entwicklungsorientierten Lernangebote.
Inklusionsorientierte Unterrichtssettings haben folgende Entwicklungen zu beachten (vgl. KAHLERT 2014, 123-141; KAHLERT 2015, 190-191).

  • Senso-motorische Entwicklung
    • Sinneswahrnehmung - Hören, Sehen, Gestik
    • Bewegung - Motorik-Orientierung in Raum-Kommunikation
  • Kognitive Entwicklung
    • Selbstwahrnehmung - Bewegung, Selbstbewusstsein - Eigenheit
    • Personenbezug - Sicherheit-Kommunikationsmöglichkeiten/Gesten-Blickbewegung -Selbstwirksamkeit/Entscheidungserfahrung-Handlungsziele
  • Sozial-emotionale Entwicklung
    • Stimmungen-Gefühle/Reaktionen
    • Wertschätzung-Anerkennung-Respekt
    • Selbstkontrolle-Gemeinschaftssinn-Regeln-Werte-Normen-Konfliktbewältigung
  • Entwicklung von Lernstrategien
    • Beschaffung, Zuordnung und Beurteilung von Informationen
    • Planung, Durchführung und Reflexion von Themenbereichen
    • Bedeutung von Themenbereichen
    • Erkennen von Perspektiven
    • Konzentrationsfähigkeit-Aufmerksamkeit-Lernkulturen/Wissen-Können-Aktivierung von Vorstellungen-Austausch-Fehlerkenntnis bzw. Fehlertoleranz
Kompetenzdimensionen der Politischen Bildung (vgl. KAHLERT 2015, 192; DETJEN-MASSING-RICHTER-WEISSENO 2012)

  • Politische Urteilsfähigkeit - Unterschiede von Regeln/Normen in Familie-Schule-Gesellschaft, Vertrauen Eltern-Lehrende-Vertrauenspersonen
  • Fachwissen - Beziehungen in der Familie und andere sozialen Zusammenhänge, politische Formen in Veränderung, funktionale Rollen
  • Politische Handlungsfähigkeit - Mitbestimmung bzw. Mitverantwortung im privaten und öffentlichen Bereich, Rechte und Pflichten in verschiedenen sozialen Bereichen
  • Politische Einstellung bzw. Motivation - Respekt vor verschiedenen Kulturen-Weltanschauungen/Religionen-Normen-Sitten, Auseinandersetzung mit Rollenerwartungen, Recht und Gerechtigkeit
13.8 Inklusionsorientierter Unterricht    

Ein Umsetzung von inklusionsdidaktischen Netzen hat Individualität und Heterogenität der Lernenden in die Unterrichtsprozesse einzubeziehen.

  • Unterricht als wesentlicher Rahmen einer Politischen Bildung ist abhängig von den Ressourcen Zeit, Aufmerksamkeit und Fachdidaktik der Lehrenden und (deshalb)begrenzt anschlussfähig für ausgeprägte Individualisierungserwartungen (vgl. SCHWIER 2015, 206-207).
  • Das in Punkt 13.7 angeführte Unterrichtssetting soll demnach Lehrenden als Hilfe für eine Planung dienen. der angebotene Referenzrahmen versucht die vorhandene vielfältige Subjektivität einzubeziehen und fachliche und entwicklungsorientierte Förderung strukturiert zu erschließen. Es erhebt keinen Anspruch auf ein Erfolgsversprechen und ist daher erweiterbar.
  • Inklusionsbemühungen sind als Problemlagen mit Sensibilität zu behandeln. Der Umgang mit Unterschieden erhöht das Risiko, aus sozialen Ungleichheiten Konfliktlagen zu kulturalisieren und zu individualisieren (vgl. HÄCKER-WALM 2015, 12).
  • Es ist nötig, die Differenzannahmen und Normalitätsvorstellungen selbst und ihre Wechselwirkungen genauer zu betrachten, besonders im Unterricht der Politischen Bildung (vgl. SCHWIER 2015, 207).
  • Kritisch ist zu beachten, dass in der Didaktik das Interesse darauf zu richten ist, was politische Teilhabe und Mündigkeit im Einzelfall bedeutet. Reflexive Inklusion heißt das Wahrnehmen und Ernstnehmen von Verschiedenheit, das Sichtbarmachen von Benachteiligungen und der Verzicht auf deren Festschreibung (vgl. BUDDE-HUMMRICH 2013, 4). Unterschiede sind als Unterschiede anzuerkennen, Anpassung und Angleichen sind zu vermeiden, es bedarf der Professionalisierung Lehrender mit einem Wandel in ihrer unterrichtlichen Orientierung.
  • Lernende werden daher als Subjekte ernst genommen, sie sind wesentliche Akteure des Unterrichtsprozesses etwa mit kooperativen Lernformen. Ziel ist eine Ausweitung der Selbstverfügbarkeit und Selbstwirksamkeit erfahrbar zu machen (vgl. RICHERT 2009, 168-171; SCHWIER 2015, 209).
13.9 Reflexion    

Mit dem Begriff Inklusion wird die Komplexität von Wirksamkeitsfaktoren verstanden, die den Zugang zu politischen Prozessen bestimmen. Es geht neben Behinderungen und Bildungsbenachteiligungen auch um soziokulturelle, ethnische, weltanschaulich-religiöse, normative, wertende, geschlechtsspezifische, politische, interkulturelle und globale Faktoren, die in komplexen Lehr- und Lernprozessen fachdidaktisch aufgearbeitet werden.

Betroffen sind alle Bildungsbereiche, von der Elementarpädagogik über die Grundschulpädagogik, den Sekundarbereich bis zum tertiären und quartären Bildungsbereich. Professionalität der Lehrenden ist dabei gefordert.

Ohne Rahmenbedingungen der Bildungspolitik, einer gesamtgesellschaftlichen Orientierung und vermehrter Inklusionspädagogik sind entsprechende Bemühungen nicht umsetzbar.

Politisches Denken, Kenntnisse und Handeln einer Politischen Bildung bearbeitet definierte Themen- und Problembereiche, methodengerecht mit dem Ziel, Wissen und Handlungsfähigkeit zu erreichen. Alle Menschen sind in diese Lehr- und Lernprozesse einzubinden. Die Fülle von Kontroversen in öffentlichen Debatten bilden das politisches Leben, das Gegenstand eines altersstufengemäßen politischen Unterrichts im Bildungssystem darstellt.

Kontrovers ist die Debatte um Fach bzw. Unterrichtsprinzip, außer Streit steht die zunehmende Bedeutung der schulischen und außerschulischen Politischen Bildung.

Zentrale Aufgabenbereiche sind

  • das Verständnis für demokratische Regelungen und Entscheidungswege zu bilden,
  • ein politisches Engagement zu bewirken,
  • die Wirklichkeit politischer Partizipation zu erkennen und in der Folge sich in Lehr- und Lernprozessen weiterzubilden (vgl. NEGT 2010, 13).
  • Von Bedeutung ist der Umgang mit Medien in ihrer Vielfalt.
Ob der "aktive Bürger"''' in seinem Handeln eine Überforderung darstellt, ist eine Frage gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Hier geht es um Wissen, Mitbestimmung bzw. Mitverantwortung und Gemeinsinn (vgl. BUCHSTEIN 2002, 17-18).

Politische Grundbildung im Anspruch einer inklusiven Politischen Bildung beinhaltet neben dem Zugang bzw. Abbau von Barrieren, der Zulassung zu einem politischen Raum und Bürgerrechten politische Bildungsprozesse, die über die formalen Bildungsinstitutionen hinausgehen (vgl. etwa den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks). Damit sind Qualifikationsprofile und Leitbilder des Aktivbürgers angesprochen.

Politische Erwachsenenbildung unter der Prämisse des Prozesses der Emanzipation hat die folgenden didaktischen Prinzipien für eine außerschulische Politische Bildung in Form von (vgl. HUFER-RICHTER 2013)

  • Teilnehmerorientierung,
  • Subjektorientierung und
  • Lebensweltorientierung.
Den drei Kategorien ist der Ausgangspunkt, die Thematik und das Ziel sowie die Interessen, Erwartungen, Lernvoraussetzungen, Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Teilnehmenden gleich.

Lehrende verstehen sich als Nicht-Belehrende, die Lernenden/ Teilnehmenden als Gleichberechtigte gegenüber sitzen.

13.10 Literaturhinweise inklusive Politische Bildung    

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Schnell I. - Sander A. (Hrsg.) (2004): Inklusive Pädagogik, Bad Heilbrunn

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Seitz S. (2014): Leichte Sprache? Keine einfache Sache, in: Aus Politik und Zeitgeschichte/ Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 9-11/2014, 3-6

Theunert H.(Hrsg.) (2010): Medien, Bildung, Soziale Ungleichheit. Differenzen und Ressourcen im Mediengebrauch Jugendlicher, München

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UNESCO (2009): Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik, Bonn

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Walzer N. (2019): Die Bildung der Menschlichkeit für junge Menschen. Schritte zu Gesellschaft von morgen, Stuttgart-Köln

Walzer N. (2019): Die Bildung der Menschlichkeit für Erwachsene. Schritte zur Gesellschaft von morgen, Stuttgart-Köln

Welling S. (2008): Computerpraxis Jugendlicher und medienpädagogisches Handeln, München

Wocken H. (2009): Inklusion und Integration. Ein Versuch, die Integration vor der Abwertung und die Inklusion vor Träumereien zu bewahren. Manuskript des Beitrages bei der Integrationsforscher_innen-Tagung in Frankfurt > http://www.hans-wocken.de/Wocken-Frankfurt2009.doc (24.9.2015)

Internethinweise/Auswahl    

Die IT-Autorenbeiträge verstehen sich als Ergänzung zum Beitrag.

Netzwerk gegen Gewalt

http://netzwerkgegengewalt.org > Index:

Europa als Lernfeld

Lernfeld Politik

Friedenslernen

Fachdidaktik Geschichte

Interkulturelle Kompetenz

Globales Lernen

Klimawandel und Klimaschutz

Vielfalt ja bitte-Welcome Diversity

Migration in Österreich, Teil 1 und 2

Lehrgang Politische Bildung in der Erwachsenenbildung

Vorberufliche Bildung

Schule

Lehramt

Gender

Erziehung

Netzbasiertes Lernen in Theorie und Praxis

Medienarbeit

Lernkulturen in der Allgemeinen Erwachsenenbildung

Erwachsenenbildung

Altersbildung

Zentrum polis

http://www.politik-lernen.at

Interessensgemeinschaft Politische Bildung

http://www.igpb.at > Publikatione

Netzwerke des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur/bm:bwk bzw. Bildung und Frauen

http://www.gemeinsamlernen.at

http://www.learn4life.at

http://www.politische-bildung.at

Migrantenberatung

http://www.migrant.at

http://www.berufsanerkennung.at

E-Plattform für Erwachsenenbildung der EU/EPALE

https://ec.europa.eu/epale/de/resource-centre/content/netzwerk-gegen-gewalt (27..2017)

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Teilbereich des SE "Didaktik der Politischen Bildung" am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg (2015/2016-2017)

Zum Autor    

Lehrbeauftragter am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung (1990/1991-2010/2011), Lehrbeauftragter am Fachbereich für Geschichte der Universität Salzburg/Lehramt Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung/"Didaktik der Politischen Bildung" (2015/2016 - 2017/2018)

zertifizierter Schüler- und Schulentwicklungsberater (1975, 1999), Gründungsteilnehmer der LehrerInnen-Plattform für Politische Bildung und Menschenrechtsbildung des bm:bwk (2004), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschultrat für Tirol (1993-2002)

APS-Lehramt /VS-HS (D-GS-GW)-PL (D-SWZ-Bk); Absolvent des Instituts für Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg-Klagenfurt/ MSc (2008), des 6. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/Universität Salzburg/Diplom (2012), des 6. Lehrganges Interkulturelles Konfliktmanagement/BM.I.-Integrationsfonds Österreich (2010), der Weiterbildungsakademie Österreich/Diplome (2010), der Personalentwicklung für Mitarbeiter der Universitäten Wien/Bildungsmanagement/Zertifizierungen (2008-2010) und Universität Salzburg/4. Interner Lehrgang Hochschuldidaktik/ Zertifizierung (2015/2016), des Online-Kurses Digitale Werkzeuge für Erwachsenenbildner_innen/ TU Graz-CONEDU-Werde Digital.at-Bundesministerium für Bildung/ Zertifizierung (2017), des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium-Comenius Institut/ Zertifizierung (2018), des Fernstudiums Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich A.B. und H.B.(2000-2011); Kursleiter an den Salzburger VHSn Zell/See, Saalfelden und Stadt Salzburg (2012-2019)

Aufnahme in die Liste der sachverständigen Personen für den Nationalen Qualifikationsrahmen/NQR, Koordinierungsstelle für den NQR/ Wien (2016)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 17. August 2023