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Sammelband-9

Sammelband 9 Gewalt    

Möglichkeiten und Grenzen im Kontext von Bildung    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Sammelband 9 Gewalt   
Möglichkeiten und Grenzen im Kontext von Bildung   
Einleitung   
Teil I Aspekt Gewalt in Medien   
Vorbemerkung   
1 Formen der medialen Gewaltdarstellungen   
2 Exemplarische Analyse eines gewalthaltigen Filmes   
2.1 Methodische Aspekte   
2.2 Filmanalyse zu "Terminator"(Science - Fiction - Film): The Terminator, USA 1984, James Cameron   
2.3 Kennzeichen eines Science - Fiction - Filmes   
2.3.1 Metropolis   
2.3.2 Terminator   
2.4 Grundthemen des Filmes   
2.5 Soziologischer Zusammenhang   
2.6 Sequenzprotokoll   
3 Wirkung gewalthaltiger Medien   
4 Grenzen und Legitimität von Gewalt in Filmen   
4.1 Delecatio - Begriff   
4.2 Vielfalt und Offenheit   
4.3 Erklärungsversuche für Existenz, Beliebtheit und Legitimität gewalthaltiger Filme   
5 Verantwortung der Rezipienten   
6 Funktion der Medienpädagogik   
6.1 Jugendmedienschutz   
6.2 Medienpädagogik   
6.3 Medienkompetenz   
6.4 Literaturhinweise Medien   
TEIL II Aspekt Gewalt in der Schule   
Einleitung   
1 Schule im Bildungssystem   
2 Psychosoziale Entwicklung und Lernprozesse   
2.1 Entwicklungsmerkmale im Grundschulalter   
2.2 Schulfähigkeit   
2.3 Schulleistung und Lernprozesse   
2.4 Leistungsbeurteilung   
3 Gewalt gegen Kinder   
3.1 Welche Aussagen können zum Thema Gewalt in Schulen aus der Gewaltforschung festgehalten werden?   
3.2 Der Einfluss der Familie   
3.3 Der Einfluss der Medien   
3.4 Bullying und Mobbing in Schulen   
3.5 Lernkultur und Schülergewalt   
3.6 Präventionsmaßnahmen   
4 Pädagogischer Umgang mit ethnischen Minderheiten   
4.1 Grundlegende Überlegungen   
4.2 Gegenläufige Entwicklungen   
4.3 Pädagogische Aspekte   
5 Zur Rolle von Lehrkräften   
6 Verständnis von Schulleben in der Schule   
7 Literaturhinweise Schule   
Teil III Aspekt Gewalt und Religion   
Vorbemerkung   
1 Religiös motivierte Gewalt   
2 Religiöse Faktoren in zwischenstaatlichen Konflikten   
3 Gegenstrategien zur Eindämmung von Gewalt   
3.1 Realismus   
3.2 Liberalismus   
3.3 Konstruktivismus   
3.4 Reflexion   
Literaturhinweise Religion   
Teil IV Aspekt Gewaltprävention   
1 Einführung   
7.1 Bluttaten in Österreich 1993-2005   
7.2 Zeitungsdokumentation   
8 Begriff Gewalt   
9 Gewalt in der Erziehung   
10 Theorieansätze   
10.1 Lerntheoretische Ansätze   
10.2 Soziologische Ansätze   
11 Konsequenzen für eine Prävention   
12 Arten und Formen der Gewaltprävention   
12.1 Raum - Schulklima   
12.2 Kommunikation   
12.3 Interaktionsförderung   
12.4 Medienerziehung   
12.5 Moralische Erziehung - Wertebildung   
12.6 Projektarbeit   
12.7 Konfliktbewältigung   
12.8 Umgang mit gewaltbereiten Mitmenschen   
12.9 Kooperation - Vernetzung   
13 Die Rolle der Grundschule, Mittelschule/ MS und der Polytechnischen Schule im österreichischen Schulsystem   
13.1 Grundschule   
13.2 Mittelschule/ MS   
13.2.1 Pädagogisches Konzept   
13.2.2 Peer - Mediation   
13.3 Polytechnische Schule/ PTS   
14 Psychosoziale Entwicklung   
15 Familieneinfluss   
16 Bullying bzw. Mobbing   
16.1 Basis für Mobbing   
16.2 Struktur   
16.3 Programm gegen Mobbing   
17 Aspekte von Gewalt   
18 Veränderung von Gewalt   
18.1 Historische Perspektiven   
18.2 Zivilisation - Rückfall   
18.3 Moderne   
18.3.1 Quellen der Gewalt   
18.3.2 Staat als Gärtner   
18.3.3 Europäische Geschichte   
18.3.4 Außereuropäische Geschichte   
18.3.5 Rechtsstaatlichkeit in der Moderne   
18.4 Strukturelle Gewalt   
18.4.1 Galtung - Spivak - Foucault - Schroer   
18.4.2 Politische Bildung   
19 Literaturhinweise Gewaltprävention   
Teil V Aspekt Anthropologie   
19 Anthropologie - Themenvielfalt   
19.1 Töten   
19.2 Ordnung und Gewalt   
19.3 Kriege   
19.4 Freiheit und Gewalt   
19.5 Kultur und Gewalt   
19.6 Reflexion zur Anthropologie der Gewalt   
20 Erklärung von politischen Ursachen von Gewalt   
21 Problemstellungen   
22 Ziel - Zielgruppen   
23 Theoretische Grundlagen   
23.1 Bindungstheorie   
23.2 Theorie der Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit   
23.3 Anomietheorie   
23.4 Demokratietheorie   
23.4.1 Direkte Demokratie   
23.4.2 Dialogische Demokratie   
23.5 Frauenpolitische Ziele in der Lehrerbildung   
24 Reflexion   
Literaturhinweise Anthropologie   
Zum Autor   

Einleitung    

Im Rahmen der Bemühungen einer "Education für Democratic Citizenship" zur Verbesserung von Bildung in Österreich soll die Problematik von verschiedenen Formen von Gewalt bearbeitet werden.

Bildung in einer komplexen Gesellschaft steht zunächst unter der Prämisse einer Kind- und Jugendorientierung, die sich in methodischen Überlegungen in Richtung differenziertem, schüleraktivierendem und offenem Unterricht niederschlägt. Dies zeigt eine Intensivierung von Bemühungen um schulische Erziehung an, die sich besonders am Schulleben festmachen lässt. Von Gewaltphänomenen sind pädagogische Bemühungen von Lehrenden nicht verschont.

Soziale Unverträglichkeiten, Migration, verschiedenste offene und versteckte Formen von Gewalt - verbunden mit gesellschaftlichen Wandlungen in Medien, der Familien und sozio- kultureller Vielfalt - nötigen zu bildungspädagogischen Überlegungen im Rahmen dieses Projekts.

Der Autor hofft, einen Beitrag zur Aktualisierung des Themenbereichs in den angesprochenen Themenbereichen leisten zu können.

Die Gliederung des Projekts ergibt sich aus den Bereichen

Teil I Aspekt Gewalt in Medien    

Vorbemerkung    

Im Folgenden werden unterschiedliche Formen medialer Gewaltdarstellungen behandelt, die verdeutlichen sollen, dass Gewalt in den Medien in eine bestimmte Film-, Video- und Fernsehhandlung - verkürzt im Folgenden als "Filme" bezeichnet - integriert ist und verschiedene Funktionen ausüben kann.

Danach soll ein gewalthaltiger Film exemplarisch analysiert werden. Eine genaue Filmanalyse ist für eine inhaltsethische Bewertung wesentlich, da nur so Erzählstrukturen und einzelne Charaktere in ihren Handlungen erkennbar werden.

Auf die Wirkung gewalthaltiger Filme/ Medien und die Legitimität von Gewalt in Filmen sowie die Funktion von Medienpädagogik ist in der Folge einzugehen.

Ausgangsbasis und Grundlage der Studie ist die Fort- und Weiterbildung des Autors und die Auseinandersetzung mit Medienpädagogik im Kontext Politischer Bildung

1 Formen der medialen Gewaltdarstellungen    

Gewalt in Filmen ist grundsätzlich eingebunden in eine Handlung. Losgelöste Gewalt ohne situative Bindung kann im Film nicht vorkommen.

Gewaltakte werden von Individuen ausgeübt, die Gewalt als Handlung im Rahmen dieser Situation für relevant erachten.

Zur leichteren Verständlichkeit von medialer Gewalt sollte man zwei inhaltliche Ebenen unterscheiden,

(1) die inhaltliche Darstellung und

(2) die inhaltliche Aussage eines Filmes.

Auf der Ebene einer inhaltlichen Darstellung sind Handlungen von Figuren begründende Stilmittel gewalthaltiger Inhalte, man denke in diesem Zusammenhang an Horror-, Action-, Science - Fiction-, Kriminalfilme oder Western bzw. Eastern.

Filmcharaktere können Gewalt als legitime oder illegitime Verhaltensweise darstellen.

Der Film als Gesamtwerk kann aber sehr wohl vor Gewalt warnen und/ oder als Grundbotschaft ein negatives Bild erzeugen, das wiederum beim Rezipienten verschiedenste Rückkoppelungsprozesse erzeugen kann. Mediale Darstellungen und Filmaussagen müssen daher - unter medienpädagogischen Aspekten - unterschiedlich bewertet werden.

Eine solche Differenzierung ist für eine Analyse gewalthaltiger Filme hilfreich und wird in der nachfolgenden Filmbesprechung von "Terminator" verwendet.

Nach KUNCZIK (1996) kann man zwischen

(1) direkter (personaler) Gewalt und

(2) indirekter (struktureller) Gewalt unterscheiden.

Personale Gewalt (Aggression) definiert sich als beabsichtigte physische und/ oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch andere Personen (vgl. KUNCZIK 1996, 12). Modifiziert werden müsste diese Begriffsumschreibung mit sogenannten Unpersonen oder Aliens, d.h. Zombies, Monstern, Vampiren und Mensch - Maschinen -Wesen, von denen auch Gewalt ausgeht.

Strukturelle Gewalt bedeutet, in ein soziales System eingebaute Ungerechtigkeiten (Gewalt), sich in ungleichen Machtverhältnissen bzw. Lebenschancen äußert (vgl. SENGHAAS 1971, 55-104).

In der filmischen Darstellung übt für gewöhnlich ein soziales oder politisches System Gewalt aus. Das Böse liegt in gesellschaftlichen Bedingungen vor.

HUGGERs Gewaltdefinition enthält zusätzlich Komponenten, die für die Interpretation medialer Gewalt wesentlich sind. Gewalt wird einem Individuum oder einer Gruppe durch Machtverhältnisse aufgezwungen, die zugunsten der Instanz oder des gewaltausübenden Individuums ausfällt. "Gewalttätigkeit wäre dann das bewusste oder unbeabsichtigte Zufügen eines körperlichen oder seelischen Schadens, ohne dass eine gesellschaftliche Legitimation vorliegt "(HUGGER - STADLER 1995, 22).

Weiterhin differenziert HUGGER zwischen bewusster und unbewusster Gewalttätigkeit - Beschädigung von Personen und Sachen - sowie körperlicher und seelischer Gewalt - Schäden durch zufällige Ereignisse, wie Unfälle und Katastrophen.

THEUNERT sieht im psychischen Gewaltbegriff Handlungsweisen, die die kognitive und psychische Verfassung des betroffenen Individuums schädigen (vgl. THEUNERT 1996, 89-90).

Gewalt kann auch

(1) real oder

(2) fiktiv dargestellt werden.

Reale Gewalt kommt in Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen mit Informationswert vor, dem Rezipienten wird die Grausamkeit von Krieg und Terror mit Bildmaterial schonungslos vorgeführt.

Fiktive Gewalt gilt dagegen als Element der Unterhaltung mit Spannung in Form eines realistischen Milieus oder auch als Nachdenklichkeit erzeugt.

Mischformen kommen in der nachgestellten Gewalt vor, ein Charakteristikum für das Reality - TV. Hier wird Unterhaltung in Verbindung mit "Erziehung" in nachgestellten Situationen präsentiert.

Aggressive Handlungen in Filmen bestehen in der Regel aus drei Handlungsabschnitten:

  • Vorbereitung,
  • Durchführung und
  • Folgen.
Für gewöhnlich wird bei der "Vorbereitung" auf brutale Bilder verzichtet, in der Sequenz "Durchführung" kommt es zu Gewalttätigkeiten und als "Folgen" ist mediale Visualisierung vorhanden. Der Tod wird oftmals als Endziel präsentiert. "Durchführung" und "Folgen" werden in der Diskussion um einen Jugend - Medienschutz besonders kontrovers diskutiert.

In gewalthaltigen Filmen beherrschen oftmals technische Geräte die Handlung. Moderne Waffen bzw. Waffensysteme symbolisieren eine Welt der Dominanz der Technik, wobei gezeigt werden soll, dass nur noch Technik in der Lage ist, die Bedrohung unter Kontrolle zu halten.

Beispielhaft sei auf den Film "Aliens - Die Rückkehr" (USA 1986, James Cameron) verwiesen, wo der verzweifelte Versuch einer Raumschiff - Mannschaft geschildert wird, die sich mit Hilfe modernster Waffentechnik gegen aggressive Aliens zur Wehr setzt.

2 Exemplarische Analyse eines gewalthaltigen Filmes    

Im Literaturvergleich wird ein Defizit in der öffentlichen Diskussion um fiktionale Mediengewalt festgestellt, wobei die allgemeine Art und Weise des Diskurses beklagt wird.

Demgegenüber hat man sich konkrete Filmprodukte anzusehen und diese zu analysieren. Einzelne Analyseschritte beziehen sich auf die agierenden Figuren, das Thema, die genretypischen Motive, die Gewaltformen und -opfern.

Im Folgenden wird der Science - fiction - Film "Terminator" (1984) analysiert, wobei das Verständnis für Inhalt und die Gewaltproblematik verbessert werden soll.

2.1 Methodische Aspekte    

Für ein zu begründendes Verständnis ist eine wissenschaftliche Filmanalyse unverzichtbar (vgl. die theoretischen Arbeiten von FAULSTICH 1980, HICKETHIER 1993 und HOWARD - MABLEY 1996).

Die Bedeutung liegt in der Aufdeckung und Dokumentation der verschiedenen Bedeutungsebenen, wobei die folgenden Zielsetzungen bei einer Analyse verfolgt werden:

  • Sensibilisierung der eigenen Wahrnehmung,
  • Förderung der Rezeptionskompetenz,
  • Erkenntnisgewinn über die Interaktion von gestalterischen Elementen mit inhaltlichen Aussagen des Filmes,
  • Aufdeckung der unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Filmes und
  • Beurteilung der filmischen Produktion unter Jugendschutzkriterien.
Fünf Arbeitsschritte sind von wesentlicher Bedeutung:

  • Rezeption,
  • spontane Gefühle, Reaktionen und Probleme (vgl. FAULSTICH 1980, 118),
  • Erstellen eines Filmprotokolls mit fünf Protokollspalten: Handlung - Dialog - Musik/ Geräusche - Schnitttechniken - Kameraeinstellung und ein
  • Sequenzprotokoll als Grundlage für eine Segmentierung der Filmhandlung: Veränderung der Handlung und der Figurenkonstellation (vgl. FAULSTICH 1980, 125 und 132-134; HICKETHIER 1993, 38-39) und die Inhaltsangabe.
Zentrale Bedeutung haben folgende Arbeitsschritte unter Berücksichtigung der Gewaltproblematik für eine Analyse:

  • Genrespezifische Motive: Motiv- und Erzählstruktur,
  • Charakterisierung der Filmfiguren: Ziele und Bedürfnisse der Figuren mit Leitfragen (vgl. FAULSTICH 1980, 140-146),
  • Grundthema des Filmes: Filmfiguren - Handlungssequenzen - Szenen,
  • Dramatische Szenen: Höhepunkte im Film/Grundkonflikte und Hindernisse und
  • Gewaltformen und Opfer der Gewalt.
Zusätzlich kann als Analyseschritte behandelt werden:

  • Funktion der Filmmusik: sensitives und emotionales Filmerlebnis,
  • religiöse Motive: religiöse Symbole, Themen und Figuren,
  • soziologischer Kontext: gesellschaftliche Probleme und historische Ereignisse und
  • Einordnung des Filmes in das Werk des Regisseurs.
2.2 Filmanalyse zu "Terminator"(Science - Fiction - Film): The Terminator, USA 1984, James Cameron    

Kurzinhalt:

"Terminator" ist die Geschichte einer Maschine in Menschengestalt, die aus dem Jahre 2029, in der die Computer die Welt beherrschen, in das Jahr 1984 kommt, um eine Frau mit Namen "Sarah Connor" zu töten.

Ein Sohn wird die Menschheit vor der Maschinendiktatur retten. Reese, ein junger Soldat, nimmt neben Sarah den Kampf gegen den Terminator auf und beide können ihn letztlich bei seinen Gewalttaten aufhalten.

Ausführliche Inhaltsangabe:

Los Angeles 1984: 1.52 Uhr morgens. Ein athletisch gebauter nackter Mann (Terminator: Arnold Schwarzenegger) erscheint unter grellen Blitzen und kämpft mit drei Punks, fordert von einem die Kleidung und tötet einen anderen auf brutale Weise. Wenige Minuten später fällt ein zweiter Mann (Reese: Michael Biehn) nackt vom Himmel. Er stiehlt Kleidung und wird von der Polizei verfolgt. Auf der Flucht sucht er eine Telefonzelle auf und ermittelt die Adressen von drei Frauen, die "Sarah Connor" heißen.

Am nächsten Tag verlangt der erste Mann in einem Waffengeschäft automatische Gewehre, erschießt den Verkäufer und tötet eine ahnungslose Frau in ihrem Haus: "Sarah Connor". Nach einem Mord an einer zweiten Frau wird die Polizei mit Detective Traxler auf den Täter und seine Methode aufmerksam. Über TV warnt er die dritte "Sarah Connor", die die Gefahr erahnt. "Sarah"(Linda Hamilton) sieht die Abendnachrichten in einer Bar, flüchtet in die Diskothek "TechNoir". Inzwischen ermordet der erste Mann in Sarahs Wohnung Ginger, einen Mitbewohner der Wohnung, und dessen Freund Matt. Durch einen Anruf zu Haus verrät Sarah ihren Aufenthaltsort, der erste Mann erscheint in der Diskothek, wird von Reese mit Waffengewalt an der Ermordung Sarahs aber gehindert.

Sarah und Reese fliehen vor dem Angreifer, der trotz heftiger Schussattacken immer wieder aufsteht. Reese klärt Sarah auf: Ein Terminator - ein Cyborg - habe Auftrag, Sarah zu töten. Dieser stamme, wie Reese, aus der Zukunft - aus dem Jahre 2029, in dem die Menschen von Maschinen versklavt werden. High Tech-"Abwehrnetzcomputer" hätten sich selbstständig gemacht und so die Macht über die Menschen errungen. Ein Soldat hätte sich gegen die Maschinen erhoben, die Menschen stünden unter seiner Führung kurz vor dem Sieg.

Nach einer wilden Verfolgungsjagd zwischen Reese/ Sarah und dem Terminator greift die Polizei Sarah und Reese auf, der Terminator kann entkommen. Der Kriminalpsychologe Dr. Silberman erklärt ihn für verrückt. Nach einer persönlichen Reparatur in einer Pension verschafft sich der Terminator auf der Suche nach Sarah Zutritt zur Polizeistation und erschießt dort alle Polizisten. Reese und Sarah fliehen, finden in einem Motel Unterschlupf und Sarah ruft ihre Mutter an. Der Terminator ist inzwischen in die Wohnung der Mutter eingedrungen und simuliert beim Telefongespräch deren Stimme. Ahnungslos verrät Sarah im Telefonat ihren Aufenthaltsort.

Reese demonstriert Sarah den Bau von Bomben zur Verteidigung. Er gesteht Sarah, dass er nur ihretwegen in die Gegenwart wieder zurückgekommen sei. Als der Terminator das Hotel erreicht, können beide fliehen. Auf der Flucht kann Reese den Tanklaster des Terminators mit Bomben sprengen, der als Metallskelett aus dem Feuer kommt. Die Technik stimmt, die Haut ist verbrannt.

Nach einer erneuten Flucht der Beiden gelingt es Reese, den Terminator wieder mit einer Bombe in die Luft zu sprengen. Dabei wird Reese allerdings getötet. Der Terminator überlebt auch hier, obwohl er seinen gesamten Unterleib verliert. Die am Bein verletzte Sarah kann kriechend den ebenfalls kriechenden Terminator in eine Metallpresse locken, die ihn zerquetscht.

Auf der Fahrt auf einer Landstraße bespricht Sarah für ihren zukünftigen Sohn Tonbänder, die von Reese als Vater erzählen. Zuletzt wird Sarah an einer mexikanischen Tankstelle von einem kleinen Jungen vor einem großen Sturm gewarnt (vgl. BOHRMANN 1997, 265-266).

2.3 Kennzeichen eines Science - Fiction - Filmes    

Der erzählende Charakter einer solchen Filmart kann durch eine Romanverfilmung von H.G. WELLS näher beschrieben werden (vgl. HAHN - JANSEN 1983, 8). In dem 1936 gedrehten Film "Things to come", der auf den Roman "A Story of the Days to come" zurückgeht, werden Ereignisse beschrieben, die in Zukunft vielleicht auf die Menschheit zukommen könnten.

Charakteristisch sind die utopisch - phantastischen Zukunftsentwürfe möglicher Gesellschaftsbilder, wobei die Definition der Handlung von dramatischen Ereignissen in einer fiktiven, aber möglichen Modellwelt, Inhalte umschreibt. Neue Wissenschaften ("Science") müssten noch erfunden werden ("fiction"), damit Zukunftsbilder und Science - Fiction -Geschichten glaubwürdig (-er) erscheinen (vgl. BAWDEN 1984, 584).

2.3.1 Metropolis    

Als weltweit erste Science - Fiction - Verfilmung gilt der deutsche Stummfilm aus dem Jahre 1927 "Metropolis" unter der Regie von Fritz Lang mit Brigitte Helm und Alfred Abel.

Kurzinhalt:

Irgendwann in der Zukunft gibt es eine gigantische High - Tech - Stadt "Metropolis", über die Johann Fredersen Herr ist. Tief unter der Erde führt ein Heer von Arbeitern ein Sklavendasein. Sein Sohn Freder wird Zeuge dieser unmenschlichen Arbeitsbedingungen und rebelliert gegen den despotischen Vater. Er entdeckt in den Katakomben der Stadt eine urchristlich anmutende Gemeinschaft. Maria, eine junge Frau, predigt den Arbeitern Liebe und Versöhnung.

Auch der alte Fredersen entdeckt Maria. Er will ihren Einfluss sich zunutze machen und beauftragt den Erfinder Rotwang, einem Roboter ihre Gestalt zu geben. Dieser soll die Arbeiter zum Aufstand aufhetzen, damit Fredersen gegen sie offen vorgehen kann.

"Metropolis" wurde 2001 als einziger Film in das UNESCO - Register "Memory of the World" aufgenommen.

Science - fiction-Filme lassen sich in sechs zentrale Motive/ Themenbereiche einteilen:

  • Space Opera: Reisen durch das All und zu fremden Planeten mit Raumschiffen zu unbekannten Welten bzw. Lebewesen
  • Außerirdische: Solche Lebensformen (Aliens) bedrohen die Erde und menschliche Kolonien auf Planeten (vgl. "Independence Day", USA 1996, "Aliens - Die Rückkehr", USA 1986)
  • Künstliche "Menschen" bzw. Androiden: Gestalten von Robotern, Androiden oder Cyborgs (menschliche Haut/ Gewebe mit technischen Apparaten; Begriff aus "cybernetics" + "organism" = "Cyborg")
  • Zeitreise: Die historische Entwicklung wird durch Eingriffe in die Vergangenheit verändert (vgl. beispielsweise die Filme "Die Zeitmaschine", USA 1959; "Zurück in die Zukunft I und II", USA 1985 und 1989; vgl. das Zeitparadoxon bei MANTHEY - ALTENDORF 1990, 39).
  • Apokalyptische Katastrophen und Anti - Welten: Naturereignisse, wissenschaftliche Experimente und (Atom-) Kriege sowie
  • Totale Technisierung: Der Computer als herausragende Stellung in der Technik und die Auseinandersetzung mit Denkmaschinen im Verhältnis zum menschlichen Leben sowie Technik außer Kontrolle der Menschen
2.3.2 Terminator    

Im "Terminator" kommen mit Ausnahme des Space Opera und der Außerirdischen alle genannten Motive/ Themenbereiche vor.

In der Gestalt des Cyborgs wird der künstliche Mensch/ Terminator vorgestellt, der eine programmierte Maschine zum Töten ist. Diese negative Form der Technik will Menschen zerstören.

"Der Terminator (to terminate = killen) ist der Protagonist in diesem Science - fiction - Film. Er ist kein Mensch, sondern ein Cyborg, ein kybernetischer Organismus, mit einem klar definierten Ziel. Dies besteht darin, Sarah Connor zu töten. Weil der Terminator darauf programmiert ist, sein Ziel um jeden Preis zu erreichen, ist er für die Personen im Film kein adäquater Verhandlungspartner. Ihm fehlen alle typischen menschlichen Attribute wie z.B. Gefühle, Mitleid, Reue, Schuldfähigkeit, Diskursfähigkeit" (BOHRMANN 1997, 139).

Während der Terminator die zukünftige Maschinenwelt verkörpern soll, die die Menschenwelt versklavt, personifiziert Reese als Soldat und Kämpfer die erniedrigte und sich zur Wehr setzende Menschenwelt.

Zwei Zeitebenen werden vorgeführt: 2029 als Zukunft und 1984 als Gegenwart (1., 15. und 43. Sequenz). Der Prolog des Filmes thematisiert dies mit programmatischen Worten: "Der Maschinen erhoben sich aus der Asche des nuklearen Feuers. Ihr Krieg zur Vernichtung der Menschheit hatte jahrzehntelang gewütet. Aber die letzte Schlacht sollte nicht in der Zukunft geschlagen werden. Sie wird hier geschlagen, in unserer Gegenwart" (1. Sequenz).

Das Hauptopfer stellt Sarah dar. Da sie den kommenden Befreier zur Welt bringen wird, soll der Terminator sie im Namen der Maschinen töten. Reese unterstützt sie erst, als er den Ernst der Sachlage erkennt. Sarah ist die einzige Figur im Film, die einen Wandlungs- und Reifungsprozess durchläuft.

Gleichbleibende Handlungsweisen demonstrieren der Terminator und Reese, Sarahs Entwicklung lässt sich dagegen in sechs Stufen darstellen:

  • Ahnungslosigkeit (7. - 23. Sequenz),
  • Angst (24. - 28. Sequenz),
  • Ungläubigkeit (29. - 40. Sequenz),
  • Glauben (41.- 47. Sequenz),
  • Aktivität (48. - 57. Sequenz) und
  • Kämpfertum (58. Sequenz).
2.4 Grundthemen des Filmes    

"James Camerons Film 'Terminator' handelt von der Bedrohung der Menschheit durch technische Innovationen. Technik ist demzufolge das große Thema, das in 'Terminator' auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt wird. Auch wenn sich der Film mit Technik kritisch auseinandersetzt, enthält er keine einseitig ausgerichtete Technikkritik, die in jeder technischen Errungenschaft stets eine schleichende und destruktive Gefahr zu erkennen glaubt" (BOHRMANN 1997, 141).

Der Film differenziert und demonstriert das Know - how und die Technik auf vier Ebenen:

  • Alltagstechnik (Erleichterung des Lebens),
  • Waffentechnik (zum Töten - Abkoppelung vom Menschen),
  • intelligente ("böse") Technik als "schwarze Technik" (vgl. Diskothek "TechNoir") und
  • Technik in Menschengestalt als Terminator/vgl. den im Juni 2003 erscheinenden Film "Terminator 3/ Rise of the Machines".
Zeitungsbericht zur Präsentation des dritten Terminator - Filmes Schwarzeneggers bei den Filmfestspielen in Cannes/ Tiroler Tageszeitung v. 19. Mai 2003, 36:

"Arnie is back: Beim Filmfestival in Cannes hat Arnold Schwarzenegger den anderen Stars ordentlich die Schau gestohlen.

Arnie! Arnie!: Unter dem begeisterten Beifalljubel von mehr als tausend Fans, und belagert von Hunderten von Fotografen und Kameramännern, legt Arnold Schwarzenegger am Samstag den Betrieb auf dem Prachtboulevard Croisette für zwei Stunden lahm.

'I'm back' meinte der Österreicher, als er in Cannes seinen neuen, dritten Terminator - Film "Rise of the Machines" bewarb. Schon am Freitag hatte der 55 - jährige bei seinem Auftritt dem französischen Regisseur Andre Techine und Emanuelle Beart die Schau auf dem roten Teppich gestohlen.

Es sei sehr aufregend, Terminator 3 in Cannes zu präsentieren, meinte Arnie. Für seinen neuen Streifen, der mit einem Rekordbudget von 170 Millionen Dollar im Sommer anläuft, hat die steirische Eiche selbst 30 Millionen Dollar eingestreift - die höchste Filmgage, die je einem Schauspieler gezahlt wurde. Es sei der beste Film, mit der fantastischsten Geschichte und den besten Special Effects, die Sie je gesehen haben, kündigte der Schauspieler an.

Viel gab es in Cannes vom Roboterschlachten aber nicht zu sehen: Im Rahmen einer Promotionshow wurde nur ein sechsminütiger Clip präsentiert - ohne ein einziges Bild aus dem Film. Dafür wurde ein Teil der Filmsettings aufgebaut: Arnie präsentierte zwei neue Roboter aus dem Film, in dem der inzwischen erwachsene Rebellenführer John Connor und sein Cyborg - Freund (Schwarzenegger) von einer 'Terminatrix' bedroht werden, die über unglaubliche Killer - Kräfte verfügt.

Die ersten beiden Terminator - Filme aus den Jahren 1984 und 1991 haben laut Daily Variety weltweit 560 Millionen Dollar eingespielt. Arnie war nicht zum ersten Mal im PR - Einsatz in Cannes: Seit den Siebzigern ist der US - Steirer immer wieder ein gern gesehener Gast an der Croisette."

Neben der Technik ist die Liebe ein zentrales Thema im Film. Sarah wird geradezu als Inkarnation der Liebe vorgestellt. Durch ihre Initiative wird die Geburt des späteren Erlösers realisiert. In der 51. Sequenz gesteht Reese Sarah seine Liebe, die zur treibenden Kraft, die das Chaos bannen kann. Nach BOHRMANN wird die christliche Botschaft hier thematisiert (vgl. BOHRMANN 1997, 144).

2.5 Soziologischer Zusammenhang    

Ein Film ist ein historisches und gesellschaftliches Produkt zu einer bestimmten Zeit bei bestimmter gesellschaftlicher Struktur mit dem Aufgreifen aktueller Themen (vgl. FAULSTICH 1988, 56-66).

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, relevante Zeitströmungen und Ereignisse dem Film zuzuordnen, die die Produktion vermutlich begünstigt haben.

Die 70/ 80iger Jahre weisen ein hohes militärisch - politisches Konfliktpotential auf, die durch die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen, durch die Nachrüstung des Westens (NATO - Doppelbeschluss 1979), den Bau der Neutronenbombe 1981 und das SDI - Programm 1985 charakterisiert sind. Solche Bedrohungsszenarien ergeben in der Kinowelt filmische Inszinierungen mit unterschiedlichen Bedrohungen und menschlichen Ängsten (vgl. FAULSTICH/ KORTE 1995, 12-14).

2.6 Sequenzprotokoll    

1. Trümmerlandschaft/ Zukunft (2029)

2. Titel

3. Nächtliche Straße in Los Angeles (1984): Lastkraftwagen und Terminator

4. Aussichtspunkt: Punker und Terminator

5. Nächtliche Straße in Los Angeles: Reese - Obdachloser - Polizei

6. Straße/ Kaffeehaus: Reese und Polizei

7. Straße/ Restaurant: Sarah Connor und Kolleginnen

8. Terminator stiehlt Auto

9. Restaurant: Sarah - Kolleginnen - Gäste

10. Waffengeschäft: Terminator und Waffenverkäufer

11. Straßenecke: Reese manipuliert Gewehr

12. Telefonzelle/Wohnsiedlung: Terminator - Passanten - Hausfrau (1. Sarah)

13. Restaurant: Sarah und Kolleginnen/ TV - Gerät - Nachricht vom Verbrechen

14. Baustelle: Reese

15. Trümmerlandschaft/ Zukunft(2029): Traum/ Menschen kämpfen gegen Maschinen

16. Baustelle: Resse fährt weg

17. Wohnung von Sarah und Ginger: Badezimmer - Telefonanruf

18. Polizeistation: Nachricht von zwei toten Frauen/ Sarahs

19. Wohnung von Sarah und Ginger: Anrufbeantworter - Leguan

20. Tiefgarage: Sarah und Reese (versteckt im Auto)

21. Polizeistation: Versuch eines Anrufs bei Sarah

22. Wohnung von Sarah und Ginger: Ginger und Matt

23. Polizeistation: Warnung Sarahs

24. Bar: Sarah - Barkeeper - andere Gäste/ TV - Nachrichtensendung

25. Boulevard: Sarah - Resse - Passanten

26. Diskothek "TechNoir": Sarah und Gäste

27. Wohnung von Sarah und Ginger: Anrufbeantworter verrät Sarah

28. Polizeistation/ TechNoir

29. TechNoir: Sarah - Reese - Terminator - Gäste/ Schießerei mit dem Terminator und Flucht

30. Straße: Rees

31. Auto/ Straßen: Reese und Sarah/ Nachtfahrt

32. Parkhaus: Reese und Sarah/ 1. Dialog über den Terminator

33. Straße/ Parkhaus: Terminator und Polizei/ Terminator sucht Sarah und Reese

34. Auto/ Parkhaus/ 2. Dialog über den Atomkrieg und zukünftigen Kämpfer John Connor

35. Parkhaus/Straße: Reese - Sarah - Polizei - Terminator/ Verfolgungsjagd - Unfall und Flucht des Terminators

36. Polizeistation: Bericht Sarahs über Reese

37. Dunkles Zimmer: Terminator repariert seinen Maschinenkörper/Arm

38. Polizeistation: Reese erzählt Dr. Silberman

39. Dunkles Zimmer: Terminator repariert seinen Maschinenkörper/Auge

40. Polizeistation: Reese und Dr. Silberman/Reese wird für verrückt erklärt

41. Polizeistation: Terminator-Polizisten-Reese-Sarah/Terminator? richtet Blutbad an/Flucht von Reese und Sarah

42. Unter einer Brücke: Reese und Sarah/3. Dialog mit Erzählung von Reese über John Connor

43. Trümmerlandschaft/Zukunft(2029)-Terminator kämpft gegen Menschen

44. Landschaft am Morgen: Reese und Sarah/Hundeerklärung

45. Dunkles Zimmer: Terminator findet die Adresse von Sarahs Mutter

46. Tiki Motel/ Zimmerbestellung

47. Tiki Motel/ Appartement - Sarahs Verrat ihres Aufenthaltsortes

48. Tiki Motel/ Appartement - Reese und Sarah versuchen, Bomben zu bauen

49. Nächtliche Straße/ Motorradfahrt des Terminators

50. Tiki Motel/Appartement - Bombenbau von Sarah und Reese

51. Tiki Motel/ Appartement - Reese und Sarah schlafen miteinander

52. Nächtliche Straße/ Motorradfahrt des Terminators

53. Tiki Motel/ Appartement - Sarah und Reese werden durch durch einen Hund gewarnt

54. Tiki Motel/Reese - Sarah - Terminator: Terminator dringt in Appartement ein - Flucht von Reese und Sarah

55. Straße/ Reese - Sarah - Terminator - Tanklastwagenfahrer: Bombenwürfe auf Terminator- Terminator "verbrennt"

56. Fabrik/ Reese - Sarah - Terminator: Kampf zwischen Reese und Terminator/ Tod von Reese

57. Fabrik/ Sarah und Terminator: Terminator wird von Sarah in eine Metallpresse gelockt und dort zerquetscht

58. Tankstelle/ Mexiko: Sarah bespricht Tonbänder - Bub kündigt Sturm an

3 Wirkung gewalthaltiger Medien    

Nach der Analyse eines gewalthaltigen Filmproduktes soll nun gefragt werden, wie solche und ähnliche Filme auf Heranwachsende wirken können.

Da die Medienforschung kein einheitliches Bild dazu vermittelt, sollen unterschiedliche Aspekte/ Theorien referiert werden (vgl. dazu ausführlich BOHRMANN 1997, 175-211; EISENMANN 2001; MERTEN 1999).

Beim Blick in die Diskussion um Gewaltdarstellungen fällt auf, dass diese Debatte zyklisch geführt wird.

  • Diskutierte man zu Beginn über "Schundfilme" (HELLWIG 1911), in den fünfziger und sechziger Jahren über "moralische Primitivierung", "Kriminalisierung" und "Sexualisierung", thematisierten die Kritiker in den achtziger Jahren die Gewalt in Video- und Computerspielen.
  • Schließlich fand die Gewaltdiskussion um die privaten TV-Anbieter? und die Werbewirtschaft statt. Bemerkenswert sind die alten Argumente der Kinoreformer, die immer wieder aufgegriffen werden (vgl. KONCZIK 1993, 112).
Unterschiedliche Ansätze/ Theorien sollen im Folgenden mögliche Wirkungen von Gewaltdarstellungen behandelt werden.

  • Die Katharsisthese geht von einer Senkung der Aggressionsbereitschaft nach dem Konsum solcher Inhalte aus. Wissenschaftlich wird dieser Erklärungsansatz heute nicht mehr vertreten.
  • Die Inhibitionsthese geht von einer Verängstigung des Zuschauers bei Ansicht gewalthaltiger Filmprodukte aus, womit Gewaltausübung vermindert wird. Diese Position ist innerhalb der empirischen Wirkungsforschung nicht abgesichert.
  • In der Stimulationsthese sieht man eine Anregung des Zuschauers zu aggressivem Verhalten. In der deutschsprachigen Öffentlichkeit wird diese Position derzeit intensiv diskutiert.
BOHRMANN (1997, 177-178) zitiert BURKART, der hier drei verschiedene Wirkungsthesen unterscheidet:

  • Erregung (emphatische Effekte),
  • Imitation ("Lernen am Modell", vgl. BANDURA 1979) und
  • Suggestion ("Nachahmenstat").
"Am Beispiel Videofilm wird ein allgemeines Phänomen deutlich: die Faszination der Jugend gegenüber dem, was technisch und elektronisch machbar ist. Das technische Prinzip hat bei vielen Jugendlichen und Erwachsenen schon längst das Übergewicht gegenüber humanen Gefühlen und Verhaltensweisen gewonnen" (GLOGAUER 1988, 82). GLOGAUERs Kriminalisierungsthese weist hin bis zur Aggressivität Jugendlicher, was gesamtgesellschaftliche Konsequenzen beinhaltet. Mediale Reize können auch - nach Analyse von 37 Gerichtsakten - zu Tötungsdelikten - im konkreten Fall der Untersuchung bei vier Delikten nachweisbar - führen (vgl. GLOGAUER 1994, 100-101).

  • Die Habitualisierungsthese geht von der Annahme aus, dass übermäßiger Konsum zur Abstumpfung gegenüber fiktiver und realer Gewalt führt und damit ein emotionaler Gewöhnungseffekt auftritt. Auch diese These ist empirisch nicht abgesichert.
  • Letztlich wird die These der Wirkungslosigkeit noch diskutiert, die sozialschädliche Wirkungen für unberechtigt hält, zumal unsichere empirische Ergebnisse vorliegen.
"Das größte Problem der oben vorgetragenen Medienwirkungsthesen (Katharsis-, Inhibitions-, Stimulations- und Habitualisierungsthese) beruht auf einer Stimulus - Response - Theorie, die davon ausgeht, dass ein bestimmter Inhalt einen direkten und identischen Einfluss auf das Publikum auslöst. Die Nutzer der Medien werden gleichsam zu Objekten, die kritik- und distanzlos das ausführen, was ihnen geboten wird" (BOHRMANN 1997, 180).

Kritisch ist festzuhalten, dass die meisten Medienuntersuchungen nur Inhalte analysieren, ohne dabei den Rezipienten und seine soziale Situation zu berücksichtigen. BOHRMANN problematisiert so etwa die Untersuchungen von GROEBEL - GLEICH (1993), die ungewollt ein behaviorstisches Wirkungsmodell so unterstützen, wenn sie die Zahl und Art der Morde im bundesdeutschen TV (ARD, ZDF, RTL, SAT 1, PRO SIEBEN und TELE 5) katalogisieren.

Solche Studien provozieren nur unreflektierte öffentliche Meinungsäußerungen, ohne die Wirkungen auf den Zuschauer untersucht zu haben. "Dass Menschen jedoch gezielt das Fernsehen nutzen, bewusst Programmteile auswählen und zudem noch die Fähigkeit haben, Gewalthaltiges zu problematisieren oder zu reflektieren, bleibt bei Inhaltsanalysen zumeist unberücksichtigt" (BOHRMANN 1997, 181; vgl. MERTEN 1999, 64 -74).

Innerhalb der medienwissenschaftlichen Forschung ist die Tatsache unbestritten, dass bestimmte Inhalte auf bestimmte Rezipienten negative Auswirkungen haben können. "Ob Kinder oder Jugendliche durch mediale Gewalt zu aggressiven Verhaltensweisen angeleitet werden, ist erstens abhängig vom jeweiligen familiären Umfeld und den dort ablaufenden Sozialisationsbedingungen. Zweitens hat die jeweilige Subkultur (bei den Jugendlichen ist das die sogenannte peer group) und das gesellschaftliche Milieu, in dem man lebt, daran Anteil, ob Violenz erlernt wird. Die durch die Medien angebotenen aggressiven Modelle folgen erst an dritter Stelle" (BOHRMANN 1997, 184; vgl. KUNCZIK 1993, 138 und KOFLER/ GRAF 1995, 145-169).

Ein Wirkungsrisiko trifft besonders auf gefährdungsgeneigte Subgruppierungen zu, die auf Grund ihrer entwicklungsbedingten Situation und ihres nichtintakten sozialen Milieus Medien anders rezipieren. Hier ist Schutz geboten, wie in der einschlägigen Literatur darauf hingewiesen wird (vgl. BOHRMANN 1997, 206 - 222; MERTEN 1999, 230 - 264).

4 Grenzen und Legitimität von Gewalt in Filmen    

In der Folge stellt sich die Frage nach ethischen Grundsätzen für die Präsentation von Gewalt in Filmen und deren Durchsetzung. Diese Medienethik soll im Folgenden skizzenhaft referiert werden.

Der Begriff "Unterhaltung" wird hier mit dem Delecation - Begriff definiert. Unterhaltung ist kein ausschließlich passiver Vorgang, sondern zeigt auch aktives Erleben. In der Massenkommunikation sind Vielfalt, Offenheit und Freiheit medienethische Aspekte einer demokratischen Grundstruktur, die es zu beachten gilt.

Präferenzen Jugendlicher bei bestimmten Filmwirken sind zu beachten.

4.1 Delecatio - Begriff    

Nach BOHRMANN umfasst dieser Begriff die Lust, den Genuss, das Vergnügen und keine Passivität, vielmehr aktive Betätigung (vgl. BOHRMANN 1997, 187-193). Diese Funktionslust mit ihren Verhaltensweisen und der entsprechenden Umsetzung weist auf Anspannung im Alltag und Erholung hin.

4.2 Vielfalt und Offenheit    

Kommunikationsformen sind grundlegender Bestandteil von Sozialisationsgeschehen. Der freie Informationszugang in einer Weltgesellschaft durch ein komplexes und global strukturiertes Kommunikationsnetz ist Kennzeichen heutiger Gesellschaftsformen.

Öffentlichkeit ist durch unterschiedliche Informationen mit ihren Transportmöglichkeiten gegeben.

In Demokratien ist die Kritik- und Kontrollfunktion - sei es durch die Medien selbst, entsprechende Institutionen und/oder die Staatsbürger - wesentlicher Bestandteil politischer Erziehung/ Bildung.

Die wesentliche Leistung der Medien als Sozialisationsfunktion beinhaltet als lebensbegleitenden Prozess die Vermittlung von Kulturleitbildern, Wertvorstellungen und normativen Positionen.

Auf die Unterhaltungsfunktion wird hingewiesen.

Nicht zu unterschätzen ist die ökonomische Leistung für unsere Fragestellung, denn Werbung und Wirtschaft sind hier eng verflochten.

Dass Medien und damit Filme die Pluralität der Gesellschaft widerspiegeln, sollte an dieser Stelle festgehalten werden (vgl. ausführlich dazu Th. HAUSMANNINGER, Medialer Diskurs und politische Verantwortung. Sozialethische Überlegungen zur politischen Funktion und Aufgabe der Medien, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 36/1995, bes. 147; vgl. BOHRMANN 1997, 195).

Allerdings muss auf das Prinzip der Repräsentativität verwiesen werden, besondere Stimmen, Meinungen und Haltungen in einer Mediengesellschaft sind zu beachten. Dies beinhaltet auch Differenziertheit, also unterschiedliche Betrachtungsweisen.

Erwachsene werden in unserer Rechtsordnung als mündige und eigenverantwortliche Subjekte behandelt, Kinder und Heranwachsende haben ein Anrecht auf Hilfestellung (Erziehung, Kinder- und Jugendschutzmaßnahmen).

Neben diesen Schutzgründen kann es durchaus auch zu Nachzensuren kommen. Im Gegensatz zur Vorzensur, die von Anfang an Medien verhindert, wird hier das Produkt nach der Herstellung bewertet und gegebenenfalls eingezogen.

4.3 Erklärungsversuche für Existenz, Beliebtheit und Legitimität gewalthaltiger Filme    

Dieser Erklärungsversuch setzt bei dem Unterhaltungsphänomen an und versucht mit Hilfe des Delecatio - Begriffs die Rezeption des Filmes zu erklären.

Medienethik versteht den Konsum von Filmen als Ausdruck humaner Selbstverwirklichung zu erklären. "In besonderer Weise tragen gewaltorientierte Angebote in den Medien zur Aktivierung der angesprochenen Delekationsformen (Anm. : sensomotorisch, emotional, kognitiv und reflexiv) bei, da mediale Gewaltinszinierung Unterhaltung und Spannung auf verschiedenen Unterhaltungsniveaus anbieten, was bereits das Beispiel 'Terminator' deutlich gemacht hat" (BOHRMANN 1997, 199-200).

Gewalthaltige Filme sind Reaktionen auf unterschiedliche Krisenerscheinungen der Moderne.

Verfallsprozesse zeigen sich nicht nur in diesen Filmen an menschlichen Personen und Körpern, auch gesellschaftliche Institutionen - man denke an Staat, Wissenschaft und Familie - sind bedroht und zeigen Brüche.

Verschiedenste Szenarien von Bedrohungen, Zerstörungen und Verletzungen mit unterschiedlichster Intensität werden medial präsentiert. Inhaltlich reflektieren solche Filme soziale Verhältnisse. Die aufgezeigten Krisen sollen der Aufrüttelung dienen.

5 Verantwortung der Rezipienten    

Aus der Sicht der Erziehungswissenschaft im Bereich Medienpädagogik erscheint der Mensch als moralisches Subjekt, der sein Leben rational und verantwortlich gestalten kann. Durch seine anthropologische Struktur kann er Medienangebote aktiv gebrauchen.

Der Delecatio - Begriff zeigt, dass Medienkonsumenten nicht passiv sich von Programmangeboten berieseln lassen müssen. Vielmehr kann er aktiv auswählen und auf unterschiedlichen Stufen der Delekation rezipieren.

Medienethik bedeutet Ethik der

  • Produktion und Distribution (Anbieterseite),
  • Medienordnung (Rahmenordnungen) und
  • Rezeption (Nachfrage und Nutzerseite). Dementsprechend gibt es die zwei Aspekte des sozialethischen und individualethischen Gebrauches.
Medienpädagogik geht vom Ethos der Rezipienten aus,

  • die einmal selbstverantwortlich rezipieren (Programmauswahl),
  • zum anderen Erwachsenen/ Eltern eine Erziehungs- und Aufsichtsfunktion beimessen (Erziehungsrecht/ Aufsichtspflicht - Kinder- und Jugendschutz) und
  • zuletzt dem Staat eine - in gesamtgesellschaftlicher demokratischer Verantwortung - eine Kontrollfunktion zubilligen (Rechtsstaat/ Medienrecht).
6 Funktion der Medienpädagogik    

Im letzten Abschnitt soll die Rolle der Medienpädagogik in einer offenen und demokratischen Gesellschaft beleuchtet werden (vgl. die Intentionen der Politischen Bildung im Bereich "Massenmedien").

6.1 Jugendmedienschutz    

Bei öffentlichen Diskussionen wird immer wieder der Jugendmedienschutz diskutiert, allerdings beinhaltet Jugendschutz auch immer eine Jugendförderung.

"Doch diese Einsicht konnte sich diese in pädagogischen Kreisen nur langsam durchsetzen. Die meisten Filmpädagogen der fünfziger und sechziger Jahre versuchten zunächst, vor den schädlichen Medieneinflüssen zu warnen und postulierten eine 'führend-bewahrende' pädagogische Arbeit, bei der man zum einen die Jugend vor ungeeigneten Produkten schützen und ihr zum anderen lobenswerte oder qualitativ hochstehende Filme zugänglich machen wollte. Allmählich entwickelte sich neben einer solchen 'Bewahrpädagogik' aber auch eine Medienpädagogik, die den autonomen und kritischen Umgang mit den Medien im Kindes- und Jugendalter befürwortet.

6.2 Medienpädagogik    

Eine moderne Medienpädagogik setzt sich in diesem Sinne für eine reflexive Auseinandersetzung mit Medienprodukten ein, bei der die Rezipienten zu einem eigenen bzw. mündigen Nutzungsverhalten angeleitet werden sollen.

Ein zentrales Lernfeld für medienpädagogische Bemühungen ist die Schule, doch darf sich Medienpädagogik nicht nur auf diesen Bereich beziehen, sondern muss sich auch außerschulischen Praxisfeldern zuwenden. Häufig hört man jedoch in der Auseinandersetzung um den Einsatz von medienpädagogischen Modellen in der Unterrichtsgestaltung ablehnende Stimmen, die Medienpädagogik als 'Reparaturwerkstatt' der Gesellschaft oder als 'Hilfsinstitution' für 'mediengefährdete' Kinder bezeichnen. Doch diese Äußerungen übersehen, dass gegenwärtige Kinder- und Jugendgenerationen in einer mediatisierten Umwelt leben, denn die unterschiedlichsten Medienerfahrungen strukturieren und beeinflussen den Alltag in erheblicher Weise und tragen zur Ausbildung neuer Sozialformen besonders im Jugendalter bei" (BOHRMANN 1997, 255; vgl. ISSING 1987, 19-23; HIEGEMANN - SWOBODA 1994, 149-166; SCHORB 1995, 14-56).

Mediennutzung ist heute als eigenständige Kulturtechnik zu verstehen, die sich neben den traditionellen Bereichen zu behaupten hat (vgl. DOELKER 1989, 23-24). Wie die Erziehungswissenschaften nicht die Augen vor den Entwicklungen der Gesellschaft verschließen darf, hat die Medienpädagogik sich verstärkt mit der Integration audiovisueller Medien in die pädagogische Arbeit zu beschäftigen. "Medienpädagogik ist letztlich die Konsequenz einer mediatisierten Gesellschaft" (BOHRMANN 1997, 256).

6.3 Medienkompetenz    

Medienkompetenz hat an Hand von Aufgabenfeldern zu erfolgen, die mit Orientierungswissen, Wahrnehmung, Beurteilung und Medienarbeit zu umschreiben sind (vgl. BUSCHMEYER 1995, 20-24).

Im Folgenden sollen fünf pädagogische Aufgabenfelder angesprochen werden, die einen hohen Anteil zur Ausbildung von Medienkompetenz erbringen:

  • schulische Bildung mit dem Fachbereich Medienpädagogik, insbesondere in den Fächern Deutsch, Politische Bildung (in Verbindung mit Geschichte), Bildnerische Erziehung (Kunst-) und Religion/ Ethik,
  • Familie - Elternhaus mit den primären Sozialisationserfahrungen (Beispielsfunktion der Eltern/ Erwachsenen),
  • Rundfunkveranstalter mit Filmeinführungen, Möglichkeiten der Weiterbildung und Einbindung in den medialen Bildungsprozess (Schulen, Erwachsenenbildung),
  • Erwachsenenbildung als Lernort für mediale Ethik und Ästhetik und
  • Programmzeitschriften mit Hinweisen für altersgruppenspezifische Filme zur Vermittlung von Orientierungswissen.
Medienpädagogik ist gemeinsames Engagement unterschiedlicher Akteure im Sinne der hier behandelten Themenbereiche.

6.4 Literaturhinweise Medien    

  • BANDURA A. (1979): Aggression. Eine soziallerntheoretische Analyse, Stuttgart
  • BOHRMANN Th. (1997): Ethik - Werbung - Mediengewalt. Werbung im Umfeld von Gewalt im Fernsehen, München
  • BUSCHMEYER H. (1995): Pädagogische Überlegungen zum Konzept "Medienkompetenz", in: Informationen Weiterbildung in Nordrhein - Westfalen 5/1995, 20 - 24, herausgegeben vom LANDESINSTITUT FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG (1995); Abtl. Weiterbildung, Soest
  • DOELKER Chr. (1989): Kulturtechnik Fernsehen. Analyse eines Mediums, Stuttgart
  • EISENMANN J. (2001): Mediengewalt. Die gesellschaftliche Kontrolle von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, Wiesbaden
  • FAULSTICH W. (1980): Einführung in die Filmanalyse, Tübingen
  • FAULSTICH W. (1988): Die Filminterpretation, Göttingen, 56-66
  • FAULSTICH W. - KORTE H. (1995): Der Film zwischen 1977 und 1995: Ein Überblick, in: FAULSTICH W. - KORTE H. (Hrsg.) (1995): Fischer Filmgeschichte. Massenware und Kunst (1977-1995), Bd. 5, Frankfurt/M., 12-14
  • GALTUNG J. (1971): Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: SENGHAAS D. (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, Frankfurt/ M., 55-104
  • GIESEN G. (1984): Lexikon des phantastischen Films. Horror - Science Fiction - Fantasy, Bd. 2, Frankfurt/ M. - Berlin - Wien, bes. 348-353
  • GIESEN R. (1990): Sagenhafte Welten. Der phantastische Film, München
  • GLEICH U. (1995): Das Angebot von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, in: FRIEDRICH M. - VOWE G. (Hrsg.) (1995): Gewaltdarstellungen in den Medien. Theorien, Fakten und Analysen, Opladen, 145-165
  • GLOGAUER W. (1994): Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen. Baden-Baden?
  • GLOGAUER W. (1988): Videofilm-Konsum? der Kinder und Jugendlichen. Erkenntnisstand und Wirkungen, Bad Heilbrunn
  • GROEBEL J. - GLEICH U. (1993): Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots privater und öffentlich-rechtlicher Sender, Opladen
  • HAHN R.M. - JANSEN V. (1980): Lexikon des Science Fiction Films, Reinbek b. Hamburg
  • HELLMANN Chr. (1983): Der Science Fiction Film, München
  • HICKETHIER K. (1993): Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart - Weimar
  • HIEGEMANN S.- SWOBODA W.H. (Hrsg.) (1994): Handbuch der Medienpädagogik. Theorieansätze-Traditionen-Praxisfelder-Forschungsperspektiven?, Opladen, 149-166
  • HOWARD D. - MABLEY E. (1996): Drehbuchhandwerk. Techniken und Grundlagen mit Analysen erfolgreicher Filme - Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Filmstiftung Nordrhein - Westfalen GmbH.
  • HUGGER P.-STADLER U. (Hrsg.) (1995): Gewalt. Kulturelle Formen in Geschichte und Gegenwart, Zürich
  • HURRELMANN K. (1986): Einführung in die Sozialisationstheorie. Über den Zusammenhang von Sozialstruktur und Persönlichkeit, Weinheim - Basel
  • ISSING L. (Hrsg.) (1987): Medienpädagogik im Informationszeitalter, Weinheim
  • KÜBLER H.-D. (1995): Mediengewalt: Sozialer Ernstfall oder medienpolitischer Spielball? Ein Dauerthema im Interessensclinch zwischen Politik, Kommerz und Wissenschaft, in: FRIEDRICHSEN M. - VOWE G. (Hrsg.) (1995): Gewaltdarstellungen in den Medien. Theorien, Fakten und Analysen, Opladen, 69-108
  • KUNCZIK M. (1993): Public Relations. Konzepte und Theorien, Köln - Weimar - Wien
  • KUNCZIK M. (1993): Gewalt im Fernsehen, in: Media Perspektiven 3/1993, 98-107
  • KUNCZIK M. (1993): Gewaltdarstellungen - ein Thema seit der Antike, in: Media Perspektiven 3/1993, 108-113
  • KUNCZIK M.(1993): Gewalt und Medien, Köln - Weimar - Wien
  • MCLUHAN M.-POWERS B.R. (1995): The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn
  • MERTEN K. (1999): Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?, Opladen - Wiesbaden
  • MIKOS L. (1995): Zur Faszination von Action und Horrorfilme, in: FRIEDRICHSEN M. - VOWE G. (Hrsg.) Gewaltdarstellungen in den Medien. Theorien, Fakten und Analysen, Opladen, 166-193
  • MONKENBUSCH H. (Hrsg.) (1994): Fernsehen. Medien, Macht und Märkte, Reinbek b. Hamburg
  • SCHORB B. (1996): Kinder rezipieren, be- und verarbeiten Gewaltdarstellungen im Fernsehen. Ein Überblick aus vier Forschungsprojekten, in: SCHORB B. - STIEHLER H. -J. (Hrsg.) (1996): Medienlust - Medienlast. Was bringt die Rezipientenforschung den Rezipienten?, München, 127-142
  • THEUNERT H. (1996): Gewalt in den Medien - Gewalt in der Realität. Gesellschaftliche Zusammenhänge und pädagogisches Handeln, München
  • WEGENER Cl. (1994): Reality - TV. Fernsehen zwischen Emotionen und Informationen, Opladen

Die Studie wurde im Rahmen der "Ökumenischen Dekade zur Verhinderung von Gewalt (2001 - 2010)" von der zuständigen Abteilung des Weltkirchenrates/ Genf im Internet veröffentlicht.

TEIL II Aspekt Gewalt in der Schule    

Einleitung    

Im Rahmen der Bemühungen einer "Education für Democratic Citizenship" zur Verbesserung Politischer Bildung/ Erziehung in Österreich ist die Problematik von verschiedenen Formen von Gewalt an Grundschulen zu bearbeiten.

Die Grundschule als Grundstufe und Sekundarstufe unseres Bildungssystems in einer komplexen Gesellschaft stehen unter der Prämisse einer Kinder- und Jugendorientierung, die sich in methodischen Überlegungen in Richtung differenziertem, schüleraktivierendem und offenem Unterricht niederschlägt. Dies zeigt eine Intensivierung von Bemühungen um schulische Erziehung an, die sich besonders am Schulleben festmachen lässt.

Von Gewaltphänomenen sind auch die pädagogischen Bemühungen von Lehrenden nicht verschont. Soziale Unverträglichkeiten, Migration und verschiedenste offene und versteckte Formen von Gewalt - verbunden mit gesellschaftlichen Wandlungen in der Familie, in kultureller Vielfalt und in den Medien - nötigen vermehrt zu pädagogischen Überlegungen im Rahmen dieses Projekts.

1 Schule im Bildungssystem    

Unter der Grundschule (Volksschule) ist eine Elementarschuleinrichtung zu verstehen, auf der die Sekundarstufe I und II als Mittelschule bzw. Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule (AHS - Unterstufe), Polytechnische Schule (PTS), berufsbildende mittlere Schulen(BMS), berufsbildenden höhere Schulen (BHS) und die Oberstufenformen der allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS - Oberstufe), Kollegs, Universitäten, Fachhochschulen und Akademien sowie den Institutionen der Allgemeinen und Beruflichen Erwachsenenbildung aufbauen.

In Österreich besteht die Grundschule aus der Vor- und Volksschule, ein- und vierjährig. Die Vorschule ist für nicht schulreife, aber schulpflichtige Kinder zu besuchen und wird in die Schulpflicht eingerechnet.


Statistische Daten(2002/2003)

Volksschulen: 3.351

Schüler/innen: 381.140

Lehrer/innen: 33.590

Schüler/innen pro Lehrer/in: 11,3

Schüler/innen pro Klasse: 20,0

Quelle: bm:bwk (Hrsg.), Bildungsentwicklung in Österreich 2000-2003, Wien 2004, 25


Die Grundschule ist die erste Pflichtschule - im Selbstverständnis für alle Kinder des "Volkes" ("Volksschule") - ohne parallele Schularten, in der der Gleichheitsgrundsatz institutionell verwirklicht ist.

Der Übergang von der Familie oder freiwillig besuchter Vorschuleinrichtungen (Krippe, Kindergärten, Kindertagesstätten) in eine öffentliche Erziehungsinstitution mit Schulpflicht ist vielfach problematisch:

  • Kinder haben anderen Erwartungen zu entsprechen. Der Schulanfang entspricht einem wesentlichen Einschnitt in die Biografie und der Lerngeschichte der Kinder, auf den sie unterschiedlich reagieren, weshalb auch die pädagogische Forderung nach einem gleitenden Übergang erhoben wird.
  • Ein weitere Problem ist das Schuleintrittsalter. Die Festlegung auf das 6. Lebensjahr ist eine statuierte Größe. Kompensatorische Absichten sprechen für eine frühere Einschulung, das Gegenargument ist die Gefahr der Verschulung. Die in Österreich praktizierte Möglichkeit, dass schulpflichtige Kinder ohne die entsprechende "Schulreife" in die Vorschule(Vorschulklasse) gehen und damit die Primarstufe ein Jahr länger besuchen, spricht für eine Lösung mit gleitendem Übergang.
  • Das dritte Problem stellt sich in der "Schulreife" oder "Schulfähigkeit". Der Begriff "Schulreife" stammt aus einer Zeit, in der Entwicklungsprotzesse der Kindheit und Jugendzeit als Reifungsvorgänge interpretiert wurden (vgl. BARTNITZKY - CHRISTIANI 1981, 93). Neuere Erkenntnisse stellen dagegen die Bedeutung der Lernumwelt für die kindliche Entfaltung heraus, folglich spricht man von "Schulfähigkeit" als körperlichem, geistigem und sozialem Entwicklungsstand eines Kindes, das befähigt ist, den schulischen Erstanforderungen zu genügen(vgl. KOCHAN/ NEUHAUS -SIEMON 1979, 411).
  • Mit der Schulaufnahme bzw. Rückstellung eines Kindes tritt ein Selektionsprozess in Kraft. "Pädagogisch wäre es jedoch wünschenswert, dass die Schuleintrittsdiagnose nicht selektiven Aufnahmeentscheidungen, sondern didaktischen Differenzierungsentscheidungen dienen würde" (BECHER - BENNACK 1995, 21). Nicht organisatorische Formen, vielmehr inhaltliche Fragen - behutsame Übergänge zwischen Spielen und und Lernen, Spontaneität, Systematik, Selbst- und Fremdbestimmung - sollten im Vordergrund stehen.
  • Nicht minder problembehaftet ist der Übergang von der Grundschule (Primarstufe) zur Sekundarstufe I. Übergangsprobleme sind die Kontaktaufnahme mit neuen Lernenden, der Lehrerwechsel (Fachlehrer - Prinzip), neue Fächer mit deutlicher Fächerung des Unterrichts, zumeist der längere Schulweg, die größere Menge von Hausaufgaben (mitunter die Notwendigkeit von lernunterstützenden Maßnahmen), die geringere Gestaltung der Klassenräume und der Schule, der Raumwechsel und die ritualisierten Schularbeiten. Ein anderes Schulverständnis mit sachorientierter Arbeitsweise kennzeichnet diese Übergangsphase.
Zudem kommt in Österreich in der Mittelschule die Einstufungsphase in den Leistungsgruppenfächern Deutsch, Englisch und Mathematik zum Tragen (Leistungsgruppe I, II und III).


Schulzeit im Primarbereich:

Österreich4 Jahre
Belgien6 Jahre - Orientierungsstufe im Sekundarbereich 2 Jahre
Niederlande8 Jahre(davon Vorschule 2 Jahre)
Frankreich5 Jahre
Irland6 Jahre
Italien5 Jahre
Spanien8 Jahre
Portugal4 Jahre
Griechenland9 Jahre
Dänemark
Norwegen
Schweden
9 Jahre
Finnland6 Jahre

Quelle: BECHER - BENNACK 1995, 24


2 Psychosoziale Entwicklung und Lernprozesse    

Entwicklung und Lernen werden als Prozesse angesehen, die die gesamte Biografie und Lebensspanne betreffen, somit in allen Lebenstadien stattfinden und von unterschiedlichsten Bedingungen abhängen(vgl. BALTES 1987, GAGE - BERLINER 1986).

Grundschüler werden als eine Schülergruppe mit einer Streubreite von körperlichen, kognitiven, emotionalen und sozialen Merkmalen gesehen.

Im Folgenden wird auf die Entwicklungsmerkmale, Schulfähigkeit, Schulleistungen und Lernprozesse und die Leistungsbeurteilung von Grundschülern eingegangen.

2.1 Entwicklungsmerkmale im Grundschulalter    

Während früher häufig die Entwicklung des Kindes als Reifungs- oder Prägungsprozess eingeschätzt, hauptsächlich der Aspekt der körperlicher Reifung als Grundlage für eine Entwicklung des Denkens und der sozialen Kompetenz angesehen wurde, wird heute das Kind als eigenständige Person mit verschieden entwickelter Individualität betrachtet. Die drei wichtigsten Dimensionen des Grundschulkindes sind die körperliche, intellektuell-kognitiv-sprachliche und die verschiedenen Aspekte der sozial-emotionalen Entwicklung mit den Interaktionen zu engen Bezugspersonen und neuen Kontakten außerhalb der Familie.

Körperlich ist das Wachstum des Schulkindes etwa zur Hälfte bei der Einschulung abgeschlossen, das Gehirn hat ungefähr 50 Prozent seiner endgültigen Größe erreicht. Die keineswegs abgeschlossene Reifung des Nervenssystems zeigt sich in der Feinmotorik (Schreibhaltung des Grundschulkindes).

Intellektuell ist das Überwinden einer ichbezogenen Weltsicht und der Aufbau einer sachorientierten realistischen Grundeinstellung wesentlich, wobei die Fähigkeit einer Perspektivenübernahme sich entwickelt. In diesem Alter lernt das Kind, logische Zusammenhänge auch komplexer zu erkennen.

Mit der kognitiven Fähigkeit zur Perspektivenübernahme gestalten sich auch die sozial - emotionalen Aspekte der Schulfähigkeit, wobei die Grundlage für eigene Selbstständigkeit sich entwickelt. Mit der allmählichen Ablösung von den Eltern wird die Schule zur eigenen Welt. Es entwickeln sich eigene Beziehungen zu Gleichaltrigen, in informellen, mitunter hierarchisch gegliederten Gruppenbeziehungen und anderen Kindern (vgl. BECHER - BENNACK 1995, 36-37; NICKEL 1979, 123).

2.2 Schulfähigkeit    

Die sechziger Jahre in ihrer Bildungseuphorie traten für eine Einschulung der Fünfjährigen ein (vgl. LÜCKERT 1967), heute wird gewarnt, dass eine zu frühe Einschulung - zwar nicht in den ersten Schuljahren - aber in den weiteren Schuljahren zu Problemen führen kann (vgl. PORTMANN 1988).

Aus heutiger Sicht werden die verschiedenen Sozialisationsbedingungen vermehrt beachtet. Gestützt auf BRONFENBRENNER (1981) hat NICKEL (1988) ein Modell zur theoretischen Erfassung der verschiedenen Aspekte der Schulfähigkeit erarbeitet(vgl. Abb.1).


Abb.1: Gesamtgesellschaftlicher Hintergrund - Ziel- und Wertvorstellungen, soziale und ökonomiche Strukturen, Einstellung zum Leistungsverhalten

SchuleSchüler
Schulsystem: Primarstufe im GesamtsystemKörperliche Voraussetzungen: Entwicklungs- und Gesundheitszustand
Anforderungen: Lehrpläne, LeistungsbeurteilungKognitive Voraussetzungen: Wahrnehmung - Lernen - Denken
Unterrichtsbedingungen: Lernorganisation
Unterrichtsstil
Soziale Voraussetzungen: Lernmotivation, Gruppenverhalten


Schulfähigkeit
Ökologie
Ausstattung der SchuleStruktur und pädagogische KonzeptionFamiliensituation -Anregungen


2.3 Schulleistung und Lernprozesse    

Lernprozesse bei Grundschülern sind von Selbstsicherheit/ Ängstlichkeit, Leistungswillen/ Vermeidung von Anstrengungen und Einstellung gegenüber der Schule/ Lernumwelt abhängig. Individuelle Gegebenheiten spielen eine Rolle. Die subjektive Wahrnehmung der Lernumwelt ist die eine Seite, die subjektive Wahrnehmung der eigenen Person die andere. Beide Kognitionen sind voneinander unabhängig. "Die Bewertung von Situation und Selbst ist demnach wechselseitig aufeinander bezogen"(BECHER - BENNACK 1995, 42).

Stress liegt dann vor, wenn die Leistungsanforderungen den individuellen Gegenkräften gleichkommen oder diese überschreiten. Ein Schüler fühlt sich dann überlastet, wenn die Anforderungen kaum oder gar nicht bewältigbar erscheinen. Die Erzeugung einer pädagogischen Stesssituation ist eine gutmeinende Handlung, die motivierend auf SchülerInnen wirkt. Wenn aber eine für jeden Schüler optimale Passung von Anforderungen und Voraussetzungen nicht gelingt, kommt es zu objektiver Überforderung mit subjektiven Stressymptomen(vgl. HECKHAUSEN 1976; HURRELMANN 1990, 138-142; RANG 1981).

Für den Grundschulunterricht ergeben sich eine Reihe von Maßnahmen, die eine präventive Funktion haben:

  • Negative Leistungsergebnisse sollten verringert und positive vergrößert werden. Dazu bedarf es einer Lernumweltveränderung(Individualisierung, Unterrichtsdifferenzierung, Unterrichtsmaterialbeschaffung, Fördermaßnahmen).
  • SchülerInnen benötigen realistische Ziele.
  • Unkontrollierbarkeit muss durch Kontrollierbarkeit ersetzt werden. Bei Nichterreichen gewünschter Konsequenzen bedarf es eines Erziehungsporozesses. Schrittweises Vorgehen, Setzen eigener Zwischenziele und Techniken der Selbstregulierung und Selbstbekräftigung erleichtern der Ausbau der Lerntechniken.
  • Bei Misserfolgen sollte die Verantwortlichkeit external(z.B. zu wenig Lehrmaterial der Schule, zusätzliche Hilfen notwendig), bei Erfolg internal geführt werden(z.B. gut ausgeprägtes Zahlenverständnis).
2.4 Leistungsbeurteilung    

"Ermutigende Erziehung in der Grundschule benötigt keine Noten, vielmehr müsse darauf geachtet werden, dass es der Grundschule gelingt, eine Schule des Mutes zu werden, die es allen Kindern ermöglicht, grundlegende Bildungsinhalte zu erwerben und Leistung nicht primär zur Abgrenzung gegenüber anderen zu sehen, sondern als Motivation zu weiterer Leistung"(BECHER - BENNACK 1995, 44; vgl. CHRISTIANI 1989).

Diese Argumentation spielt pädagogisch eine Rolle, weil auch diese Schülergruppe Lernziele und Klassenziel nicht immer erreichen und Leistungsstandards am Ende der 4. Klasse Grundschule für den Übertritt in die Sekundarstufe I zu erfüllen sind. Die Frage von Bezugsnormen scheint gerade in diesem Zusammenhang wesentlich zu sein und versucht mehr Notengerechtigkeit zu erreichen.

Unter Bezugsnormen sind Maßstäbe zu verstehen, an denen sich die Ergebnisse der Leistungsmessung orientieren oder in Beziehung setzen lassen. Die Rückmeldung eines reinen Leistungsergebnisses etwa in Form von Punkten sagt wenig aus, wenn dazu nicht Informationen über den Punktestand anderer Gruppenmitglieder und den maximalen Punktestand geliefert werden.

In der pädagogischen Diagnostik werden deshalb drei Bezugsnormen unterschieden:

(1) Bei der individuellen Bezugsnorm macht man bei der Beurteilung die jeweils individuelle Leistung der Lernenden zum Bezugspunkt und kann so kleinste Leistungsfortschritte als Erfolge werten.

(2) Die soziale Bezugsnorm ist dagegen an der Leistung der Gruppe orientiert. Das Leistungsniveau bestimmt die Bezugsgruppe, also die anderen Schüler in der Klasse. Kleine individuelle Erfolge werden so nicht berücksichtigt.

(3) Die kriteriale oder sachliche Bezugsnorm berücksichtigt weder die individuelle noch die soziale Leistungsentwicklung. Das Kriterium ist der Vergleich mit einem vorher festgesetzten, curricular verankerten Leistungsstandard. An ihm wird die aktuelle Schülerleistung gemessen.

Bezugsnormen sind als Information notwendig, allerdings liefern sie unterschiedliche Informationen, die ihren eigenen pädagogischen Wert haben(vgl. KLAUER 1989, 43). Für die beiden ersten Grundschuljahre wird die individuelle Bezugsnorm bevorzugt, um für Grundschüler ein Zutrauen zur eigenen Leistungsfähigkeit zu bekommen und in einer Gleichaltrigengruppe festgesetzte Ziele, Methoden und Zeitvorgaben zu schaffen. Am Ende der Grundschule gilt die kriteriale Bezugsnorm.

3 Gewalt gegen Kinder    

Die Gewaltbereitschaft und die Erfahrungen mit Gewalt haben in der Schule unter Lernenden zugenommen. Oder zeigt sich hier nur ein Phänomen, das nun häufiger untersucht und nach Einzelfällen in Schulen medial überzogen aufbereitet wird?

Die Medienberichte sind aufsehenerregend und dramatisch, wie die Beispiele aus Stern (2/91; 8/93; 3/93) und SPIEGEL (15/88; 42/92; 9/93; 3/94) zeigen. Doch auch Fachzeitschriften wie "Pädagogik“ (3/93; 3/94), „Zeitschrift für Pädagogik“ (1/93),''Psychologie heute" (2/93; 58ff), die Lehrer Innenzeitung der GEW „Erziehung und Wissenschaft“ (10, 11, 12/91; 10/96), „bildung und wissenschaft“ (8/93) und "Lehren und Lernen" (11/95) befassen sich mit dieser Thematik.

Untersuchungen zum Thema schulische Gewaltforschung wären im österreichischen Raum auf den allgemeinen Grundschulbereich bezogen wünschenswert und sind bislang nur begrenzt regionalspezifisch vorhanden.

In den folgenden Aussagen wird daher vor allem auf deutsche Längsschnittuntersuchungen von FUCHS u.a. (2001) und die Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung der Universität Bielefeld ( http://www.uni-bielefeld.de/SFB227/Pinfo/holt.html) verwiesen.

3.1 Welche Aussagen können zum Thema Gewalt in Schulen aus der Gewaltforschung festgehalten werden?    

• Die häufigsten Gewalthandlungen finden Forscher im Bereich der verbalen Gewaltanwendung in den Formen „Beleidigen, „Fäkalsprache“, Beschimpfen, Lügen verbreiten, Hänseln“ (FUCHS u.a. 2001, 32).

• Häufig sind psychische Angriffe und hier besonders verbale Aggressionen. Diese Angaben werden durch Täter- und Opferangaben bestätigt.

• Die Phänomene „Bullying“ und „Mobbing“ nehmen im Schulalltag an Bedeutung zu. (vgl. OLWEUS 1997, HANEWINKEL/ KNAACK 1997, KASPAR 1998, SMITH 1999, WETZELS u.a. 1998, METZLER/ ERBE 2000)

• Eine besonders hohe Belastung durch Gewaltaktivitäten ist vor allem in Hauptschulen, Berufsschulen und Sonderschulen vorhanden(vgl. FUCHS u.a. 2001, 47)

• Gewaltanwendungen, die häufig vorkommen, werden von einer eher kleinen Gruppe von gewalttätigen Jugendlichen, einem „gewaltaktiven Kern“ verübt (vgl. FUCHS u.a. 2001 und WETZELS u.a. 1999).

• Der Umgangsstil in den Familien beeinflusst die Gewaltanwendungen in der Schule (vgl. FUCHS u.a. 2001, 215) „Je weniger in den Familien eine kommunikative Problembewältigung erfolgt und je geringer das elterliche Verständnis für ihre Kinder ist, desto häufiger wenden Kinder in der Schule Gewalt an: Sie haben weder Diskursivität noch Empathie gelernt.“ (ebd.)

• Der Konsum von Horror- und Kriegsfilmen hat Auswirkungen auf gewalttätiges Verhalten bei Schülern (vgl. FUCHS u.a. 2001, 339). Medienkonsum kann Denken und Verhalten beeinflussen(vgl. BROSIUS/ ESSER 1995, 37).

• Gewalt an Schulen nimmt mit steigendem Bildungsniveau ab (vgl. FUCHS u.a. 2001, 35, TILLMANN u.a.1999, 102 -104, Lösel u.a. 1997, 143).

• Häufige Gewaltaktivitäten finden sich in Schulen mit einem sozial benachteiligten Einzugsgebiet und in Schulen mit Schülern, die große Lern- und Leistungsdefizite aufweisen (vgl. HOLTAPPELS/ TILLMANN 1999, 9).

• In Gewalthandlungen, außer in verbale Gewalthandlungen, sind meist männliche Schüler involviert (vgl. FUCHS u.a. 2001, 34 und 48, HOLTAPPELS/ MEIER 1997, 121, GRESZIK u.a. 1995, 270).

3.2 Der Einfluss der Familie    

  • Der Umgangsstil in den Familien beeinflusst die Gewaltanwendungen in der Schule (vgl. FUCHS u.a. 2001, 215).
  • „Je weniger in den Familien eine kommunikative Problembewältigung erfolgt und je geringer das elterliche Verständnis für ihre Kinder ist, desto häufiger wenden Kinder in der Schule Gewalt an: Sie haben weder Diskursivität noch Empathie gelernt“ (FUCHS u.a. 2001, 215).
  • “Stärker und stark gewaltaktive Schüler stammen aus Familien mit niedrigem sozialen Status. Auf Grund ihrer sozialen Lage sind die Familien (mitglieder) relativ marginalisiert, was ihre sozialen Chancen (Arbeitsmarkt, Einkommen, Prestige, soziale Sicherheit, Partizipation etc.) angeht“ (ebd. 50).
Diese Situation prägt die Erziehung, die Bildungsmotivation und das Selbstbild der Kinder aus diesen Familien. Häufig werden Gewalthandlungen auch bei Konfliktsituationen selbstverständlich im Klassenverband eingesetzt.

Mögliche Identitätsprobleme einer „gefährdeten“ Männlichkeit werden mit Gewalthandlungen zu lösen und zu stabilisieren gesucht(vgl. FUCHS u.a. 2001, 34).

„Männliche Jugendliche, die in der Familie Eltern - Kind - Gewalt erleiden mussten, erweisen sich als überproportional gewaltaktiv“ (FUCHS u.a. 2001, 34).

Es besteht hier die Gefahr, dass diese Schüler auch im Klassenverband durch ihr abweichendes und auffälliges Verhalten zusätzlich marginalisiert werden und durch Sanktionsmaßnahmen und/oder negative kommunikative Handlungen durch Lehrende verstärkt in die Gewaltspirale kommen.

Gewalttätige Schüler sind im Klassenverband eher marginalisiert und genießen weniger Anerkennung (vgl. FUCHS u.a. 2001, 44). Durch ihr aggressives und deviantes Verhalten werden sie zusätzlich ausgegrenzt und werden durch strenge Sanktionsmaßnahmen und möglicherweise aggressives Lehrerverhalten zusätzlich in Richtung Gewalt getrieben. Hier sind Maßnahmen gefordert, die diesen Kreislauf unterbrechen und eine mögliche Resozialisierung und Distanzierung aus der Gewaltspirale erlauben. Weiters zeigen sich in diesem Bereich, dass „ … institutionelle Machtmittel nicht (mehr) greifen. Es können hier Individualisierungsfolgen und Desintegrationserscheinungen einwirken: Hauptschulen (die eine vergleichsweise hohe Gewaltbelastung aufweisen) gerieten mehr und mehr zu 'Restschulen' und der Abschluss ermöglicht immer weniger den sicheren Übergang in das Erwerbssystem" (vgl.FUCHS u.a. 2001, 35).

Eigene Programme zur Unterstützung dieser Schüler sind gefordert, die jedoch schulortspezifisch und bedürfnisorientiert angeboten werden sollten. Modelle der Schulmediation sind gefragt, die zum Teil in verschiedenen Schulbereichen schon erprobt werden. Weiters ist die soziale Zusammensetzung der Klassen ein wichtiger Punkt. In der Zusammenführung von vielen Schülern mit Leistungsversagen und großen Schulproblemen kann ein aggressiveres und gewalttätigeres Konfliktlösungsverhalten leichter entstehen (vgl. TILLMANN u.a. 1999, 201).

3.3 Der Einfluss der Medien    

  • Der Konsum von Horror- und Kriegsfilmen hat Auswirkungen auf gewalttätiges Verhalten bei Schülern (vgl. FUCHS u.a. 2001, 339).
  • Medienkonsum kann Denken und Verhalten beeinflussen und unser Bild der Realität verändern (vgl. BROSIUS/ ESSER 1995, 37).
Der Einfluss über indirekte Gewalterfahrungen, über Gewaltdarstellungen im Fernsehen, in Computerspielen hat sich verändert. Schon in frühem Lebensalter werden Horror-, Kriegs- und Sexfilme gesehen (vgl. FUCHS u.a. 2001, 339).

In Computerspielen und Filmen tauchen Kinder in eine virtuelle Welt ab, in der Töten und Gewalt zum Spielen gehört. Durch diese, sich ständig wiederholenden Gewalthandlungen können Enthemmungsmechanismen auftreten. Nach schrecklichen Gewaltaktionen stehen die Figuren wieder auf und leben weiter. Diese virtuellen Erfahrungen wirken in der realen Welt nach und bewirken eine mögliche verringerte Distanz von Gewaltanwendung und ein Nachahmen von gesehenen Szenen (vgl. SCHNEIDER 2001, 31).

Hier sind vor allem Kinde gefährdet, die im Elternhaus wenig gute Orientierungsmuster und Beziehungsmodelle vorfinden, die sie in einen aktiven Austausch und gemeinsame Lernprozesse mit nahe stehenden Menschen bringen.

In hierarchischen Strukturen mit vielen Unterdrückungsmechanismen und Konflikten werden Ventile in Richtung Aggression und Gewalt leichter geöffnet.

Wenn es keine anderen Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Konflikten gibt und keine Alternativen zu gewalttätigem Verhalten gelernt werden, festigen sich Strukturen der Gewalt und werden zur alltäglichen Selbstverständlichkeit.

Lernenden fehlen meist die notwendigen Kompetenzen, um Konflikte auf konstruktive Art und Weise zu lösen. Medien und Spiele zeigen immer wieder andere Lösungen. Kinder und Jugendliche wachsen in einer Welt von zunehmender und verwirrender Komplexität und Widersprüchlichkeit auf, in der Werte, Vorbilder und gute Orientierungsmöglichkeiten zunehmend abhanden kommen (vgl. KAPPACHER 1999, 114).

3.4 Bullying und Mobbing in Schulen    

  • Die häufigsten Gewalthandlungen finden Forscher im Bereich der verbalen Gewaltanwendung in den Formen „Beleidigen, „Fäkalsprache“, Beschimpfen, Lügen verbreiten, Hänseln“ (FUCHS u.a. 2001, 32). Häufig sind psychische Angriffe und hier besonders verbale Aggressionen. Diese Angaben werden durch Täter- und Opferangaben bestätigt.
  • Die Phänomene „Bullying“ und „Mobbing“ nehmen im Schulalltag an Bedeutung zu (vgl. OLWEUS 1997, HANEWINKEL/ KNAACK 1997, KASPAR 1998, SMITH 1999, WETZELS u.a. 1998, METZLER/ ERBE 2000).
„Gewalt, Schikane, Drohung und Erpressung sind die in jüngerer Zeit brutaler gewordenen Mittel, sich Geltung zu verschaffen“ (KASPAR 1998, 64).

Es gibt jeden Tag genau bestimmte Gewinner und Verlierer. Die Verlierer werden zu Opfern gestempelt und in ihrer Gesundheit und Lebensqualität beschädigt.

Gewalterfahrungen und Fixierungen in Opferrollen wirken sich auf Lernerfolge und Entwicklungsprozesse in der Schule nachhaltig negativ aus.

„Die Folgen von Gewaltanwendung können sehr massiv sein. So kann es zu einer Abnahme des Selbstwertgefühls, zu Ängstlichkeit, zu Leistungsabnahme, Sprach-, Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder Depressionen kommen“ (aus: http://www.script.lu/activinno/mediation_scolaire/pdf/mediation_scolaire_konzept.pdf).

3.5 Lernkultur und Schülergewalt    

Eindeutige Zusammenhänge wurden zwischen der Lernkultur und der auftretenden Schülergewalt gefunden (vgl. FUCHS u.a. 2001, 47).

Dabei war der „Lebensweltbezug der Lerninhalte“, ein „schülerorientierter Unterricht“ und ein „förderndes Lehrerengagement“ von besonderem Einfluss auf eine konstruktive Lernkultur und auf geringeres gewalttätiges Verhalten an Schulen (vgl. TILLMANN 1999, 217 und ARBEITSGRUPPE SCHULEVALUATION 1998, 218).

3.6 Präventionsmaßnahmen    

1 Schulentwicklung

Die Rahmenbedingungen einer Schule bilden ein Gesamtsystem, in der Gewaltprävention ein wesentlicher Bestandteil aller Interaktions- und Kommunikationsprozesse sein sollte. Das Leitbild einer Schule spiegelt wesentliche Grundelemente und Basisgedanken zum Umgang mit Konflikten und Problemen wider. Weiters spiegelt der Umgang der Schulleitung mit den Lehrenden gewaltpräventives Verhalten an dieser Schule.

  • Ist der Grundgedanke eines gemeinsamen Lernens an einer Schule nur für die SchülerInnen Ernst zu nehmen oder wird ein gesamtschulischer Ansatz der Lernorganisation vertreten, in dem sich alle an der Schule aktiv beteiligten Personen wieder finden können?
  • Welches Qualitätsmanagement wird an Schulen eingerichtet?
  • Welche Prozesse der Verbesserung und der Evaluierung werden an der Schule angestrebt?
  • Wie werden diese Prozesse der Verbesserung und des organisatorischen Lernens an einer Schule initiiert und begleitet?
  • Welche externen Hilfen werden in die Schulentwicklungsprozesse einbezogen?
In einer Schule sind das innerschulische System, die Schulkultur, die Kommunikations- und Interaktionsformen zwischen allen Personen, die in der Schule arbeiten und leben, wie die Unterrichtsplanung und –durchführung, der Leistungsdruck und die vorhandenen Strukturen und Muster für Problem- und Konfliktlösungen wesentliche Rahmenbedingungen, die für die Prävention von Gewalt an einer Schule eine Rolle spielen können (vgl. ARBEITSGRUPPE SCHULEVALUATION 1998, 190).

2 Verhalten bei Mobbingaktivitäten

Das Wegschauen und Schweigen bei Gewalthandlungen entlastet Täter und Zeugen. Zu Gewalthandlungen werden auch Mobbingaktivitäten, die als Schikanen gegen eine Person oder mehrere Personen auftreten, gezählt. „Wo auch immer Mobbing in einer Schule vorkommt, ist es ein ernst zu nehmendes Warnsignal für einen unbefriedigenden Zustand des Gesamtsystems“ (KASPAR 1998, 64).

Wenn keine deutlichen Stoppsignale gegen Gewaltaktionen und aggressive Übergriffe gesetzt werden, festigen sich aggressive und gewalttätige Verhaltensweisen und Mobbing kann unter Schülern leicht zum Spannungsabbau in Konflikten eingesetzt werden.

Bei Gewaltanwendungen in jeglicher Form gilt, möglichst früh einschreiten und sofort die Aktionen durchkreuzen.

„Eine ungehinderte Gewaltanwendung dagegen ermuntert dazu, immer „noch eins draufzusetzen““ (Kaspar 1998, 65).

Hier zeigen sich auf den Seiten der stillen Zeugen, der Opfer und Täter starke Einschränkungen und Behinderungen in der Weiterentwicklung von sozialen Kompetenzen, die sich nachhaltig negativ auf Schullaufbahnentwicklungen auswirken.

„Je geringer die Bereitschaft einer Schule, die Interessen und Bedürfnisse einzelner Schüler zur Kenntnis zu nehmen und sich mit diesen kommunikativ auseinander zu setzen, desto größer wird die Gefahr auch kollektiver feindseliger Aktionen gegen einzelne Lehrer“ (KASPAR 1998, 66 und 154).

Ein eingeengtes Schulklima mit Kommunikationsdefiziten, in dem LehrerInnen ständig unter negativem Stress stehen und sich nicht wohlfühlen, hat in der weiteren Folge Auswirkungen auf den Unterricht in den Klassen. Schule ist als ein Gesamtsystem zu betrachten. Lehrern und Unterrichten bedingen dabei besonders sensible Formen von Beziehungstätigkeit und kommunikativer Interaktion, so dass hier Einschränkungen und Behinderungen auf verschiedenen Ebenen auch schnell Auswirkungen auf sensible Gruppenprozesse in den Klassen haben können.

„In vielen Fällen missbrauchten Schulleiter ihre Macht und wurden darin von der Schulaufsicht unterstützt…Auch tribalistische Strukturen (engl. Tribe=Stamm) in manchen Kollegien und verkrustetet Organisationsstrukturen begünstigen Mobbing ganz offensichtlich. An Schulen, in denen Mobbing geschieht, herrscht in der Regel eine allgemeine Reformfeindlichkeit und mangelnde Lernbereitschaft der Kollegien“ (KASPAR 1998, 68).

In vielen Fällen ist das Fehlen von emotionaler Intelligenz bei Führungspersonen Ursache für das freie Spiel mit Schikanen und unmenschlichen Unterdrückungsmechanismen in einer Gruppe, Schule und Institution (vgl. KASPAR 1998, 171).

„Statt einer sozialen Verantwortung gerecht zu werden, nutzen sie ihre Stellung, um sich Macht über andere Menschen zu verschaffen. Im Bildungswesen ist deshalb mangelnde emotionale Intelligenz für das schlechte Betriebsklima und die zunehmend grassierenden Mobbingfälle verantwortlich“ (KASPAR 1998, 171).

3 Training von konstruktivem Konfliktlösungsverhalten

In Bildungsinstitutionen sind sinnvolle und konstruktive Modelle gefragt, die den Kindern und Jugendlichen erlauben, ihre Interessen, Bedürfnisse und Wünsche zu leben, ohne die andere zu bekämpfen und zu missachten. In Grundschulklassen sitzen viele Kinder, die verschiedene Sprachen sprechen und unterschiedlich schmerzhafte und traumatische Erlebnisse aus Kriegsgebieten, Fluchtversuchen und Trennungs- und Scheidungsprozessen hinter sich haben.

„Vernachlässigung, Missbrauchs- und Gewalterfahrungen markieren nur die Spitze eines Eisberges von Nöten, die die Erstklässler bereits auf ihren schmalen Schultern tragen und mit ins Klassenzimmer bringen“ (KALETSCH 1998, 116).

Es muss in der Arbeit mit diesen Kindern auf ihre Problemlagen eingegangen werden, um sie überhaupt zu positiven Lernerfahrungen heranführen zu können. Es geht hier nicht nur um Konfliktaufarbeitung, sondern im Vorfeld um eine Anbahnung und eine Vorbereitung für eine sinnvolle Konfliktbearbeitung. Hier muss von LehrerInnen viel geleistet werden, um soziale Kompetenzen in der Klasse zu entwickeln und aufzubauen.

Weiters ist es in schwierigen Klassen notwendig, speziell zusammengestellte Lernziele zu entwickeln und ein an diese Klasse angepasstes Trainingsmodell im Bereich der konstruktiven Konfliktlösung mit bedarfsorientierten Schwerpunkten aufzubauen. Dazu bedarf es geeigneter Unterstützungsmaßnahmen für Schulen. Nicht der Konflikt selbst ist das Problem, sondern sehr oft wohl die Art und Weise, wie damit umgegangen wird. Im Bereich des sozialen Lernens und des Konflikttrainings wird gerade hier gelernt, wie in Konflikten gewaltfreie Lösungen angestrebt werden können. Gewaltfreie Konfliktlösungsmuster sollten immer wieder in den Alltag des Unterrichts vorkommen, so dass alternative Muster sinnvoll eingeübt werden können. Wichtig für LehrerInnen in den Klassen ist dabei, dass sie sich für die Bedürfnisse, Wünsche und Interessen ihrer Schüler und Schülerinnen sensibilisieren und ermitteln, „was ihre Klasse gerade braucht“ (KALETSCH 1998, 117).

Grundvoraussetzungen zu einer konstruktiven Konfliktlösung in Form einer Mediation sind, dass die Streitparteien, die betroffenen SchülerInnen freiwillig zu den vereinbarten Treffen erscheinen. „Obwohl Mediation als Präventivmaßnahme die größte Wirkung entfalten könnte, wird sie nur allzu selten als solche eingesetzt, sondern zumeist erst dann, wenn ein Konflikt bereits eskaliert ist. Dabei soll für SchülerInnen die Einsicht in die eigene bewusste Entscheidung und die Notwendigkeit für eine konstruktive Konfliktbewältigung und Konfliktlösung gegeben sein. Vorher müssen sie jedoch wissen und erfahren haben, was eine konstruktive Konfliktbewältigung eigentlich ist und wie sich so eine Umgangsweise anfühlt" (vgl. KAPPACHER 1999, 114) .

Dazu ist es sicher notwendig in der Klasse immer wieder Übungen und Spiele in diesem Bereich durchzuführen.

4 Ziele der Schulmediation

  • Meinungsverschiedenheiten sollen ausgesprochen werden und in selbstbestimmten und partnerschaftlichen Lösungswegen bearbeitetet werden. Dabei werden Vereinbarungen in gegenseitiger Achtung angestrebt. „Das Prinzip der Selbstbestimmung der Beteiligten bleibt während des ganzen Prozesses Leitlinie. Lösungen sind nur dann Lösungen, wenn sie von jedem einzelnen als solche angenommen werden können“ (KLAMMER 1999, 13).
  • Das Klären von subjektiven Interessen, Bedürfnissen und Wünschen und das im Mediationsprozess erworbene Umgehen mit Differenzen ermöglicht idealerweise auch eine emotionale Konfliktbewältigung und ist in andere Konfliktsituationen transferierbar.
  • Durch das Ernstnehmen aller Interessen und aller Bedürfnisse wird eine faire Verhandlung leichter möglich und eine gemeinsame Lösungsfindung unterstützt. Die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der beteiligten Personen wird respektiert und unterstützt.
  • Konfliktlösungen werden erarbeitet, bei denen sich niemand als Verlierer fühlen muss.
  • In der Schulmediation geht es um ein Erlernen von Techniken und Verfahrensstrukturen, die ein konstruktives Umgehen mit Konflikten möglich macht.
  • Im Bereich der Schulmediation wird die Wahrnehmung für Konflikte geschärft, andere gewaltfreie Umgangsformen geübt und die Eigenverantwortung für das Mitwirken bei Lösungen gestärkt (vgl. ebd. 115).
Präventives Handeln ist gefordert

  • Gewaltaktionen sollen rasch durchkreuzt und aufgedeckt werden. Weiteres müssen gewalttätige Aktionen unterbrochen werden.
  • Klare Anforderungen an die Achtung der Regeln von Fairness und Menschenwürde müssen transparent gemacht werden und diese sollen im Schulalltag immer wieder angewendet und für Lernende sichtbar werden.
  • Die Regeln von Fairness und Menschenwürde sollen im Schulleitbild verankert sein und regelmäßig in Befragungen auch überprüft werden.
  • Es darf an einer Schule nicht zugelassen werden, dass Menschen schikaniert werden.
  • Die Verletzung der Menschenwürde darf nicht als Kavaliersdelikt interpretiert und stillschweigend akzeptiert werden.
  • Es ist die Fürsorge durch die Vorgesetzten einzufordern.
  • Darüber hinaus ist eine offene und faire Klärung des Problems zu sichern.
  • Dem Opfer ist ein unterstützender Beistand anzubieten, der „existenzsichernde Bedeutung“ haben kann (vgl. KASPAR 1998, 67).
  • Um Bewusstseinsbildung zu erreichen, ist es notwendig, so genannte peinliche Situationen zu benennen und somit konkrete Bilder entstehen zu lassen.
  • Um Veränderungsprozesse in Gang zu setzten ist es wichtig, das menschliche Mitgefühl und Einfühlungsvermögen für andere Menschen zu wecken.
4 Pädagogischer Umgang mit ethnischen Minderheiten    

4.1 Grundlegende Überlegungen    

Minderheiten bereiten in pädagogischen Situationen der Grundschule Probleme. Ethnische Minderheiten, die in der Regel einen dreifachen Minderheitenstatus besitzen (religiös, sozial und ethnisch), sind jedenfalls eine pädagogische Herausforderung. Zwei Erfahrungen mögen dies belegen:

  • Etnische Minderheiten neigen oft dazu, während ihrer Integration in eine neue Gesellschaft ihre ursprüngliche Identität beizubehalten und lassen so pädagogische Konzepte gerne scheitern.
  • Pädagogische Konzepte gehen gerne von Einpassung und Durchsetzung von Homogenität in sozialer, kultureller und religiöser Hinsicht aus.
Ansatzpunkt wird der Minderheitenstatus sein, der ein Ergebnis von Diskriminierung und Ausgrenzung ist. Zur Entwicklung eines pädagogischen Umgangs mit einer solchen Minderheitensituation bedarf es einer Analyse der Situation und Erwartungen. Man benötigt also eine Einschätzung der Wirksamkeit sozialer, religiöser und kultureller Elemente in unserer Gesellschaft. Erst dann wird man pädagogische Überlegungen anstellen können,

  • ob der Standpunkt der Minderheiten relevant ist
  • ob die Erwartungen gegenüber der Minderheit realistisch sind oder
  • ob ein ganz anderer Ausgangspunkt für pädagogische Theorie und Praxis bestimmt werden muss.
Man wird davon ausgehen können, dass pädagogische Schlussfolgerungen nicht aus einer auf die eine oder andere Seite gewonnen werden können. Notwendigkeiten müssen im Blick auf eine moderne Gesellschaft bestimmt werden (vgl. STEINER -KHAMSI 1992; TREIBEL 1990). Verdrängt werden darf keinesfalls die Fülle der auftretenden Fragen der Probleme von Migranten, wobei wesentlich die Strategien einer derzeitigen Integration mit der Folge üblicher Unterschichtung sind.

Dies ergibt ein Plädoyer für einen notwendigen anderen pädagogischen Umgang in der Grundschule. Die soll am Beispiel von vier Aspekten skizziert werden:

  • Es gibt einen ständigen Kontakt zwischen Lernenden und relevanten gesellschaftlichen Systemen (Schule, Einrichtungen der peer groups/ Jugendzentren, Sportvereine; Wirtschaft/ Markt, Verwaltung und Medien). Diese erfahren ihre Bestimmung durch die Systeme und nicht durch persönliche Eigenschaften der SchülerInnen. Von den Einzelnen wird erwartet, dass sie sich einfügen und nach den Bedingungen handeln. Nur begrenzt gibt es Wahlmöglichkeiten, aber kaum individualisierte Situationen(zB. Schule - allenfalls Wahlfächer und individualisierte Lehr- bzw. Lernverfahren).
  • Durch diese Sozialisationsbedingungen entstehen besondere Vergesellschaftsweisen, wie das im System benötigt wird. Nur sehr begrenzt wird in die Systeme eingebunden. Mit Recht wird heute darauf hingewiesen, dass die Menschen in einer Massengesellschaft austauschbar geworden sind ("systemische Integration"). Damit ist aber auch Raum für andere Integrationsbestrebungen frei geworden. In Form der sozialen Integration erkennen wir eigen Formen von Vernetzungen und Bindungen. Wohl gibt es rechtliche oder/und traditionelle Vorgaben, sie dienen eher einer bloßen Orientierung. So entwickeln SchülerInnen ab der ersten Klasse eine eigene Schulkultur("Schüler - Gegenkultur"), mitunter wird die Bedeutung dieser unterschätzt (Hinweis auf Gewaltbereitschaft und Radikalisierungstendenzen - vgl. BECHER - BENNACK 1995, 81).
Neue Formen sozialer Vernetzung gestalten den Alltag individuell(er), bieten neue Inszenierungsräume, weisen aber gleichzeitig die Verantwortung für das Handeln zu. Implizit geschieht so etwas wie eine schrittweise Durchsetzung von Bürgerrechten, eine Gleichheit der einzelnen Systeme wird angeregt(in der politischen Bildung/Erziehung könnte man von "republikanischen Traditionen" sprechen).

  • So erscheint die Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen in einem anderen Licht. Gleichheit in einer Massengesellschaft legt den Menschen nicht fest, soziale Gleichheit räumt persönliche Gestaltungsmöglichkeiten und damit neue persönliche Chancen ein und wird damit Voraussetzung für individuelle Vorstellungen, neue Aufgaben und Probleme(vgl. BECK 1986, 113-120).
  • Dass erst eine Gleichheit den im Alltag zu beobachtenden Pluralismus ermöglicht, erkennt man aus den Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen. "Erst das gleichgestellte Mädchen kann sich für einen 'Männerberuf' entscheiden - oder auch nicht"(BECHER - BENNACK 1995, 59). Eine Einheitskultur würde einen solchen emanzipatorischen Aspekt nicht ermöglichen. Die moderne Gesellschaft ist keine Gemeinschaft, sondern eine systemisch gebundene Gesellschaft - rechtlich, bildungsmäßig, ökonomisch und kulturell. Im gesellschaftlichen Modernisierungs- und Entwicklungsschub bilden sich differenzierte lokale, regionale, nationale und internationale (Sub-) Kulturen, die erst durch die systemisch und soziale Integration formal ermöglicht werden(vgl. Schule als Subkultur: FEND 1981, 150-154).
4.2 Gegenläufige Entwicklungen    

Nach diesen Überlegungen könnte man meinen, eingewanderte Lernende und/ oder die zweite Generation hätte keine oder zumindest nicht mehr Probleme wie die einheimischen Kinder. Und doch gibt es massive Problembereiche, die zwar nicht die bisherigen Überlegungen in Frage stellen, aber doch relativieren und ergänzungsbedürftig machen. Nicht nur gesellschaftliche Modernisierungsbereiche sind auszumachen, es gibt auch gegenläufige Tendenzen und Entwicklungen. Dazu sollen drei Bereiche besprochen werden:

  • Nicht die abweichende Sozialität, Religiosität oder Ethnizität, vielmehr eine Beschwörung dieser Teilbereiche ist Bestandteil des Problems. Erst die Aufwertung privater Einstellungen im systemischen Zusammenhang von Bildungseinrichtungen wird zur Problembelastung. In diesem Zusammenhang erinnere man sich etwa an die langen Haare der Protestjugend in den siebziger oder aktuell an das Kopftuch der Bekenner - Mädchen in den neunziger Jahren. Schulisch wird jede Aufwertung privater Einstellungen sichtbar, wenn spezifische Gründe - religiöse, ethnische und kulturelle - eine Teilnahme am Schulleben oder in Teilbereichen in Frage stellen.
  • In Anbetracht der Indifferenz unserer Gesellschaft gegenüber Minderheiten ist zu überlegen, wie es dazu kommt. Der Rückgriff auf solche Kriterien erfolgt im Alltag und in der Politik. Im Alltag kommt es vermehrt bei knapperen Ressourcen - Arbeitsplätze, Wohnungsmarkt - zu Konkurrenzverhaltensweisen. Die Strategien und Legenden zur Erhaltung der Ressourcenzugänge erinnern an feudale Gesellschaften und werden bis heute praktiziert, obwohl man sich bei einer ausbreitenden Tendenz zur sozialen Universalität - Austauschbarkeit und damit Gleichheit der Gesellschaftsmitglieder, zumal in der EU - völkerrechtlich zu Antidiskiminierungsmaßnahmen, "Maastricht - Kriterien" und der Einhaltung verschiedenster Konventionen (UNO, Europarat) verpflichtet. Nachzufragen ist auch, weil ein großer Teil der Minderheiten offiziell angeworben wurde und offensichtlich unzureichende systemische und soziale Charakteristika aufweist. Die vorherrschende Meinung, Minderheitenprobleme nähren Rassismuspraktiken, wird durch das Kulturdifferenztheorem unterstützt (vgl. BECHER - BENNACK 1995, 68).
  • Damit werden im schulischen Bereich/ pädagogischen Feld die Folgen einer solchen Praxis sichtbar (vgl. DITTRICH - RADTKE 1990). Jahrelang wurden in einer Art selffulfiling - prophecy Minderheitenspezifika beschworen, die letztlich heute bedeutsam und konstitutiv geworden sind. Schulkinder(und moderne Gesellschaften) benötigen aber keine Festlegungen. Man weiß, wie gefährlich der Versuch ist, Leitdifferenzen einer modernen Gesellschaft durch ethnisch -kulturelle Leitdifferenzen zu ersetzen (vgl. Ariertum in der NS - Zeit).
SEN - AKKAYA - ÖZBEK(1998) beklagen diese gegenläufigen Tendenzen. Beispielsweise hat Deutschland sich bis heute noch nicht bereitgefunden anzuerkennen, dass es ein Einwanderungsland ist. So entwickeln sich dann auch strukturelle Maßnahmen, die die MigrantenInnen gleichsam selbstverständlich diskriminieren. Wer nicht deutsche Abstammung nachweisen kann, dem werden die vollen politischen, sozialen und kulturellen Rechte vorenthalten. So geraten ausgerechneterweise die Heranwachsenden - die sogenannte "zweite Generation" - von Beginn an in das politische und gesellschaftliche Abseits (vgl. SEN - AKKAYA - ÖZBEK 1998, 305-315).

Die Schule betrifft dies schon ab den Lernenden der 1. Klasse, die "mit einer in der Tat deutlich christlich orientierten Grundschule konfrontiert werden[...] und sie endet damit, dass sie keine akzeptablen gesellschaftlichen Alltagsnischen finden [...], schon weil die Einheimischen von der Ausbildung bis zum Arbeitsplatz ganz legal bevorzugt werden" (BECHER - BENNACK 1995, 69-70; vgl. NIEKE/ BOOS - NÜNNING 1991).

Die Schule betrifft dies auch in Form

  • der Verweigerung der Gleichberechtigung der Sprachlichkeit in den Schulzusammenhang und damit auch der notwendigen Normalität einer Abnabelung von der Familie mit der Folge einer Widersprüchlichkeit in der Kinderwelt mit Flucht in eine imaginäre Identität (Sprache zu Hause - Schulsprache, TV -Welt/ "marginal identity") und
  • einer Erzeugung neuer Barrieren trotz der Belanglosigkeit ethnischer Spezifika in einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.
Die Tendenzen zur Erzeugung von Barrieren für eingewanderte Bevölkerungsgruppen betreffen zunächst die Heranwachsenden. Die ursprünglich angeworbenen Einwanderer - man sprach von "Gastarbeitern" - hatten noch Alltagsnischen zugewiesen bekommen (vgl. DICHATSCHEK 2004, 99-101). Die Lernenden aber, die im Laufe ihrer Schullaufbahn auf Alltagsnischen vorbereitet werden sollen, sind damit existentiell betroffen ("existentielle Sackgasse"; vgl. BUKOW 1992).

4.3 Pädagogische Aspekte    

Die Aspekte pädagogischer Perspektiven können nur auf der Grundlage einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, zeitgemäßer pädagogischer Erfordernisse und der gegenläufigen Entwicklungen bedacht werden.

Dazu bedarf es

(1) entsprechender Rahmenbedingungen,

(2) eines Beitrages der Gesellschaft zur Sozialisation und einer entsprechenden Identitätsentwicklung der Heranwachsenden ("Minderheitenpädagogik").

Damit pädagogische Maßnahmen wirksam werden können, bedarf es entsprechender (bildungs-)politischer Rahmenbedingungen. Die Pädagogik hat bisher versucht, politisch bedingte Probleme in ihrem Feld zu lösen, weil die Politik so mache Fragestellung nicht erkannt oder teilweise ignoriert hat oder auch die Probleme politisch nicht einer Lösung zugeführt - "Entpolitisierung" - und so der Pädagogik überlassen wurden.

Politik hat Diskriminierungen zu beenden - man darf aktuell in diesem Zusammenhang auf die Umsetzung der entsprechenden EU - Richtlinien gespannt sein - und Vorurteile abzubauen ("Türken sind patriarchalisch" - man unterstellt etwa damit das herrschaftsfreie Zusammenleben von Männern mit Frauen bei uns).

Der Zugang zu Bürgerrechten muss gewährleistet sein, praktizierte Lebensweisen müssten als legitime Lebensweisen genommen werden(Akzeptanz einer multikulturellen Gesellschaft), was schlussendlich die Pädagogik vor Kapazitätsüberlastungen bewahrt. "Solche Überlastungen sind heute häufig zu beobachtende Erscheinungen, die nicht zuletzt im Formulieren wie 'Ausländer'-Pädagogik, Friedenspädagogik, Umweltpädagogik, Dritte - Welt - Pädagogik und anderen neu kreierten Formen einer 'Sonderpädagogik' zum Ausdruck kommen"(BECHER - BENNACK 1995, 72).


Der Pädagogik politische Probleme zuzuweisen sind unangemessene Versuche, politische Probleme nur als soziale Probleme zu fassen. Schulpädagogik bedarf klarer bildungspolitischer Richtlinien, ansonsten ist sie überfordert.

Was nun den Beitrag der Gesellschaft zu einer Sozialisation betrifft, so geht es um re - integrierende Minderheitenpädagogik.

Es geht um grundlegende, fächerspezifische und strategische Kompetenzen. Natürlich geht es um die Erfüllung des Grundschullehrplanes mit den Kulturtechniken, vor allem geht es aber auch um den Ausbau verbaler, nonverbaler und sozialer Kompetenzen. Mehrsprachigkeit ist automatisch bei nichtdeutscher Sprachfertigkeit eine Faktum. Schweden darf als Beispiel genommen werden, wo ein Recht darauf besteht, die Muttersprache als Regelsprache nutzen zu können. Es gehören aber auch Kenntnisse über landeskundliche Elemente in Geschichte/politischer Bildung und Geographie sowie ein Bewusstsein der Problematik politischer, rassischer, wirtschaftlicher und sonstiger Machtstrategien zur Bewältigung des Lebens dazu.

Abb.2: Beitrag zur Sozialisation ausländischer Kinder

Sprachliche Kompetenz:Soziale Kompetenz:
Verwendung der Muttersprache als RegelspracheLandeskunde: Geschichte/ politische Bildung - Geographie - Volkskunde
Kenntnis der LandesspracheKenntnis von Machtstrategien
Ziel: Integration in der SchuleZiel: Bewältigung des privaten und gesellschaftlichen Lebens

Identitätsentwicklung ist trotz (oder gerade wegen) sozial - universaler Themen und der skizzierten modernen Gesellschaft zur Stärkung von Kompetenzen der Persönlichkeit notwendig. Kommunikative Kompetenz ist auf der Grundlage von Gleichheit in einer demokratischen Gesellschaft zur Übernahme von Verantwortung wesentlich. Kulturelle Kompetenz benötigen Heranwachsende wegen vorherrschender Homogenisierungstendenzen - Homogenisierungstendenzen vs. konventioneller und partikular ausgerichteter Einstellungen mit kultureller Orientierung.

5 Zur Rolle von Lehrkräften    

Die spezifischen Berufsprobleme und das Selbstverständnis von Lehrkräften sind kaum Gegenstand von neueren erziehungswissenschaftlichen Überlegungen (vgl. GERNER 1976; NAVE - HERZ 1977 und SPANHEL 1971).

Dies ist umso unverständlicher, als Reformen in der Grundschule in den letzten beiden Jahrzehnten durchgeführt wurden und Grundschullehrkräfte mit spezifischen Problemen ihrer Schulart konfrontiert sind.

Abb.3: Berufliche Situation von Lehrkäften

Hoher Anteil an weiblichen LehrkräftenSpezialisierungstendenzen
geringes Sozialprestigegeringere Besoldung

Einstellungswandel in der Schulpraxis nach Lehramtsstudium

Unter einem Anpassungsdruck durch äußerer Bedingungen in der Schulpraxis - hohe Klassenschülerzahl, Ausstattung der Schulen, hierarchische Schulverwaltung und Auslesefunktion - und einem Erwartungsdruck der älteren Kollegen/innen und Eltern neigen Berufsanfänger/innen zur Verdrängung der im Studium vermittelten Wertvorstellungen und Normen und orientieren sich an im Schulbetrieb verfügbaren Handlungsschemata. Von einer schülerorientierten und freundlichen Einstellung geht man gerne zu einer lehrerzentrierten und eher autoritativen Einstellung über. Gründe für Fehler und Versagen werden weniger im eigenen Verhalten und in den institutionellen Bedingungen von Schule, sondern vielmehr bei SchülerInnen gesucht(vgl. BECHER - BENNACK 1995, 100).

Abb.4: Persönlichkeitsbedingte Erziehungsfaktoren einer Grundschullehrkraft

PersönlichkeitsaspekteWirkungsfaktoren
EigenschaftenErziehungsstil
Fähigkeiten
Kompetenzen
Motive
RollenverständnisEngagement
Zielsetzungen
EinstellungenSanktionen
Projektionen
Selbstkonzept
Lernen
Wissen
Erfahrung
Übertragung
self fulfilling prophecies - Hofeffekt
 Selbstdarstellung
 Modell- und Verstärkerwirkung


Die Merkmale erwünschter Lehrereigenschaften sind vielfältig in verschiedenen Erziehungslehren enthalten(vgl. u.a. DÖRING 1972, MÜLLER - FOHRBRODT 1973). Ironisch kommentiert schon Diesterweg(zit. nach LUKESCH 1975, 28)den "idealen Lehrer": "Mit Recht wünscht man dem Lehrer die Gesundheit und die Kraft der Germanen, den Scharfsinn eines Lessing, das Gemüt eines Hebel, die Begeisterung eines Pestalozzi, die Wahrheit eines Tillich, die Beredsamkeit eines Salzmann, die Kenntnis eines Leibniz, die Weisheit eines Sokrates und die Liebe Jesu Christi."

Merkmalslisten kann man mit Hilfe verschiedener Testskalen erstellen, die ebenso umfangreich wie die der aus den Erziehungslehren abgeleiteten Tugendkatalogen sind. Bei KLAUSMEIER und RIPPLE(1974) nimmt selbst die Zusammenfassung drei Seiten in Anspruch. BRUNNER beschränkt sich auf zehn Merkmale, die sich für eine Grundschullehrkraft gut eignen.

Abb.5: Berufliche Persönlichkeitsmerkmale einer Grundschullehrkraft

Emotionale StabilitätPositives Selbstkonzept
Differenzierte und systematische Unterrichts Schülern/innen - planungPartnerschaftliche Einstellung gegenüber schülerzentrierte Verhaltensweisen
Dominanz einer indirekten SteuerungVermeidung rigider Steuerung/Methoden
Methodeneinsatz zur Interaktion zwischen SchülerInnenDifferenzierte Anwendung positiver Verstärkungsmaßnahmen
Differenziertes Eingehen auf sich ändernde Elemente des Unterrichtsfeldes Schülerbedürfnisse - Lernziele - Methoden -Medien - psychische Struktur der Schüler/innenKenntnis der Erwartungen der Rollenpartner/innen

Reflexion des eigenen Rollenbewusstseins

Diagnose des sozialen Schulverhaltens

Eine solche Akzentuierung sozialpädagogischer Kompetenz schließt fachliches Können keinesfalls aus. "Was fachlich nicht in Ordnung ist, kann didaktisch nicht geradegebogen werden werden"(DIETRICH - ELBING - PEAGITSCH - RITSCHER 1983, 93).

Die persönliche Standortbestimmung ist wesentlich für einen beruflichen Erfolg einer Grundschullehrkraft:

  • Was sind meine Möglichkeiten?
  • Welche Ziele will ich mir für die Arbeit setzen?
  • Welchen Einflüssen bin ich/sind die SchülerInnen ausgesetzt?
  • Welche Bedeutung haben die Entscheidungen der Eltern/AbgängerInnen der Grundschule für die weiterführenden Schulen?
6 Verständnis von Schulleben in der Schule    

Unter dem Begriff "Schulleben" versteht man alle pädagogischen Maßnahmen, Traditionen und Anregungen, Schue als lebendige Gemeinschaft zu gestalten. Die Erfahrung positiver Beziehungen - gesteuert vom Schulmilieu und und der Institution Schule - innerhalb der Klasse, des Jahrganges bzw. der Schulstufe, zu LehrernInnen und der Elterschaft gehören ebenso dazu wie der Aufbau und die Verwirklichung langfristiger Vorhaben und Projekte, die innerhalb einer sozialen Gruppierung als "Schulgemeinschaft" zu bezeichnen sind.

In der Schule sind dies alle Formen des Erlebens, Erfahrens und Handelns im Spiel, in der Feier, der Arbeit, der Gestaltung freier Gespräche, der Schülerverwaltung, des Wanderns, Singens und Musizierens. Neben der Wir - Erfahrung gibt es eine Vielzahl von atmosphärischen emotionalen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten.


Schulleben dient der Darstellung einer "corporate identy" - der durch Klassen- und Schulgemeinschaft sichtbaren sozialen Persönlichkeit - in Form der Eingliederung des Einzelnen in eine demokratische Gesellschaft. Eine Gestaltung des Schullebens verbindet den pädagogischen Auftrag zur Sozial- und Werterziehung. Damit erweist sich die Gestaltung des Schullebens und der erzieherischen Funktion der Schule als ein pädagogischer Begriff von großer und wesentlicher Bedeutung(vgl. BECHER - BENNACK 1995, 127; FEND 1981, 328-376).

Abb.6: 4 Säulen - Theorie zur theoretischen Grundlegung des Schullebens

Herstellung der Einheit von Unterricht und ErziehungDarstellung der Schule als Lebenswelt des Kindes
Bildung für Schulrituale und Gewohnheiten
Durchführung von projektorientierten Veranstaltungen: "Wir - Gefühl"
Soziale Orientierung: Erwerb sozialer Fähigkeiten und Kenntnissen/Ganzheitlichkeit-Unmittelbarkeit-Spontaneität-Authentizität menschlicher Erfahrungen
Aufmerksamkeit für pädagogische Maßnahmen und Anlässe: Selbsttätigkeit -Selbstbestätigung - soziale Sicherheit -emotionales WohlbefindenLernen mit Lebensnähe
Freizonen und -angebote im Unterrichtsbetrieb: Gesprächsecke -Anregungen zur Bewegung - Animation zum Spielen

Räumlichkeiten der Schüler/innen für Aktivitäten: Bibliothek, Medien- und Spielothek
Geländeflächen und Wandgestaltungsmöglichkeiten
Schule als Lernort in Verbindung mit anderen LernortenErziehungskooperation Schule - Eltern
Beziehungen zu anderen Lernorten: Nahräume/Stadt-LandErziehungskontinuität/Hausaufgabenpraxis
Museumsarbeit/ErkundungenSchullaufbahnberatung
Umwelterziehungschulergänzende Elternaktivitäten
Gesundheitserziehung/Ernährung-Bewegung 

7 Literaturhinweise Schule    

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http://www.uni-bielefeld.de/SFB227/Pinfo/holt.html vom 17. August 2004

TV - Hinweis

BR - ALPHA, Schulfernsehen - Gewalt in der Schule, 7.6.2005, 14.00 - 14.15 h

Teil III Aspekt Gewalt und Religion    

Vorbemerkung    

Die Ereignisse des 11. September 2001 werfen eine Fülle von Fragen auf, so die nach der Rolle der Religionen in globalen und regionalen Konflikten. Von Interesse sind mögliche Strategien, Eskalierungen zu vermeiden.

Für das Interessensfeld "Politische Bildung/ Menschenrechtsbildung" und Religionspädagogik zeigt sich ein nicht abgeschlossener Diskussionsprozess, der mit diesem Beitrag weitergeführt werden soll.

"Die religiös - weltanschauliche Landschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist nicht nur durch das Fortschreiten von Säkularisierungs- und Modernisierungsprozessen bestimmt, sondern auch durch die sogenannte 'Wiederkehr der Religionen', die als eine den Menschen ergreifende Macht öffentlichen Einfluss gewinnt" (HEMPELMANN 2002, 1).

Religionen treten als

  • Quellen moralischer Verpflichtung und als
  • Faktoren in gewaltsamen Konflikten in Erscheinung.
Samuel P. HUNTINGTONs "Kampf der Kulturen" und Hans KÜNGs "Projekt Weltethos" sind dabei von besonderem Interesse. Die Frage nach einem möglichen Beitrag der Kirchen zur Förderung des Friedens stellt sich damit.

1 Religiös motivierte Gewalt    

Folgt man dem US - Politikwissenschaftler Samuel HUNTINGTON, dann ging das Ende des Kalten Krieges mit der Vertreibung der Menschheit aus einem Sicherheitsparadies einher (vgl. HUNTINGTON 1996).

Die weltumfassende Konkurrenz der Supermächte hörte sich auf und gleichzeitig mit ihr eine Epoche einer auf Interessensausgleich ausgerichteten Weltpolitik. HUNTINGTON sieht in der Folge eine "Ära der Glaubenskriege". Religiöse Nationalisten kämen an verschiedensten Orten an die Macht und würden ihre Anhänger gegeneinander aufbringen. Die Welt würde sich in einem blutigen Prozess politisch neu ordnen.

Am Ende stehen sich Glaubensgemeinschaften gegenüber, die mit Hilfe von Staaten und internationalen Allianzen Machtpositionen sich gegenseitig streitig machen.

Politik wird damit zur Fortsetzung von Religion mit anderen Mitteln.

Zur Begründung der Thesen werden die Konflikte in Bosnien, Tschetschenien, Indien, Indonesien und Nigeria angeführt.

Gegner zum Kampf um das Primat ihrer Religion stehen sich in diesen Regionen gegenüber wie

katholische Kroaten,

orthodoxe Serben und bosnische Muslime in Bosnien,

muslimische Rebellen gegen orthodoxe Russen in Tschetschenien,

Hindus gegen Muslims und Christen in Indien,

Muslims gegen Christen in Indonesien und in Nigeria ebenso Angehörige von Religionsgemeinschaften in blutigen Unruhen.

HUNTINGTON sieht eine Umkehr des Prinzips "Ein Staat, eine Religion" zu "Eine Religion, ein Staat" mit gewaltigen Opfern und anhaltenden Grausamkeiten.

Diese Thesen haben insbesondere unter Politologen und (auch) unter Pädagogen eine starke Resonanz gefunden und bedürfen einer kritischen Analyse.

Im Folgenden wird zu begründen sein, dass unsere Welt

  • nicht in eine Phase von Glaubenskriegen eintritt und
  • dass politische und wirtschaftliche Motive die meisten Konflikte begründen.
  • Natürlich bieten sich auch religiöse Überzeugungen für eine gewalterzeugende und gewaltförderliche Instrumentalisierung in diesen Konfliktherden an. Zu untersuchen ist, wie man solche steigerbare Kraft religiöser Unterschiede zwischen politischen Gegnern eindämmen und ausschalten kann.
2 Religiöse Faktoren in zwischenstaatlichen Konflikten    

HUNTINGTON geht in seiner Analyse vom Ende der Supermächte und künftigen "Kernstaaten" aus, die staatliche Allianzen - mit gleichem oder ähnlichem Glaubensbekenntnis - ergeben.

China wird der Mittelpunkt - auch als Schutzmacht - eines konfuzianisch-asiatischen, Indien der eines hinduistischen und die USA eines abendländisch-christlichen Bündnisses demnach sein. Russland wird schließlich der Kern eines slawisch-orthodoxen Blocks werden.

Noch nicht absehbar für HUNTINGTON gibt es eine Zentralmacht des muslimischen Bereichs.

Treibende Kräfte dieser neuen weltpolitischen Epoche sind demnach religiöse Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede. Auseinandersetzungen zwischen den Weltreligionen werden zunehmen, während innerhalb der Weltreligionen Konflikte an Bedeutung verlieren. HUNTINGTON sieht in diesem Interpretationsschema für die Gegenwart und Zukunft Kräfte religiöser Homogenität und einer Ausgrenzung fremder Götter am Werk.

Drei empirische Befunde sprechen gegen Huntingtons Thesen, die zusammenfassend hier referiert werden sollen.

  • In der Gegenwart sind zumeist die Konflikte Bürgerkriege, die zwischen Angehörigen derselben Weltreligion ablaufen: der Clankrieg im muslimischen Somalia, der Genozid im christlichen Ruanda, die blutigen Konflikte in Algerien und im Irak, der erste Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak und die Kurdenkriege.
  • Joseph NYE meint denn auch, dass wir nicht eine neue globale Konfliktformation erleben (vgl. NYE 1995, 5-24). Vielmehr erleben wir neue Zerfallsprozesse in und zwischen Staaten. Im Verlauf von historisch gesehen normalen Herrschafts-, Macht- und Wirtschaftskonflikten werden religiöse Differenzen - man denke zwischen Schiiten und Sunniten oder Katholiken und Protestanten - bedeutsam, während die großen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen in den Hintergrund treten.
  • Es lassen sich keine Blockbildungsprozesse entlang religiös definierter Konfliktlinien erkennen, vielmehr dominiert die Logik des Macht- und Bedrohungsgleichgewichtes. So erklärt sich auch die westliche Hilfestellung für Kuwait und Saudi - Arabien im Irakkonflikt, die Hilfe Saudi - Arabiens im Jemen 1994 gegen den islamischen Süden und die Stützung von Japan, Südkorea und Taiwan durch die USA.
  • Wenn die Schere zwischen Arm und Reich sich öffnet, wenn Modernisierung Gewinner und Verlierer erzeugt, erhalten erst religiöse Bewegungen Zulauf. Hier wird Religion instrumentalisiert, wobei die heutigen blutigen Auseinandersetzungen weniger zwischen "Gläubigen" und "Ungläubigen" als vielmehr zwischen "Arm" und "Reich" oder auch zwischen "Zentrum" und "Peripherie" verlaufen. Sakrale Symbolik und religiöse Rhetorik durch politische Eliten spielen mitunter eine Rolle bei der Mobilisierung für gewaltsame Eskalationen, denn Gewalt zu legitimieren fällt mit den Argumenten des Kampfes um eine "heilige Sache", der Verdammung des Gegners als "teuflischen Widersacher" und einer Vernetzung religiöser Institutionen in den jeweiligen Gesellschaften leichter.
Politikwissenschaft und Politische Bildung unterscheiden zwischen "Konflikt" und "Konfliktverhalten", wie dies am Beispiel der Unruhen in Nigeria gezeigt werden kann.

"Nach dem Bürgerkrieg, der das Land zwischen 1967 und 1970 verwüstet hatte, übernahm eine Koalition aus Militärs und Wirtschaftsführern aus dem Norden die Macht in Nigeria. Sie richtete Staat und Volkswirtschaft zu Grunde. Als im Laufe der neunziger Jahre der Widerstand gegen das autoritäre und korrupte Regime wuchs, spielte es bewusst die religiöse Karte aus und versuchte damit, die Oppositionsbewegung zu zersplittern. 1999 musste das Regime auf Druck des Auslands Präsidentschaftswahlen durchführen. Dank der Stimmen auch vieler Muslime siegte mit Olusegun Obasanjo ein Reformer und Christ aus dem Süden Nigerias. Die alten Eliten sahen sich in ihrer Macht bedroht und versuchten, das Land unregierbar zu machen, um die Voraussetzungen für einen erneuten Militärputsch zu schaffen. In diesem Zusammenhang setzten sie die Einführung des islamischen Rechts in einigen Provinzen Nigerias durch. Die Folge war so absehbar wie brutal. Radikalisierte Jugendliche beider Religionen lieferten sich blutige Straßenschlachten. In deren Verlauf gingen Moscheen und Kirchen in Flammen auf, und mehrere hundert, wenn nicht tausend Menschen wurden getötet. Es kann freilich als gesichert gelten, dass die Unruhen in Nigeria ohne die bewusste Provokation der Glaubensgemeinschaften durch die alten Eliten nicht mit der Gewalt ausgebrochen wären, wie wir sie jetzt beobachten" (RITTBERGER 2002, 8).

3 Gegenstrategien zur Eindämmung von Gewalt    

Drei Strategien sind zu diskutieren, die sich einer politikwissenschaftlichen Tradition und damit Aspekten einer Politischer Bildung zuordnen lassen.

3.1 Realismus    

Hier geht man davon aus, dass Konflikte zwischen Staaten, Völkern/ Ethnien oder Religionsgemeinschaften unvermeidlich sind, solange keine Schiedsinstanz mit Gewaltmonopol eingreift (vgl. dazu HUNTINGTON 1996, KEPEL 1991, SEUL 1999 und TIBI 1999).

Das Abschreckungspotential funktioniert nur dann, wenn klare Trennlinien - man denke an Grenzen - vorhanden sind und sich verteidigen lassen. Bei Religionsgemeinschaften bedeutet dies eine Entflechtung (auch um den Preis von Umsiedlungen), damit etwa ethnische Säuberungen vermeiden werden können.

Solche theoretischen Ansätze von Realisten sind höchst umstritten und werfen zwangsläufig Fragen auf wie:

  • Kann man durch Abschreckung und/ oder Unterdrückung religiösen Gewaltmotiven wirkungsvoll entgegenwirken?
  • Sind solche Methoden moralisch gerechtfertigt?
3.2 Liberalismus    

Insbesondere Sozialwissenschaftler begründen religiöse Radikalisierung mit den Entwicklungs- und Modernisierungskrisen in vielen Entwicklungsländern (vgl. dazu MÜLLER 1998 und NYE 1995).

Religiöse Nationalisten würden kaum Chancen bei realistischen Zukunftsperspektiven in diesen Regionen haben. Mit breiten Demokratisierungs- und Entwicklungsstrategien wären solche auf Mitbestimmung organisierte Gesellschaften weniger für religiöse Gewalt anfällig, wobei dies einen reformwilligen Staat voraussetzt. Solche Voraussetzungen sind aber in vielen Krisenregionen nicht gegeben.

3.3 Konstruktivismus    

Diese Gruppe von Sozialwissenschaflern baut auf die argumentative Auseinandersetzung mit religiösen Nationalisten (vgl. ADLER 1997,319-363; HOPF 1998, 171-200; WENDT 1999, 20-21).

Konstruktivisten gehen von einer wertegestützten Überzeugung politischer Eliten aus, die Antworten auf eine Angemessenheit der Anwendung von Gewalt gibt.

Vor allem autokratische und autoritäre Regime scheuen eine solche Auseinandersetzung und flüchten in der Regel in Strategien einer Zensur.

Hier soll die Tradition der Aufklärung gepflegt werden. Bei allem Anschein von Naivität kann historisch auf das Entstehen friedensstiftender sozialer Bewegungen aus der Mitte von Glaubensgemeinschaften verwiesen werden, die mitunter radikale soziale und politische Reformen anstreb(t)en.

  • Man denke an die indische Unabhängigkeits- und die US - Bürgerrechtsbewegung,
  • die tibetanische Befreiungsbewegung und
  • auch die Bewegung zur friedlichen Überwindung des südafrikanischen Apartheid - Regimes mit ihrem mäßigenden Einfluss christlicher Kirchen.
  • Auf die Rolle der Evangelischen Kirchen in Ostdeutschland bei der sog. "Wende" muss in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, wenngleich diese nicht zu überbewerten ist.
Es gibt Fortschritte bei einer friedlichen Verständigung von Glaubensgemeinschaften und Weltreligionen. Man denke an die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" 1970 in Kyoto und an das "Parlament der Weltreligionen" 1993 in Chicago, aber auch an die ständigen Bemühungen des Weltkirchenrates.

Das Bekenntnis zu Frieden und gegen Krieg und Gewalt gibt Möglichkeiten für eine Koordination von Glaubensgemeinschaften in Krisensituationen. Nach RITTBERGER (2002) ist es freilich noch nicht hinreichend erforscht, wann und unter welchen Bedingungen sich die konfliktentschärfenden Interpretationen der religiösen Überlieferungen gegen deren konfliktverschärfende Interpretationen durchsetzen (vgl. RITTBERGER 2002, 11).

3.4 Reflexion    

Es ist empirisch nicht nachweisbar und daher diskussionswürdig, inwieweit Menschen sich durch Zwang, Gewalt und Geld in ihren Handlungsentscheidungen leiten lassen.

Jedenfalls spielen Argumente zur Unterstützung friedlich - kollektiver Handlungsziele eine wichtige Rolle.

Mit der Methode der Dialogstrategie suchen Konstruktivisten nach Lösungen politischer Konflikte, die religiösen Glaubensinhalten gerecht werden (vgl. KÜNG 1992, 1997, 2000).

Allerdings muss die Dialogstrategie durch ökonomische und soziale Strategie sowie mitunter durch Strategien abschreckender Gegengewalt ergänzt werden.

Nicht unterschätzt werden sollte der Beitrag von Glaubensgemeinschaften und Weltreligionen zur Erhaltung und Förderung des Friedens.

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Teil IV Aspekt Gewaltprävention    

1 Einführung    

Seit dem Jahre 2002 - mit dem Mord im Gymnasium Erfurt - ist im deutschem Sprachraum die Öffentlichkeit, zunächst in der Schule, in der Folge durch Prozesse in Österreich, mit der Thematik von Gewalt in der Erziehung sensibilisiert worden. Bisheriger Höhepunkt dieser thematischen Auseinandersetzung waren im Jahre 2006 die Ereignisse an der Rütli - Hauptschule Berlin - Neukölln und ein Mord an einem Kleinkind, die ganz offensichtlich auf Gewaltphänomene rund um die Erziehung schließen lassen.

In der Folge treten Gewaltphänomene auf, die weit über Bildungsinstitutionen hinaus gehen und gesellschaftliche, politische, ökonomische, ökologische und kulturelle Defizite aufzeigen. Diese betreffen den Themenbereich der Politischen Bildung.

Pädagogisch aktualisiert wurde 2011 die Diskussion um Sanktionen bei schulischen Konfliktfällen in Österreich.

"1998 widmete Der Spiegel ein Heft dem Thema Warum immer mehr Kinder kriminell werden - Die Kleinen Monster (Nr. 51, 16.4.1998). Focus 10/1998 trug den Titel Schule brutal - Erpressung, Prügel, Terror - An deutschen Schulen ist die Hölle los. Die Zeit erklärte am 17.9.1998 Jugendgewalt wird zur größten Herausforderung für Polizei, Justiz - und Politik" (MARTIN - MARTIN 2003, 7).

Im Folgenden geht es auch um die Frage der Faszination von Gewalt. Pädagoginnen und Pädagogen betrifft die alltägliche Form von Gewalt, nicht Phänomene wie Sadismus oder Masochismus. Dies zu verstehen, zu behandeln und und zu ahnden ist Aufgabe von Psychiatern und Juristen. Konkret geht es also um Macht und Gewalt - etwa das staatliche Machtmonopol, den Missbrauch von Macht, der Lust an Gewalt (Fantum/ Sport), der Faszination des Extremismus, Gewalt im Krieg und die Gewalt über die Natur (vgl. MÜLLER - FAHRENHOLZ 2006, 66-85). Dies sind zutiefst Fragen einer zeitgemäßen Erziehung.

Neben den erziehungswissenschaftlichen Aspekten sind auch die Bemühungen um eine kulturell - religiöse Erziehung zu beachten. So engagierte sich die Evangelische Superintendentur Kärnten A.B. mit einem Projekt - anlässlich der Gemeindevertretungswahlen 2005 - zur Prävention von Gewalt. Am 25. November 2006 fand ein Studientag im Kardinal -König - Bildungshaus/ Wien zur "Dekade zur Überwindung von Gewalt" statt.

Der Autor versuchte in einer Reihe von Beiträgen zur Menschenrechts- und Politischen Bildung/ Erziehung sowie zur "Dekade zur Verhinderung von Gewalt/ 2001-2010" (Ökumenischer Rat der Kirchen/ Genf) verschiedenste Aspekte zu beleuchten.

Mit dieser Studie soll auf die Dimension von Erziehung hingewiesen werden.

7.1 Bluttaten in Österreich 1993-2005    

Oktober 1993 - Selbstmord eines 13jährigen Schülers nach Schuss auf Direktor (Hausleiten/ Bez. Korneuburg/ NÖ)

Juli 1994 - 15jährige Schülerin verletzt 14jährigen Schüler (Wien - Meidling)

Mai 1997 - 15jähriger Schüler erschießt Lehrerin und verletzt eine weitere (Zöbern/ NÖ)

Juni 1998 - Berufsschüler verletzt mit Messer Mitschüler (Murau/ Stmk.)

Oktober 2003 - 13jähriger bedroht mit Messer zwei Mitschülerinnen und einen Mitschüler - Entwaffnung durch Lehrerin (Linz/ OÖ)

April 2004 - 13jähriger Schüler sticht 15jährige Mitschülerin nieder (Wies/ Stmk.)

September 2005 - 15jähriger Schüler ermordet durch Niederstechen Mitschüler (Wien - Währing)

7.2 Zeitungsdokumentation    

Salzburger Nachrichten, 26. April 2006, 8: "Blind gegen Schulgewalt"

Zu große Klassen, zu wenig Lehrer, die Gewalt nimmt zu: An Deutschlands Schulen drohen Verhältnisse wie in den USA. Davon ist der Lehrerverband überzeugt.

Zum vierten Mal jährt sich heute, Mittwoch, das Massaker am Gutenberg - Gymnasium in Erfurt. 16 Menschen starben in dem von einem Jugendlichen angerichteten Blutbad. Und erst vor wenigen Tagen waren Gewaltexzesse an einer Berliner Schule bekannt geworden.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sieht Handlungsbedarf bei der Politik. Der Fall Erfurt sei ohne politische Folgen geblieben. "Die Politik hat es bei schönen Absichtserklärungen belassen", sagte Kraus. Forderungen nach mehr Schulpsychologen seien ebenso ungehört verhallt wie nach Eindämmung von Gewaltvideos.

Laut seinen Angaben kommt in Deutschland ein Schulpsychologe auf 10 000 Schüler. Die Kultusministerkonferenz habe bereits vor Jahren die Quote auf 5 000 Schüler empfohlen, sie zeige jedoch keine Anzeichen, diese Vorgaben zu erfüllen. "Stattdessen wird Aktionismus betrieben, etwa mit dem Verbot von Handys oder MP3 - Playern an Schulen", sagt Kraus. "Das kostet nichts, bringt aber auch nichts." Bei der Forderung nach kostenintensiven Präventionsmaßnahmen wie mehr Personal oder Verkleinerung der Klassen stelle sich die Politik dagegen taub.

Für Kraus ist es kein Argument, dass die Zustände an den Schulen in Japan und den USA noch radikaler und brutaler seien: "Diesen Vorsprung holen wir bald auf, wenn wir nicht gegensteuern." Gefordert sei auch die Verbesserung der Beziehung zwischen Schule und Elternhaus. "Viele Eltern zeigen sehr wenig Engagement, was das Freizeitverhalten und die schulische Entwicklung ihrer Kinder angeht", sagt Kraus, der bei Landshut (Bayern) eine Schule leitet. Positiv merkt Kraus an, dass in den Schulen eine "Kultur des Hinsehens" gewachsen sei. Viele Jugendliche meldeten sich, wenn ihnen bei ihren Mitschülern Gewaltfantasien auffielen. "Das ist manchmal etwas übertrieben, aber lieber ein Mal zu viel als ein Mal zu wenig."

Stichwort Erfurt: 15 Schüler und Lehrer sind noch immer auf psychologische Hilfe angewiesen. Insgesamt nahmen 440 Schüler Gruppenbetreuung in Anspruch, 230 Schüler und Lehrer unterzogen sich wegen posttraumatischer Belastungsstörungen Einzeltherapien.

Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft geht von einer auf pädagogisches Handeln ausgerichteten Disziplin aus, in der man nach Erkenntnissen - im Gegensatz zu anderen Sozialwissenchaften - zu suchen hat, die sich in einer Förderung des einzelnen Educandus bewähren.

Pädagoginnen und Pädagogen/ Lehrende haben ohne jeden Unterschied der Klientel zu fördern.

In der Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft ist jede relevante Erkenntnis aller Wissenschaften zu nützen, weshalb Interdisziplinarität erforderlich ist.

8 Begriff Gewalt    

Wegen der Vieldeutigkeit des Begriffes bedarf es einer Definierung der verwendeten Begriffe.

In der Wissenschaft wird neuerdings Gewalt als Überbegriff verwendet und in Teilbegriffe unterteilt: beispielsweise physische, psychische, verbale, sexuelle, rassistische, soziale und frauenfeindliche Gewalt.

So definieren FUCHS - LAMNEK - LUEDTKE (1996, 14) Gewalt in der Schule: "Gewalt ist demnach eine zielgerichtete, direkte, physische, psychische oder soziale Schädigung., deren Illegalität in der gesellschaftlichen Beurteilung Merkmalen des Täters, des Opfers und der sozialen Kontrollinstanzen unterliegt." Unterteilt wird in personale Gewalt, strukturelle Gewalt, expressive Gewalt und instrumentale Gewalt.

Gewaltmischungen sind selbstverständlich.

Hinzuweisen ist auch auf den Begriff Mobbing, wobei man darunter zu verstehen hat, wenn jemand wiederholt und über längere Zeit negativen Handlungen durch eine oder mehrere Personen ausgesetzt ist (vgl. OLWEUS 1996, 60; KASPER 1998).

9 Gewalt in der Erziehung    

Die Breite der Thematik widerspiegelt sich auch in der deutschsprachigen Fachliteratur (vgl. beispielhaft HURRELMANN -PALENTIEN - WILKEN 1995, LAMNEK 1995, HURRELMANN - RIXIUS - SCHIRP 1996, TILLMANN 1999, MARTIN - MARTIN 2003, SCHUBARTH 2013, WEDEMANN 2014, SCHREIBER 2015, MELZER 2015, NIPROSCHKE 2016).

Kinder erfahren Gewalt in der Familie (Ohrfeigen, Schlagen; Einsperren). Unverarbeitete Erfahrungen der Eltern, Konflikte in der Familie/im Berufsleben, rigide Erziehungsziele und Bedingungen in der Sozial-, Umwelt- und Gesellschaftsschicht gelten als Bedingungen. Gewalt in der Familie wird als eine Schlüsselrolle für die Verbreitung aggressiven Verhaltens und als Wirkung struktureller Gewalt in der Gesellschaft angesehen (vgl. SCHREIBER 2015; TILLMANN 1999; HURRELMANN - PALENTIEN - WILKEN 1995).

- Sexueller Missbrauch von Kindern in der Familie und Verwandtschaft wird offener und damit transparenter berichtet. Verstärkte Anstrengungen zur Prävention mit unterschiedlicher Ausrichtung der Präventionsarbeit sind erkennbar (vgl. NEUBAUER 1995, 94; DAMROW 2006).

- Gewalt im und durch Sport in Verbindung mit Konkurrenz- und Leistungsdenken be- und verhindert mitunter Fairness, gegenseitige Hilfestellung und soziales Lernens (vgl. PILZ 1982/1995).

- Das Freizeitleben Jugendlicher in Verbindung mit Desintegrationserscheinungen in Großstädten, sozialen Problemen in den Familien und der Arbeitslosigkeit erklärt die Verbreitung von Jugendgewalt.

- Religiös - kulturelle Entwurzelung tut das ihrige.

- Im Bereich der jugendlichen AusländerInnen ist die mangelhafte Mitbestimmung und das Fehlen von vollständigen Bürgerrechten - damit die Identifikation mit dem Staat - zu bedenken. Das Verteilen von Bildungs- und in der Folge von Berufs- und Lebenschancen durch ein vertikal geteiltes Schulsystem gilt in der Fachliteratur und in einschlägigen Untersuchungen als wichtige Ursache für Zusammenrottungen und - im EU - Raum - für gewalttätige Proteste, wobei eine politische Polarisierung zusätzlich eine Rolle spielen kann (vgl. HURRELMANN - PALENTIEN - WILKEN 1995; BERTELSMANNSTIFTUNG - FORSCHUNGSGRUPPE POLITIK 2005). Zu bedenken sind ausreichende Maßnahmen in der Bildungsberatung und schulischen vorberuflichen Bildung/ Berufsorientierung (vgl. BACHMAIR u.a. 1999; DICHATSCHEK - MEIER - MEISTER 2005, 83-90).

Gewalt in der Schule ist pädagogisch deswegen so negativ zu bewerten, weil dies mitten in Bildungszentren - unter den Augen der Lehrerschaft mit der Verantwortung für soziales Lernen/ Erziehung und politischer Bildung - geschieht (vgl. MELZER 2015). Die Literatur darüber ist so zahlreich, dass hier nicht im Detail darauf eingegangen werden muss (vgl. HOLTAPPELS u.a. 1997). Beklagt wird körperliche Gewalt, verbale Gewalt(auch gegen Lehrer/innen), Vandalismus, sexistische Gewalt und allgemeine Gewaltphänomene - hin bis zu Mobbing in allen Variationen (vgl. WIMMER 2016).

- Alle Schulformen und Altersstufen bis zum Kindergarten sind betroffen.

- Schule spiegelt die Gesellschaft wider, verschiedenste Sozialschichte und Ethnien stoßen aufeinander.

- Zudem spielen Schulbauweisen, Lehrerverhalten, Leistungs- und Sozialdruck, Entmutigung, Erniedrigung, schlechte Ausbildungs- und Berufschancen, Demotivation, anonymes Schulklima, mangelhaftes Lehrer - Schüler - Verhältnis, mangelhafte bis fehlende zeitgemäße Schulentwicklungsprozesse und Ungerechtigkeiten eine wesentliche Rolle.

- Viele Präventionsproramme bieten Schulen und Lehrenden Ansatzpunkte zur Förderung von sozialen Kompetenzen (vgl. Verhaltenstrainings für Lernende und Lehrende, themenzentrierte Lehrerfortbildung, Einzelmaßnahmen wie Erarbeitung von Regeln und demokratischen Lerngelegenheiten; WEDEMANN 2014, 77; SCHUBARTH 2013, 102-105).

- Prävention umfasst mehr als nur der Einsatz solcher Programme. Es geht vorrangig um Aspekte des Schulklimas und die Qualität der Wirksamkeit von pädagogischen Maßnahmen (vgl. EDER 2002, 213-214). Gemeint sind der Leitungsstil, die Öffnung nach außen, Werte und Einstellungen der Lehrenden, die Qualität sozialer Beziehungen der Lernenden und Lehrenden (vgl. FREITAG 1998, 33). Schulklimatische Ansätze finden allerdings wenig Beachtung (vgl. MELZER - SCHUBARTH 2016). Es geht also um die Förderung sozialer Kompetenzen (vgl. NIPROSCHKE 2016, 257).

- Gewalt über die Natur ist ein Phänomen, das sich in Umwelterziehung als pädagogischen Auftrag ergibt (vgl. LEHRPLAN - SERVICE UNTERRICHTSPRINZIPIEN HS UND AHS, 1. - 4. KLASSE, KOMMENTAR 1990, 142-192). Unbestreitbar sind Entdeckungen, Erfindungen und verschiedenste Produktionsformen für die Menschheit hilfreich geworden. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass sie zu atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, zu sozioökonomischen Verzerrungen in der Weltbevölkerung und zu ökologischen Verwüstungen geführt haben, die ein Überleben der Menschheit in Frage stellt. "Die Erfahrung des Ungenügens angesichts einer übermächtigen Natur hat Menschen immer wieder zur Gewaltfaszination im Umgang mit ihr verleitet. Und es scheint nicht zuletzt diese Faszination zu sein, die eine entschlossene Abkehr von dem Paradigma der Beherrschung und Ausbeutung der Natur verhindert" (MÜLLER - FAHRENHOLZ 2006, 84).

10 Theorieansätze    

Lern- und Lehrprozesse spielen bei der persönlichen Entwicklung mit ihren kognitiven, psychomotorischen und affektiven Fähigkeiten eine wesentliche Rolle. Dies gilt ebenso für den Bereich des Umgangs mit Sozial- und Verhaltensstrukturen, also auch für Gewalt.

10.1 Lerntheoretische Ansätze    

Zum erziehungswissenschaftlichen Basiswissen gehört die Auseinandersetzung mit den klassischen Lerntheorien (vgl. WEISS 1978, 13-57; FEND 2005).

- Die klassische Konditionierung I.P. Pawlows ist für das Verständnis menschlicher Lern- und Verhaltensänderungen aufschlussreich. Noch 1973 haben Hilgard und Bower den konditionierten Reflex als "die am besten handbare Grundeinheit für alle Lernprozesse" genannt (vgl. die Werbung mit der mit Bildern und Szenen illustrierten Aufforderung zum Kauf).

- Signallernen hat Bedeutung im Training von aggressivem Verhalten (Militär - freies Kampfverhalten; Karikaturen, Schimpfwörter, intolerante Ideologien - Aussetzen von humanen Wertvorstellungen).

- Die operante Konditionierung B.F. Skinners setzt auf die Tradition E.L.Thorndikes mit dem "Gesetz der Auswirkung (law of effect)", wobei er meinte, menschliche Verhaltensänderungen in jedem Bereich - etwa Politik und Religion - erklären zu können. Weiterhin wichtig sind Skinners Erkenntnis in der Verhaltenstherapie und praktischen Erziehung- und Unterrichtsarbeit ("Lernen durch Erfolg"). "Es leuchtet ein, dass eine mit so umfassendem Geltungsanspruch auftretende Theorie der Verhaltenserklärung und -änderung auch beim Problem (jugendlicher) Gewalt bedacht werden muss"(MARTIN - MARTIN 2003, 59).

- A. Banduras Modelllernen ist besonders wirkungsvoll, wenn die Modelle prestigeträchtig und Erfolg mit ihren - auch aggressiven - Handlungen aufweisen. Folgerungen für eine Prävention und Erklärung von Gewalt ergeben sich aus Modellen der Wirklichkeit - etwa Familie, Schule, Freizeit und Filme - und den Bedingungen und Verarbeitungsweisen des jeweiligen Verhaltens. Aus der Wechselwirkung von Beurteilungskriterien und Wertvorstellungen der Lernenden mit Merkmalen beobachteter Modelle aus der sozialen Umwelt entwickelte sich aus dem Paradigma des des Beobachtungslernens die sozial-kognitive Lerntheorie. Hier spielen kognitive Details eine Rolle. Prinzipien, denen bestimmte Aktivitäten zugrunde liegen, können übernommen werden (man denke an Rücksichtslosigkeit, Fremdenfeindlichkeit und Brutalität). Aus dieser "abstrakten Modellierung" entsteht in der Folge eine "kreative Modellierung" (BANDURA 1979, 57). Die Darbietung von Modellen, die Aggressionen ausüben, ohne selbst Schaden zu nehmen, schwächt innere Hemmungen und verstärkt aggressive Tendenzen (S. 58). Hier finden sich Erklärungen dafür, dass scheinbar friedliche Schüler, die bloß blutrünstige Computerspiele spielen, plötzlich ein Blutbad in ihrer Schule anrichten" (MARTIN - MARTIN 2003, 62). Bandura sieht in der Darbietung von Stimuli zur Gewaltausübung, Appellen, stellvertretender Bekräftigung und Erfolgen der Aggressoren - etwa durch Aufmerksamkeit und Statusgewinn - die prozessartige Verbreitung solcher Einstellungen und Verhaltensweisen (S. 59). Antizipatorische Prozesse werden durch Erwartungen, Symbole und Gedanken weitgehend selbstaktiv gesteuert (S. 70 und 78). Durch Bestrafungen lassen sich mögliche Täter kaum abschrecken (Märtyrerrolle), stellvertretende Bestrafungen wirken mitunter nur informativ. Bei Gruppenphänomenen - man denke an Cliquen, Fangruppen und Streetgangs - kann es zur Wechselwirkung von Selbst- und Fremdbekräftigung durch Gruppenkonformität kommen. Strategien der moralischen Rechtfertigung, Beschönigung, Verharmlosung, Schuldzuweisung und Verdrängung sind zu beobachten (vgl. die Theorie der kognitiven Dissonanz nach Festinger; BANDURA 1979, 157). Verstärkt werden die Tendenzen durch Urbanisierung, Migration und Anonymität. Eine aggressive Verhaltenstendenz ist auch bei Kindern im Prozess der reziproken Determination in Familien zu beachten ( BANDURA 1979, 195, vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 64).

Aus der Sicht der sozial - kognitiven Lerntheorie kommt es auf die Standards der Motive der Handelnden an. Relevant sind auch die Überzeugungen, Vorstellungen und Fehlurteile, die unter den angegebenen Bedingungen sich entwickeln (vgl. Realitätsverzerrung/ -verlust). Somit kommt es zu Eigentümlichkeiten personalen Handelns. Falsche Selbsteinschätzung, Verführungen, Vorurteile, falsche Informationen, Missverständnisse, Ohnmachtsgefühle und Irrtümer beeinträchtigen/ verhindern prosoziales Verhalten.

In der Interaktion entwickeln sich - ähnlich wie bei der Lernmotivation - Persönlichkeitsmerkmale und Dispositionen, Selbsteinschätzungen, Ich - Orientierung, Interessen und Autonomievorstellungen des Einzelnen und der Gruppe. "Konkret gesprochen: die moderne, multikulturelle, pluralistische Gesellschaft mit ihren großen sozialen Unterschieden, dem Konkurrenzprinzip und allgegenwärtigen Gewaltmodellen erscheint als günstiger Nährboden für die Entstehung von Gewaltmotiven in einzelnen und Gruppen. Aggressionen gegen Schwächere und gegen Fremde oder auch nur gegen Sachen können sich lohnen. Sie können das Gefühl der Stärke, der Überlegenheit und des Selbstwertes vermitteln. Aggressive Selbstwirksamkeit erzeugt Autonomiegefühle. Und in Banden und Cliquen können solche Wert- und Zielvorstellungen, Motive, Verhaltensregeln, Prestige- und Aufstiegschancen gedeihen, denen gegenüber Eltern und Lehrer/innen mehr oder weniger machtlos sind - solange prosoziale Gegenmodelle, Handlungsmöglichkeiten und Identitätschancen fehlen" (MARTIN - MARTIN 2003, 65-66).

Vorzüge des lerntheoretischen Modells bestehen in der Kenntnis der komplexen Prozesse unsozialen Denkens und Handelns sowie der Prozesse eines Neuaufbaues prosozialer Verhaltensweisen.

10.2 Soziologische Ansätze    

Sozialisationstheoretische Ansätze und Konzepte richten bei der Gewalterklärung den Blick auf die gesellschaftliche Realität Jugendlicher, so etwa auf die Loslösung vom Elternhaus, die "peer-groups" sowie die Vorbereitung auf und den Übergang in den Beruf/ Vorberufliche Bildung/ Erziehung und berufliche Grundbildung (vgl. DICHATSCHEK 1995, 67-76; HEITMEYER u.a. 1996, 31, PRAGER - WIELAND 2005, 15-29 und 75-98).

  • Theorien des differentiellen Lernens enthalten soziologisch - sozialstrukturelle Elemente einer Erklärung abweichenden Verhaltens und Einstellungen. "[...]dass eine Person dann deliquent wird, wenn Gesetzesverletzungen begünstigende Einstellungen gegenüber den Einstellungen, die Gesetzesverletzungen negativ bewerten, überwiegen" (LAMNEK 1990, 216).
    • Für das Auftreten von abweichendem Verhalten sind sowohl die Lebensgeschichte, die vermittels entsprechender Kontakte die bestimmenden Neigungen und Widerstände produziert, wie auch die aktuellen, situativen Umstände verantwortlich, die für den den einzelnen in einer bestimmten Situation als relevant empfunden werden" (LAMNEK 1990, 188-189). Wesentlich ist eine Gesellschaft, in der unterschiedliche Situationen und Wertvorstellungen vorhanden sind. "Besonders die Interaktion in 'intimen persönlichen Gruppen' mit abweichenden Verhaltensmustern wird als Erklärung für das Erlernen kriminellen Verhaltens benutzt. Gelernt werden so nicht nur die Techniken z.B. der Gewaltausübung, sondern auch die zugehörigen Einstellungen, Motive und Bewertungen" (MARTIN - MARTIN 2003, 70; vgl. die Erkenntnisse des operanten Konditionierens). Hinweise auf das Erlernen gewalttätigen Verhaltens in Familien sind Züchtigungen, Missbrauch in der Familie, private und berufliche Beziehungsprobleme, die in Schule und soziale Gruppierungen der Kinder und Jugendliche hineingetragen werden (vgl. HURRELMANN - PALENTIEN - WILKEN 1995, 58; TILLMANN 1999, 274).
    • Im differentiellen Identifikationslernen verhält sich eine Person dann kriminell, wie sie sich mit tatsächlich lebenden oder vorgestellten Personen identifiziert, aus deren Sichtweise kriminelles Verhalten annehmbar erscheint (vgl. LAMNEK 1990, 210). Übernommen werden Perspektiven, Wertvorstellungen und Handlungsweisen. Erweitert wird hier das lerntheoretische Modell durch die gesellschaftlichen Bedingungen. Spannungen und Konflikte im Elternhaus, wirtschaftliche Krisensituationen/ Arbeitslosigkeit, soziale Isolation der Familie, Persönlichkeitsstörungen und Auffälligkeiten des Kindes werden als Indikatoren angegeben (HURRELMANN - PALENTIEN - WILKEN 1995, 21-22).
  • In einer faktisch multikulturellen Gesellschaft mit hochdifferentierten Sozialsystemen gibt es sozial, ethnisch und kulturell - religiös begründete Subsysteme, die einen subkulturellen Theorieansatz mit Unterschieden in Norm- und Wertvorstellungen begründen. Jugendliche Gruppierungen verschiedener Sozialschichten können Subkulturen bilden (vgl. HEITMEYER u.a. 1996, 37).
    • Die "Chicagoer Schule" hat in den USA mit ihren zahlreichen ethnischen Herkunftsgruppen diese Phänomene ausführlich untersucht. Eine umfassende "Subkulturtheorie" hat A.K Cohen entwickelt (1961, 1968), wobei er als Grundbedingungen in demokratischen Gesellschaften Diskrepanzen zwischen verlautbarten Ideologien und praktizierter Herrschaft bestimmter Schichten sieht. Der unterschiedliche Zugang zu Bildung, Ausbildung, Gesellschaftspositionen, Eigentum, Recht, Mitbestimmung und letztlich Macht lässt Widersprüche erleben.
    • Folgen sind Konfliktsituationen, Frustrationen und Unzufriedenheiten, wobei bei guten Kommunikationsmöglichkeiten und ähnlichen Anpassungsmöglichkeiten es zu Zusammenschlüssen kommt. Aus diesen bilden sich gemeinsame Verhaltensweisen, Rollenverteilungen, Werte und Normen in Subkulturen. So bilden sich bei sozial Unterprivilegierten Praktiken einer Selbstverteidigung, beginnend vom Aushalten eines Leidensdruckes über Vandalismus bis hin zu einer Kultur der Gewalt (vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 72-73).
  • In den Anomietheorien geht man ebenfalls von einem schichtenspezifischen Gesellschaftsmodell aus. R.K. Merton als Vertreter des Theorieansatzes geht davon aus, dass Gesellschaften eine durch Normen geprägte "kulturelle Struktur" besitzen und demnach abweichendes Verhalten dadurch hervorgerufen wird, dass Gruppen/ Gruppierungen und Personen - strukturell bedingt - unterschiedliche Mittel und Möglichkeiten offen stehen, um gesellschaftlich verlangte Ziele zu erreichen. Dabei kommt es zu gesellschaftlich bedingten Konfliktsituationen, die Gefühle der Desorientierung, Hilflosigkeit, Demütigung, Ablehnung des politischen Systems und eines konformen Lebens erzeugen. Unterschichtgruppen sind diesem Druck besonders ausgesetzt. In Schulen und Jugendorganisationen erleben offensichtlich Heranwachsende anomische Strukturen (vgl. SCHUBARTH 2000, 45).
  • Beim Labeling Approach geht man - wie die Anomietheorie - davon aus, ob abweichendes Verhalten nur dem Abweichler (und seiner Sozialisation) anzulasten sei. Auch hier zeigt es sich, dass ein solches Verhalten durch Gruppen- und Regeldruck Gruppen und Einzelpersonen zu Außenseitern etikettiert. Solche Stigmatisierungen führen neben sozialer Etikettierung (z.B. als Außenseiter) zu Desintegration und Bindung an Cliquen und können bis zur Gewaltneigung betroffener Heranwachsender gehen (vgl. TILLMANN 1999, 253).
  • In vielen Studien werden Identitätstheorien in Verbindung zu Gewaltproblemen gebracht. Hypothesen sind mangelhafte Entwicklung der jugendlichen Persönlichkeit, diffuse Werthaltungen, unklare Ziele und geringe Möglichkeiten im weiteren Bildungssystem sowie die soziale Zugehörigkeit (vgl. HURRELMANN - PALENTIEN - WILKEN 1995, 188). Bei Heranwachsenden mit "diffuser Identität" treten etwa niedriges Selbstwertgefühl, externe Kontrolle, stereotype Beziehungen, Unverständnis der Eltern, in Verbindung mit Abhängigkeiten von Peers und Autoritäten gehäuft auf (vgl. FEND 1990/ 1991).
    • Die Bedeutung des Bildungsprozesses für eine Identitätsentwicklung in der Adoleszenz hat H. Fend - aufbauend auf Ericson, Bronfenbrenner, Marcia u.a. - empirisch nachgewiesen. "Bei dieser Gruppe fällt die allgemeine Distanzwahrnehmung zur sozialen Umwelt ins Auge. Es sind hier eher schlechte Schüler vertreten, die wenig Aufmerksamkeit durch Mitschüler erfahren. Gleichzeitig nehmen sie aber geringe Zuwendung und Akzeptanz durch Eltern, Lehrer und Mitschüler wahr" (FEND 1991, 194). Vorberufliche, weltanschauliche, politische und geschlechtliche Rollenidentität sowie Freizeitkonsum spielen hier eine Rolle.
    • Für eine Aufgabenstellung einer Politischer Bildung/Erziehung sieht Helmut FEND als Hürden die problematische Entwicklung des Demokratieverständnisses und die starke Verbreitung eines Ausschließlichkeits- und Ausmerzungsdenkens im Sinne rechtsradikalen Potentials (FEND 1991, 78).
  • Ein besonderes Defizit des österreichischen (und deutschen) Erziehungs- und Bildungswesens, das inländischen Experten sehr wohl, allerdings mehr ausländischen Fachleuten auffällt, betrifft die vorberufliche Identitätsbildung Heranwachsender im allgemein bildenden Schulwesen und im Elternhaus. Die im traditionellen Bildungskonzept von Allgemeinbildung begründete Missachtung der Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt und generell des Praxisbezugs im schulischen Lernen schockieren internationale Erziehungswissenschaftler (vgl. PISA 2000; RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 6872/05: Berufsberatung: Ein Handbuch für politisch Verantwortliche, Brüssel 1. März 2005). Das einhellige Verlangen nach effizienter schulischer vorberufliche Bildung - schulisch als Fachbereich "Berufsorientierung" bezeichnet - und Bildungsberatung verhallt ungehört (vgl. DICHATSCHEK 1995, 67-76; MARTIN - MARTIN 2003, 81; PRAGER - WIELAND 2005; SCHUDY 2002). Entsprechend harsch ist die Kritik, wenn es um das Fehlen bzw. die mangelhafte Nutzung des Prinzips career education als Fach und Projektfolge in Verbindung mit Bildungsberatung geht (vgl. "Jugend und Beruf - Repräsentativumfrage zur Selbstwahrnehmung der Jugend in Deutschland", BERTELSMANN STIFTUNG 2005). Desorientierung, Perspektivenlosigkeit, Verunsicherung und Entscheidungsunfähigkeit - gepaart ohne persönliche Beratung - ergeben fehlende "career identity" und erhöhen damit die Gefahr einer Orientierungslosigkeit und mangelhaften Sozialisierung. Heute benötigen Heranwachsende und Eltern Hilfestellungen gerade jener Institutionen, die Jugendliche unterrichten, erziehen, beraten und ausbilden (vgl. die gesetzlichen Aufgaben von Schule, Arbeitsmarktservice und Sozialpartnern sowie deren Umsetzung).
  • In den klassischen Rollentheorie wird menschliches Verhalten durch den Einfluss von Bezugsgruppen erklärt. Die spezifischen Erwartungen an Personen mit einer bestimmten Rolle ergeben Druck auf die Rollenträger. So ergibt sich gruppenkonformes Verhalten - beispielsweise die Berufs-, Alters-, Künstler- und Geschlechtsrolle
  • G.H. Meads interaktionistischer Ansatz betrachtet die Personen nicht als Rollenträger, vielmehr als handelnde Subjekte mit unterschiedlichsten Situationen und Entwicklungen. Identität kommt durch Wünsche, Zumutungen und Vorschriften in Verbindung mit Sprache und Gestik zustande. Die Person muss diese Zeichen deuten, verstehen, bewerten und Stellung nehmen. In der Didaktik der Literatur und Geschichte sind diese Ansätze grundlegend. So entwickelt sich Sensibilität und Maßstab von Personen in Verbindung mit verantwortlichem Handeln. In der deutschen Fachdiskussion sind verschiedene Teilprozesse einer erfolgreichen Identitätsbildung analysiert worden. Dazu gehört der Vorgang der Empathie nicht nur als kognitiver Prozess, sondern als affektiv - motivationale Komponente. Mit Hilfe einer gewissen Rollen - Distanz kann erst eine Ich - Identität entstehen und behauptet werden, wobei eine Ausbalancierung von Fremderwartungen und persönlichen Bedürfnissen notwendig erscheint (vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 76-77).
    • Dieser Ansatz liefert Erklärungen für aggressives Verhalten, bei Identitätsstörungen, Fehlen bzw. begrenztem Vorhandensein von identitätsfördernden Interaktionsprozessen im Sozialisationsfeld und in der Biographie.
    • Man denke etwa an Schulen mit dem reinen "Frage - Antwort - Betrieb" und fehlendem pädagogischem Schulklima, unvollständigen Familien mit sozialen Drucksituationen und Jugendcliquen mit vorgegebenen Zielen und Handlungsmustern.
  • Auf die politische Identitätsentwicklung mit einem bildungsmäßig entsprechendem Demokratieverständnis und Handeln ist ebenso hinzuweisen. Benachteiligte Gruppen unserer Gesellschaft haben Identitätsentwicklungsmöglichkeiten in geringem Ausmaß und damit Benachteiligungen (z.B. Jugendliche ohne Ausbildung, Migrantenfamilien, Behinderte; vgl. PISA 2000).
11 Konsequenzen für eine Prävention    

Gesellschaftliche und institutionelle Maßnahmen benötigen den theoretischen Hintergrund des Wissens über Gruppen, Subkulturen und sozialen Milieus, wobei schulische und/oder sozialpädagogische Gewaltprävention deutlich wird. Bedingungen der Gewaltentstehung und Gruppenmotivation sind zu beachten. Einflussmöglichkeiten sind zu nutzen. Eine Anomie ist abzubauen, prosoziales Lernen zu ermöglichen.

Der pädagogische Bezug zwischen Lehrenden und Heranwachsenden ist erforderlich. Unterricht und Schulleben erzieht in einem solchen Verständnis zu Rücksichtnahme und Empathie und führt zu moralischen Urteilen höherer Art. Solidarischer Umgang, Hilfe für Schwächere und Benachteiligte minimiert konkurrenzorientiertes Lernen.

Bildung und Ausbildung - begründet durch die Praxis von grundlegenden Unterrichtsprinzipien - in Verbindung mit Mitbestimmung und Mitverantwortung kultiviert den gegenseitigen Umgang und baut Zukunftsängste ab, schafft damit Selbstvertrauen und vermittelt positive Einstellungen.

Konflikte müssen in einer demokratischen Jugendkultur produktiv bearbeitet werden können. Dazu gehören Gesprächsbereitschaft und Angebote für Lösungsmöglichkeiten.

Projekte müssen Gelegenheit zu selbstgewählter und selbstmotivierter Arbeit geben können (vgl. RIHM 2006, 301-330).

Schulqualität und Schulentwicklung sind ein fortlaufendes Aufgabenfeld für eine Schulgemeinschaft, insbesondere unter Beachtung von Schülerinteressen (vgl. FEND 1998, RIHM 2006).

Schulische und außerschulische Beratungssysteme bedürfen der Anerkennung und Unterstützung. Die Förderung von Entscheidungsfähigkeit, schulischer vorberuflicher Erziehung/ Bildung und pädagogischer Schul-, Berufs- und Studienberatung ist einzufordern (vgl. "career education").

"Und ohne derartige Anstrengungen wird das eher wachsende Problem der Jugendgewalt in unserer Gesellschaft auch nicht zu lösen sein" (MARTIN - MARTIN 2003, 83).

12 Arten und Formen der Gewaltprävention    

Im Folgenden sollen nun Formen der Gewaltprävention aufgezeigt werden, die durch therapeutische Intervention ergänzt werden können (vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 199-210).

12.1 Raum - Schulklima    

Heranwachsende benötigen für ihre Selbstentfaltung und persönliche Entwicklung Räume - Arbeitsraum, Bewegungsraum, Gesprächsraum, Lernraum, Erholungsraum, Freiraum, Entfaltungsraum und Lebensraum.

Schulgebäude und Schulräumlichkeiten mit ihrer Qualität sind als Bedingungen für eine Gewaltbereitschaft Heranwachsender nachgewiesen (vgl. FUCHS - LAMNEK - LUEDTKE 1996, 306).

Trotz attraktiver Projekte und zunehmender Bemühungen um zeitgemäße Räumlichkeiten für Heranwachsende bedarf es - im Rahmen von Schulentwicklung - der gemeinsamen Gestaltung und Pflege von Räumlichkeiten und einem wohltuenden Schulklima.

12.2 Kommunikation    

Verbale Formen von Gewalthandlungen gehören unter Heranwachsenden zu den häufigen Arten eines fehlerhaften Sprachverhaltens. Eine "Schule ohne Gewalt" zeichnet sich aus durch miteinander reden und einander verstehen. Frustrationen werden durch Herabsetzungen, Beschimpfungen, Hetzparolen, Bedrohungen und sonstige aggressionssteigernde Kommunikationsmittel hervorgerufen. Klassengespräche, Gespräche von Lehrkräften mit Opfern - Tätern - Eltern und Verfahren zur Streitschlichtung bauen Verständnis, Empathie und Achtung auf.

Hinzuweisen ist auf die zunehmend feststellbaren Sprachentwicklungsstörungen bereits im Vor- und Grundschulalter, die in der Folge Kommunikationsprobleme erzeugen und Milieus, in denen sich Gewalt ereignen kann, leichter ermöglichen (vgl. SCHUBARTH 2000, 98).

TAUSCH - TAUSCH haben in ihren Studien die Auswirkung von Erziehungs- und Unterrichtsstilen der Lehrenden auf das Verhalten und Erleben Heranwachsender erforscht. Vorzufinden war eine große Verbreitung von verständnislosen, nicht umkehrbaren, geringschätzigen und amtsautoritären Äußerungen, die zu Auswirkungen auf Ängstlichkeit, gespannter Klassenatmosphäre, Widerständen, Unterrichtsstörungen, Vorurteilen, Kritiksucht, Unterentwicklung von Selbstständigkeit und sozialer Verantwortung sowie Aggressionen einzelner Heranwachsender führen bzw. in einen Zusammenhang gebracht werden können (vgl. TAUSCH - TAUSCH 1979, 211, 218-242).

12.3 Interaktionsförderung    

Neben der Kommunikation mit familiären, schulischen und gesellschaftlichen Einflüssen sind Gewaltphänomene in Interaktionsprozesse eingelagert. Fragen stellen sich beim Opfer - Zuschauer - Täter - Verhältnis - im Schul-, Erziehungs- und Freizeitbereich. Wirkung und Sinn von Strafen sind zu hinterfragen. Prävention verlangt jedenfalls gewaltlose Interaktionsweisen in Institutionen und alltäglichen Lebensbereichen.

Interaktion stellt das Medium für Identität dar, das Heranwachsende für ihre Ich - Stärke benötigen. Diese stellt die Vorbedingungen für sozial verantwortliches oder gewalttätiges Handeln dar. Lebens- und berufskundliche Fragen treten damit auf: Wer bin ich? Was kann ich? Wer möchte ich sein? Wofür setze ich mich ein? Wie gestalte ich meinen Alltag? Erikson spricht in diesem Zusammenhang bei Heranwachsenden von der Gefahr einer "Ich-Diffusion?" - Unsicherheiten im Alltag, im Weltbild, bei Partnerschaft und Ausbildung (vgl. dazu beispielhaft das lebens- und berufskundliche Lernpaket der Polytechnische Schule/PTS und die Möglichkeiten des Religions-, Ethik- und politischen Unterrichts/ "Politische Bildung" im Schulsystem; OESTERREICH 2002, 51-194; HÄNDLE - OESTERREICH - TROMMER 1999, 105-114 und 220-226). Dazu gehört auch die Unterrichtsgestaltung mit der Verhinderung von Benachteiligungen, Etikettierungen, Verunsicherungen und Frustrationen, Notengebung und zeitgemäße Unterrichtsinhalte.

12.4 Medienerziehung    

Moderne Medien gehören zu den Vermittlern von Gewaltdarstellungen. Gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen, familiäre Umstrukturierungen mit lockerer Beziehungsstruktur, peer - group - Verhalten, mediale Präsenz an Arbeitsstätten und Medien im Alltag mit Werbung, TV- und Zeitungsgewohnheiten sowie der Internetgebrauch lassen Massenmedien an Einfluss gewinnen. Über den Stand der Forschung und Gewaltdarstellungen im TV und ihre Häufigkeit gibt es empirisch abgesicherte Studien (vgl. dazu ausführlich EISERMANN 2001, 33-41, 44-53). PISA 2000 erhebt die TV - Gewohnheiten der Heranwachsenden. 18,2 Prozent der 15jährigen sehen mehr als 5 Stunden täglich, Buben sehen Action-Filme? kommerzieller Sender häufig und länger.

Komplexe Einflussvariablen lassen die Problematik von Gewalt und Medien - hier besonders das TV - nicht immer übersichtlich erscheinen. Als gesichert gilt die gegenseitige Wirkung des Medienkonsums und der Personen- und Umweltvariablen - ungünstiges Milieu, Konsum von aggressiven Filmen durch Eltern, mangelhafte Vorbildfunktion, Neugier, Reizsuche, mangelnde Bildung, Männlichkeitsstereotype, Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft, Vergeltungsethik, negative Sicht der Weltlage, raue Peergroup, Konkurrenzklima in der Schule und autoritärer Erziehungsstil der Eltern (vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 131-132).

Zu beachten sind in der Alltagsdiskussion jene Publikationen, die von kommerziellen Interessen geleitet sind.

12.5 Moralische Erziehung - Wertebildung    

Prosoziale Erziehung/ Bildung ist eine wichtige Grundlage des friedlichen Umganges miteinander. "Selbstverständlich ist stabile Ich-Identität? nicht ohne eine einigermaßen verlässliche Selbststeuerung aufgrund eines persönlich als verpflichtend empfundenes System von Werten und Wertpräferenzen möglich. Prosoziales Verhalten hängt einerseits davon ab, welche Werte die Handelnden bestimmen - kulturelle, soziale, humane, ökonomische, ästhetische usw.-, zum anderen davon, wie motiviert und wie effektiv sie diese Werte auch in kritischen Situationen vertreten und befolgen" (MARTIN -MARTIN 2003, 140).

L. Kohlbergs Erkenntnisse in den Stufen eines moralischen Urteils gelten auch für Überlegungen zur Wertebildung und Förderung sozialen Handelns zur Gewaltprävention.

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Moralische Niveaus und Stufen nach KOHLBERG (1997, 26)

  • Niveau 1 - prämoralisch
Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam

Stufe 2: naiver instrumenteller Hedonismus/ Konformität der Belohnung willen

  • Niveau 2 - Moral der konventionellen Rollenkonformität
Stufe 3: Moral des guten Kindes - gute Beziehungen und Anerkennung durch andere

Stufe 4: Moral der Aufrechterhaltung der Autorität - legitime Autorität und definierte Regeln im Zusammenleben

  • Niveau 3 - Moral der selbstakzeptierten moralischen Prinzipien
Stufe 5: Vertragsmoral und demokratisches Rechtssystem/ Gesetze

Stufe 6: Moral des individuellen Gewissens

Diese Niveaus und Stufen einer moralischen Entwicklung finden sich in allen Kulturen. Die Urteile sind kognitiv und bilden rationale Begründungen für ein Handeln. Das moralische Urteil auf einem der Niveaus bedeutet nicht das moralische Handeln, aber es ist mit ihm eine beschreibende Komponente verbunden.

Es gilt, dass die Familie und Primärgruppen den Bezugsrahmen bilden. Anerkennung und gute Beziehungen erziehen Heranwachsende zu freundlichen und umgänglichen Menschen. Heute spielt sich das Leben mehr als früher außerhalb der Familien und Gruppen ab. Kindergarten, Schule, Vereine und sonstige Sozialverbände erhöhen Ansprüche an das moralische Urteilen und Verhalten der Heranwachsenden (Stufe 3). In der Folge haben die Heranwachsenden daher bald die Stufe 4 zu erlernen. Damit sind demokratisch-zwischenmenschliche Beziehungen erforderlich, weshalb politische Bildung/Erziehung und Menschenrechtsbildung/ Erziehung ihre Berechtigung haben. Entscheidend scheint die Fähigkeit der Aufrechterhaltung der als widersprüchlich erlebten gesellschaftlichen Regeln und die Sinnfrage nach diesen zu sein (Stufe 5). In Stufe 6 ist dann erst Einsicht und Überzeugung zu einer Moralität vorhanden. Ablehnung von Gewalt in jeder Form, Verständnis für ein religiös-kulturelles Bild des Menschen, Bereitschaft zur Hilfestellung und persönliche Moral bilden hier die Grundlage menschlichen Zusammenlebens.

Pädagogen haben zu allen Zeiten über moralische Werte und Erziehung nachgedacht. Beispielhaft sind Pestalozzis Überlegungen mit Ähnlichkeiten zum Modell Kohlbergs - vgl. die drei "Zustände": tierischer Zustand (prämoralisches Niveau) - gesellschaftlicher Zustand (Stufe 4) - sittlicher Zustand (Stufe 6).

Im Rahmen von Experimenten zur Moralerziehung wurde Kohlbergs Schulkonzept der "Cluster School" in Cambridge/ Mass. mit dem Modell einer "Just Community School" bekannt. Wesentliche Aspekte zur Förderung einer moralischen Entwicklung von Heranwachsenden sind eine überschaubare Interaktionsgemeinschaft, die Offenheit für alle SchülerInnen aus allen ethnischen und sozioökonomischen Gruppen, demokratisch besetzte Schulgremien, Schulautonomie, Projektunterricht, wöchentliche Vollversammlungen, ein Schul - Verfassungsvertrag und die Bedeutung des Literaturunterrichts (vgl. dazu ausführlich MARTIN - MARTIN 2003, 148-153 und KOHLBERG 1997, bes. 228 und 232).

Für eine kritische moralische Erziehung sind die folgenden Beispiele, die sich auf Erziehung und Unterricht in Schule, Familienerziehung, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung beziehen, von Bedeutung. Ein lernzielorientiertes Curriculum scheidet in dem Maße aus, wie es über die Heranwachsenden verfügt (vgl. offene Curricula). Lernziele sind vielmehr die Handlungsziele von zu Unterrichtenden und Lehrenden. Die Lernkonzeption muss die Beteiligung der Betroffenen im Höchstmaß ermöglichen. Kritische moralische Erziehung setzt voraus, dass die Heranwachsenden und Lehrenden aus ihrer üblichen Rolle heraustreten. Voraussetzung ist eine entsprechende Medienausstattung und Lern- und Erfahrungsorte außerhalb der Schule. Das methodisch-didaktische Repertoire einer sozialwissenschaftlichen Unterrichtung ist nötig (Lehrervortrag, Karikatur, Textanalyse, Unterrichtsgespräch, Internet - Fallanalyse, Talkshow, Pro - Contra - Debatte, Planspiel, Erkundung und Expertenbefragung; vgl. FRECH - KUHN - MASSING 2004).

Da sich durch außerschulische Lernorte besondere Probleme ergeben können, ist an die außerschulische Jugendarbeit zu erinnern. "Handlungsziele kritischer moralischer Erziehung können oft, besonders wegen ihrer politischen Dimension, nicht in der Schulklasse und Schule durchgesetzt werden, während dies von der Basis außerschulischer Jugendarbeit aus manchmal eher und mit größerer Reichweite möglich ist. Eine Zusammenarbeit beider Bereiche ist daher dringliches Anliegen" (FELLSCHES 1977, 201).

Im Folgenden soll auf das englische Projekt "LIFELINE" hingewiesen werden, weil es im curricularen Bemühen um moralische Erziehung beispielhaft dasteht und von ihm zu lernen ist (vgl. FELLSCHES 1977, 204-213). Mit dem Projektnamen verbindet sich das pädagogische Anliegen einer Erziehung für das Leben (Projektauftrag an das Oxford University Department of Experimental Psychology/ Peter Mc Phail - I.R. Ungoed - Thomas - Hilary Chapman - Lilian Teeman/ 1966-1970). Das vor seiner Veröffentlichung 1972 an 20 000 Schülern erprobte Material hielten die Autoren für geeignet und praktikabel, einen Beitrag zur "moral education" leisten zu können.

Kritisch wird man festhalten müssen, dass das praktikable Material ein rücksichtsvolles Einfühlen in moralisch -politische Themenstellungen bietet. Zwar ist das Curriculum sehr detailliert ausgeführt, bleibt aber offen für aktuelle Situationen mit der Möglichkeit, dass Schüler und Lehrer sich einbringen können. Hinzuweisen ist hier auf die Interaktionstheorie von M. Argyles. Aus der Sicht einer politischen Bildung/ Erziehung ist anzumerken, dass der ständige Ausgangspunkt von persönlichen Bedürfnissen und das Stehenbleiben bei Einfühlung und Empfindsamkeit einer politischen Perspektive entbehrt. Für moral education in Verbindung mit politischer Bildung/ Erziehung ist das kommentarlose Nebeneinander von Konflikten - Halbstarkenproblem, Studentenunruhen und IRA - Überfälle - wenig geeignet ist. Mangelhafte Zielsetzung einer politischen Beteiligung an der Verbesserung von gesellschaftlichen Verhältnissen erzeugt Anpassung. Allerdings darf man nicht "LIFELINE" als unbrauchbar klassifizieren. "Wenn die Perspektiven politisch erweitert werden, dann ist Interaktionstraining weiterhin sinnvoll, erhält aber einen anderen Sinn und Stellenwert. Es ist dann Vor - Arbeit, Bereitstellung von Grundqualifikationen. Das Material müsste zusätzlich auf seine politischen Implikationen durchsichtig gemacht und so umgewandelt werden, dass es über Rücksichtnahmen hinaus auch zu solidarischem politischem Engagement führen kann" (FELLSCHES 1977, 215).

12.6 Projektarbeit    

Im Rahmen der Gewaltprävention spielt die spezifische Projektarbeit eine wesentliche Rolle (vgl. POSSELT - SCHUMACHER 1993, 218; MARTIN - MARTIN 2003, 157-160). Auch offizielle Stellen nützen den Projektansatz vgl. GRIFFEL 2000). Grundsätzlich ist zu bedenken, dass der Projekterfolg umso größer ist, desto genauer die jeweilige Organisation und Klientel - mit ihrer Biographie - definiert ist (z.B. Streetworker, Freizeitclub, kirchlicher Jugendkreis; Altersgruppe, Ausländer, Punks, Cliquen, Hooligans).

Vorschlag einer Projektstufenfolge

  • Erfahrung mit einer problembehafteten Situation
  • Definierung der Folgerungen
  • Erkundungen/ Erforschung - Prüfung - Gliederung der Umstände - Klärung des Problems
  • Ausgestaltung der Annahme
  • Planentwicklung für das eigene Handeln - Zielformulierung
  • Sicherung von Ergebnissen - Überprüfung der Richtigkeit
  • Dokumentation
Die Projektmethode erweist in lerntheoretischer Hinsicht als Basis für Erfahrungslernen. Die Lernenden sind Selbstverursacher ihres Lernens, weil sie die Problemstellungen benennen.

Aspekte sind damit die Beteiligung mit dem jeweiligen Bedürfnis, die Akzeptanz, ein soziales Lernen (gemeinsame Zielsetzung, arbeitsteiliges Vorgehen, gegenseitige Abstimmung - Hilfestellung - Korrektur), Selbstständigkeit im Erkunden - Planen - Verantworten, Anerkennen der Regeln des prosozialen Lernens (Bewusstmachen von gewaltpräventiven Zielen, aggressionsfreies Verhalten auch in Konfliktsituationen, gegenseitige Bestärkung) und Gewährleistung für weitere Arbeit.

12.7 Konfliktbewältigung    

Da Konflikte nicht unbedingt mit Gewalt zu tun haben, wohl aber zu aggressiven Handlungen führen können, gehören Strategien zur Konfliktbewältigung als Grundform einer Gewaltprävention in Familie, Schule und Freizeit(vgl. NOLTING 1994, WALKER 2001).

Zu unterscheiden sind Rollenkonflikte, Konflikte durch Ich-Schwäche?, Wert- und Kommunikationskonflikte.

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Methoden der Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung (vgl. MARTIN - MARTIN 2003, 171-180)

- Prävention durch pädagogisches Verhalten (vgl. TAUSCH - TAUSCH 1979)

- Klientenzentrierte Beratung

Verständnis- und respektvolle Konfrontation

Alternativen und Vereinbarungen

Einhalten von Regeln/ Kodex

Wiedergutmachung

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Konfliktbewältigungsprogramm nach Gordon:

Lehrer - Schüler - Konferenz, Familienkonferenz, Betriebskonferenz: Definition des Problems - Sammlung möglicher Lösungsvorschläge - Bewertung und Entscheidung der Vorschläge - Richtlinie für die Realisierungsphase/ Zeitplanung, Aufgabenverteilung und Verantwortung sowie Kontrolle - Bewertung der Effektivität(vgl. RIHM 2006, 367-380)

- Streitschlichtung durch SchülerInnen ("Peer - Mediation", vgl. WICHTERICH 1998)

- Kooperative Verhaltensmodifikation

Diagnose - Planung - Intervention

Erfassung der Sichtweise der Erzieher

Erfassung der Sichtweise der Erziehenden

Gemeinsame Sichtweise

Gemeinsame Zielbestimmung

Planung konkreter Interventionsmaßnahmen

Zeit- und Kontrollmaßnahmen

Methodeneinsatz - Erfolgsprüfung

Abschlussbewertung - Gesamtbeurteilung

12.8 Umgang mit gewaltbereiten Mitmenschen    

Reduzierung von Druck

Modell - Wirkung

Wertschätzung für Mitmenschen

Verzicht von Schuldzuschreibungen und Etikettierungen

Vermeidung von Autoritätsbeweisen und Provokationen

Rückmeldung des eigenen Verhaltens

Anwendung von Konfliktbewältigungsmodellen

12.9 Kooperation - Vernetzung    

Zusammenarbeit mit Eltern

Bearbeiten in Form von Schulentwicklungsmaßnahmen

Zusammenarbeit mit Gemeinde/ Stadtteil/ verantwortlicher Politik/ Beratungsinstitutionen/ Telefonseelsorge/ Polizei/ Medienarbeit - Öffentlichkeitsarbeit

Bürger nehmen Anteil an Erziehungsarbeit und Hilfestellungen: "Schule/ Jugendzentrum/Verein....ohne Gewalt"

Vernetzung der Institutionen: "Netzwerk gegen Gewalt" > http://www.netzwerkgegengewalt.org

Berücksichtigung der Belange von Mädchen/ Frauen

Gewinnung von Multiplikatoren - Ausbildung von Beratungslehrern und Schulsozialarbeitern

Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer betreuten Projektarbeit zu Gewalt bzw. Gewaltprävention im schulischen Umfeld im Rahmen des Lehrganges "Bildungsmanagement für Pflichtschulinspektoren/Pflichtschulinspektorinnen"(vgl. WIMMER 2016; PH Oberösterreich/2014-2016).

13 Die Rolle der Grundschule, Mittelschule/ MS und der Polytechnischen Schule im österreichischen Schulsystem    

Nach WIMMER (2016) erfordern diese drei Schularten besondere Notwendigkeiten einer Gewaltprävention, weil das weitere Bildungssystem auf diese Schularten aufbaut.

Unter Prävention werden Handlungen bzw. Maßnahmen verstanden, die ein Fehlverhalten vermeiden sollen.

Entwickelte Codes und Rituale helfen, Situationen zu entschärfen, aber auch soziale Unsicherheiten zu verhindern (vgl. GUGGENBÜHL 2012, 30).

Im Bundesverfassungsgesetz i.d.g.F. über die Rechte von Kindern, Artikel 5 findet sich der Hinweis: "Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, die Zufügung seelischen Leids, sexueller Missbrauch und andere Misshandlungen sind verboten. Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung."

Ergänzend dazu gibt es eine umfassende Definition des Begriffs "Kindeswohl" im ABGB i.d.g.F.

- § 138 beschreibt wichtige Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls wie Fürsorge, Geborgenheit und Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes.

- Ebenso geht es um eine Vermeidung der Gefahr für das Kind, Übergriffe oder Gewalt selbst zu erleiden oder Gewalt an wichtigen Bezugspersonen mitzuerleben.

13.1 Grundschule    

Die Grundschule ist eine Elementarschuleinrichtung , auf der die Sekundarstufe I und II aufbauen. Die Grundschule ist die erste Pflichtschule, in der der Gleichheitsgrundsatz verwirklicht ist. Die Lernenden können daher als eine Schülergruppe gesehen werden, deren Streuung von körperlichen, kognitiven, emotionalen und sozialen Merkmalen stark geprägt ist.

Der Übergang von der Familie bzw. Vorschuleinrichtungen - Krippen, Kindergärten, Kindertagesstätten - in eine öffentliche Erziehungsinstitution mit Schulpflicht kann problembehaftet sein (vgl. andere Erwartungen, unterschiedliches Schuleintrittsalter und damit Voraussetzungen, Unterschied Schulreife und Schulfähigkeit). Mit der Schulaufnahme bzw. Rückstellung eines Kindes tritt ein Selektionsprozess ein.

Für den Unterricht an der Grundschule ergeben sich eine Reihe von Maßnahmen als präventive Funktion (vgl. Verringerung negativer Leistungsergebnisse [Individualisierung, Unterrichtsdifferenzierung, Unterrichtsmaterialbeschaffung, Fördermaßnahmen], realistische Lernziele, Kontrollierbarkeit von pädagogischen Maßnahmen, schrittweise Erziehungsprozesse mit Zwischenzielen und Techniken der Selbstregulierung und Selbstbekräftigung) (vgl. WILD 1996, 146).

13.2 Mittelschule/ MS    

13.2.1 Pädagogisches Konzept    

Das Alter der Jugendlichen lässt erkennen, dass die Interessen und Gleichaltrigen neue Anforderungen an Schule und Gesellschaft stellen (vgl. ZENTNER 2011, 824). Für die Gewaltprävention ist von Interesse, dass viele der Gewalt verursachenden Faktoren von außen an die Schule hineingetragen und nur unter großen Anstrengungen von der Schule beeinflusst werden (vgl. HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 133).

Neben dem Erziehungsauftrag ist Schule auch in der Vermittlung von Werten gefordert (vgl. Anerkennung von Regeln und Vereinbarungen, Handeln in Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft, Kooperation mit dem Elternhaus in gegenseitigem Respekt; vgl. HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 135).

Die MS steht für ein pädagogisches Konzept einer zeitgemäßen Schule mit maximalen Bildungschancen und Handlungsoptionen, Entwicklung zur Mündigkeit und Kompetenzentwicklung (vgl. das Aufgabenfeld der Politischen Bildung; WESTFALL - GREITER/ SCHRATZ/ HOFBAUER 2015, 1, 35).

Als einer der wesentlichen Schwerpunkte der MS ergibt sich die Förderung der Resilienz. Diese ist zur Bewältigung von Krisen und Schwierigkeiten erforderlich (vgl. WESTFALL - GREITER/ SCHRATZ/ HOFBAUER 2015, 36). Schulen können Resilienz fördern, indem sie für das emotionale Wohlergehen und den sozialen Zusammenhalt als Voraussetzung für die Entwicklung der Persönlichkeit sorgen.

Soziale Kompetenz in Form der Kommunikation und die Schwerpunktsetzung durch neue Teamstrukturen und Organisationsformen wie Stufenteams und Teamteaching bringen verstärkt den Zugang zu Ideen der Gemeinschaft und des Austausches (vgl. "Wir und unser Jahrgang", "Wir und unsere Schule").

13.2.2 Peer - Mediation    

Zur Möglichkeit einer Konflikt- und Gewaltprävention zählt das Peer - Mediations - Programm an der MS. Arbeit mit erlebten Konflikten und emotionale Beteiligung der Lernenden kann nachhaltige Veränderung für das Schulklima und auch für die Einzelpersönlichkeit bringen. Als wichtiges Hilfsmittel zur Gewaltprävention an Schulen ist die Peer - Mediation mitunter sehr erfolgreich einzusetzen. Sie basiert auf der Erfahrung, dass die Konfliktregelung durch (ältere) Lernende von den Konfliktparteien besser angenommen wird als das Eingreifen von Erwachsenen (vgl. KÖLBL -LENDER 2006, 9).

Dazu gehören

  • ausgebildete Peer - Coaches und Lehrende, die das Projekt begleiten und tragen sowie
  • Mindeststandards in der Ausbildung der Peer - Mediatoren, die aktiv in der Konfliktlösung eingesetzt werden (vgl. KÖLBL - LENDER 2006, 7).
  • Zu den Aufgaben eines Peer - Mediators/ Mediatorin gehören
    • Unparteilichkeit,
    • Einhaltung der Gesprächsregeln,
    • Verantwortlichkeit für den Ablauf einer Mediation,
    • Ausschöpfung des Konfliktlösungspotenzials und
    • Verpflichtung zur Verschwiegenheit.
Als langfristiges Programm, das nachhaltig in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren implementiert werden kann, verbessert sich das Arbeits- und Lernklima nachweislich (vgl. WIMMER 2016, 13).

13.3 Polytechnische Schule/ PTS    

Die PTS mit ihrem vorberuflichen Bildungsauftrag und der Brückenfunktion zu den nachfolgenden Bildungsformen wie Lehre, BMS/ BHS und AHS - Oberstufe als einjährige Schulform bietet Fächern wie Lebenskunde, Politische Bildung und Berufsorientierung Möglichkeiten der Bewältigung von Konflikten und damit der Vermeidung von Gewalt.

An relevanten Kontroversen an den Prinzipien der Vielfalt und Gleichheit zeigt sich dies beispielhaft (vgl. AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK 2016, 71-72).

- Die beiden Prinzipien leiten den pädagogischen und didaktischen Umgang mit heterogenen Lerngruppen in der PTS. Die Anerkennung von Differenz und Gleichheit aller Menschen sind Grundwerte einer Demokratie, die in der jeweiligen Fachdidaktik in ein Spannungsfeld treten können.

- Gleichheit wird etwa in der interkulturellen Bildung zunächst als defizitär angesehen. Erst mit einer interkulturellen Erziehung und der Differenzannahme wird ein Verständnis für Minderheitskulturen akzeptiert und damit Vielfalt (Diversität) als Gleichwertigkeit gefördert. Bildung leistet so einen Beitrag zur Anerkennung des "Anderen". In der Folge werden Konfliktbereiche wie etwa "class", "gender" und "race" pädagogisch und didaktisch er- und bearbeitet und sind im Sinne der Unterrichtsprinzipien "Interkulturelle Bildung" und "Politische Bildung" thematisiert.

Damit kann ein pädagogischer Beitrag zur Vermeidung von Konfliktsituationen und einer Gewaltprävention bereits im schulischen Lernprozessen geleistet werden. Die angeführten drei Fächer im Kontext mit den beiden Unterrichtsprinzipien und der Schülerberatung leisten damit aktive Lebenshilfe.

14 Psychosoziale Entwicklung    

Ein wesentlicher Teil unseres Schulsystems ist von Leistungsbeurteilung geprägt.

- Lernende erfahren bereits bei Schulantritt, dass ihre Leistungen bewertet werden. Dies kann wesentlich für eine weitere Schullaufbahn sein.

- Kinder der Grundstufe können schwer ihre beurteilte Leistung abgrenzen und sehen in einer schlechten Note persönliches Versagen. Schulversuche auf der Grundstufe 1 ermöglichen alternative Leistungsbeurteilungen, um dem Entwicklungsstand der Lernenden unterstützend und motivierend entgegenzukommen. Derzeit gibt es keine gesetzlichen Regelungen, welche den Verzicht auf Notengebungen ermöglichen (Stand 2016).

- Noten bedeuten in Österreich Selektion. Die Note in der 4. Klasse Volksschule bedeutet eine Entscheidung über die weitere Schullaufbahn, über den Lehrplan, über die mögliche Stellung in einem Klassenverband.

"Alle diese Zurückstufungen stellen eine Form der Etikettierung dar, die einen höchst brisanten Risikofaktor für die Entstehung von Gewalt bilden. Außerdem geht von diesen Maßnahmen keine wirkliche Leistungsförderung der Betroffenen aus" (HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 163).

"Als Institution kontrolliert sie damit viele soziale und psychische Bedingungen ihrer Klientel, die aggressives Verhalten und Gewalt hervorrufen können. Die Kategorisierung als 'leistungsschwach' führt bei der Mehrzahl der Betroffenen zu einer Verunsicherung des Selbstwertgefühls und einer Minderung späterer sozialer und beruflicher Chancen. Aggressivität und Gewalt bei Schülerinnen und Schüler können - folgt man den Emotions- und Etikettierungstheorien - als Verteidigungs- und Kompensationsmechanismen gegen diese psychischen und sozialen Verunsicherungen interpretiert werden, die in der Schule entstehen" (HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 116).

Aggressivität und Gewaltbereitschaft zeigt sich vor allem bei Lernenden, die eine Anpassung an vorherrschende Wertvorstellungen angestrebt haben. Erweist sich kein Leistungserfolg und keine entsprechend gute Note, versucht man auf eine andere Weise Anerkennung zu gewinnen (vgl. HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 117).

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Als positives Beispiel gilt das für die MS entwickelte KEL - Gespräch (KEL/ Kind - Lehrer - Eltern), das verpflichtend durchzuführen ist. Freiwillig wird das KEL - Gespräch bereits in zahlreichen Volksschulen umgesetzt.

- Der Ablauf beginnt mit der Selbstpräsentation des/ der Lernenden. Was wurde fachlich dazugelernt, entdeckt, verstanden? Welche Ziele gibt es für die Zukunft? Die Eltern/ Erziehungsberechtigte sind Zuhörer, Ziele oder Vereinbarungen werden gemeinsam getroffen und können schriftlich verfasst werden. In den gesetzlichen Vorgaben wir die wertschätzende Gesprächsatmosphäre und Stärkenorientierung hervorgehoben.

- Die Erfolge und Auswirkungen solcher Gespräche bringen Änderungen in der Rückmelde- und Beziehungskultur. Nicht zuletzt zeigten sich auch positive Auswirkungen auf die Beziehung Kinder - Lehrende - Eltern/ Erziehungsberechtigte. Es gelingt besser und erfolgreicher, manche Eltern/ Erziehungsberechtigte die pädagogischen Bemühungen zu unterstützen.

15 Familieneinfluss    

Gewalt und Aggression haben individuelle und gesellschaftliche, in den kulturellen und wirtschaftlichen Strukturen angesiedelte Ursachen. Diese Kinder werden nicht als solche geboren, sondern im Laufe ihrer Lebens- und Entwicklungsgeschichte durch die Einflüsse ihrer sozialen Umwelt zu solchen gemacht (vgl. HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 50).

Wesentliches Ziel einer Erziehung ist das Stärken des Selbstwertgefühls der Kinder (vgl. BUEB 2009, 64). Notwendig ist Führung durch Eltern und Vorgesetzte, die an einen glauben und dadurch stärken (vgl. BUEB 2009, 68).

- Nicht alle Eltern sind sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bewusst. Indirekte und direkte Gewalterfahrung und Misshandlung lassen Gewalt in der nächsten Generation weitergeben (vgl. MANDL 2014, 15).

- Gewalt in der Familie beinhaltet mehrere Opfergruppen, die im häuslichen Kontext misshandelt, geschlagen und/oder erniedrigt werden.

In Österreich wurde das Gewaltverbot 1989 gesetzlich verankert (vgl. das Züchtigungsverbot § 146 ABGB i.d.g.F.).

- Im Artikel 19 der UN - Kinderrechtskonvention wurde ebenfalls 1989 das Recht auf gewaltfreie Erziehung festgeschrieben. Der Einsatz der Ohrfeige als legitimes Erziehungsmittel ist rechtlich verboten.

- Kinder sind aber nicht nur von physischer Gewalt betroffen, sie können auch in nächster Umgebung Gewalt miterleben. Durch das Miterleben von Gewalt werden sie auch in Folge Opfer der Gewalt (vgl. MANDL 2014, 12). Gewalt unter Eltern weckt in den Mindern ein Gefühl der Hilflosigkeit, ständiger Angstgefühle und Rückzugstendenzen. Psychosomatische Probleme sind mögliche Auswirkungen. Auffallend sind im Unterricht Unkonzentriertheit, Nervosität und unsoziales Verhalten mit den Folgen von Lernproblemen und negativen Noten (vgl. MANDL 2014, 13).

- Mit nonverbalen Signalen in der Schule muss sensibel umgegangen werden, wobei zu einer Enttabuisierung beigetragen werden kann.

16 Bullying bzw. Mobbing    

Als besondere Konflikt- und Gewaltproblematik in Arbeitswelt und Schule stellt Mobbing eine große Herausforderung dar. Längeres Mobbing macht Kinder und Jugendliche (auch Erwachsene) krank (vgl. BLUM - BECK 2015, 4).

16.1 Basis für Mobbing    

Mobbing unter Lernenden

  • zielt auf absichtliche Erniedrigung, Demütigung und Schikane,
  • beinhaltet Formen gewalttätigen Handelns nonverbal und verbal, Sachbeschädigungen und Körperverletzung,
  • richtet sich kontinuierlich gegen eine bestimmte Person,
  • findet wiederholt und über einen Zeitraum statt,
  • ist ein Gruppenphänomen,
  • ist gekennzeichnet durch ein extremes Macht-Ungleichgewicht? und
  • verhindert die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft aus der Situation zu befreien (vgl. BLUM - BECK 2015, 5; IT -Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Mobbing in der Arbeitswelt und Schule).
Aggressionen unter Lernenden werden als Bullying oder Mobbing bezeichnet.

In Österreich werden viele Lernende gemobbt, wie es der OECD-Bericht? 2009 zeigt.

- Das Bundesministerium für Bildung und Frauen reagiert mit Präventionsprogrammen, Informationen für Eltern und Lehrende sowie mit kostenlosen Hotlines. Universitär gibt es im Rahmen der Personalentwicklung Seminare.

- Nach BLUM - BECK (2015, 6) findet Mobbing zu 80 Prozent im Klassenzimmer, auf dem Schulhof oder im Treppenhaus/ Flur statt. Zudem sind die Toiletten und der Nachhauseweg Plätze für Mobbinghandlungen. Ein relativ neues Phänomen stellt Mobben in der virtuellen Welt des Internets dar, die Gesellschaft spricht von "Cyber - Mobbing".

16.2 Struktur    

Strukturell sind Voraussetzungen für das Mobben

  • eine zugespitzte Hierarchie mit fehlender Verantwortung,
  • eine Gruppe mit Zwangscharakter,
  • Leistungsdruck, Wettbewerb und Bewertungen,
  • eine langweilige Didaktik und monotone Methodik sowie
  • eine militärisch bzw. industrielle Organisationsstruktur.
Kennzeichnend sind vergleichbare Muster, vielfältige und komplexe Ursachen, strukturelle Bedingungen und personelle Faktoren in Verbindung mit Einflussfaktoren. Das Thema Selbstwert spielt eine wesentliche Rolle, gibt es doch in der Kinder- und Jugendzeit viele Veränderungen und erste Kontakte mit Institutionen (vgl. NUSSBAUMER 2014, 7).

Wenn in einer Gruppe Mobbing entsteht, sind alle beteiligt. Alle stützen das System, auch wenn ein Mitglied nichts tut bzw. nicht handelt. Das System hält sich aufrecht durch Angst, Drohungen, Selbstschutz, Scham und Entschuldigungen bzw. Rechtfertigungen (vgl. die Theorie der kognitiven Dissonanz).

16.3 Programm gegen Mobbing    

Aus dieser Spirale herauszukommen weist auf ein Programm aus Deutschland, das in den neunziger Jahren in England entwickelt ("no-blame-approach") und 2003 von Heike BLUM und Detlef BECK aufgegriffen wurde (vgl. BLUM - BECK 2015; http://www.no-blame-approach.de/schritte.html [3.6.16]).

Schritte im Überblick nach BLUM - BECK (2015)

Ziel dieser Intervention ist ein Aufhalten von Mobbing - Aktivitäten ohne eine Schuldzuweisung. Die Vorgehensweise erfolgt in drei zeitlich aufeinander folgenden Schritten.

  • Schritt 1: Gespräch mit der von Mobbing betroffenen Person
    • Das Gespräch wird allein mit der Person geführt.
    • Ziel ist die Bemühung, die Person für die geplante Vorgehensweise zu gewinnen und Zuversicht zu vermitteln.
  • Schritt 2: Gespräch mit der Unterstützungsgruppe (ohne Mobbing - Betroffene)
    • Die Gruppe versteht sich als Helfer - Gruppen für die Lehrenden.
    • Einbezogen werden die Hauptakteure des Mobbings, Mitläufer und Kinder, die keine aktive Rolle beim Mobbing innehatten. Mit 6 - 8 Lernenden wird eine Unterstützungsgruppe gebildet, die Möglichkeiten überlegt, wie jeder einzelne dem Mobbing - Opfer positiv entgegentreten kann.
  • Schritt 3: Nachgespräche einzeln mit allen Beteiligten
    • Nach ungefähr ein bis zwei Wochen wird mit jedem Lernenden - einschließlich des Mobbing - Betroffenen - besprochen, wie sich die Situation entwickelt hat.
    • Dieser dritte Schritt sorgt für Verbindlichkeit und verhindert, dass die Lernenden, die gemobbt haben, ihre Handlungen wieder aufnehmen.
Es bleibt eine ständige Aufgabe von Schulen, wirksam gegen Mobbing vorzugehen. Zusätzlich hat die Schule besorgten Eltern die Möglichkeit eines verständnisvollen Austausches anzubieten. Sorgen der Eltern sind ernst zu nehmen, die Kontakte sind zu pflegen und Situationen zu verfolgen.

Politische Bildung ist als Fach in der Sekundarstufe II in der Polytechnischen Schule, den Berufsschulen und im Rahmen von Rechtskunde an den BHS etabliert.

In der Sekundarstufe I - MS und AHS-Unterstufe? - und in der Sekundarstufe II an der AHS-Oberstufe? ist Politische Bildung im Fach "Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung" integriert.

Im Kontext mit der Historie ergeben sich andere Aspekte von Gewalt und deren Prävention als in der Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Schulpädagogik .

Die Studie will auf diese Aspekte eingehen und sie kritisch beleuchten.

17 Aspekte von Gewalt    

In demokratischen Rechtsstaaten hat man Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass Gewalt allgegenwärtig vorkommt. Irritiert nimmt man zur Kenntnis, wie gering das Verhältnis zur Gewaltfreiheit in einer scheinbar zivilisierten Gesellschaft ist.

Gründe für Gewalttätigkeit, deren Strukturen, Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft aus der Perspektive der Politischen Bildung in Geschichte und Gegenwart werden im Folgenden angesprochen. Die Sehnsucht der Menschen nach Überwindung von Gewalt kann als Utopie bezeichnet werden.

Nur klare, regelkonforme und notfalls mit Gewalt durchsetzbare Machtverhältnisse mit Friedensbemühungen können vor zügelloser Gewalt schützen (vgl. BABEROWSKI 2016; WINTERSTEINER 2016a,b).

Geschichte beschäftigt sich mit Gewaltphänomenen mit Kriegen aller Art (vgl. BABEROWSKI 2016, 13-43).

- Besonders grausam und gewaltvoll sind, beispielhaft in Afrika der liberianische Bürgerkrieg 1990.

- Nicht weniger grausam war die Gewalt mit ihrer speziellen Art in den Konzentrationslagern im Dritten Reich als Bild des Schreckens.

Gewalt verändert alles. Wer ihr ausgesetzt ist, wird ein Anderer. Die Maßstäbe der Normalität verschieben sich. Nicht nur die Wehrmachtsangehörigen im Russland - Feldzug fanden keine Ruhe mehr, ebenso die US - Vietnam - Kämpfer. Britische Soldaten der Befreiung des KZ Bergen - Belsen können die Bilder von Toten und Gefangenen nicht vergessen.

Man glaubt gerne, unsere Welt sei gewaltfrei, weil wir in einer Region ohne Krieg leben (vgl. die Aktualität 1982 beim Balkan - Krieg vor den Toren Österreichs). Zudem kommt eine gewisse Friedfertigkeit in der Gesellschaft dazu. Das Gegenteil ist der Fall.

Nach der Gewalttat kommt die Stunde der Rechtfertigung .

- Die Täter verweisen auf einen Befehlsnotstand, auf Sachzwänge, tödliche Konsequenzen, (auch) höherer Werte und Ehrbegriffe. Mitunter wird mit der Bösartigkeit der Opfer argumentiert. Bekannt die Begründung mit Gehorsam (vgl. grausam vs. Gehorsam).

- Das Schreckliche rechtfertigt sich, indem die Täter auf Notwendiges und Unabänderliches verweisen.

Die Täter handeln und sprechen von Erwartungen in bestimmten Situationen.

- Gründe werden angegeben, Stolz wird angebracht, Heldentaten werden beschrieben.

- Ideologien sind kaum interessant gewesen.

- Einkommen und Fortkommen waren in dieser Zeit wesentlich.

Wer sich mit Geschichte beschäftigt, weiß, dass das Leben keine Aneinanderreihung von Ereignissen ist. Vielmehr setzt es sich aus Augenblicken zusammen. So kommt es, dass es keine Erklärung aus historischer Sicht für Gewalt gibt.

Man wundert sich bei uns, dass es Gewalt gibt. Gerade die Geschichte zeigt auf, dass Gewalt mit Grausamkeiten, Widerständen, Risiken und der Geringfügigkeit eigener Kraft stets vorhanden war.

Gewalt erzeugt Handlungszwänge, die nicht vorhersehbar sind. Weil es keine Regeln gibt, gerät Gewalt außer Kontrolle. Gehandelt wird in Situationen und in Räumen der Gewalt. Geographische Regionen, Lager, Gefängnisse und Anstalten gehören dazu. Subtile Gewalt geschieht in nicht beschreibbaren Räumen.

Normalität wird in solchen Räumen gepflegt. Wer Mord als Alltagsgeschäft betreibt, wird eine Verschiebung der Maßstäbe nicht erkennen. Diktatur und Terror ist Normalität. So versteht man die Bemühungen der westlichen Besatzungsmächte in Deutschland nach 1945 zur "re - education" als Erziehung zu einer Demokratie/ Deutschland.

Zu den Strukturen von Gewalt gehören deren Organisation und Institutionalisierung. Der Kanon von harten Strafen, Gratifikationen, Befehlsgehorsam, Hierarchie, Pflichterfüllung, Autorität und Zwang ermöglicht Gewalt und eröffnet Gelegenheiten. Mitleid gilt als Verstoß gegen einen Ehrenkodex.

18 Veränderung von Gewalt    

Europa lebte in einer Epoche von Friedfertigkeit (vgl. BABEROWSKI 2016, 44; man denke aber an die Krim- und Ukraine -Krise, den Balkan - Konflikt und den jahrzehntelangen Nordirland - Konflikt. Allerdings hat die Masse der Bevölkerung keine Erfahrungen mit Gewaltphänomenen. Mögliche Gewalttaten werden als die Ausnahme angesehen und den Gerichten überantwortet. Soldaten werden eher mit humanitärer Hilfe als mit Gewalttaten in Verbindung gebracht.

Medien transportieren abstraktes Geschehen von Gewalt. Dokumentationen mit historischem Hintergrundlassen vermitteln uns, dass niemals wiederkommen kann, was vor Jahrzehnten geschehen ist. Historie wird so zur Annahme, dass unsere Wirklichkeit Normalität sei.

Der Glaube an "Zivilisation" soll uns vor Barbarei schützen (vgl. die Bemühungen von Friedenserziehung als Teilbereich Politischer Bildung; ausführlich dazu WINTERSTEINER 2016a, 225-235).

18.1 Historische Perspektiven    

Aus der Perspektive von Geschichte ist von Interesse,

  • wie Gewalt in der Antike aussah,
  • wie im Mittelalter mit seinen Eliten mit Gewalt umging (vgl. BABEROWSKI 2016, 57-60),
  • wie Kreuzritter Blutbäder anrichteten,
  • wie Kaiser Otto I. 955 die Köpfe der Gegner auf eine Stange gespießt wurden,
  • wie in Europa vor rund 400 Jahren Menschen öffentlich hingerichtet wurden,
  • wie im Dreißigjährigen Krieg Bewohner massakriert und/ oder ausgeraubt wurden,
  • wie im 17. Jahrhundert mehr als 5000 Kriege in Europa geführt wurden,
  • wie gefährlich Reisen im 18. Jahrhundert war,
  • wie die Friedenspflicht letztlich nur für die eigene Gemeinschaft und nicht für Fremde galt und
  • wie der Zwang, sich der Konfession des Landesherren zu unterwerfen, eine Quelle der Gewalt war (vgl. BABEROWSKI 2016, 46-48).
In der frühzeitlichen Neuzeit setzte der Staat zur Durchsetzung seiner Macht brachiale Gewalt ein. Dazu kam die Gewalt zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern, Bauern und Knechten, Offizieren und Landsknechten. Gehorsam wurde durch Einsatz von Gewalt erzwungen, weil keine anderen Mittel zur Verfügung standen. Rohe Gewalt war allgegenwärtig. Die Anwendung von Folter, öffentlichen Hinrichtungen und harten Strafen weist auf solche Phänomene hin (vgl. BABEROWSKI 2016, 49-50, 63).

Im 18. Jahrhundert verringerten sich die bewaffneten Konflikte in Europa.

  • Der öffentliche Raum wurde verstaatlicht, Kriegsführung wurde an Regeln gebunden.
  • Die Staatsmacht erzwang Gehorsam. Voraussetzung war der freiwillige Gehorsam mit der Bindung des Untertanen an den Machthaber.
  • Nunmehr sanktionierte der Staat durch Gefängnisstrafen und Disziplinierungsmaßnahmen wie Geldstrafen, Gefängnisstrafen und Beschlagnahmungen.
18.2 Zivilisation - Rückfall    

Die Rolle der Religion wirkt(e) für sich allein allein nicht gewalthemmend.

  • Die Religion war genauso gewaltdämpfend wie die Gesellschaft oder die Schicht, die sie trägt.
  • Ähnliches zeigt sich bis heute (vgl. BABEROWSKI 2016, 53-54).
Einen Rückfall in Barbarei bzw. "Entzivilisierung" gab es in der Herrschaft des Nationalsozialismus. Zu fragen ist nach Erklärungen, dass im Europa des 20. Jahrhunderts Millionen Juden getötet wurden, obwohl die Täter als "zivilisiert" galten.

Der Prozess der Zivilisation gilt historisch als Mythos. Mensch seien immer schon unter sozialen Zwängen gestanden.

  • Die Ethnologie kennt insbesondere einen sozialen Druck, der zunimmt, wenn die Umwelt als feindselig empfunden wird (vgl. das Misstrauen der Ritter gegenüber Anderen, Bauern bei Missernten, Hilflosigkeit bei Unwetterkatastrophen und Kriegen; vgl. DUERR 1996, 26).
  • "Wer vom Rückfall spricht, muss an den Fortschritt glauben[...]" (BARBEROWSKI 2016, 60). Es kommt in der Folge zu Überwachungstechniken, die ohne Gewalt auskommen und Macht erzeugen.
18.3 Moderne    

Mit sozialem Druck bzw. Zwängen in einer aufgeklärten und mitfühlenden Gesellschaft entstehen Normen, wie man in einer Gesellschaft lebt. "Man schämt sich nicht, weil man Strafe fürchtet, sondern weil man weiß, dass falsch war, was man gemacht hat" (BARBEROWSKI 2016, 68)

Beruf und Funktion bzw. gesellschaftlicher Status mit Rollenfunktion formen den Affekthaushalt. Die alten Formen der sozialen Kontrolle gingen verloren, Institutionen übernehmen deren Funktion, um ein Gleichgewicht der sozialen Kräfte zu bewahren und sich gegenseitig zu schützen.

18.3.1 Quellen der Gewalt    

In der Moderne hat der Einzelne mehrere Rollen zu erfüllen (vgl. Familie, Beruf, Freizeit, Lernender). Damit entsteht eine Doppelmoral mit dem Abbau von Konformitätsdruck. Man kann immer wieder ein Anderer sein, insbesondere in der Anonymität von Großstädten.

  • Das staatliche Gewaltmonopol ist ein Mittel gegenseitiges Schutzes, aber es kann auch eine Quelle der Gewalt sein. Wenn die Kontrolle der Gewaltinstrumente nur in wenigen Händen liegt, werden Gewaltmittel zentralisiert und einer Kontrolle entzogen. Diese Militarisierung ist in der jüngsten Geschichte historisch gesehen beispielslos (vgl. Nationalsozialismus, Stalinismus, Militärdiktaturen in Südamerika/Chile, Argentinien; BARBEROWSKI 2016, 70).
  • Entscheidend sind die Umstände, auf welche Weise das Gewaltmonopol des Staates gelenkt bzw. dosiert wird. Selbst der Handel als Verbindung der Menschen verzichtet nicht auf Geschäfte mit dem Tod (vgl. Waffenhandel, Schutzgelderpressung, Sklavenarbeit in Arbeitslagern).
  • Mit der Zerstörungskraft moderner Militärapparate im 20. Jahrhundert erwuchs der Krieg zu einem Gleichgewicht des Schreckens und eigener Vernichtung (vgl. SOFSKY 2002, 70-71).
  • Neue Formen von Gewalt traten auf (vgl. Amok und Terror).
Im außereuropäischen Raum kam es zu Gewaltformen, die in Europa nicht mehr möglich waren. Undenkbar waren Vorgangsweisen, die Zivilisten schützen und Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention bzw. der Haager Landkriegsordnung behandeln sollten. Kolonialtruppen verwüsteten ganze Länder(vgl. Algerien/Frankreich, Togo/Deutschland; BABEROWSKI 2016, 73-75).

Kennzeichen der Moderne ist die Abhängigkeit von Räumen und Umständen bzw. Situationen, ob man sich für oder gegen Gewalt entscheidet.

18.3.2 Staat als Gärtner    

Wird in der Geschichte der moderne Staat als Gärtner bezeichnet, so geht es bei diesem Vergleich mit der Rolle eines Gärtners

  • um die Schaffung von Ordnung und Schönheit,
  • um die die Häufung von "Unkraut" (staatlich Fremdheit) und damit
  • um Ordnung (vgl. BABEROWSKI 2016, 83-84).
Erst der moderne Staat fand in seinem Machbarkeitswahn einen Vollstrecker. Technische Hilfsmittel ("Sozialtechnologie"), Bürokratie (Verwaltungsapparate)und politische Ideologien (Faschismus, Kommunismus, Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit) verhelfen zu einer Planung und Umsetzung von subtiler und offener Gewalt.

Zur Rechtfertigung von Gewalt in den verschiedenen Formen als dunkle Seite der Demokratie gelten der Nationalismus, Kolonialismus und die Idee moderner Diktaturen mit Vorstellungen von Mehrheiten, in deren Namen sie zu sprechen vorgaben. Ethnische, kulturelle und religiöse Minderheiten sollen hier keinen Platz haben (vgl. MANN 2002; verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von Interkulturalität und Diversität/interkultureller Kompetenz > IT-Autorenbeitrag? http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz, Migration in Österreich).

18.3.3 Europäische Geschichte    

Für die Politische Bildung im Kontext mit Geschichte ist der Zerfall der Vielvölkerreiche von besonderem Interesse.

  • Minderheiten wurden Fremde im eigenen Land. Man sah sie als Bedrohung für den ethnisch homogenen Nationalstaat.
  • Eine Vielfalt/ Diversität wird letztlich zum Anlass der Vernichtung. Gewalt wird als attraktive Handlungsoption angesehen. Man beruft sich auf den Willen der Mehrheit, Reinheitsideologien und Heilslehren werden glaubhaft versprochen (vgl. BABEROWSKI 2016, 91-97)
Gewaltphänomene bringen Täter hervor, die ein gutes Gewissen haben. Die Geschichte spricht vom Versagen im diktatorischen Sozialismus (vgl. FRITZE 1998). Rationalität ist der Ursprung der Menschheitsverbrechen im 20. Jahrhundert. Die Vernichtung ganzer Ethnien bzw. Völkermord ist eine logische Eskalation der jeweiligen Ideologie.

  • Die Vorstellung in der Moderne, man dürfe alles tun, was einem Fortschritt dient, stellt Instrumente zur Verfügung, die das erlauben. Erst aus dem technischen Möglichkeit entsteht eine Verwirklichung. Nicht Ideen töten, vielmehr Menschen (vgl. BABEROWSKI 2016, 93-97). Die Moderne feiert sich als Zeitalter der Emanzipation und Freiheit. Tatsächlich ist es aber eine Epoche der Intoleranz und Vernichtung. Gewalt wird zum Mittel der Durchsetzung von Machtansprüchen, die bis zur totalen Vernichtung geht (vgl. die Stufen der Eskalierung von massiver Gewalt im 20. Jahrhundert > Entführung, Amok, Terroranschläge, Kriege, ethnische Säuberung, Holocaust).
  • Die Postmoderne versucht Faschismus und Kommunismus hinter sich zu lassen. Freiheit, Diversität, Toleranz, Respekt und Wertschätzung sollen ihren Stellenwert in einer humanen Gesellschaft erhalten. Toleranz soll in Solidarität umgewandelt werden. Dazu bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen,
    • in den Lehr- und Lernprozessen in den Bildungsinstitutionen entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen, entsprechende Curricula und Lehrende sowie
    • in gesellschaftspolitischen Bemühungen politischer, sozioökonomischer, kultureller und alltäglicher Integrationsbemühungen. Neben dem politischen Willen bedarf es beidseitiger Integrationsaktivitäten der einheimischen und zugewandernden Bevölkerung.
  • Allerdings ist eine moderne Rechtsordnung kein Garant für eine innere und äußere Freiheit, wie das Beispiel des Nationalsozialismus zeigt. 1940 gab es Widerstand gegen Eingriffe in die Rechtsordnung(vgl. Predigt von Clemens August Graf von Galen/Bischof von Münster gegen die Euthanasie, Widerstand gegen die Ermordung von Geisteskranken durch die Generalstaatsanwaltschaft von Graz; vgl. BABEROWSKI 2016, 98-99).
18.3.4 Außereuropäische Geschichte    

Millionen Menschen wurden in China, Kambodscha, dem Irak und Uganda ermordet. Der Terror war die Basis schwacher Staaten, Grausamkeiten ein Mittel der Macht. Angst war schärfste Waffe der Macht. Mao, Pol Pot, Idi Amin und Saddam Hussein waren Despoten, die Recht und Ordnung nicht kannten.

"Nie wieder Auschwitz" - Schleusen öffnen sich, Sicherungen sind entriegelt, Menschen können ohne Hemmungen zu Mördern werden (vgl. BABEROWSKI 2016, 106-108). Die Geschichte weist auf Gewalttaten bis in die jüngste Vergangenheit.

18.3.5 Rechtsstaatlichkeit in der Moderne    

Der moderne Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung und seine Bürokratie sind Einrichtungen gegen die Ausbreitung von massiven Gewaltphänomenen. Wer aus der Staatsordnung ausgeschlossen werden muss, entscheiden Gesetze mit Rechten und Pflichten, Normen und Werten sowie Erwartungshaltungen.

Niemand kann bestreiten, dass die Moderne technischen und gesellschaftlichen Wandel begünstigte. Heute leben wir in einem klassischen Paradigmenwechsel gesellschaftlich-politisch-sozioökomischen Politikelemente, gekennzeichnet beispielhaft an Aspekten der Europakrise, Migrationswellen, Integrationsbemühungen, Bildungsreformbemühungen, Arbeitsmarktschwierigkeiten, Mobilitäts- und Globalisierungszwängen.

18.4 Strukturelle Gewalt    

18.4.1 Galtung - Spivak - Foucault - Schroer    

Johan GALTUNG (1975) hat mit seinem Buch "Strukturelle Gewalt" versucht, repressive Verhältnisse zu erkennen, in denen Menschen gefangen sind.

  • Ursache für Gewalt seien Verhältnisse, die Gewalt erzeugen. Diese müssten beseitigt werden, denn ohne Gleichheit, Freiheit und Wohlstand gäbe es keinen Frieden.
  • Die Überwindung von struktureller/anonymer Gewalt wäre also der Anfang vom Ende der Gewalt (vgl. BABEROWSKI 2016, 110-111).
Wenn körperliche Gewalt verschwindet, bliebe immer noch eine repressive und anonyme Gesellschaftsordnung übrig. GALTUNG versucht den Unterschied zwischen Sein und Sollen zu ziehen. Jede Unterlassung einer Hilfe wäre Gewalt (vgl. Tbc als Krankheit im 18. Jahrhundert als Unvermögen einer Heilung, kein Akt von Gewalt; Tbc heute mit der Möglichkeit einer Heilung wäre bei einem Todesfall ein Gewaltakt).

Grund für strukturelle Gewalt sei demnach soziale Ungerechtigkeit. Latente Gewalt hinterlässt am Körper keine sichtbaren Spuren. Dennoch wird sie als Leiden empfunden. In Europa wird Leiden als Störung des sozialen Friedens empfunden. In dynamischen Gesellschaften wird Leiden auffallen, weil anonyme Gewalt in Form von Stillstand auffällt (vgl. GALTUNG 1975, 16).

In solchen Gesellschaftsordnungen sind Machtchancen ungleich verteilt. Ungleichheit erzeugt nach GALTUNG strukturelle Gewalt. Körperliche Gewalt sei dann erlaubt, wenn sie sich gegen repressive Strukturen richte, die Ungleichheit und Abhängigkeiten erzeuge (vgl. GALTUNG 1975, 30).

GALTUNG argumentierte im Zeitgeist der siebziger Jahre. SPIVAK argumentiert in der Folge aus postkolonialer Sicht. FOUCAULT betont die Institutionen der Moderne als Orte einer unsichtbaren Macht.

  • Menschen sind an sich frei, werden aber von Hierarchien und Ordnungen daran gehindert.
  • Ähnliche Argumente liefert Jean - Jacques Rousseau, als dieser glaubte, der Mensch sei von Natur aus frei, liege aber überall in Ketten, weil er zum Sklaven der Verhältnisse geworden sei (vgl. BABEROWSKI 2016, 115).
  • GALTUNG liefert die Begrifflichkeit der "kulturellen Gewalt" als Instrument einer strukturellen Gewalt (vgl. GALTUNG 1990, 291-305).
  • 2008 verwendete Gayatri SPIVAK den Begriff "epistemische Gewalt", um ein postkoloniales Subjekt als "Anderes" zu konstruieren (vgl. strukturelle Gewalt wird von beiden als eine unsichtbare und unbewusste Struktur von Menschen bezeichnet, die nicht wissen, was mit ihnen geschieht).
  • FOUCAULT betonte Techniken der Disziplinierung in Institutionen der Moderne - Schulen, Kliniken, Kasernen, Internate/Heime, Gefängnisse - mit der Absicht von Abhängigkeiten. Er sieht in der Totalisierung der Macht und ständigen Kontrolle und Selbstunterwerfung des Subjekts eine Art der Gewalt (vgl. FOUCAULT 2004, 13-15).
  • SCHROER argumentiert, dass es Gewalt gäbe, gegen die der Verlierer sich nicht zur Wehr setzen könne ("Gewalt ohne Gesicht"). Zu nennen sind etwa die Handhabung der Leistungsgesellschaft, prekäre Arbeitsverhältnisse, sprachlose Einwanderer, Obdachlose und Arbeitslose. Solche Menschen ohne Integration in ein System werden ignoriert. Man müsse daher zwischen Gewinnern, Verlieren und Ausgebeutet unterscheiden. Als Konsequenz ergäbe sich eine Exklusion (vgl. SCHROER 2004, 156-158; vgl. die Bemühungen um eine inklusive Pädagogik bei REICH 2014).
18.4.2 Politische Bildung    

Politische Bildung hinterfragt den Zustand, ob nicht Menschen immer ausgeschlossen werden.

  • Beispiele dafür gibt es genügend, etwa Schüler/Studierende von Prüfungsberatungen und Kinder von Elternentscheidungen.
  • Ungleichheit kann auch auf Zustimmung beruhen. Was man selbst nicht leisten kann, sollen jene entscheiden, die mehr Macht und Wissen haben (vgl. in Unternehmen gehorchen Untergebene ihren Vorgesetzten).
  • Macht, Wissen, Hierarchie und soziale Differenz sind ein Modus der sozialen Organisation, nicht Repression. Eine Übertragung von Macht bzw. einer Entscheidungsbefugnis ist auch eine Entlastung von Entscheidungszwängen und damit unvermeidbar (vgl. LUHMANN 2012, 51).
  • Kaum bemerkt wird in den demokratischen Gesellschaften Europas, dass Gewohnheiten auf Abrichtung und innere Disziplin beruhen und solange jeder tut, was man erwartet das soziale Leben im Gleichgewicht sich befindet. Niemand ängstigt sich vor Sanktionen, sozialem Druck, Selbstdisziplinierung und Regeln. Eine Ordnung ist eine Quelle der Freiheit, und nur dort, wo sie mit Angst und Terror verbunden wird, wird sie als Gewalt empfunden (vgl. BABEROWSKI 2016, 124).
  • Psychische Gewalt ist an das Erleben des Opfers gebunden. Verhöhnung, Demütigungen, qualvolle Abhängigkeiten und Diskriminierung ergeben lange Schäden in der Persönlichkeit. Psychische Qualen und körperlicher Schmerz werden ausgelöst. Die Liste der Gewaltphänomene ist lang. Diktaturen, Kriege, Terrorismus und Schauprozesse, aber auch inhumane Arbeitsprozesse und körperlicher Missbrauch sind Beispiele für bleibende Schäden (vgl. BABEROWSKI 2016, 125-132).
19 Literaturhinweise Gewaltprävention    

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Teil V Aspekt Anthropologie    

19 Anthropologie - Themenvielfalt    

Im Folgenden geht es um das Wissen vom Menschen und in diesem Fall um die Mensch - Umwelt - Beziehung. Themen sind das Töten, Ordnung und Gewalt, Freiheit und Gewalt sowie Kultur und Gewalt (vgl. BABEROWSKI 2016, 135-194).

Gerade die Mensch - Umwelt - Beziehung bzw. das menschliche Handeln verlangen eine Reflexion.

19.1 Töten    

Beeinflusst wird dieser Themenbereich von den vielen Fragen um die Gewaltphänomene im Dritten Reich (Folterpraxis, Front, Lager). BABEROWSKI gibt als einfache und deprimierende Antwort: "Menschen können immer töten, wenn sie wissen, dass straflos bleibt, was sie tun und sobald das Töten zum Gebot wird, braucht niemand mehr eine Lizenz oder eine Legitimation" (BABEROWSKI 2016, 136).

  • Gewalt erzeugt Aufmerksamkeit, setzt Macht durch.
  • Der Mensch als Kulturwesen entwirft sich eine Welt mit einer Existenz des Seins. Zur Existenz gehören die Verletzungsoffenheit und das Wissen um den Tod.
  • Dieses Wissen formt soziales Handeln. Gewalt ist eine Handlungsmöglichkeit, wenn Räume es zulassen.
In der Soziologie der Gewalt soll die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Sache selbst, nicht nur auf die Ursachen gelegt werden. Damit werden das Geschehen selbst und die Folgerungen daraus nicht mitgeteilt. Soziale Defizite wie elende Verhältnisse, Armut, Ignoranz und Unterdrückung werden nur verdrängt.

Anthropologen weisen auf das Geschehen selbst hin. Nur so meinen sie, kann man verstehen, was Gewalt ist und was sie anrichtet.

  • Gewaltsituationen sind offen, der Ablauf ist unvorhersehbar.
  • Zu einer Sicherheit des Ablaufes kommt es erst, wenn die Situation übersehbar ist.
  • Gewalt verändert die Handlungsspielräume und Menschen, allerdings nur für kurze Zeit (vgl. SOFSKY 2002, 25-26). Weil sie zur Ursache selbst wird, muss sie genau beschrieben werden.
  • Gewalt in Gruppen läuft anders ab (vgl. das Verhalten eines Anführers, Entschlossenheit, Konfrontation, Rückzug). Je größer die Gruppe ist, desto leichter gerät Gewalt außer Kontrolle. Hier endet Planung und Umsicht. Bei solchen Gewaltverhältnissen ersetzen keine Analysen von gesellschaftlichen Verhältnissen Ursachen von Gewaltphänomenen (vgl. v. TROTHA 1997, 26-27).
19.2 Ordnung und Gewalt    

Anthropologen berufen sich auf Thomas HOBBES bei der Frage nach dem Verzicht auf Gewalt bei gewalttätigen Menschen. In "Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates" (1651) meint es, dass Menschen, die von Natur aus Freiheit und Herrschaft über andere lieben, ein Leben in Selbstbeschränkung mit dem Ziel in Staaten leben, für ihre Selbsterhaltung und Zufriedenheit zu sorgen, damit einem Kriegszustand zu entkommen. Natürliche Gesetze sollen beachtet werden(vgl. HOBBES 1976, 131).

Wolfgang SOFSKY als Soziologe weist auf Gewaltphänomene in seinem "Traktat über die Gewalt" rund 350 Jahre später auf Gesetze hin, die niemanden vor Übergriffen bewahren und Schutzfunktionen und Bündnisse zur Sicherheit notwendig machen (vgl. SOFSKY 1996, 7).

  • Menschen werden nur durch Mächtigere am Töten gehindert.
  • Menschen verderben die Verhältnisse, nicht umgekehrt.
  • Sozialität ist dann erst möglich, wenn diese vertraglich vereinbart wird und Menschen auf Gewalt verzichten (vgl. SOFSKY 1996, 12).
Menschen tauschten ihre Freiheit gegen Ordnungssicherheit ein (vgl. SOFSKY 1996, 10-11).

  • Der Mächtige verzichtet auf Gewalt, weil die Schwachen gehorchen. Diese gehorchen, weil die Mächtigen andere daran hindern, ihr Leben zu bedrohen.
  • Rechte werden an Dritte übertragen, der Friede wird mit Gewalt erzwungen. Töten wird jenen übertragen, die Sanktionsmacht besitzen, mit dem Gewaltmonopol strafen bzw. Kriege führen.
Das Gewaltmonopol des Staates ist keine Versicherung gegen die Wiederkehr des Schreckens.

19.3 Kriege    

"Es gibt Räume, in denen die Gewalt nicht vermieden werden kann, so sehr man es sich auch wünschen mag. Zu ihnen gehört auch der Krieg" (BABEROWSKI 2016, 152). Zum Kampf gibt es keine Alternative. Deshalb töten Soldaten auch gegen ihren Willen (vgl. CANETTI 1994, 267).

Die Masse hält den Krieg in seinen Aktivitäten, auch wenn es keinen Sinn mehr macht. Wenn die Masse zur Belastung wird, die Aussichtlosigkeit sich für den Einzelnen zeigt, verlässt er sie. Dann folgt Flucht und Überlebenskampf und nur gruppenweiser Zusammenhalt im Verband kann den Einzelnen retten (vgl. WELLERSHOFF 1995, 273). Gewalt ist ihr Schicksal und wird zur Normalität.

Besonders prekär sind Spielräume zu bewerten, wenn bei Angriffen der Luftwaffe Möglichkeiten sich eröffnen (vgl. Schießen auf Fahrzeugkolonnen, Flüchtlingstrecks, Schulen und Krankenhäuser, Bombenangriffe auf Häuser mit Zivilisten, U-Bootkommandos? auf Handelsschiffe, Panzerangriffe aus Häuser; in diesem Kontext sind auch die zwei Atombombenangriffe der US-Luftwaffe? in Japan 1945 zu sehen).

Grausamkeiten im Krieg sind ein Zeichen der Verachtung. Besonders grausam war die Partisanenbekämpfung. Terror wurde mit Gegenterror vergolten, das Kriegsrecht galt nicht.

Großmut leistet man sich nicht. Mitunter wird dies auch als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt. Wenn der Sieger den Frieden nicht garantieren kann, weil er keine Kontrolle ausübt/ausüben kann, weil Infrastruktur fehlt und/oder eine Kommunikation unmöglich ist, wird damit gerechnet, dass die Unterlegenen den Kampf wieder aufnehmen.

19.4 Freiheit und Gewalt    

Die Frage nach dem Gewaltmonopol des Staates mit einer Garantie für Frieden stellt sich in diesen Zusammenhang.

  • Aggressionen lassen sich durch Sanktionen und innere Repressionen unterdrücken.
  • Schutzhüllen der Zivilisation sind brüchig.
  • Vorherrschend ist eine homogene Vorstellungskraft mit dem Gedanken der Herrschaft (vgl. SOFSKY 1996, 18). Die Realität einer interkulturellen Landschaft mit gesellschaftlicher Vielfalt erzeugt einen inneren Unfrieden, der Zivilisationsprozess wird zum Mythos. Innere und äußere Wanderströmungen sind Realität.
    • Politische Bildung im Kontext mit Menschenrechts- und Friedenserziehung wird zunehmend von Bedeutung (vgl. WINTERSTEINER 2016a,b).
    • Vielfältige Integrationsbemühungen politischer, sozioökonomischer und kultureller Art werden notwendig. Staat und nicht-staatliche Organisationen bzw. Gruppierungen sind in ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gefordert(vgl. dazu auch die Bemühungen des "Österreichischen Integrationsfonds" > http://www.integrationsfonds.at).
19.5 Kultur und Gewalt    

Die Kultur bringt Ideen und Gedanken in eine Form.

  • Sie gibt Menschen Instrumente in die Hand, mit der er die Welt gestalten kann.
  • Der Mensch kann sich durch Kultur darstellen und erweitern.
  • Kultur gibt dem Menschen ein Antlitz (Humanität).
  • Allerdings ist Kultur gegen Gewalt nicht immun. So gibt es auch eine Kultur der Gewalt.
  • Menschen, die über Jahre in Gewalt leben, verändern ihre sozialen Beziehungen und dem Blick auf die Wirklichkeit. Sie bevorzugen autoritäre Konzepte. Offene Möglichkeiten kann man sich nicht leisten. Dies zeigt sich am jüngsten Beispiel von Kolumbien (vgl. WALDMANN 2007, 593-609). Ebenso erweist sich dies in den gegenwärtige Bürgerkriegen im Kongo, im Irak, in Afghanistan, Syrien oder Liberia, die nicht aufhören wollen (Stand 2016).
Kultur integriert Gewalt. Kultur formt Gewalt, Gewalt formt Kultur.

  • Unterschieden wir zwischen verbotener, gebotener und erlaubter Gewalt (vgl. Körperberührung und Blutrache als Gewaltarten).
  • Auch in Kriegen ist an sich das Töten von Sanitätern, Parlamentären, Kriegsgefangenen und Zivilisten/Kranken verboten.
  • Normen variieren von Kultur zu Kultur, innerhalb einer Kultur von Zeit zu Zeit (vgl. Gewalt gegen Frauen und Kinder).
19.6 Reflexion zur Anthropologie der Gewalt    

Die Anthropologie von Wolfgang SOFSKY kennt keine Zusammenhänge.

  • Sie begründet sich selbst.
  • Sie erhebt den Anspruch von Wissenschaft, ist aber literarisch.
Markus SCHROER sieht darin kein Verfahren des Verstehens, vielmehr ein Nacherleben und des Einfühlens. Gesprochen wird auch von Beschreibung und eigenen Gewaltphantasien. Allerdings ist die Beschreibung keine authentische Abbildung eines Geschehens.

Für die Anthropologie sind allerdings menschliche Nachempfindungen wie Schmerz, Hass, Wut, Verletzung und Ohnmacht wesentliche Elemente.

  • Adam JOHNSON hat etwa sein Erleben von Gewaltexzessen in Nordkorea beschrieben, literarisch und situativ (vgl. JOHNSON 2013).
  • Eine Anthropologie der Gewalt ist Ursachenforschung, die sich nicht mit Voraussetzungen, vielmehr mit der Gewalt selbst befasst. Sie beschreibt, was geschieht und wie Gewalt die Situation verändert (vgl. BABEROWSKI 2016, 193).
Nur Träumer sehnen den ewigen Frieden her, die Realisten wissen um die Brüchigkeit und Notwendigkeit einer regulativen Ordnung.

Veröffentlichungen von Behörden weisen darauf hin, dass Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und extremistische Gefahren für unsere Gesellschaft bestehen. Dies gilt für Österreich und den EU-Raum?, wobei Deutschland von besonderem Interesse ist.

Im Folgenden wird auf politische Ursachen, Problemstellungen, Ziel und Zielgruppen, theoretische Grundlagen und den Bezug zu frauenpolitischen Zielen in der Lehrerinnenbildung eingegangen (vgl. DICHATSCHEK 2005, 357-367).

20 Erklärung von politischen Ursachen von Gewalt    

Eine sozialwissenschaftliche Gesamttheorie zur umfassenden Erklärung politischer Ursachen von Gewalt gibt es derzeit nicht. Es gibt aber Erklärungsansätze und Deutungsmuster, deren bekannteste von Theodor ADORNO (1975), Wilhelm HEITMEYER (1993) und Richard STÖSS (1989) stammen.

Adornos Ansatz ist ein psychologischer, Heitmeyers ein sozialer und der von Stöss ein politischer.

  • Der psychologische Ansatz geht von einer frühkindlich-familiären Sozialisation aus, die autoritäre Unterwürfigkeit, Aggression, Rigidität, Aberglauube, Stereotype und Vorurteile kennt. Machtdenken und Zynismus sind ebenso erkennbar.
  • Der soziale Ansatz sieht die Ursachen in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, die als Kennzeichen eine zunehmende Individualisierung von Lebenslagen mit einem Verlust von Bindungen an Traditionen, Lebensformen und soziale Gruppierungen wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen aufweisen. Besonders Jugendliche werden verunsichert und gesamtgesellschaftlich orientierungslos, sie können Gefühle der Ohnmacht und Vereinzelung erleben. Eine Verarbeitung kann bei einer Identifikation mit einer Gruppe bzw. Gruppierung mit bestimmten Merkmalen - Nation, Rasse, Weltanschauung oder gleichgesinnte Peer-Groups? - erfolgen.
  • Der politische Ansatz bezieht sich auf Krisenerscheinungen in Staat und Gesellschaft. Man denke an Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen, ungleiche soziale Entwicklungen, Statusverlust oder Verarmung. Durch Bindungsverluste kann es zu Radikalisierungs- und damit zu Gewalttendenzen kommen.
21 Problemstellungen    

Bildungsinstitutionen als Teil der Gesellschaft haben auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren und müssen Entwicklungswahrscheinlichkeiten antizipieren (vgl. den Aufgabenbereich Politischer Bildung). Unbestritten sind Gewaltphänomene Entwicklungen, vor der sich eine Lehrerinnenbildung nicht verschließen kann.

Neben der Wissensvermittlung und einer Persönlichkeitserziehung ist es Aufgabe der Schule und Erwachsenenbildung,

  • demokratische Grundhaltungen zu festigen und
  • für die Aufgaben in der Arbeits- und Berufswelt sowie
  • den Alltag zu erziehen (vgl. § 2 Schulorganisationsgesetz 1962; die Unterrichtsprinzipien wie Politische Bildung, Wirtschaftserziehung, Umwelterziehung und interkulturelle Bildung).
  • Erwachsenenbildung hat den Auftrag einer Politischen Bildung im Sinne einer demokratischen Erziehung (vgl. die Bemühungen 2016 um eine Vernetzung und vermehrte Lehre/Unterrichtung von Zielgruppen und Interessierten; unabhängig davon bedarf es einer Aus- und Fortbildung von Erwachsenenbildnern in Politischer Bildung).
Eine Therapie ist keine schulpädagogische Aufgabe (vgl. die Behandlung von Gewalttätern mit psychotherapeutischen, polizeilichen oder strafrechtlichen Maßnahmen).

Pädagogische Maßnahmen sind immer präventiv. Im Rahmen von Wissensvermittlung erwerben die Lernenden Kenntnisse über Gewaltphänomene in den verschiedenen Fächern bzw. Bereichen, wobei die Fachbereiche Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung, Geographie und Wirtschaftskunde, Deutsch, Religion und Ethik gefordert sind. Die Schüler- bzw. Bildungsberatung und der Schulpsychologische Dienst unterstützen diese Bemühungen im individuellen Bereich.

Wissen ist kein Garant für die Abweisung von Gewalt, daher gibt es einen Erziehungsauftrag für alle Bildungsinstitutionen (nicht nur Schulen), der fachdidaktische Maßnahmen (Prinzipien) beinhaltet, die der Entwicklung von Gesinnung, Moral und Haltungen dienen sollen.

Damit ist die Lehrerinnenbildung - umfassend für Lehrende an Schulen und der Erwachsenenbildung - angesprochen, die ganz bestimmte Qualifikationsmerkmale im Rahmen demokratischer Einstellungen für eine Lehrbefähigung Lehrender erforderlich macht. Fragestellungen für eine zeitgemäße Aus- und Fortbildung Lehrender ergeben sich daraus.

  • Welche Verhaltensmerkmale sind für eine demokratische Einstellung notwendig?
  • Wie erwerben Lernende demokratische Einstellungen?
  • Wie muss eine Bildungsinstitution organisiert sein, damit solche Einstellungen erworben erden können?
  • Wie sind Tendenzen antidemokratischer Einstellungen bei Lernenden erkennbar?
  • Welche Qualifikationen benötigen Lehrende?
  • Welches Handlungsrepertoire benötigen Lehrende, damit Lernende demokratische Einstellungen erwerben?
  • Wie sind Lehrenden diese Fähigkeiten in einer Lehrerinnnbildung - Aus-, Fort- und Weiterbildung - zu vermitteln (vgl. Fachdidaktik einer Lehrerbildung bzw. Hochschuldidaktik)?
22 Ziel - Zielgruppen    

Ziel von Maßnahmen einer Lehrerinnenbildung ist es,

  • Studierenden in der Ausbildung und den im Dienst stehenden Lehrenden in der Fortbildung professionelle Kompetenz zu vermitteln.
  • Diese befähigt sie, Heranwachsenden und Erwachsene zur Demokratie zu erziehen.
Lernende erlernen so

  • auf Gewalt bei Konfliktsituationen zu verzichten und sie durch sozial akzeptables, effektives und produktives Verhalten zu ersetzen,
  • demokratiefeindliches Verhalten in einem sozialen, politischen und ökonomischen Schaden zu erkennen und demokratisches Verhalten im sozialen Umfeld zu regelleitenden Normen zu entwickeln,
  • das Andere im Fremden zu akzeptieren, zu verstehen und in einem Vergleich mit dem Eigenem und in Solidarität mit dem Fremden auf dem Boden der geltenden Verfassung zu agieren sowie
  • in ethnisch gemischten Gruppen zu lernen, zu arbeiten und Freizeit zu gestalten, eigene und gemeinsame Interessen einzubringen und durchzusetzen sowie Konflikte demokratisch auszutragen.
Neben einem Widerstand gegen antidemokratische Tendenzen bedarf es einer Erziehung zur Akzeptanz multikultureller bzw. interkultureller Realitäten in der Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitswelt.

Ein wesentliches Merkmal im Berufsbild Lehrender sind ihre Funktionen als Multiplikatoren. Aufgabe ist es, Lernende in ihren kognitiven, affektiven, psychomotorischen und sozialen Entwicklungsprozessen zu unterstützen, positive Entwicklungstendenzen zu verstärken und negative bzw. unerwünschte zu korrigieren. Im Idealfall kann man von einer Vorbildfunktion ausgehen.

Für schulinterne und außerschulische Fort- und Weiterbildung - etwa SCHILF, Personalentwicklung, Hochschullehrgänge, universitäre Veranstaltungen - bedarf es unterstützender Systeme. Solche Netzwerke sind im Internet abrufbar, wobei mitunter ihre Kurzlebigkeit wenig hilfreich sein kann (vgl. beispielhaft http://www.netzwerkgegengewalt.org; EPALE > http://ec.europa.eu/epale/de).

23 Theoretische Grundlagen    

Erziehung zur Demokratie ist Aufgabe einer Politischen Bildung und Erziehung, als eigener Fachbereich und in Teillehrzielen in einzelnen Fächern als Unterrichtsprinzip.

Ein Ansteigen extremistisch motivierter Straftaten und verschiedenster Gewaltphänomene wurde bisher von diesem Fachbereich nicht verhindert.

  • Die Fachdidaktik berücksichtigte nicht den Erwerb politisch relevanter Einstellungen, Überzeugungen und Handlungsdispositionen (vgl. BOHLEN 1998, 556, 558).
  • Fragen auf hohem Niveau wie das Entstehen von Gesellschaft, Grundbedingungen von Individuen und Gruppen zur Vergesellschaftung, Entstehen, Aufgaben und Politik von Staat sowie Chancen und Gefahren der Zukunft werden dagegen behandelt.
  • Man kann davon ausgehen, dass eine gewisse Gleichgültigkeit aus dieser didaktischen Fragestellung bei Lehrenden abzuleiten ist. Die Betonung liegt demnach in diesem Fachbereich auf Erziehung. Damit ist die allgemeine Schulpädagogik gefordert.
Vor diesem Hintergrund den daraus resultierenden Fragestellungen ist es angebracht, sozialwissenschaftliche Theorien zu prüfen, ob und mit welcher Reichweite ein Beitrag zur Politischen Bildung und Erziehung geleistet werden kann.

Angesprochen werden im Folgenden die Bindungstheorie (BOWLBY 1997, 17-26), die Theorie der Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit (KOHLBERG 1996, 7-40), die Anomietheorie (DURKHEIM 1995) und die Demokratietheorie (NEUMANN 1998).

23.1 Bindungstheorie    

John BOWLBY (1997, 20) formuliert die folgenden Annahmen.

  • Eltern und Elternersatzpersonen entwickeln Bindungen zum Kind und umgekehrt. Die Qualität dieser Bindungen ist wesentlich, ob ein Kind psychisch gesund oder ungesund aufwachse.
  • Die Fähigkeit zum Aufbau emotionaler Bindungen sei bei Neugeboren schon vorhanden und bleibe das gesamte Leben bestehen. Neue Bindungen ergänzen eine gesunde Entwicklung.
  • Ein Kind sucht bei Bezugspersonen Schutz und Trost, daher bleibt es bei ihnen in Reichweite"(Konzept des Bindungsverhaltens").
  • Die Umwelt wird erkundet, Kontakte zu Gleichaltrigen werden aufgenommen. Dieses verhalten ist antithetisch zum Bindungsverhalten, wobei eine vorübergehende Trennung von der Bezugsperson ohne Leid ertragen wird.
Nach BOWLBY gibt es drei verschiedene Bindungsmuster.

  • Das Bindungsmuster mit gesunder Entwicklung, bei dem die Eltern bzw. Elternersatzpersonen verfügbar, feinfühlig und hilfsbereit sind, erzieht ein Kind, das sich sicher fühlt und den Anforderungen gewachsen ist.
  • Das zweite Muster ist eine unsichere-ambivalente Bindung mit Kindern, die Hilfe suchen. Auf Grund der Unsicherheit gibt es eine Neigung zu Trennungs- und Erkundungsängsten.
  • Das dritte Muster ist die unsichere vermeidende Bindung, in der Kinder kein vertrauen auf Unterstützung besitzen und Zurückweisung erwarten. Hier kann es zu einem Leben ohne Liebe und Unterstützung anderer kommen.
Von Interesse ist die empirisch verifizierte Tatsache, dass Bindungslosigkeit häufig zu Orientierungslosigkeit führt, wodurch sich die Frage nach schulpädagogischen Maßnahmen stellt.

23.2 Theorie der Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit    

Die Grundlage für den Ansatz von KOHLBERG (1996) gliedern sich in drei Kriterien.

  • Ein verhaltensbezogenes Kriterium betrifft den Widerstand gegen eine Versuchung. Das Individuum führt auf Grund innerer Widerstände eine vielleicht gewünschte Handlung nicht aus (vgl. Schwindeln bei Schularbeiten/ Klausuren).
  • Ein weiteres Kriterium, das für eine Internalisierung moralsicher Standards spreche, sei das Gefühl der Schuld. Bei der Verletzung kultureller Normen empfindet man Reue, Angst oder Schuld. Auch Lerntheorien, die sich mit dem Gewissen beschäftigen, sehen im Schuldgefühl das Motiv für Moralität einer Person. Ein Kind/ Heranwachsender würde sich moralisch verhalten, um Schuld zu vermeiden.
  • In der Folge des dritten Kriteriums soll es bei Verletzungen der kulturellen Norm zur Ausbildung einer Urteilsfähigkeit kommen, wobei diese auch begründet werden soll (vgl. KOHLBERG 1996, 7-40, bes.8).
Die einzelnen Entwicklungsstufen sind als invariante Sequenzen zu verstehen. Dies bedeutet das schrittweise Durchlaufen der Stufen, wobei dies sich in unterschiedlichen Zeitabständen vollziehen kann.

Moralische Urteilsfähigkeit ist pädagogisch beeinflussbar.

23.3 Anomietheorie    

Emile DURKHEIM (1897) schrieb in seinem Buch "Der Selbstmord" über die Gesellschaft, dass sie Denken und Handeln stark beansprucht. Die Macht bestimmt sie (vgl. DURKHEIM 1897/1997, 273).

Mit Anomie wird der Zustand gesellschaftlicher Regel- und Normlosigkeit beschrieben, wobei unzureichende Interaktionen vorhanden sind. In einer Erweiterung der Theorie wird auch von einem Zusammenbruch der Kulturordnung infolge einer Auseinanderentwicklung von kulturellen Werten und Zielen sowie sozialen Möglichkeiten gesprochen. Von einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit abweichenden und illegitimen Verhaltens ist auszugehen (vgl. den Bildungsauftrag der Interkulturellen Kompetenz zur Erhaltung und Festigung von Normen, Werten und der Kulturordnung).

Die Begriffe Globalisierung und Individualisierung sowie Toleranz, Ambiguitätstoleranz, Solidarität, Respekt und Wertschätzung in einer inter- bzw. transkulturellen Gesellschaft mit Migrationsströmen weisen auf einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel hin.

Der gesellschaftliche Wandel zeigt sich im Zusammenbruch politischer Systeme, in der Globalisierung von Kapital und Kommunikation, in der Massenarbeitslosigkeit, in kulturell-religiösen und ethnischen Auseinandersetzungen und in Gewaltphänomenen.

DURKHEIMs Erkenntnis einer Lockerung sozialer Kräfte im Kontext einer Schwächung bzw. Untergrabung von Verbindlichkeiten, Werten und Normen ergibt pädagogische Konsequenzen der sozialen Einbindung intermediärer Institutionen, wie es Bildungsinstitutionen sind und einer Sicherung universaler moralischer Standards.

Politische Bildung reagierte mit moralischen Standards in der "moral education" (vgl. FELLSCHES 1977, 200-214).

23.4 Demokratietheorie    

Im Vergleich zu den bisherigen theoretischen Ansätzen gibt es mehrere Demokratietheorien, wobei die direkte und dialogische Demokratie referiert werden.

23.4.1 Direkte Demokratie    

"Demokratie ist ein Gemeinwesen zu nennen, das unter Anerkennung der Würde der Menschen allen Bürgerinnen und Bürgern die gleiche politische und soziale Freiheit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit gewährleistet und dafür die wirtschaftlichen und bildungsmäßigen Voraussetzungen schafft, alle öffentlichen Entscheidungen dem Willen der jeweiligen Mehrheit unterwirft, dem Volk selbst die Legitimation der rechtsstaatlichen Verfassungsorgane überlässt und seine Selbstregierung darüber hinaus durch Volksbegehren und Volksentscheid ermöglicht" (NEUMANN 1998, 69).

Geht man von diesem Demokratiebegriff aus, so sind Mitentscheidungen und Mitverantwortung der Lernenden konsequent und eine Lehrerinnenbildung gefordert. Politische Bildung in den Lehrer_innenbildungsinstitutionen ist um eine Facette der Aus-, Fort- und Weiterbildung reicher, denn es geht auch um die Praktizierung demokratischer Verhaltensweisen.

Zu vermerken ist aktuell ein Defizit der Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft und das Abschieben der Thematik an die Politikwissenschaft (vgl. den Universitätslehrgang für Politische Bildung). Die Lehramtsausbildung für das Schulfach "Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung" deckt lediglich die fachdidaktische Komponente des Zusatzes "Politische Bildung" zum Fach ab, d.h. einen Kontext zur Geschichte. In der Allgemeinen Erwachsenenbildung laufen Bemühungen zu einer Aufwertung, wobei eine entsprechende Fachbildung für Erwachsenenbildner fehlt.

23.4.2 Dialogische Demokratie    

Die dialogische Demokratie geht von liberalen und deliberativen Demokratie aus (vgl. GIDDENS 1997, 160).

  • Liberale Demokratien sind gekennzeichnet durch viele Institutionen mit fragwürdigen Werten, die zu immer mehr Ablehnung mit ihren Funktionären führen.
  • Deliberative Demokratien entwickeln sich dagegen prozessartig mit mehreren Antworten auf politische Fragen. Transparenz hilft und verschafft mehr Legitimität. Es kommt zu einem offenen Dialog.
GIDDENS vertritt die Ansicht, dass dialogische Demokratien in Bereichen außerhalb der offiziellen Politik und bürokratischer Institutionen sich zu etablieren begonnen haben. Als Beispiele nennt er die neue Qualität familiärer Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, die Ausbreitung sozialer Bewegungen und Selbsthilfegruppen sowie in der Organisationsentwicklung die Strukturen einer Dezentralisierung, Flexibilisierung und Verantwortungsverlagerung nach unten. Folgerichtig ergeben sich für die Politische Bildung

  • Verantwortung für sich und andere tragen,
  • Ausgestaltung sozialer Beziehungen und
  • Übernahme struktureller Organisation.
Voraussetzung sind demokratische Umgangsformen und eine Etablierung demokratischer Grundsätze, die sich durch Direktheit und Dialog auszeichnen.

23.5 Frauenpolitische Ziele in der Lehrerbildung    

Frauen spielen in der Lehrerbildung und in vielen Lehrerkollegien eine Rolle. Oftmals sind mehrheitlich Frauen an Schulen tätig, die Schulleitungen und die Schulaufsicht sind ebenfalls mit Frauen besetzt. In der Schulverwaltung werden hohe Leitungsfunktionen häufig von Männern ausgeübt.

In der Beruflichen Erwachsenenbildung sind Funktionen der Lehre überwiegend von Männern besetzt, in der Allgemeinen Erwachsenenbildung teilweise gleichwertig aufgeteilt. Dies ist auf Faktoren zurückzuführen, die auf Politische Bildung hinweisen.

Emanzipatorische Zielsetzungen in Österreich begründen sich mit der Einrichtung eines Frauenministeriums in den siebziger Jahren und der regelmäßigen Veröffentlichung von Frauenberichten.

  • Für Schulen und ihre Lehrerbildung gilt, dass es geboten ist, den hohen Anteil weiblicher Lehrkräfte an Grundschulen zu reduzieren und männliche Lehrkräfte zu erhöhen. Laufbahnrechtliche Änderungen bei APS - Lehrenden am Beginn ihrer Berufslaufbahn könnten pädagogische Intentionen zur Verbesserung schulischer Situationen unterstützen.
  • Für die Erwachsenenbildung gilt der umgekehrte Fall in der Lehre, wobei generell die Erwachsenenpädagogik förderungswürdig erscheint.
24 Reflexion    

Der Beitrag umfasst einen Einblick in die Rolle von Bildungsinstitutionen - mit Schwerpunkt der allgemein bildenden Pflichtschule mit Grundschule, Mittelschule und der Polytechnischen Schule - in einen Bereich, der international lang schon von Interesse, national aber wenig Beachtung findet (vgl. OLWEUS 1996).

Zudem bedarf es einer genaueren Analyse von Aspekten für eine zeitgemäße Politische Bildung. Als Teilbereich ist Menschenrechtserziehung ein Themenbereich mit komplexen Situationen von Gewaltphänomenen, Lösungsansätzen und einer wenig in Österreich ausgebildeten Friedenspädagogik.

Aktuelle Anlässe für den Themenbereich sind die Ereignisse um die Fußball - EM in Frankreich (Randale von Hooligans) und das Massaker von Orlando mit 50 Toten (Stand Juni 2016).

Lehrerinnenbildung ist mehr den je eine Notwendigkeit in Politischer Bildung, im Kontext mit Menschenrechts- und Friedenspädagogik in Ausbildungsformen des Lehramts und Formen für Lehrende in der Allgemeinen Erwachsenenbildung.

Aktiviert ist die Thematik in der Schule durch einen Beitrag von ZEIT ONLINE vom 26. Februar 2016/ Österreich - Ausgabe "Mobbing: Martyrium im Klassenzimmer" > http://www.zeit.de/2016/10/mobbing-schule-oesterreich-alltag.

Zudem erschien in der Schriftenreihe der Bundesanstalt für politische Bildung eine Publikation von Jörg BABEROWSKI zu "Räumen der Gewalt" (2016). Eine Analyse von Gewalt, Wirkung, Zivilisierung, der Moderne und Gewalt, anonymer Gewalt und der Anthropologie von Gewalt ist unabdingbar. Erst dann wird man über Präventionsmaßnahmen im größeren Rahmen nachdenken können.

Wer sich mit Politischer Bildung im Kontext mit Menschenrechtserziehung beschäftigt und in der {APS-Lehrer innenbildung}? stand bzw. in der universitären Lehramtsausbildung steht und Politische Bildung in der Allgemeinen Erwachsenenbildung betreibt, erkennt ein zutiefst pädagogisches Anliegen, das vermehrt Anstrengungen schulintern (Schulentwicklung) und in der Lehrer_innenbildung anzeigt (vgl. ausführlich zur Lehrerbildung DICHATSCHEK 2005, 357-367).

  • Keine Bildungsinstitution kann sich heute der Thematik von körperlichen, psychischen und verbalen Übergriffen auf Lernende (und Lehrende) entziehen.
  • Es scheint, dass in unserer Gesellschaft Gewalt als Phänomen als eine fixe Konstante vorhanden ist. Allerdings wird der Begriff heute differenzierter aufgeschlüsselt. Im Kontext mit Gewaltprävention wird Bildung und ihre Institutionen von der Öffentlichkeit und damit den Bezugswissenschaften in Verbindung gebracht.
  • Schule als Ort zentraler Bildung wird als eine besonders geeignete Institution für Gewaltprävention angesehen.
  • Die Vorbeugung gegen inakzeptable Gewaltformen schon bei Kindern und Jugendlichen beginnt bei der Intensivierung der individuellen Förderung der Leistungen der Lernenden und der klaren Umgangsformen innerhalb einer von Lehrenden und der Schülerschaft miteinander abgestimmten Schulkultur (vgl. HURRELMANN - BRÜNDEL 2007, 8).
  • In der Folge zeigen sich die Phänomene von Gewalt bzw. der Notwendigkeit von Gewaltprävention in allen Teilbereichen der Gesellschaft und gesellschaftlichen Umständen wie der Politik, Ökonomie, Kultur, Religion, Ethik und Geschlechterrollen.
  • Gefordert sind auf der gemeinschaftlichen Ebene neben allen Bildungsinstitutionen Familien, Vereine, sozial-kulturell-religiöse Gruppierungen, Medien und letztlich die Gesamtgesellschaft.
  • Gewaltprävention gelingt dann am besten, wenn Institutionen gut vernetzt sind, innere Strukturen mit äußeren Angeboten abgestimmt sind und eine enge Zusammenarbeit ermöglicht wird. Als Netzwerkangebot wurde 2002 dieses "Netzwerk gegen Gewalt" begründet, das sich heute auch als "Netzwerk zur Bildung" versteht.
Für die Kinder- und Jugendarbeit, in der Folge eine notwendige Elternarbeit und Lehrerinnenbildung, bedeutet Gewaltprävention das Setzen von Handlungen und Maßnahmen, um Fehlverhalten zu vermeiden. Dabei wird unterschieden zwischen

  • Primärprävention (bevor es zu Schädigungen kommt),
  • Sekundärprävention (Reduzierung von Gewalt und deren Beendigung) und
  • Tertiärprävention (nach der Beendigung von Gewalt und einer Verhinderung neuerlicher Gewalt).
Pressehinweis

Marian Smetana "Jeder Zweite wird gemobbt". Beschimpfungen, Prügel und Erniedrigung. Eine neue Untersuchung bringt Erschütterndes über Mobbing ans Tageslicht. Warum belästigen Schüler andere?, in: Salzburger Nachrichten, 27. August 2015, 10

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Zum Autor    

APS - Lehramt (VS - HS - PL 1970, 1975, 1976), zertifizierter Schülerberater (1975) und Schulentwicklungsberater (1999), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschulrat für Tirol (1993-2002)

Absolvent Höhere Bundeslehranstalt für alpenländische Landwirtschaft Ursprung - Klessheim/ Reifeprüfung, Maturantenlehrgang der Lehrerbildungsanstalt Innsbruck/ Reifeprüfung - Studium Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), 1. Lehrgang Ökumene - Kardinal König Akademie/ Wien/ Zertifizierung (2006); 10. Universitätslehrgang Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ MSc (2008), Weiterbildungsakademie Österreich/ Wien/ Diplome (2010), 6. Universitätslehrgang Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), 4. Interner Lehrgang Hochschuldidaktik/ Universität Salzburg/ Zertifizierung (2016) - Fernstudium Grundkurs Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2018), Fernstudium Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Lehrbeauftragter Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung VO - SE (1990-2011), Fachbereich Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung - SE Didaktik der Politischen Bildung (2026-2017)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche Österreich (2000-2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019) - Kursleiter der VHSn Salzburg Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg/ "Freude an Bildung" - Politische Bildung (2012 - 2019) und VHS Tirol/ Grundwissen Politische Bildung (2024)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 23. August 2024