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Menschenbilder

Beiträge Kulturell - religiöse Kompetenz 3    

Menschenbilder - Menschenrechte    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Beiträge Kulturell - religiöse Kompetenz 3   
Menschenbilder - Menschenrechte   
Vorbemerkung   
TEIL I Menschenbilder   
Aspekte einer Ideengeschichte   
1.1 Aspekte einer Geschichte der Religionen   
1.2 Christentum   
1.3 Säkulare Strömungen   
1.3.1 Französische Revolution   
1.3.2 19. und 20. Jahrhundert   
2 Menschenbild des Nationalsozialismus   
2.1 Doktrin einer "Erneuerung"   
2.2 Organisation des Alltags   
3 Menschenbild des Sowjetkommunismus   
4 Revolutionäres Bewusstsein - Ernesto Che Guevara   
4.1 Sozial - revolutionäres Konzept   
4.2 Politisch - revolutionäres Konzept   
4.3 Studentische Protestbewegung   
5 Human Enhancement   
5.1 Human Enhancement   
5.2 Transhumane Pfade   
5.2.1 Designerbabies   
5.2.2 Cyborgs   
5.2.3 Uploads   
5.2.4 Gesellschaftliche Aspekte   
6 Selbstoptimierung im Neoliberalismus   
6.1 Veränderungsprozesse   
6.2 Gouvernementalität   
6.3 Handlungsfelder einer Selbstoptimierung   
7 Digitalisierung des Menschenbildes   
7.1 Änderung des Menschenbildes   
7.2 Der Mensch als Objekt   
7.2.1 Aspekte der Politischen Bildung   
7.2.2 Ökonomische Aspekte   
Reflexion   
IT - Autorenbeiträge   
Literaturverzeichnis Menschenbilder   
TEIL II Menschenrechte   
1 Naturrecht   
2 Menschenrechtssystem   
2.2 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte UNO   
2.3 Menschenrechte im Europarat   
2.4 Menschenrechtsrat   
Quellen   
Zum Autor   

Vorbemerkung    

Die Idee, dass der Mensch sich zum Besseren und damit zu etwas Neuem findet, gibt es bereits in der früheren Religionsgeschichte. Über das Christentum hat die Idee in die säkularisierte Moderne gefunden (vgl. ABU AYYASH -FRIEDEL - PIEPENBRINK - SEIBRING 2018, 8; BRIEF DES PAULUS AN DIE EPHESER 4,22-24).

Schwerpunkt des Diskurses über Menschenbilder und einen neuen Menschen finden sich Ende des 19. und im 20. Jahrhundert. Ziel sind neue Sozialutopien.

Im Faschismus und Sowjetkommunismus radikalisieren sich die Ideen und Vorstellungen, gehen bis zur Ausgrenzung und Vernichtung minderwertig betrachteter Menschen.

In der Studentenbewegung der westlichen Industriestaaten findet die Konzeption von Ernesto "Che" Guevara Anhänger.

Mit der Wende 1989/1990 schien ein Ende des Diskurses sich anzubahnen."Neuroenhancement" versucht, Leistungen medizinisch zu steigern. Die Kontroverse Leistungsprinzip vs. Sozialprinzip wird reaktiviert.

Sozialtechnologie wie Erziehung und Politik werden durch Sachtechnologien wie Digitalisierung oder genetische Modifikationen verdrängt. Die Digitalisierung bewirkt eine räumliche Ausdehnung durch technische Geräte. Humanistische Zukunftsvorstellungen richten sich an biotechnologische Eingriffe in den Körper des Menschen. Ziel ist der "homo superior".

Im Kontext vom sozialen System und den verfügbaren Technologien stehen die Menschrechte und die Institutionen.

TEIL I Menschenbilder    

Aspekte einer Ideengeschichte    

Die Idee von Menschenbildern ist uralt. Menschen haben immer schon an Neu - Sein bzw. Anders - Sein gestrebt, kennzeichnend dafür waren Hoffnungsziele und Heilsversprechungen.

Anthropologische Voraussetzungen begründen dies (vgl. KÜENZLEN 1997, 25-40; 2018, 13).

  • Der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Selbsttransdendenz, also der Fähigkeit, sich zu sich selbst zu verhalten.
  • In dieser Fähigkeit, die Frage nach sich selbst zu stellen, ist die Suche nach einem Anders- und Neu - Sein, nach einem Neuen Menschen, begründet. In der Kulturgeschichte hat ihn diese Frage immer begleitet.
  • Es geht um ein umformendes Geschehen im menschlichen Sein.
1.1 Aspekte einer Geschichte der Religionen    

Religionsgeschichte war immer eine Geschichte nach einem Streben nach einem neuen Menschenbild. Den Gläubigen ging es um einen neuen Daseinszustand, der augenblicklich bzw. auf Dauer erstrebt oder erlebt wurde. Zu beobachten war dies etwa in

  • der Heldenverehrung, in der Gemeinschaft von Kriegern,
  • in einer Kultgemeinschaft, im Gebet oder in Verehrungsgewohnheiten von Göttern,
  • in Sakramentalsbräuchen, Weihefeiern und wichtigen Abschnitten des Gemeinschaftslebens oder
  • in Initiationsriten, im Streben nach einer persönlichen Prüfung nach einem neuen Wesen.
1.2 Christentum    

Die neuzeitlich - abendländische Kultur ist ohne die christliche Herkunft nicht zu verstehen. Mit der christlichen Herkunftsgeschichte ist die Vorstellung nach einem neuen Menschenbild verbunden.

  • Bereits der Glaube im Urchristentum bestimmte ein neues Menschenbild, etwa in Christus als Neuen Menschen.
  • Christliche Verkündigung verheißt ein Kommen eines neuen Menschen und einer neuen Gesellschaft. Die urchristliche Gemeinde lebte von der Zukunft her.
  • Geblieben ist das christliche Verständnis vom Neuen Menschen, von Verheißung und Erfüllung, vom Streben nach Einsicht (vgl. Martin LUTHER mit seiner Formulierung "Wir sollen Menschen und nicht Gott sein: das ist die summa!"; KÜENZLEN 2018, 16).
1.3 Säkulare Strömungen    

1.3.1 Französische Revolution    

In den Revolutionswirren nach 1789 beschreibt der Marquis de Condorcet den Kern der Idee den Menschenbildes mit der Freiheit des Menschen, den Wegen der Wahrheit, Tugend und des Glücks, seinen Rechten und der Würde seiner Natur.

  • Dies kann als Bekenntnis zu einem säkularen Glauben bzw. Grundsatz verstanden werden.
  • Dazu kommt der Glaube an die Wissenschaft.
Geistes- und Sozialwissenschaften erforschen die Verhaltensweisen vom Menschen.

Zu ergänzen ist der Glaube an die Politik,

  • das Bekenntnis durch politisches Handeln menschliches Dasein zu sichern und zu verbessern sowie das Heil des Menschen zu verwirklichen (vgl. die Macht der Revolution; die Bedeutung von Proletariat, Nation, Volk und später "Rasse"). Es geht um eine diesseitige Realisation.
  • Das Menschenbild wird durch gesellschaftliches Handeln gedacht.
1.3.2 19. und 20. Jahrhundert    

Revolutionäre Bewegungen des 19. und besonders des 20. Jahrhunderts sind von neuen Menschenbildern bzw. einem neuen Menschentypus angetrieben. Die folgenden Beispiele zeigen die unterschiedlichen ideellen und ideologischen Kontexte.

2 Menschenbild des Nationalsozialismus    

Die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, nach Autonomie, Abenteuern und Erlebnissen erfasste zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele junge Menschen in Deutschland. Der Übergang vom Kaisertum zur demokratischen Republik lässt sich an Gemeinsamkeiten festmachen.

  • Eine geradezu religiöse Erhöhung, wie es KÜENZLEN ausführt, erfährt die Bedeutung der Gemeinschaft, der Körperkult, die Vorstellung eines Führers, Hingabe, Pflichtbewusstsein und Wahrheitswille.
  • Nach der Wandervogelbewegung und des Freideutschtums kam es in einer bündischen Phase zu strafferen Bewegungen mit militärischen Gruppenformen. Ziele der Bündischen Jugend deckten sich mit denen der Hitlerjugend (vgl. völkisches Denken, Führertum, Gefolgschaft).
2.1 Doktrin einer "Erneuerung"    

Mit der nationalsozialistischen Doktrin einer "Erneuerung" kam es zu rassistischen Grundannahmen, etwa einer sozial-biologischen Unterscheidung von Menschen nach ihrer Herkunft und Wertigkeit mit einem unterschiedlichen Anspruch auf ein Leben, der Fiktion einer erbbiologisch gesunden Volksgemeinschaft, der Vorstellung einer auf Führer-Gefolgschaft? vorhandenen Volksordnung und dem Anspruch eines "Herrenvolkes" auf "Lebensraum".

Daraus resultierten in der Folge Erziehungsgrundsätze die die Erhaltung und Pflege der besten rassischen Elemente, deren Züchtung zu wertvollen Gliedern sowie die Neubewertung einer geistigen, körperlichen und charakterlichen Erziehung (vgl. KNOPP 1999, PIPER 2018).

  • Die staatliche Erziehung der Schule war ausgerichtet auf die Doktrin des Nationalsozialismus. Nachschulische Erziehung gipfelte für die männliche Jugend in militärischer Ausbildung.
  • Ausdrucks- und Interaktionsformen wie Paraden, Demonstrationen und Rituale wurden in verschiedene gesellschaftliche Bereiche getrennt (Militär, Arbeiterbewegung, Kirche, Werbung).
  • Die Muster dienten in der Folge anderen Organisationen mit einem politisch-ideologischen Anspruch, etwa der Hitler -Jugend (HJ), dem Bund Deutscher Mädel(BDM) und dem Reichsarbeitsdienst (RAD).
2.2 Organisation des Alltags    

In allen Bereichen wurde das Leben des Einzelnen organisiert.

  • Dies umfasste die Sozialisation der Kinder und der Heranwachsenden mit dem Alleinvertretungsanspruch in der Erziehung durch den Staat bzw. die Partei, durch die Aufnahme in der Folge in den Verband des Jungvolkes bzw. der Jungmädel, in die HJ und dem BDM. 1939 kam es zur Bildung von Sondereinheiten, etwa die Marine - HJ, die Motor - HJ, die Flieger - HJ und Nachrichten - HJ.
  • Ebenso wurde das Leben der Erwachsenen durch den Staat bzw. die Partei organisiert, etwa in der Parteimitgliedschaft, in Aktionen der Partei und in der rigorosen Kontrolle im Alltag und Berufsleben.
Der Einzelne war von einem Netz von Organisationen umgeben.

  • Die Ausbildung individueller Identität wurde verhindert.
  • Alle Menschen sollten "gleichgeschaltet" werden.
3 Menschenbild des Sowjetkommunismus    

Auch die Revolution von 1917 in der kommenden Sowjetunion und in der westeuropäischen Arbeiterbewegung hatte als Ziel ein neues Menschenbild'.

  • Bereits in Dostojewskis "Dämonen" (1872) zeigten sich Motive eines sozialpolitischen Umbruchs, entstanden aus dem unterdrückten und ungebildeten Volk (vgl. TETZNER 2013).
    • In der Gestalt des jungen Ingenieurs Kirillow - als Vorläufer eines neuen Menschenbildes - wird in der "Vernichtung Gottes" der Weg zum "Neuen Menschen" bereitet.
    • Bereits die russischen Vorrevolutionäre übernahmen die Verknüpfung von ethischem Rigorismus und revolutionärer Praxis (vgl. HARING 2018, 32-33).
Andrej SINJAWKIJ (1989, 19-25) beschreibt die ersten Jahre nach der Revolution, etwa die Laufbahnen jenseits der Klassenstrukturen, allgemeines Angebot von Bildung, Kunst der Futuristen und Wert an sich. Der Sowjetmensch ist mit dem Begriff Überlegenheit verbunden.

Abgelöst wird die Aristokratie vom Bolschewismus.

  • Die Bolschewiki bilden das neue Menschenbild.
  • Wichtig ist das, was im Klassenkampf dem Proletariat hilft (vgl. FIGES 2008, 82).
Die Sozialisierung des Kindes bedeutete, eine rationale Liebe mit einer erweiterten sozialen Familie einzusetzen.

  • Vermittelt wird dies durch die Pioniere und den Komsomol.
  • Im Erwachsenenleben geschah dies durch Arbeitskommunen und neue technische Berufe für den Aufbau eines Industriestaates, immer im Kontext der Lehre des Marxismus - Leninismus.
4 Revolutionäres Bewusstsein - Ernesto Che Guevara    

Als begabter Taktiker des Guerillakrieges gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista und Begleiter von Fidel Castro entwickelte er eine eigene Vision für die Zeit nach der Revolution in Kuba und wurde nach seinem Tod zur Ikone der weltweiten Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre. Er verkörpert bis heute den sozialrevolutionären Typ (vgl. JUCHLER 2018, 67-80).

4.1 Sozial - revolutionäres Konzept    

Neben einem Entwurf als Theoretiker der kubanischen Revolution im militärischen Bereich entwirft Guevara ein wirtschaftspolitisches Konzept in Verbindung mit der Konzeption eines neuen Menschenbildes.

  • Angestrebt wird ein Finanzierungssystem mit Unternehmen als Konglomerat von Fabriken und Produktionseinheiten mit gemeinsamen Bestimmungen.
  • Das Geld/Kapital gilt lediglich der Kontrolle.
  • Die Unternehmen verfügen über eigene Fonds bei Banken. Es gibt eine staatliche Verfügungsgewalt.
  • Unternehmen unterliegen einer zeitlichen Arbeitsnorm, ein egalitärer Zeitlohn kann bezahlt werden.
  • In einem gewissen Zweitraum verdient jeder den gleichen Lohn, unabhängig von der Art der Tätigkeit.
  • An die Stelle des materiellen Anreizes ist ein moralischer Anreiz erforderlich, als Erfüllung der vom Plan vorgegebenen Arbeitsnormen.
Das zentralisierte Planungssystem bzw. Finanzierungssystem scheitert letztlich an unrealistischen Planzielen, wirtschaftlicher Desorganisation und dem Absinken einer Arbeitsproduktivität.

4.2 Politisch - revolutionäres Konzept    

Die folgenden Aspekte in einem Brief an einen Freund gelten als politisches Vermächtnis (vgl. JUCHLER 2018, 69).

  • Der Guerillakampf galt als Pflicht (vgl. die altruistische Haltung Moral der Kämpfer).
  • In der Haltung der Kämpfer war bereits der Mensch der Zukunft zu erkennen.
Ziel sei ein neues Bewusstsein zu erzeugen. Das derzeitige Bewusstsein sei noch vom feudalen kapitalistischen System korrumpiert. Für ein neues Bewusstsein soll das Volk in bestimmter Weise erzogen werden.

  • Vor allem sollte dies in der Arbeitsstelle bzw. im Produktionsprozess geschehen.
  • Die revolutionären Führer sind Lehrer und Beispiel.
  • Im Prinzip sei der Neue Mensch ein Guerillero in ziviler Kleidung.
4.3 Studentische Protestbewegung    

Für die studentische Protestbewegung der westlichen Industriestaaten war die Selbststilisierung Guevaras als säkularer Heilsbringer für die Dritte Welt entscheidend.

Die historische Parallele in der Faszination bestimmter Intellektueller in Europa und Nordamerika liegt in den Anstrengungen zur Verwirklichung eines neuen Menschenbildes in der Sowjetunion der zwanziger und dreißiger Jahre.

5 Human Enhancement    

Den zeitgemäßen Ausdruck eines neuen Menschenbildes findet in den Sozialutopien der Moderne statt. Kollektive Werte und Normen bilden die Grundlage. Ziel ist eine Wende zum Besseren (vgl. DICKEL 2018, 85-95).

In den Staatsromamen der frühen Neuzeit wurde eine utopische Ordnung noch auf ferne Inselreiche verlagert (vgl. MORUS 2014).

In den Sozialtechnologien der Moderne gelten als Instrumente für neue Menschenbilder politische Maßnahmen und erzieherische Methoden.

  • Erst die Gesellschaft bildet ein neues Menschenbild.
  • Die daraus folgende Erziehung bzw. Bildungsphase bildet den neuen Menschen.
5.1 Human Enhancement    

Mit Francis FUKUYAMA (1999) werden uns Werkzeuge an die Hand gegeben, die uns durch Sachtechnologien Leistungen erbringen können, die durch vergangene Sozialtechnologien nicht gelingen konnten.

Das neue utopische Projekt, von Fukuyana mahnend skizziert, lautet "Human Enhancement", also die Verbesserung des Menschen durch technologische Eingriffe in den Körper wie durch Pharmaka, Implantate, Prothesen, Bio- und Nanotechnologie (vgl. COENEN - GAMMEL - HEIL - WOYKE 2010; zur ethischen Debatte SCHÖNE - SEIFERT/ TALBOT 2009).

  • Enhancement bedeutet den gesundheitlichen Normalzustand zu verändern.
  • Dies bedeutet die Konstruktion von Verbesserungsmöglichkeiten, also etwa ästhetische Eingriffe, leistungssteigernde Pharmaka und Implantate für eine Steigerung menschlicher Fähigkeiten anzuwenden.
5.2 Transhumane Pfade    

Das gegenwärtig körperlich Unmögliche soll technologisch möglich gemacht werden. Im bioethischen Diskurs werden derzeit die drei Pfade Designerbabies, Cyborgs und Uploads behandelt.

5.2.1 Designerbabies    

Das "genome editing" - Methode zum Entfernen, Einfügen und Verändern der DNA - erneuert einen Diskurs über biotechnische Interventionen im Rahmen einer "liberalen Eugenik". Keineswegs muss der genetisch Neue Mensch ein Produkt staatlicher Kollektiventscheidungen sein, vielmehr kann er als ein Produkt einer Vielzahl von elterlichen Entscheidungen gedacht werden.

Bestimmt war die Debatte vom der Idee einer Selektion, in der liberalen Fassung einer Selektion der besseren Nachkommen auf der Basis der Präimplantationsdiagnostik. Durch neue Methoden des genome editing gibt es die Möglichkeit genmanipulativer Eingriffe in die Keimbahn.

Utopisten hoffen und Gegner fürchten, dass in solchen Manipulationstechniken Menschen entstehen, die völlig andere Eigenschaften aufweisen wie der Mensch der Gegenwart.

5.2.2 Cyborgs    

Seit Jahrzehnten ist eine andere transhumane Vision in Diskussion, die Prothesen und Implantate verwendet. Der Zusammenschluss von Bio-, Nano- und Informationstechnologie führt zu Verbesserungsmöglichkeiten, die ein Mensch in seinem Leben nutzen kann.

  • Neuro - Implantate sollen zur Steigerung der Kognition führen.
  • Ein künstliches Auge kann die Sehkraft steigern und Teile des elektromagnetischen Spektrums wahrnehmen.
  • Ein künstliches Ohr kann bisher nicht hörbare Töne vermitteln.
  • Denkbar wäre eine Vernetzung künstlicher Sinnesorgane verschiedener Personen.
  • Bioelektronik könnte dem Körper zusätzliche Kraft verleihen.
Der implantierte Mensch kann schrittweise zum Cyborg werden, ein Hybrid aus Mensch und Maschine (vgl. DICKEL 2016, 101-115).

5.2.3 Uploads    

Eine radikale Form eines neuen Menschenbildes bzw. eines Neuen Menschen bildet die vollständige Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins (Uploading oder Whole Brain Emulation). Die Prämisse geht davon aus, dass sich das Gehirn letztlich als austauschbare Hardware für die Software des Bewusstseins beschreiben lässt. Die Möglichkeit eine Neuroscans scheint gegeben.

Es geht, so die Vorstellung, um eine umfassende Entgrenzung. Der digitale Mensch soll frei von der Biologie seine geistigen Fähigkeiten verbessern und umgestalten können. Er wird so zur sich selbst formenden künstlichen Intelligenz (vgl. KURZWEIL 1999).

5.2.4 Gesellschaftliche Aspekte    

In der Wissenschaft stoßen die drei transhumanen Pfade auf Ablehnung bzw. Skepsis. Ein Paradigmenwechsel von den Naturwissenschaften zum informationstechnischen Denken bzw. ein Umbruch im wissenschaftlichen Weltbild scheint nicht vorhanden zu sein.

Aich wenn das Uploading noch als Phantasie angesehen wird, einige Technikvisionäre sehen diese Technologie in diesem Jahrhundert als Wirklichkeit an. Als der prominenteste Vertreter gilt Ray KURZWEIL, Träger der "National Medal of Technology" und "Director of Engineering" bei Google (vgl. KURZWEIL 1999).

Welche Bedeutung dieser Diskurs besitzt, zeugt sich in den Schlagworten "Industrie 4.0", "Smart Cities", "autonomes Fahren", "künstliche Intelligenz" und "synthetische Biologie".

Im deutschsprachigen Raum ist der Diskurs naturgemäß von der Belastung durch die Eugenik bestimmt (vgl. WEINGART -KROLL - BAYERTZ 1992). Allerdings läuft auch ein Diskurs über "liberale Eugenik" (vgl. HABERMAS 2005).

  • Damit drängt sich die Vorstellung auf, dass Menschenbilder bzw. der Neue Mensch auch ein Produkt der Gesellschaft sind.
  • Dies ist eine Gesellschaft, die als primäres Mittel ihrer Selbstgestaltung und Selbsttransformation begreift (vgl. DICKEL 2018, 95).
6 Selbstoptimierung im Neoliberalismus    

Menschenbilder bedürfen einer prozesshaften Optimierung, demnach kontinuierlich in einem Veränderungsprozess in den verschiedenen Bereichen des Lebens.

6.1 Veränderungsprozesse    

Nicht ein Idealzustand ist anzustreben, vielmehr das Bestmögliche.

  • Individualisierung und Vielfältigkeit sind in kulturelle Wertsysteme, Normen und Wunschbilder eingebettet.
  • Dem Einzelnen ist die Ausformung überlassen, denn es gibt keinen allgemein gültigen Maßstab.
  • Eine Optimierung des Selbst gestaltet sich zumeist Schritt für Schritt in Modifikationen der Varianten der täglichen Lebensführung (vgl. DUTTWEILER 2018, 107).
6.2 Gouvernementalität    

In Anlehnung an die Analysen vom Michel FOUCAULT zur Gouvernementalität (Regierungstechnologie) der Gegenwart zeigen sich die Wünsche und Interessen der Einzelnen mit politischen Zielen (vgl. FOUCAULT 1993, 24-62).

Für die Politischen Bildung sind diese von wesentlicher Bedeutung.

  • Praktiken menschlichen Handelns zielen auf den Zusammenhang von Wissen, Macht und Technologie.
  • Mit "Gouvernementalität" wird der Macht- und Wissenskomplex bezeichnet, in dem die Formen der politischen Regierung auf Formen der Selbstführung zurückgreifen. Der Fokus liegt auf der Führung anderer und der Führung des Selbst. Regierung bedeutet demnach die Verbindung von Selbst- und Fremdführung.
  • Foucault sieht Regierungstechnologien als spezifische Machtbeziehung zwischen Freiheiten und Herrschaftszuständen.
  • Damit man dies umsetzen kann, bedarf es einer Vielfalt von Möglichkeiten. Regierungstechniken in diesem Verständnis beziehen sich nicht nur auf das Politische, vielmehr auch auf die Führung jeder Art einer Institution bzw. eines Unternehmens (vgl. Bildungsinstitutionen, Verwaltung, Betriebe oder Vereine).
  • Gouvernementalität der Gegenwart knüpft an den Liberalismus an, die Freiheit für Markt und Individuum, den Bezug zum Leben des Einzelnen und der Bevölkerung, ihre Sicherheit, der Alters- und Armutsvorsorge (vgl. BRÖCKLING - KRASMANN -LEMKE 2000).
Die Verschiebung zum Neoliberalismus ergibt sich aus dem Verhältnis von Staat und Markt.

  • Bildung, Gesundheit und Soziales werden als Marktgeschehen gefasst.
  • Neoliberale Regierungsrationalität produziert und bezieht sich auf ein Wissen vom Menschen, das ihn als Unternehmer sieht.
  • Die Logik des Unternehmerischen und der Selbstverwirklichung bezieht sich auf das Wissen um eine Menschenführung(vgl. Führung auf Distanz mit Anreiz-, Aktivierungs- und Ermächtigungsprogrammen).
  • Zu sorgen ist folgerichtig sich um die eigene Gesundheit, Sicherheit, Risikominimierung, Armutsvermeidung, Leistungs- und Arbeitsfähigkeit (vgl. LESSENICH 2008).
6.3 Handlungsfelder einer Selbstoptimierung    

Ein Dauerbrenner der Selbstoptimierung ist die Suche nach Glück.

  • Es stellt eine Augenblickserfahrung dar, die nur subjektiv bestimmbar ist. Glück kann alle Bereiche des Lebens umfassen.
  • Es verändert das Menschenbild, indem es die Freiheit und Selbstverwirklichung fördert und zu Selbstvertrauen und sozialer Anerkennung führt.
Das Menschenbild benötigt aber nicht zwingend solche subjektive Momente. Es geht auch mit sanften Eingriffen.

Ein Beispiel dafür ist der Begriff "Wellness".

  • "well being" und "Fitness" ist eine Sehnsuchtsformel geworden.
  • Stress gilt als Antagonist. Hier ist man unfähig, mit negativen Bedingungen zufriedenstellend umgehen zu können.
Die Arbeit an der eigenen Balance an seinem Menschenbild verlangt umfassende Selbstführungskompetenz, also Selbstverantwortung, Freiheit und Entscheidungsfähigkeit.

  • Es bedarf der Verfügung von Ressourcen.
  • Die alltägliche Selbsttechnologie ist gesellschaftlich bedeutend.
  • Das Selbst kann zu einem Modell der Rückkoppelung, Regulation und Optimierung führen.
Solche soziokulturelle Ressourcen sind

  • ökonomisch verwertbar,
  • stellen Momente einer gesellschaftlichen Integration dar und
  • tragen zu einer Selbstbestimmung bei, die politisch, kulturell und ökonomisch einsetzbar ist.
7 Digitalisierung des Menschenbildes    

Die Digitalisierung ist die jüngste Kulturleistung des Menschen. Die Welt des 21. Jahrhunderts' ist von Einrichtungen der Informationstechnologie (IT) im täglichen Leben bestimmt.

  • Alltägliche Einrichtungen werden von Sensoren mit Datenspeicherung bestimmt.
  • Messdatenmengen werden gesammelt, die Umwelt des Menschen wird mit einer Umgebungsintelligenz vernetzt. Menschen werden beobachtet, analysiert und prognostiziert, damit man ihnen immer einen Schritt voraus zu scheinen ist.
  • Die großen Unternehmen der Computerindustrie streben Internetfähigkeit an, präsentieren zunehmend mobile Kleincomputer an und vernetzen die Nutzer (vgl. HOFSTETTER 2018, 135-150).
7.1 Änderung des Menschenbildes    

Die Technik verändert das Menschenbild in einem Ausmaß, das schwer einschätzbar ist.

  • Es vollziehen sich weltweit Umbrüche in der Mobilität, Kommunikation, in den Kulturleistungen und in gesellschaftlichen Normen.
  • Mitunter wird von einem Diktat der Digitalisierung mit einem Verlust der Privatautonomie gesprochen (vgl. HOFSTETTER 2018, 139).
Ein neues technologisches Element stellt das "quantifying" dar, das eine zahlenmäßige Bewertung von Menschen, Gegenständen und Verfahren durchführen kann. Diese Messfühler ergeben eine große Datenmenge.

  • Smartphones sind solche Messinstrumente, die etwa Helligkeit und Schwerkraft messen, mit Kamera, Mikrofon und GPS ausgerüstet und mit Hilfe von Apps Schlaf, Akustik, Blutdruck und Blutzucker messen (können).
  • Manche Beobachter meinen, ein mit Smartphone erweiterter Mensch sei als Cyborg zu bezeichnen.
  • Solche Ausdehnung von Daten erfolgen auch in der virtuellen Welt in Form etwa von Nachrichten, Netzwerken, Fotos, Videoaufnahmen, Geopositionen und sonstigen Aktivitätszeiten.
  • Die Erfassung von Datenströmen sind für Technologiezentren von zentraler Bedeutung für ihre Geschäftsmodelle und erbringen enorme finanzielle Gewinne.
  • Die Zentren erstellen Profile der Nutzer, in der Industrie werden Verbesserungen und neue Produkte entworfen.
Der Mensch soll optimiert werden. Gemeint ist damit die Erfassung und Fusion von menschlichen Daten.

  • Zur Disposition stehen damit die Selbstbestimmung des Einzelnen und eine technologische Steuerung.
  • Diese künstliche Intelligenz wird von so manchem schlimmer als die Kernspaltung angesehen.
7.2 Der Mensch als Objekt    

7.2.1 Aspekte der Politischen Bildung    

Die Menschenwürde zeigt sich in den Freiheitsrechten einer Person. Ein Synonym für die Würde des Menschen ist die Unabhängigkeit. Diese umfasst die Selbstbestimmung.

  • Nur der freie Mensch ist jener, der Demokratie leben kann.
  • Die geisteswissenschaftliche Erkenntnis weit darauf hin, dass der Mensch mehr als eine Maschine ist.
  • Im Dualismus der europäischen Rechtsordnung wird zwischen Rechtssubjekten und Objekten unterschieden.
    • Nur Subjekte, also Personen, können Träger von Rechten und Pflichten sein.
    • Objekte verfügen über keine Rechte und damit gerechte Behandlung.
Diametral steht den digitalen Technologieriesen die Trennschärfe von Person und Sache entgegen.

  • Quantifying ist die technologische Kraft der Digitalisierung.
  • Der Mensch wird zu einem Algorithmus, ein deterministischer vorgeschriebener Handlungsablauf.
  • So gut wie kritiklos werden die Angebote und Geräte genutzt, das Menschenbild der Technologiekonzerne wird legitimiert.
  • Die Angebote sind keinesfalls wertfrei oder neutral. Wer sie nutzt, kauft die Werte von Quantifying, also Überwachung und Technosteuerung mit ein.
7.2.2 Ökonomische Aspekte    

Schon 1961 kritisierte Erich FROMM die Objektivierung des Menschen, die den Menschen zur Ware macht (degradiert) und ausbeutet (vgl. FROMM 1961/1999, 276).

  • Finanzielle Bewertungen des menschlichen Profils sind ein Ausdruck von Markt und Wettbewerb.
  • Mehr Likes, mehr Retweets und mehr Followers steigern den finanziellen Wert des modernen Menschen.
Die Logik des freien Markts ist "Liberty", das zentrale Recht einer Ablehnung staatlicher Einmischung in die Marktdisziplin (vgl. HOFSTETTER 2018, 147-148). Der Neoliberalismus ist ein Kennzeichen für das Menschenbild eines "Kapitalismus ohne Maske" (vgl. CHOMSKI 2006, 9).

Reflexion    

Konstruiert man das Bild eines typischen Mannes in den dreißiger Jahren, wie ihn Sabine HARING (2008 bzw. 2018, 27) schildert - vom Weltkrieg erschüttert, von Ordnung und Gesetz in Form entweder von Kommunismus oder Nationalsozialismus beeinflusst - zeigt sich die Motivation der Suche nach einem neuen Menschenbild.

Die Übernahme der Ideengeschichte bei der Suche nach dem Menschenbild und dessen Konstruktion weist auf Gottfried KÜENZLENs These - als Theologe, Religions- und Kultursoziologe - einer anthropologischen Voraussetzung auf Selbsttranszendenz.

  • Die Suche nach einem neuen Menschenbild bzw. einem "Neuen Menschen" wirkt als Befreiung von Daseinsunsicherheit und Daseinsohnmacht.
  • Wenn das Christentum vom Jenseits ausgeht, so wirken Säkularisierungsprozesse bereits im Diesseits.
    • Nicht länger wird eine Realisierung auf das Jenseits verschoben.
    • Die von der Menschheit konstruierte neue Menschenbildung bzw. der Neue Mensch soll als ein irdisches Wesen entstehen lassen.
Die Suche kann als Reaktion auf eine Krise des 19. und 20. Jahrhunderts interpretiert werden.

Gesellschaftliche Umbrüche im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Phänomenen einer Globalisierung und Digitalisierung lassen neue Menschenbilder entstehen.

Für die Politische Bildung sind unterschiedliche Formen und Interpretationen von Menschenbildern bzw. des Neuen Menschen von wesentlichem Interesse.

IT - Autorenbeiträge    

Die Autorenbeiträge dienen der Ergänzung der Thematik.

Netzwerk gegen Gewalt

http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index:

Politische Bildung

Schule

Erziehung

Interkulturelle Kompetenz

Lernfeld Politik

Globales Lernen

Literaturverzeichnis Menschenbilder    

Angeführt sind jene Titel, die für den Beitrag verwendet und/ oder direkt zitiert werden

Abu Ayyash L./ Friedel A.-S./ Piepenbrink J./ Seibring A. (2018): Der Neue Mensch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10274, Bonn

Bröckling U. - Krasmann S. - Lemke Th. (Hrsg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M.

Chomski N. (2006): Profit Over People - War Against People. Neoliberalismus und globale Weltordnung, Menschenrechte und Schurkenstaaten, München

Coenen Chr. - Gammel St. - Heil R. - Woyke A. (Hrsg.) (2010): Die Debatte über "Human Enhancement". Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld

Dichatschek G. (2017a): Didaktik der Politischen Bildung. Theorie, Praxis und Handlungsfelder der Fachdidaktik der Politischen Bildung, Saarbrücken

Dichatschek G. (2017b): Geschichte und Theorieansätze der politischen Bildung in Österreich. Besondere Berücksichtigung vorberuflicher Bildung im Kontext mit Politischer Bildung, Saarbrücken

Dichatschek G. (2017c): Interkulturalität - Ein Beitrag zur Theorie, Bildung und Handlungsfeldern im Kontext von Interkultureller Öffnung und Politischer Bildung, Saarbrücken

Dickel S. (2016): Utopische Technologien in technologisierten Gesellschaften, in: Liessmann K.P. (Hrsg.): Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren, Wien, 101-115

Dickel S. (2018): Der Neue Mensch . ein (technik) utopisches Upgrade. Der Traum vom Human Enhancement, in: Abbu Ayyash L./ Friedel A.-S./ Piepenbrink J./ Seibring A. (Hrsg.): Der Neue Mensch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10274, Bonn, 85-95

Duttweiler St. (2018): Nicht neu, aber bestmöglich: Alltägliche Selbstoptimierung in neoliberalen Gesellschaften, in: Abbu Ayyash L./ Friedel A.-S./ Piepenbrink J./ Seibring A. (Hrsg.): Der Neue Mensch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10274, Bonn, 107-117

Figes O. (2008): Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland, Berlin

Foucault M. (1993): Technologien des Selbst, in: Luther H.M./ Huck Gutman/ Hutton P.H. (Hrsg.): Technologien des Selbst, Frankfurt/ M., 24-62

Fromm E. (1961): Der moderne Mensch und seine Zukunft, in: Funk R. (Hrsg.) (1999): Erich - Fromm - Gesamtausgabe, 12 Bände, Band XI, München, 276

Fukuyama F.: Bald schon wird die nachmenschliche Zeit beginnen, 19.6.1999 > http://www.welt.de/printwelt/article574272/Bald_schon_wir_die_nachmenschliche_Zeit_beginnen.html

Habermas J. (2005): Die Zukunft der menschlichen Natur - Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt/ M.

Haring S. (2008): Verheißung und Erlösung. Religion und ihre weltlichen Ersatzbildungen in Politik und Wissenschaft, Wien

Haring S. (2018): Der Neue Mensch im Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus, in: Abu Ayyash L./ Friedel A. -S./ Piepenbrink J./ Seibring A. (Hrsg.): Der Neue Mensch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10274, Bonn, 27-37

Hofstetter Y. (2018): Neue Welt. Macht. Neue Menschen. Wie die Digitalisierung das Menschenbild verändert, in: Abu Ayyash L./ Friedel A.-S./ Piepenbrink J./ Seibring A. (Hrsg.): Der Neue Mensch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10274, Bonn, 135-150

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TEIL II Menschenrechte    

Seit der Aufklärung (17./18. Jh.), besonders im Naturrecht, entwickelten sich unveräußerliche Rechte, die jedem Menschen von Geburt an zustehen.

1 Naturrecht    

Lehre, die – im Unterschied zum Rechtspositivismus – die These vertritt, dass man Recht und Moral nicht trennen könne. Etwas ist Recht oder Unrecht, weil es der Natur des Menschen bzw. der natürlichen Vernunft entspreche (deshalb auch »Vernunftrecht«) bzw. widerspreche. Daher gebe es auch Recht, welches gelte, ohne dass es in einem Interner enthalten sein muss.

Im Mittelalter galt die göttliche Ordnung als Maßstab des Rechts. Das Naturrecht ergab sich somit aus der gottgewollten Ordnung.

In der Aufklärung erkannte man dann das Problem, den Inhalt des Naturrechts eindeutig, d. h. unabhängig von persönlichen Standpunkten, zu bestimmen.

Weitgehende Einigkeit besteht aber bis heute hinsichtlich der auf dem Gedanken des Naturrechts beruhenden Radbruch’schen Formel.

Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch hatte diese 1946 mit Blick auf den Nationalsozialismus entwickelt, so etwa bei Gesetzen, die grundlegenden Forderungen der Gerechtigkeit widersprechen, handle es sich nicht um geltendes Recht, sondern um „gesetzliches Unrecht“, dem man den Rechtscharakter absprechen müsse und demgegenüber man keinen Gehorsam schuldig sei. Ob die Radbruchformel etwa auf die Todesschützen an der Berliner Mauer übertragen werden kann, ist umstritten.

2 Menschenrechtssystem    

Das Menschenrechtssystem ist kein abgeschlossenes System sondern unterliegt – als Spiegelbild der gesellschaftlichen Herausforderungen und Werte – einem permanenten Entwicklungsprozess.

18. Jahrhundert: Die Verschriftlichung von Menschenrechten ist z.B. eine der Errungenschaften der Aufklärung: Besonders im Rahmen der Unabhängigkeitsbewegung in Amerika und im Zuge der französischen Revolution wurden die ersten Freiheitsrechte (bürgerliche und politische Rechte) erkämpft und in nationalen Verfassungen festgelegt.

19. Jahrhundert: Das soziale Elend der industriellen Revolution hat dazu geführt, dass zunächst Rechte zum Schutze der Arbeitenden, dann aber auch andere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gefordert und verankert wurden.

20. Jahrhundert: Nach den Gräueln des zweiten Weltkriegs wurde eine neue Weltordnung geschaffen, die künftig menschliche Katastrophen wie den Holocaust verhindern sollte. Unter dem Eindruck des Entsetzens über die Geschehnisse wurde auch damit begonnen, Menschenrechte auch international festzuschreiben und Staaten dazu zu verpflichten, diese einzuhalten.

21. Jahrhundert: Schließlich wurde als Bestandteil des Prozesses der Entkolonialisierung in den sechziger Jahren und aufgrund der zunehmenden Kluft zwischen den Staaten des Nordens und des Südens ein Recht auf Entwicklung und Selbstbestimmung der Völker (kollektive Rechte) gefordert und international festgeschrieben.

2.2 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte UNO    

Menschenrechte in Kürze

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEMR von 1948 ist das wohl bekannteste Menschenrechtsdokument und stellt gleichzeitig auch den Grundstein für den internationalen Menschenrechtsschutz dar. Denn bis zum Zweiten Weltkrieg waren Menschenrechte und der Schutz der Menschenrechte fast ausschliesslich eine Angelegenheit der nationalen Verfassungen, und nur ganz wenige Fragen wurden auf internationaler Ebene geregelt.

Der nationalsozialistische Terror und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges führten jedoch zu einer Wende. Bereits während des Krieges erklärten die gegen Deutschland und seine Verbündeten kämpfenden Alliierten, Bedingungen schaffen zu wollen, damit alle Menschen in Frieden und frei von Furcht und Mangel leben könnten. Deshalb enthält die Charta der 1945 gegründeten Vereinten Nationen den klaren Auftrag an die Staatengemeinschaft, die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundrechte für jedermann zu fördern.

Der wirkliche Durchbruch der Idee der Menschenrechte für alle gelang dann mit der im Dezember 1948 erfolgten Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der UNO. 48 Staaten stimmten für die Erklärung, 8 enthielten sich der Stimme. Vorangegangen war ein zweijähriger Diskussionsprozess in der gerade erst gegründeten UNO-Menschenrechtskommission?, in der die Vertreter/innen von 18 Staaten unter dem Vorsitz der US -Amerikanerin Eleanor Roosevelt tagten. In den Entstehungsprozess flossen zum einen die westliche Tradition von Menschenrechtserklärungen und Grundrechtskatalogen ein, zum andern aber auch neue Akzentsetzungen vor allem im Bereich der Sozialrechte.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist zwar kein juristisch verbindliches Dokument, doch hat sie politisch und moralisch ein sehr grosses Gewicht und gewissen ihrer Garantien kommt heute gewohnheitsrechtlicher Charakter zu. Die AEMR war ausserdem ein wichtiger inhaltlicher Bezugspunkt für die Ausarbeitung der verbindlichen UNO -Menschenrechtskonventionen seit den fünfziger Jahren.

Inhalt der AEMR

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte statuiert bürgerliche, politische und soziale Rechte, die den Menschen um ihrer Würde willen zukommen sollen. In 30 Artikeln werden Garantien zum Schutz der menschlichen Person (Recht auf Leben, Verbot der Sklaverei, Verbot der Folter, Verbot willkürlicher Festnahme und Haft, etc.), Verfahrensrechte (Anspruch auf wirksame Rechtsbehelfe, etc.), klassische Freiheitsrechte wie z.B. die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Eigentumsgarantie oder die Ehefreiheit sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf Arbeit, Recht auf Nahrung und Gesundheit, Recht auf Bildung, etc.) garantiert. Diese Rechte sollen für alle Menschen ungeachtet ihrer Rasse, ihres Geschlechts oder ihrer Nationalität gelten (Art. 2), denn alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren (Art. 1).

Präambel

Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräusserlichen Rechte die...

Artikel 1 – Freiheit, Gleichheit, Solidarität «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste...

Artikel 2 – Verbot der Diskriminierung 1. «Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa...

Artikel 3 – Recht auf Leben und Freiheit «Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.» Erläuterung zu Artikel 3 Das Recht auf Leben ist die...

Artikel 4 – Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels «Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen...

Artikel 5 - Verbot der Folter «Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.» Erläuterung...

Artikel 6 – Anerkennung als Rechtsperson «Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson.» Erläuterung zu Artikel 6 Mit der Bestimmung, dass jeder...

Artikel 7 – Gleichheit vor dem Gesetz «Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf den...

Artikel 8 – Anspruch auf Rechtsschutz «Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen alle Handlungen, die seine ihm...

Artikel 9 – Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Ausweisung «Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.» Erläuterung zu Artikel 9 Jeder...

Artikel 10 – Anspruch auf rechtliches Gehör «Jeder Mensch hat in voller Gleichberechtigung Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem...

Artikel 11 – Unschuldsvermutung; keine Strafe ohne Gesetz 1. «Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem...

Artikel 12 – Schutz der Freiheitssphäre des Einzelnen «Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel noch Angriffen auf seine Ehre...

Artikel 13 – Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit 1. «Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.» 2. «Jeder Mensch...

Artikel 14 – Recht auf Asyl 1. «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu geniessen.» 2. «Dieses Recht kann...

Artikel 15 – Recht auf Staatsangehörigkeit 1. «Jeder Mensch hat Anspruch auf Staatsangehörigkeit.» 2. «Niemand darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich...

Artikel 16 – Ehefreiheit und Schutz der Familie 1. «Heiratsfähige Männer und Frauen haben ohne Beschränkung durch Rasse, Staatsbürgerschaft oder Religion das Recht, eine...

Artikel 17 – Eigentumsgarantie 1. «Jeder Mensch hat allein oder in der Gemeinschaft mit anderen Recht auf Eigentum.» 2. «Niemand darf willkürlich seines...

Artikel 18 – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit «Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine...

Artikel 19 – Meinungs- und Informationsfreiheit «Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und...

Artikel 20 – Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 1. «Jeder Mensch hat das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken.» 2. «Niemand darf gezwungen...

Artikel 21 – Allgemeines und gleiches Wahlrecht; Zulassung zu öffentlichen Ämtern 1. «Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte...

Artikel 22 – Recht auf soziale Sicherheit «Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Massnahmen und...

Artikel 23 – Recht auf Arbeit und gleichen Lohn, Koalitionsfreiheit 1. «Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen...

Artikel 24 – Recht auf Erholung und Freizeit «Jeder Mensch hat Anspruch auf Erholung und Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf periodischen, bezahlten...

Artikel 25 – Recht auf einen angemessenen Lebensstandard 1. «Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschliesslich Nahrung,...

Artikel 26 – Recht auf Bildung, Erziehungsziele, Elternrecht 1. «Jeder Mensch hat Recht auf Bildung. Der Unterricht muss wenigstens in den Elementar- und Grundschulen unentgeltlich sein. Der...

Artikel 27 – Freiheit des Kulturlebens 1. «Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am...

Artikel 28 – Angemessene Sozial- und internationale Ordnung «Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten...

Artikel 29 – Grundpflichten und Einschränkungen 1. «Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit...

Artikel 30 – Auslegungsvorschrift «Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, dass sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person...

2.3 Menschenrechte im Europarat    

Der Schutz der Menschenrechte zählt zu den wichtigsten Anliegen des Europarates. Die größte Errungenschaft in diesem Zusammenhang ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), ein völkerrechtlicher Vertrag, welcher 1950 geschlossen wurde und 1953 in Kraft trat. Bis heute sind alle 46 Mitgliedstaaten des Europarates der Konvention beigetreten. Österreich ist seit 1958 Vertragspartei der EMRK; die Konvention steht in Österreich im Verfassungsrang. Die EMRK schützt wesentliche Rechte und Freiheiten, wie z.B. das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf Privat- und Familienleben, das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit, sowie die Versammlungsfreiheit und das Folterverbot. Mittels verschiedener Protokolle wurden weitere Rechte hinzugefügt und die Todesstrafe geächtet.

Alle Staaten, die der EMRK beigetreten sind, verpflichten sich, die enthaltenen Rechte und Freiheiten gesetzlich zu garantieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überwacht die Einhaltung der Konvention. Einzelpersonen, gleichgültig welcher Nationalität, aber auch Staaten, können, sobald sie alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft haben, beim Gerichtshof Beschwerde einlegen, falls sie Konventionsrechte durch einen Vertragsstaat verletzt sehen. EGMR-Urteile? sind für alle Vertragsstaaten bindend. Demgemäß müssen alle Urteile des Gerichtshofes, in denen eine Menschenrechtsverletzung durch die Republik Österreich festgestellt wurde, in Österreich umgesetzt werden, z.B. durch Schadenersatzzahlungen. Die Urteile des Gerichtshofes dienen der österreichischen Bundesregierung auch als Richtschnur zur weiteren Verbesserung des Menschenrechtsschutzes in Österreich. So werden etwa entsprechende Gesetzesänderungen vorgenommen, oder die Weiterbildung im Justizwesen und in der Exekutive angepasst.

Durch das Anwachsen der Mitgliedstaaten des Europarats auf 46 hat der EMGR mit einer Beschwerdeflut zu kämpfen. Durch einen (laufenden) Reformprozess und vor allem interne Effizienzsteigerungsmaßnahmen des EGMR gelingt es nach und nach, den Rückstau bei der Behandlung von Beschwerden zu bewältigen. Österreich hat sich bei der Reform des Gerichtshofs stets für die Beibehaltung des individuellen Beschwerderechts im vollen Umfang eingesetzt. Eine echte Entlastung ist letztlich nur durch einen Rückgang der Beschwerden aufgrund besserer Erfüllung der menschenrechtlichen Verpflichtungen und raschere Umsetzung der Urteile durch die Staaten zu erwarten.

Neben der EMRK gehören die Europäische Konvention zum Schutz vor Folter und unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe, die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, und die Europäische Sozialcharta und in jüngerer Zeit, Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ("Istanbul-Konvention?") zu den wichtigsten Menschenrechtsverträgen des Europarates. Österreich ist allen diesen Verträgen beigetreten. Mit den Überwachungs- und Überprüfungesmechanismen, die für jeden dieser Verträge bestehen, verfügt der Europarat über ein Arsenal an Instrumenten zum Schutz der Menschenrechte in Europa. Eine zentrale Rolle kommt auch dem/der 1999 geschaffenen Kommissar/in für Menschenrechte zu. Seine/Ihre Aufgabe ist es, Mängel beim Schutz der Menschenrechte zu identifizieren, Mitgliedstaaten bei der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes zu unterstützen und die Öffentlichkeit für Menschenrechte zu sensibilisieren.

2.4 Menschenrechtsrat    

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges riefen im April 1946 die Vereinten Nationen die UN - Menschenrechtskommission (MRK) ins Leben. Die aus 53 Mitgliedstaaten bestehende Kommission hatte die Aufgabe, Menschenrechte zu fördern und zu schützen.

Die Kommission arbeitete zunächst die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus, die im Dezember 1948 verabschiedet wurde. Später wurde das Mandat der MRK schrittweise erweitert: Über Sonderberichterstatter untersuchte sie, wie Menschenrechtsstandards in einzelnen Staaten implementiert wurden; außerdem sprach die Kommission Verurteilungen und Empfehlungen an einzelne UN - Mitgliedstaaten aus, die allerdings rechtlich nicht bindend waren.

Die Arbeit der MRK war zunehmend geprägt durch Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten und dem Vorwurf der Politisierung: Autoritäre Staaten in Asien und Afrika warfen den westlichen Demokratien vor, in Menschenrechtsfragen aufgrund wirtschaftlicher Interessen doppelte Standards anzulegen. Die westlichen Länder warfen den autoritären Staaten wiederum vor, unter dem Vorwand kultureller Besonderheiten Menschenrechtsrelativismus zu betreiben.

Einige Menschenrechtsgruppen kritisierten, das Interesse am Schutz nationaler Interessen würde die Arbeit der Kommission überschatten. Auch Staaten, in denen sich Menschenrechtsverletzungen häuften – beispielsweise der Sudan, Saudi - Arabien und Kuba – blieben Mitglieder der MRK. Als Libyen 2003 ihren Vorsitz übernahm, verlor die Institution weiter an Glaubwürdigkeit. Auf Empfehlung des damaligen UN - Generalsekretärs Kofi Annan beschloss am 15. März 2006 die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 60/251, die Kommission aufzulösen und durch den Menschenrechtsrat (MRR) zu ersetzen.

Der MRR mit Sitz in Genf ist kleiner und soll effektiver sein: Die 47 Mitglieder sind nach dem Prinzip geografischer Ausgewogenheit verteilt: 13 Sitze erhält die Gruppe der afrikanischen Staaten, 13 die der asiatischen Staaten, acht die der lateinamerikanischen und karibischen Staaten, sechs stehen der Gruppe der osteuropäischen Staaten und sieben der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten zur Verfügung. Die Mitglieder werden für je drei Jahre gewählt. Dafür ist eine absolute Mehrheit der Mitgliedstaaten der UN - Generalversammlung erforderlich ; die Mitgliedschaft im MRR kann auf sechs Jahre verlängert werden, für die folgende Amtszeit darf der Mitgliedstaat nicht wiedergewählt werden. Die Generalversammlung kann Mitglieder des Rates suspendieren, falls sie der Ansicht ist, dass diese systematisch und in großem Umfang gegen Menschenrechte verstoßen. So wurde im März 2011 wegen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung Libyens Mitgliedschaft im MRR ausgesetzt.

Der MRR hat ein breites Mandat. Er soll sich für die Verbreitung der Menschenrechte weltweit einsetzen und Ratschläge und Empfehlungen zu deren Umsetzung erteilen, außerdem soll er der Generalversammlung Vorschläge machen, wie menschenrechtliche Normen weiterentwickelt werden können. Wie auch bei der MRK kann der Rat unabhängige Berichterstatter zur Überprüfung der Menschenrechte in bestimmten Staaten einsetzen.

Durch ein neues Verfahren, die "Universal Periodic Review" (UPR), überprüft der MRR, ob die UN - Mitgliedstaaten die Menschenrechte einhalten. Ein "Review" wird auf Grundlage von drei Komponenten erstellt: Informationen, die die untersuchten Staaten selbst zusammentragen, Berichte, die unabhängige Expertinnen und Experten oder Menschenrechtsgremien erstellen und Informationen, die von anderen unabhängigen Akteuren wie Menschenrechtsinstitutionen und NGOs stammen. Im Zeitraum zwischen der Gründung des MRR im März 2006 und Oktober 2011 wurden Berichte über alle 193 UN - Mitgliedstaaten verfasst.

Das Verfahren ist kooperativ und die Empfehlungen des Rates sind nicht verbindlich, es liegt also im Ermessen der Staaten, diese umzusetzen. Die Diskussion der Berichte mit den Staaten sowie deren öffentliche Behandlung erzeugt jedoch Druck auf Staaten, sich mit diesen Empfehlungen auseinanderzusetzen.

Wie seine Vorgängerinstitution, die Menschenrechtskommission, sieht sich auch der MRR mit Kritik an der Zusammensetzung konfrontiert. So kritisierte Human Rights Watch 2013, dass mit der Wahl von China, Russland, Algerien und Saudi - Arabien Staaten in den Rat gewählt worden seien, die zuvor UN - Beobachtern den Zutritt verwehrt hätten. Die unabhängige Beobachterorganisation UN Watch hatte diese und andere Staaten wegen ihrer problematischen Menschenrechtsbilanz und ihrer vergangenen UN - Abstimmungen als nicht - qualifiziert für die Mitgliedschaft bezeichnet. UN Watch kritisierte auch, dass der MRR einige Staaten unverhältnismäßig öfter anmahne als andere. So werde Israel regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert, während gegen China, Russland oder Saudi - Arabien jedoch keine kritische Resolution beschlossen werde.

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https://ishr.ch/ > International Service for Human Rights

https://www.politik-lernen.at/dl/krrOJMJKomlKOJqx4kJK/pa_2023_05_Menschenrechte_web_pdf > polis aktuell 5/ 2023

Stand 7.10.2024

Zum Autor    

APS - Lehramt (VS - HS - PL 1970, 1975, 1976), zertifizierter Schülerberater (1975) und Schulentwicklungsberater (1999), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschulrat für Tirol (1993-2002)

Absolvent Höhere Bundeslehranstalt für alpenländische Landwirtschaft Ursprung - Klessheim/ Reifeprüfung, Maturantenlehrgang der Lehrerbildungsanstalt Innsbruck/ Reifeprüfung - Studium Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), 1. Lehrgang Ökumene - Kardinal König Akademie/ Wien/ Zertifizierung (2006); 10. Universitätslehrgang Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ MSc (2008), Weiterbildungsakademie Österreich/ Wien/ Diplome (2010), 6. Universitätslehrgang Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), 4. Interner Lehrgang Hochschuldidaktik/ Universität Salzburg/ Zertifizierung (2016) - Fernstudium Grundkurs Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2018), Fernstudium Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Lehrbeauftragter Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung VO - SE (1990-2011), Fachbereich Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung - SE Didaktik der Politischen Bildung (2026-2017)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche Österreich (2000-2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019)

Kursleiter der VHSn Salzburg Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg/ "Freude an Bildung" - Politische Bildung (2012 - 2019)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 8. Oktober 2024