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Kolonialismus und Dekolonisierung

Kolonialismus und Dekolonisierung - Rassismus    

Aspekte zur Kolonialherrschaft im Kontext Politischer Bildung und Interkultureller Kompetenz    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Kolonialismus und Dekolonisierung - Rassismus   
Aspekte zur Kolonialherrschaft im Kontext Politischer Bildung und Interkultureller Kompetenz   
Danksagung   
I Kolonialismus - Dekolonialisierung   
Vorbemerkung   
1 Einleitung   
1.1 Edward Said und "Orientalismus"   
1.2 Begriffserklärung   
2 Europäische Expansion - 15. bis 19. Jahrhundert   
2.1 Aufteilung der Welt   
2.2 Form und Intensität kolonialer Herrschaft   
2.3 Atlantische Revolutionen   
2.3.1 Haiti   
2.3.2 Südamerika   
2.4 Abschaffung des Sklavenhandels   
3 Höhepunkt der Kolonialherrschaft - 19. und 20. Jahrhundert   
3.1 Ausdehnung der Kolonialmacht - Afrika und Asien   
3.1.1 Afrika - Kongo-Akte   
3.1.2 Asien   
3.2 Dominion   
3.3 Territorialität - Grenzziehungen   
3.4 Gewalt - Völkerrecht   
3.5 Koloniale Wirtschaftspolitik   
4 Krisen und Niedergang der Kolonialmächte   
4.1 Kolonialrevisionismus   
4.2 Lebensraum in Osten   
4.3 Völkerbund - Dekolonisationskonflikt Irland   
4.3.1 Völkerbund - Selbstbestimmungsrecht   
4.3.2 Dekolonisationskonflikt - Irland   
4.4 Abhängigkeiten kolonialer Mächte   
4.5 Antikolonialer Widerstand   
5 Auflösung europäischer Kolonialimperien - Folgen   
5.1 Zweiter Weltkrieg - Aktionsfeld Kolonien   
5.2 Unabhängigkeitsbewegungen in Asien nach 1945   
5.3 Unabhängigkeitsbewegungen im Nahen und Mittleren Osten - Afrika   
5.3.1 Naher und Mittlerer Osten   
5.3.2 Afrika   
5.4 Folgen einer Dekolonisation für westeuropäische Staaten   
5.4.1 Frankreich   
5.4.2 Portugal   
6 Europäische Integration   
7 EWG/EG und AKP-Staaten   
7.1 Einbindung in die Europäische Gemeinschaft/EWG-EG-EU   
7.2 Weltpolitische Rolle ehemaliger Kolonien - globale Zusammenarbeit   
8 Postkoloniale Migration nach 1945   
9 Interkulturelle Literatur - Hybridität   
9.1 Edward Saids   
9.2 Ranajit Guha - Antonio Gramsci - Michel Foucault   
9.3 Stuart Hall - Gayatri Ch. Spivak   
9.4 Konzept der Hybridität   
9.5 Dipesh Chakrabarty   
10 Buchbesprechung   
11 Reflexion   
11.1 Persönliche Bemerkungen   
11.2 Kritik der Theorie von Kolonialismus und Dekolonisierung   
Literaturverzeichnis   
IT-Autorenbeiträge   
II Rassismus   
12 Vorbemerkung   
13 Begriff und Entwicklung   
13.1 Begriff   
13.2 Historie   
14 Alltagsrassismus   
15 Koloniale Gewalt   
16 Reflexion   
17 Buchbesprechungen   
18 Literaturhinweise   
Zum Autor   

Danksagung    

Wer sich mit der Thematik im Kontext Politischer Bildung und Interkultureller Kompetenz beschäftigt, erkennt den Umfang und die Bedeutung über beide Fachbereiche hinaus.

Zu danken ist den Lehrenden im tertiären Bildungsbereich für Ihre Kompetenz.

Zu danken ist Helmut Leitner für seine technische Hilfestellung bei der Manuskripterstellung.

Für die jahrelange reibungslose Zusammenarbeit danke ich der Autorenbetreuung des Akademikerverlages.

Günther Dichatschek

I Kolonialismus - Dekolonialisierung    

Vorbemerkung    

Europäer haben in langen Geschichtsperioden andere Regionen der Welt erforscht, erobert, beherrscht, besiedelt und ausgebeutet (vgl. VARELA-DHAWAND 2015; izpb 338/2018, 3).

Eigene Wertmaßstäbe wurden als Höherwertigkeit und Überlegenheit, verbunden mit materiellem Nutzen, Macht und Gewalt durchgesetzt.

Wissenschaft, Religion, Recht und Politik dienten der Rechtfertigung für koloniale Landnahme.

Menschenwürde wurde abgesprochen.

Politische, wirtschaftliche und rechtliche Maßnahmen verfestigten über Jahrhunderte Einstellungen, Denkweisen und politische Weichenstellungen bis heute.

Erst in jüngerer Zeit kommt es zu einem Bewusstseinswandel und wissenschaftlichem Interesse an kolonialer Vergangenheit und "Postcolonial" und "Subaltern Studies" (vgl. VARELA-DHAWAN 2015; IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org- Interkulturelle Kompetenz).

Aspekte der Globalisierung, weltweiten Vernetzung und internationaler Zusammenarbeit sowie globalen Migrationsbewegungen in Verbindung mit der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Zusammenhalts ergeben eine Herausforderung für die Politik.

In der Bildungspolitik zeigt sich dies in der vermehrten Bedeutung in Schule und Erwachsenen- bzw. Weiterbildung der Politischen Bildung und Interkulturellen Kompetenz.

Fragestellungen ergeben sich aus der europäischen Expansion und globaler Machtaneignung, Folgewirkungen, Problemlagen und interkultureller Öffnung.

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ergeben sich aus der

  • Absolvierung des Studiums der Erziehungswissenschaft,
  • Absolvierung der Universitätslehrgänge Politische Bildung und Interkulturelle Kompetenz sowie
  • Absolvierung der Weiterbildungsakademie Österreich und des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Comenius-Institut Münster.
  • Die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur ergänzt die Überlegungen (vgl. ALTMANN 2005, KRUKE 2009, SAID 2009, REYBROUCK 2012, JANSEN-OSTERHAMMEL 2013, VARELA-DHAWAN 2015, ZIMMMERER-ZELLER 2016, OSTERHAMMEL-JANSEN 2017, DICHATSCHEK 2017ab, METZLER 2018).
1 Einleitung    

Im Folgenden wird auf Edward SAIDS Studie "Orientalismus" und eine Begriffserklärung eingegangen (vgl. zu Said VARELA-DHAWAN 2015, 91-150).

1.1 Edward Said und "Orientalismus"    

1978 publizierte Edward Said die Studie "Orientalismus", die Kolonialismus und Dekolonisierung in eine andere Perspektive rückte und einen neuen Blick auf die koloniale Vergangenheit präsentierte (vgl. SAID 2009).

  • Wenig Jahre vorher zog sich Portugal aus Angola, Mosambik und Guinea Bissau zurück und beendete eine Epoche, die 1492 mit der Entdeckung Amerikas begann.
  • An diesem Beispiel zeigt sich europäische Expansion, verbunden mit Entdeckerlust, Wissensneugier, militärischer Überlegenheit, wirtschaftlichem Ehrgeiz und missionarischem Antrieb.
  • Positive Aspekte etwa der Einrichtung eines Schulwesens, wissenschaftlicher Einrichtungen und eines zeitgemäßen Gesundheitswesens vs. wirtschaftliche Ausbeutung, soziale und politische Krisen und Verwerfungen weisen auf Kritik des europäischen Kolonialismus.
An diesem Punkt setzt Edward Said an und präsentiert einen neuen Blick auf die koloniale Vergangenheit.

  • Der "Orient" - bei Said der Nahe Osten und die arabische Welt - von Europa unterworfen und ausgebeutet, gab es bei ihm nicht, vielmehr sei der Orient nur ein Konstrukt westlicher Wissenschaft und Literatur.
  • Der Orient, als Raum entworfen von Orientalisten und Islamwissenschaftlern, wird als anders und verschieden von Europa dargestellt.
  • Diesem Raum lässt sich alles zuschreiben, was "Europa" nicht sein soll (etwa irrational, unbeherrscht, exotisch, fanatisch religiös).
  • Als Konstruktion dieser Andersartigkeit hätten die Europäer eine eigene Identität gewonnen und bei Begegnungen mit dem Anderen sich bestätigt und bestärkt gefühlt.
  • Said löste damit dieser These die Grenzen zwischen Europa und den Kolonien auf.
  • Aus dieser Sicht fanden Imperialismus und Kolonialismus in Europa und Außereuropa gleichzeitig statt.
1.2 Begriffserklärung    

Die folgenden Begriffserklärungen dienen einer genaueren Bestimmung des Themenbereichs(vgl. izpb 338/2028, 4-5).

Der Imperialismus ist ein umstrittener Begriff in der politischen Sprache des 20. Jahrhunderts.

  • Für die Politische Bildung bezeichnet der Begriff im allgemeinen und neutralen Sinne eine Machtbeziehung, die über eigene Grenzen hinaus Einfluss auf andere ausübt.
  • Die Bildung von Imperien folgt nicht ethnischen oder kulturellen Kriterien, vielmehr geo-ökonomischen und geo-politischen Interessen.
  • Durchgesetzt werden sie häufig indirekt mit Handelsbeziehungen oder direkt mit militärischen Unternehmungen.
Kolonialismus versteht sich als Spielart von Imperialismus, wobei die Herrschaft über fremde Territorien von Bedeutung ist.

  • Die Herrschaft muss noch mit Besiedelung des neuen Gebietes verbunden sein.
  • OSTERHAMMEL-JANSEN (2017) definieren den Begriff als eine Herrschaftsbeziehung zwischen den Gruppierungen ("Kollektiven"), wobei die wesentlichen Entscheidungen über die Kolonisierten durch eine andersartige und unanpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter externen Interessen getroffen und durchgesetzt wird.
  • Ergänzt wird die Definition durch den Aspekt der Einwirkung europäischer Gesellschaften (vgl. Kolonien als "imperiale Räume" mit Zugehörigkeit bzw. Ausschluss, kulturelle Autonomie, soziale Rechte, politische Teilhabe).
  • Fragen der politischen Freiheitsbewegungen in Europa - man denke an die Französische Revolution - werden in den Kolonien gestellt. Kolonien werden zum "politischen Raum", man denke an die Geltung von Menschenrechten.
Zu betrachten sind demnach im modernen Kolonialismus die Dekolonisation (völkerrechtliches Ende kolonialer Herrschaft) und als langjährige Entwicklung die Dekolonisierung (Ablösungsprozess mit politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Dimension).

Folgen sind etwa vorhandene Rechtsansprüche wie eine Wiedergutmachung oder Rückgabe von "Raubkunst".

2 Europäische Expansion - 15. bis 19. Jahrhundert    

Ab dem 15. Jahrhundert wurde die Neue Welt in Europa von Auswanderungswilligen als Chance für ein besseres Leben und Reichtum angesehen.

  • Privatunternehmer beuten Rohstoffe aus, Sklaven ermöglichen die Beschaffung.
  • Die Handelsschiffahrt gewinnt an Bedeutung.
  • Mit der Französischen Revolution und der Vorstellung universeller Menschenrechte 1789 wird die herrschende Praxis in Frage gestellt (vgl. METZLER 2018, 6-11).
2.1 Aufteilung der Welt    

Der Anspruch europäischer Mächte der Aufteilung der Welt beginnt bereits mit dem Vertrag von Tordesillas 1494 zwischen Spanien und Portugal.

Mit einer Linie auf der Landkarte wurde Nord- und Südamerika, Afrika und Asien aufgeteilt. Den östlichen Teil - Afrika und Asien - sollte Portugal, den westlichen Teil - Mittel- und Südamerika - Spanien erhalten (Ausnahme Brasilien).

Mit fünf Phasen kann diese Ausweitung unterschieden werden.

  • Spanien und Portugal sind zunächst die treibenden Mächte.
  • England, Frankreich und die Niederlande treten mit dem 17. Jahrhundert als Konkurrenten auf.
  • Im 18. und frühen 19. Jahrhundert erfolgt der Aufstieg Großbritanniens als globale Macht.
    • Zu dieser Zeit hatten die Europäer bereits Kolonialreiche - Nordamerika (Großbritannien, Frankreich), Südamerika (Spanien, Portugal), Indien (Großbritannien), Südostasien (Niederlande, Großbritannien), Südafrika (Großbritannien, Niederlande), Australien und Neuseeland (Großbritannien).
    • Allerdings lösten sich bereits die ersten Kolonien vom Mutterland.
      • Großbritannien verlor 1776 bzw. 1783 13 Kolonien in Nordamerika.
      • Frankreich verlor 1804 Haiti.
      • Spanien musste um 1820 auf die Kolonien in Südamerika verzichten.
      • Portugal verlor 1822 Brasilien.
      • 1830 nahm Frankreich Algerien ein und begann mit der Errichtung von Kolonien in Afrika.
  • Die USA eroberten im Krieg gegen Spanien 1898 Kuba, Puerto Rico, die Philippinen und Guam.
  • Damit begründet sich und beginnt der Aufstieg der USA als globale Macht und in der Folge als Einflussfaktor für eine internationale Politik.
2.2 Form und Intensität kolonialer Herrschaft    

Unterschiedlich stellen sich Formen und Intensität kolonialer Herrschaft dar. Es handelt sich um

  • militärische Stützpunkte (vgl. die Absicherung des Seeweges nach Indien von Großbritannien),
  • Siedlerkolonien - etwa in Nordamerika, Südafrika und Australien,
  • Akteure mit königlichem Statut als private Handelsgesellschaften (vgl. die englische "East India Company"/Rohstoffgewinnung, Luxuswaren, Plantagenwirtschaft/Abhängigkeit vom Sklavenhandel),
  • Anbau bzw. Zucht von Pflanzen und Tieren in der Neuen Welt (vgl. das Streben nach Gewinn, aber auch die Folgen für Fauna und Flora/"ökologischer Imperialismus"),
  • Gewinnung von Rohstoffen (Abbau von Gold, Silber, Diamanten - Holz, Kohle, Erdöl) - Anbau von Gewürzen, Zuckerrohr, Kakao, Kaffee, Tee, Tabak und Opium sowie
  • soziale Folgen wie Verfolgung aus religiösen Gründen, politischer Verfolgung, auch als Strafkolonien (Australien, Französisch-Guyana).
2.3 Atlantische Revolutionen    

1776 vollzogen Kolonien erstmals eine Trennung vom Mutterland, 1783 im Frieden von Paris wurde die US-Unabhängigkeit offiziell besiegelt. Politische Rechte und Gleichstellung wurden eingefordert und durchgesetzt.

1789 wurden mit der Französischen Revolution die Menschen- und Bürgerrechte und damit ein Spannungsverhältnis zum europäischen Kolonialismus etabliert.

2.3.1 Haiti    

Die wirkliche Revolution von Kolonisierten - im französischen Machtbereich - fand in Haiti statt ("Karibische Revolution").

  • Hier begann mit dem Sklavenaufstand auf der Karibikinsel Saint Dominigue 1791 ein Wendepunkt.
  • 1794 schaffte der Nationalkonvent in Paris im gesamten französischen Kolonialbereich die Sklaverei ab. Allerdings führte Napoleon 1802 die Sklaverei wieder ein, 1848 wurde sie dann endgültig abgeschafft.
  • 1802 erhielt Haiti eine eigene Verfassung, 1804 wurde die unabhängige Republik Haiti ausgerufen.
2.3.2 Südamerika    

In Südamerika fand um 1820 die Trennung der Kolonien von Spanien und Portugal als Folge der Napoleonischen Kriege statt.

  • Es entstanden unabhängige Republiken (Ausnahme Brasilien bis 1891 Monarchie).
  • Leitfiguren wie Simon Bolivar fanden große Anerkennung. Beeinflusst hat dies auch Europa, etwa in der Person von Giuseppe Garibaldi, der in Brasilien und Uruguay Exil fand.
  • Als neue Macht auf dem amerikanischen Kontinent erwies sich die USA mit Präsident James Monroe (vgl. 1823 "Monroe-Doktrin").
2.4 Abschaffung des Sklavenhandels    

Neben der europäischen Ausbeutung haben etwa die Araber in Ostafrika oder das Osmanische Reich Sklavenhandel betrieben.

Beispielhaft zeigt sich das Ausbeutungsschema im atlantischen Dreieckshandel: europäische Waren nach Westafrika, westafrikanische Sklaven auf die Plantagen in Nord- und Südamerika und die dort erwirtschafteten Produkte wie Baumwolle und Zuckerrohr wiederum nach Europa.

  • Ab dem späten 18. Jahrhundert wurde in Europa Sklaverei und Sklavenhandel kritisch gesehen (vgl. etwa in Großbritannien die Ablehnung insbesondere durch den christlich-evangelikalen Glauben als unvereinbar mit Gottes Gebot).
  • Bemerkenswert das Engagement hier von Frauen gegen Sklaverei und Sklavenhandel (vgl. VARELA-DHAWAN 2015, 47).
  • Erst 1833 verbot das britische Unterhaus die Sklaverei.
3 Höhepunkt der Kolonialherrschaft - 19. und 20. Jahrhundert    

Vom 19. zum 20. Jahrhundert verstärken die europäischen Staaten ihre Kolonialherrschaft.

Ziel ist eine "Zivilisation", eingesetzt wird Gewalt, begründet mit der aufkommenden "Rassenlehre" und der zeitbedingten Völkerrechtsauffassung'(vgl. METZLER 2018, 12-25).

Um 1880 tritt die Eroberung und Neuordnung der Welt durch die Europäer in neue Phase. Zu beobachten ist diese Entwicklung Asien und Afrika wie auch in Europa.

Beispielhaft zeigt sich dies im Aufstand des indischen Militärs 1857 mit der Neuordnung der Machtübernahme von der "East India Company" an staatliche Vertreter Großbritanniens in London.

Die Kolonialpolitik erhält in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine neue Qualität (vgl. in der Politischen Bildung und Geschichte den Begriff für die Zeitepoche "Hochimperialismus").

  • Eisenbahn- und Straßenbauprojekte wurden in den Kolonien begonnen.
  • Medizinische Projekte im Kampf gegen die Malaria wurden eingesetzt.
  • Der Schulbau wurde verstärkt.
Es kommt in Europa zur Verklärung kolonialen Lebens, in Darstellungen der Fauna und Flora (vgl. den IT-Hinweis).

OSTERHAMMEL-JANSEN (2017) kennzeichnen die Epoche als einen einzigartigen Vorgang der Enteignung des Kontinents Afrika (vgl. auch METZLER 2018, 12).

IT-Hinweis

Ausstellung Wilhelm Kuhnert in Frankfurt/M. 2018'

https://www.dw.com/de/wilhelm-kuhnert-der-mann-der-die-löwen-in-afrika-malte/a-46038204 (2.12.2018)

https://www.schirn.de/ausstellungen/2018/koenig_der_tiere/ (2.12.2018)

3.1 Ausdehnung der Kolonialmacht - Afrika und Asien    

3.1.1 Afrika - Kongo-Akte    

In der Berliner Konferenz 1884/1885 legten die europäischen Mächte und die USA mit der "Kongo-Akte" - Erklärung des Kongobeckens zu einer Freihandelszone - das Fundament des Hochimperialismus.

  • Man verständigte sich auf auf eine koloniale Inbesitznahme mit Verwaltung (vgl. Kap. VI der Akte legitimiert europäischen Besitz; Artikel 35 beschreibt die Sicherung der Obrigkeit und den Schutz der Handels- und Durchgangsfreiheit).
  • Mit dieser Formalisierung europäischer staatlicher Herrschaft kam es zu einer Trendwende.
  • Damit wurde die "Zivilisierung" außereuropäischer Völker und koloniale Ansprüche sowie die Kolonien als Verfügungsmasse bestimmt.
1898 zeigt sich dies im Ausgleich von Frankreich und Großbritannien im Zusammentreffen beider Truppenteile bei Faschoda/Sudan.

Ebenso konnte 1905 bzw. 1911 der Interessenskonflikt um Marokko zwischen Deutschland und Frankreich entschärft werden.

Bis 1914 war die Landmasse Afrikas unter den europäischen Mächten aufgeteilt. Liberia und Abessinien (heute Äthiopien und Eritrea) waren noch frei von europäischem Machtstreben.

Das Deutsche Reich und Italien erhoben in der Folge Ansprüche, einerseits auf Südwestafrika und Ostafrika sowie Kamerun und Togo, andererseits Libyen und Somaliland sowie Eritrea.

3.1.2 Asien    

Neben Afrika wurde in Asien die europäische Herrschaft erweitert.

  • Frankreich baut sein Kolonialreich in Südostasien im heutigen Vietnam und Kambodscha 1887 aus (Tonkin, Annam, Cochinchina). 1893 kommt Laos dazu.
  • 1870 beherrscht Großbritannien Indien, Burma, Ceylon, Malaya, Singapur und Hongkong.
  • Das Deutsche Reich strebt Kolonialbesitz mit Samoa und Neuguinea an.
  • Portugal besaß Macau und Timor.
  • Die Niederlande unterwarfen Südostasien mit Java und weiteren Inseln (heute Indonesien)(vgl. https://mobil.derstandard.at/2000092837259/Die-unaufgearbeiteten-Graeueltaten-der-Niederlande [3.12.2018]).
  • Die USA besaßen die Philippinen von 1902 bis 1946.
3.2 Dominion    

Forderungen nach Mitsprache waren bei weißen Siedlerkolonien erfolgreich.

  • Kanada erlangte bereits 1867 den Status eines "Dominion" im britischen Empire.
  • 1907 folgten Australien, Neuseeland und Neufundland.
  • 1910 folgte noch die Südafrikanische Union.
Der Status war mit einer Herauslösung aus britischer Herrschaft mit autonomen Regelungen der inneren Angelegenheiten verbunden.

3.3 Territorialität - Grenzziehungen    

Damit kommt es zur Verbindlichkeit von politischen Grenzen. Zu verstehen sind auch Grenzen als eine soziale Praxis. Für die afrikanische Bevölkerung war dies eine neue Erfahrung.

  • Es kommt zur rechtlichen Absicherung und Schaffung von Institutionen kolonialer Herrschaft im Verbund mit der jeweiligen Metropole und der Einrichtung von Kolonialministerien (vgl. die bessere Kommunikation mittels Telegrafen, Unterseekabel, Eisenbahnen und der Dampfschiffe/Öffnung des Suezkanals 1869; man beachte die Einrichtung von Zeitzonen).
  • Globale Wirtschaft - Erzeugung als Hauptlieferungen für Kolonialmächte
    • Fleisch für Großbritannien aus Neuseeland, Kanada und Australien
    • Lieferungen von Rohstoffen - Kupfer, Erdöl, Kohle, Baumwolle
  • Die Kolonialverwaltungen waren unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Regel waren vor Ort die Institutionen eher schwach. Man denke an die Notwendigkeit von lokaler Vermittlung und einheimischen militärischen Hilfstruppen.
3.4 Gewalt - Völkerrecht    

Europäische Mächte drohten mit und übten in ihrer Kolonien Gewalt aus.

  • Europäische Herrschaft war gefährdet, mitunter gab es Widerstand.
  • Aufstände wurden brutal niedergeschlagen (vgl. Kampf gegen die Herero und Nama 1904 bis 1908 der deutschen Kolonialtruppen; ZIMMERER-ZELLER 2016; METZEL 2018, 19).
  • Strafexpeditionen wurden durchgeführt, ebenso Zwangsumsiedelungen.
  • Die Arbeit auf Plantagen und in Bergwerken war in der Regel mit Gewaltanwendung verbunden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Europa im Umgang mit Gewalt zwischen sich und den Anderen im Völkerrecht unterschieden.

  • In den Haager Konferenzen 1899 und 1907 ("Haager Landkriegsordnung") kam es zu Fortschritten in der Rechtsordnung im Krieg ("ius in bello").
  • Völkerrechtlichen Schutz gab es für Angehörige anerkannter Staaten.
  • Der mangelhafte Schutz für nicht anerkannte Angehörige lässt das besondere Menschenbild für Europäer erkennen (vgl. die Einschätzung von "wilden" und "kriegerischen" Völkern vs. zivilisierten Europäern).
  • Entsprechend war der Einsatz von Waffen und Giftgas zu beurteilen.
  • Das Völkerrecht war kein verlässliches Instrument zur Einengung von Gewalt in der Zeit der Kolonialherrschaft.
Eine Verherrlichung von kolonialen Gewalttaten gab es etwa in der Jugendliteratur. Zu den bekanntesten Büchern über Jahrzehnte zählt der Roman "Peter Moors Fahrt in den Südwest" von Gustav FRENNSEN (1906/1953).

Eine besonders grausame Form europäischer Herrschaft in Afrika stellte das Schreckensregime des belgischen Königs Leopold II. dar (vgl. REYBROUCK 2012; METZLER 2018, 20).

  • Geiselnahme und Tötung von Familienangehörigen kongolesischer Arbeiter bei der Kautschukernte, wenn die geforderte Erntemenge nicht abgeliefert wurde,
  • brutale Strafen bei Widerstand gegen das Kolonialregime,
  • eine Protestwelle ergab schließlich, dass der Kongo-Freistaat aus dem Privateigentum des belgischen Königs in eine Kolonie des belgischen Staates überführt wurde.
Die Vorstellung einer "Zivilisierung" kolonialer Arbeitskräfte ergab erst die Idee einer globaler Solidarität der Arbeiterbewegung. Im Grunde kam es erst durch die kommunistische Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg zu einer politischen Gewichtung.

3.5 Koloniale Wirtschaftspolitik    

Die ungleichen Bedingungen durch den Kolonialismus setzen sich in dieser Epoche fort.

Beispiele dafür sind

  • Verträge mit europäischen Vorstellungen und Schutz europäischer Händler und Investoren,
  • "Politik der offenen Tür" in China mit freiem Zugang zum chinesischen Mark und
  • Ausbeutung der Rohstoffressourcen für die europäische Kriegswirtschaft einschließlich dem Zugriff auf den kolonialen Arbeitsmarkt.
Ohne Zweifel ergab sich in der Folge positiv in den Kolonien

  • eine Verbreitung moderner Technik (Maschinen, Motoren, Elektrizität, Wasserversorgung),
  • eine Verbreitung und Standardisierung indigener Sprachen (und Kultur), etwa der Bantu-Sprache Swahili (Kishuaeli),
  • eine Verbreitung des Verkehrsnetzes (Straßen- und Eisenbahnbau),
  • eine Verbreitung medizinischer Erkenntnisse und Behandlungsmethoden,
  • des Bildungswesens (Kindergärten, Schulen, Hochschulen) und
  • gesellschaftliche Leitvorstellungen (etwa die Rolle von Frauen, Führungseliten).
4 Krisen und Niedergang der Kolonialmächte    

Soldaten und Arbeitskräfte wurden im Ersten Weltkrieg aus den Kolonien rekrutiert. Der Krieg wird auch in der Übersee geführt. Deutschland verliert die Kolonien, die Siegermächte haben sich mit Forderungen nach Mitsprache und Unabhängigkeit auseinanderzusetzen (vgl. METZLER 2018, 26-33).

  • Kämpfe in Ostafrika lassen die Bevölkerung besonders leiden und dauern lange. Deutsche Truppen kapitulieren erst Ende 1918.
  • Für den Krieg werden Rohstoffe, Arbeitskräfte und finanzielle Mittel in den jeweiligen Kolonien mobilisiert.
  • Britische Truppen bestehen 1914/1915 aus indischen Einheiten, in der Folge aus Kanadiern und Australiern.
  • Frankreich setzt Soldaten aus West- und Nordafrika, Indochina und Madagaskar in Europa ein(vgl. den Einsatz westafrikanischer Truppen bei besonders hohem Risiko).
  • Kriegsgefangene aus den Kolonien wurden oft versucht gegen britische Kolonialherrschaft in deutschen Kriegsgefangenenlagern aufzuwiegeln.
  • Arbeitskräfte aus den Kolonien wurden vor allem in Großbritannien und Frankreich für Hilfsdienste an der Front oder in Fabriken bzw. im Bergbau eingesetzt.
  • Je länger der Krieg dauerte und die Kriegsmoral sank, desto häufiger waren gewalttätige rassistische Übergriffe (vgl. die Rassenunruhen 1919 in Hafenstädten in Großbritannien).
4.1 Kolonialrevisionismus    

In Deutschland bildete sich Widerstand gegen des Versailler Vertrag, auch gegen seine kolonialen Bestimmungen.

Ziel war eine Revision des Friedensvertrages und der Rückerhalt der Kolonien ("Kolonialrevisionismus") bzw. wenigstens ein Völkerbundmandat.

Zur Zielscheibe wurden die aus Afrika stammenden Besatzungssoldaten, die Frankreich vorübergehend im Rheinland stationierte (vgl. die "schwarze Schmach am Rhein").

  • Eine führende Rolle spielte Heinrich SCHNEE, letzter Gouverneur von Deutsch-Ostafrika und Abgeordneter im Reichstag für die Deutsche Volkspartei von 1924-1932, in der Folge für die NSDAP.
  • Ebenso war führend Paul von LETTOW-VORBECK, der während des Weltkriegs das Kommando über die deutschen "Schutztruppen" in Ostafrika ausübte und mit einheimischen Soldaten - vor allem Askari - den Krieg über den Friedensschluss von Versailles hinaus bis in den November 1918 führte. Besonders in seinem Jugendbuch "Heia Safari" verherrlichte er die deutsche Gewaltherrschaft in Ostafrika. Die neunte und letzte Auflage des Buches erschien 1952. Verherrlicht wird der Mythos des "treuen Askari", rekrutiert aus dem Sudan, angeblich besonders kampfbereit und nicht von der Seite der Weißen weichend.
4.2 Lebensraum in Osten    

Hans GRIMMs Roman "Volk ohne Raum" (1926) wird dank der NSDAP - weniger zur Rückeroberung der Kolonien als eines Programmes zum neuen Lebensraum im Osten - ein Bestseller und Schlagwortgeber in der Weimarer Republik.

  • Gefordert wird in der Zwischenkriegszeit demnach ein kontinentales Imperium im Osten Europas, bereits im Ersten Weltkrieg mit der Schlacht von Tannenberg und dem anschließenden riesigen Besatzungsgebiet unter Paul von HINDENBURG, mit massenhaften Umsiedelungen der einheimischen Bevölkerung und deutscher Ansiedelung, historisch gesehen ein "Probelauf".
  • Mit der Machtübernahme 1933 der NSDAP ist der "Lebensraum im Osten" ein klares politisches Ziel (vgl. zu Kolonialismus und Holocaust VARELA-DHAWAN 2015, 74-78).
  • In der Folge werden die Bestimmungen von Versailles planmäßig unterlaufen.
  • Die Besatzungskinder wurden ab 1935 zwangssterilisiert.
4.3 Völkerbund - Dekolonisationskonflikt Irland    

4.3.1 Völkerbund - Selbstbestimmungsrecht    

Die kolonialen Imperien der Großmächte erreichten in der Folge nach 1919 ihre größte Ausdehnung. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden nicht selbständig und unabhängig, vielmehr wurden sie unter die Mandatsherrschaft des Völkerbundes gestellt (vgl. METZLER 2018, 30-31).

  • US-Präsident Wodrow WILSON brachte mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker eine wesentliche Leitidee in die internationale Politik. Die USA waren nicht Mitglied des Völkerbundes, weshalb die Entwicklung nicht vorangetrieben wurde.
  • Enttäuschend war daher das Versprechen auf Selbstbestimmung für die kolonialen Gesellschaften nach 1919. Anstatt Unabhängigkeitsbewegungen zu unterstützen kam es zu einem Mandatssystem, gestaffelt nach einer Zuordnung politischer Entwicklung in A-, B- und C-Mandate.
  • Der Völkerbund übertrug die Mandate vor allem an Großbritannien und Frankreich.
  • Eher ernüchternd war die Realität mit dem Statusverlust der europäischen Mächte und Legitimationsproblemen. Zudem blieben die Mandatsgebiete Gewalträume mit eigenen Regeln (vgl. 1921-1926 der Rif-Krieg Spaniens gegen den marokkanischen Berberstamm der Rifkabylen mit Chemiewaffen und 1935/1936 der italienische Krieg in Abessinien).
4.3.2 Dekolonisationskonflikt - Irland    

Als Beispiel für einen Dekolonisationskonflikt gilt der Irische Unabhängigkeitskrieg 1919-1921.

  • Formal war Irland seit dem "Act of Union" von 1800 durch die Vereinigung des Königreichs Irland mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien keine Kolonie mehr, allerdings dachten Briten und Iren über ihr Verhältnis in kolonialen Kategorien.
  • In dem dreijährigen brutalen Krieg fürchteten die Briten Beispielsfolgen für Indien, möglicherweise auch für andere Kolonien.
  • 1922 kam es zu einem Kompromiss. Im Süden der Insel entstand der Irische Freistaat mit dem Status einer Dominion, die Provinzen in Nordirland gehören bis heute zum UK.
  • 1937 proklamierte sich Irland zur Republik, 1949 trat das Land aus dem Commonwealth und 1973 der Europäischen Gemeinschaft/ EG bei.
  • Die Auseinandersetzungen mit Gewalt in Nordirland konnten erst durch das "Karfreitagsabkommen" 1998 vertraglich gelöst werden. Das Referendum von 2016 über den britischen Austritt aus der EU könnte zum Wiederaufleben des Konflikts beitragen.
4.4 Abhängigkeiten kolonialer Mächte    

Nicht zu übersehen waren Abhängigkeiten der europäischen Kolonialmächte von ihren Kolonien. Dies zeigte sich im Prestige und internationalen Einfluss.

Finanzpolitisch zeigte sich dies bei Großbritannien im Rückhalt im British Empire.

  • Mit dem "Westminster Statut" 1931 erhielten die Dominions die volle Unabhängigkeit. Kanada schloss etwa 1935 mit den USA einen Handelsvertrag ab.
  • Nicht zu unterschätzen war der Pound Sterling als Leitwährung zwischen dem Mutterland, den Dominions und Kolonien.
    • Mitte der dreißiger Jahre traten weitere Länder dem Pound Sterling als Leitwährung bei.
    • Der Status einer Weltwährungsmacht Großbritanniens waren gegeben.
  • Erst 1944 mit der Konferenz von Bretton Woods löste der US-Dollar das britischen Pound Sterling als Leitwährung ab.
4.5 Antikolonialer Widerstand    

Neben den Kolonien entstanden in den europäischen Großstädten antikoloniale Konfliktbereiche.

  • Eine zentrale Rolle in der Zwischenkriegszeit spielten die Kommunisten, die als einzige die Befreiung von der Kolonialherrschaft aktiv forderten.
  • Besonders in Frankreich waren verschiedene Initiativen unter der Führung der kommunistischen PCF aktiv.
  • Ein führender Akteur war der Senegalese Lamine SENGHOR mit seiner Zeitung "La Racve Negre" (ab 1927).
  • In Großbritannien war eine treibende Kraft der aus Trinidad stammende George PADMORE mit den "Gewerkschaft für Schwarze Arbeiter".
  • In Deutschland war der Medienunternehmer Willi MÜNZENBERG mit der Gründung der "Internationalen Arbeiterhilfe/IAH" führend. Als Mitbegründer der 1927 in Brüssel gegründeten "Liga gegen Imperialismus, gegen Kolonialherrschaft und für Nationale Unabhängigkeit" wurde ein internationales Netzwerk begründet.
  • Der Deutsch-Kameruner Martin DIHOBE richtete eine Petition mit andere Afrodeutschen an die Weimarer Nationalversammlung, in der Zugeständnisse gleicher Rechte eingefordert wurden (vgl. Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches auch in den Kolonien). Dazu kam es nicht, allerdings blieben die Autoren aktiv und gründeten "Afrikanische Hilfsvereine".
  • In Frankreich war neben Senghor und Vietnamese Nguyen Ai Quoc (später Ho Chi Minh) im Widerstand aktiv. Es gab Impulse für eine politische und kulturelle Eigenständigkeit.
  • In der Folge kam es mit der Forderung einer Gleichrangigkeit Schwarzer Kultur und der Zusammenarbeit der Bewegung afroamerikanischer Künstler und Schriftsteller in der "Harlem Reaisance" in der Zwischenkriegszeit zu einem Grundstein für ein Schwarzes Selbstbewusstsein.
  • Der US-Bürgererchtler W.E.B. DU BOIS organisierte die panafrikanische Bewegung, die gegen Rassismus kämpfte und von 1919 bis 1923 Kongresse in Paris, London, Brüssel und Lissabon veranstaltete. In London wurde in den dreißiger Jahren besonders ein schwarzer internationalistischer Diskurs gefördert.
5 Auflösung europäischer Kolonialimperien - Folgen    

Die Kolonien sind im Zweiten Weltkrieg wieder Streitobjekte, Kriegsschauplatz und Räume zur Ausbeutung.

In der Nachkriegszeit kommt es zum Ost-West-Konflikt und in der Folge zur Dekolonisation. Viele Kolonien des globalen Südens erreichen ihre Unabhängigkeit und müssen sich ihre Position in der Staatenwelt erkämpfen (vgl. METZLER 2018, 34-49).

Aus den Erfahrungen der Alliierten ergaben sich Vorstellungen von Recht und Freiheit aus dem Kampf gegen den Nationalsozialismus.

Die Dominanz von Kolonialmächten wird in Frage stellten.

Beispielhaft zeigt sich das im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika, wo Veränderungen in der politischen Landschaft deutlich sichtbar wurden (vgl. die Gründung neuer Staaten mit Folgen aus der Kolonisation, in Krisen und Konflikten, die bis heute nachwirken; IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Nahost-Konflikt).

5.1 Zweiter Weltkrieg - Aktionsfeld Kolonien    

Bereits 1935 marschierten italienische Truppen ohne Kriegserklärung in Äthiopien ("Abessinien") ein. In einem Vernichtungskrieg wurden Giftgas, Brand- und Splitterbomben eingesetzt und die afrikanische Zivilbevölkerung angegriffen. So schnell die Truppen Äthiopiens ausgeschaltet wurden, gegen die britischen Streitkräfte und Marine waren italienische Streitkräfte machtlos (vgl. 1940 erklärte Großbritannien Italien den Krieg und ein Jahr später musste Italien Äthiopien aufgeben).

Das NS-Regime sah nach den militärischen Erfolgen 1940 über die Kolonialmächte Frankreich und Belgien die Möglichkeit, seine Erwägungen nach Afrika auszudehnen (vgl. die Überlegungen zur Schwächung des Empire und der Sicherung neuer Rohstoff- und Nahrungsquellen).

Zudem gab es Überlegungen, die Insel Madagaskar zeitweilig als Zielort für Deportationen von rund vier Millionen europäischen Juden zu verwenden. Der Seekrieg gegen Großbritannien verhinderte das Vorhaben. Die britische Regierung ihrerseits plante 1939/1940 die verfolgte jüdische Bevölkerung in ihrer Kolonie Guyana anzusiedeln. Keine dieser Pläne wurden verwirklicht (vgl. METZLER 2018, 35).

Unterstützung erhielt Deutschland durch das Vichy-Regime, wobei es zu Deportationen und Zwangsarbeit kam. Ebenso unterstützten arabische Akteure die NS-Ziele, wobei man sich gegen die jüdische Besiedelung Palästinas wehrte (vgl. die führende Rolle des Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini).

Die Kolonien hatten für die Alliierten im Zweiten Weltkrieg eine wesentliche Bedeutung.

  • Bodenschätze, Nahrungsmittel, Textilien, Arbeitskräfte und Hilfstruppen wurden benötigt.
  • Die kolonialen Gesellschaften erfuhren im Zweiten Weltkrieg enorme Entbehrungen. Das britische Kriegskabinett setzte etwa fest, welche Mengen von Lebensmitteln und Rohstoffen sowie Textilien zu welchen Preisen abzuliefern waren.
Das British Empire erlitt mit dem Fall von Singapur 1942 und den japanischen Herausforderungen in Südostasien eine schwere Niederlage. Ebenso war die Unabhängigkeit Indiens 1942 bereits im Gespräch. Zugeständnisse an die Kolonien waren unumgänglich.

5.2 Unabhängigkeitsbewegungen in Asien nach 1945    

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt das Selbstbestimmungsrecht der Völker zunehmend an Bedeutung. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu praktischen Folgerungen.

  • 1946 wurden die Philippinen unabhängig.
  • Mit der Kapitulation Japans 1945 kam es zur Unabhängigkeit Indonesiens von den Niederlanden. Ebenso rief Ho Chi Minh die Unabhängigkeit Vietnams von Frankreich aus.
Beide Kolonialmächte wiesen die Forderungen zurück.

In der Folge kam es zu massiven militärischen Auseinandersetzungen.

  • 1946 begann der Indochina-Krieg Frankreichs. 1954 kapitulierte Frankreich nach der Niederlage von Dien Ben Phu.
  • 1949 zog sich die Niederlande aus Indonesien zurück, Indonesien wurde unabhängig.
  • 1954 einigte man such auf der Genfer Konferenz auf die Unabhängigkeit Vietnams, Kambodschas und Laos. Die Teilung Vietnams in Nord- und Süd-Vietnam wurde beschlossen.
  • Ab 1955 entwickelte sich der Vietnam-Krieg als Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West, der 1975 nach dem Truppenabzug der USA formal einen Frieden brachte.
Gewaltlos verlief der Übergang 1948 zur Unabhängigkeit in Ceylon (heute Sri Lanka).

Überraschend schnell zog sich Großbritannien aus Indien zurück. Konflikte zwischen Muslime und Hindus spitzten sich zu, Hungersnöte in Bengalen und nationalistische Bewegungen erzwangen 1947 die Unabhängigkeit Indiens.

In der Folge kam es zur Dekolonisation in Malaysia 1957, Singapur 1965, Hongkong und Macau 1999.

Mit dem "Commonwealth of Nations" und der "Union Francaise" sowie den großen Nachkriegsschwierigkeiten in Europa verliefen die asiatischen Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa relativ leidenschaftslos.

5.3 Unabhängigkeitsbewegungen im Nahen und Mittleren Osten - Afrika    

5.3.1 Naher und Mittlerer Osten    

Mit dem Mandat des Völkerbundes für den Nahen und Mittleren Osten hatten Großbritannien und Frankreich eine Konfliktregion übernommen, zu der sie viel beigetragen haben.

  • 1916 geheimes Sykes-Picot-Abkommen über die Aufteilung der Region
  • 1917 Balfour-Erklärung zur "Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk"
  • 1932 Irak und 1946 Transjordanien (ab 1950 Jordanien) Errichtung von britenfreundlichen Königshäusern
  • ab 1944 Kampf radikaler Zionisten gegen die Briten, 1948 Gründung des Freistaates Israel - Angriffskrieg benachbarter arabischer Staaten
5.3.2 Afrika    

Ein Jahrzehnt später setzte eine massive Unabhängigkeitsbewegung mit Staatengründung in Afrika ein (vgl. ALTMANN 2005; KRUKE 2009).

1956 Sudan

1957 Ghana ("Goldküste") - Kwame Nkrumah - Führungsfigur der panafrikanischen Bewegung

1960 Unabhängigkeit von 17 Staaten südlich der Sahara

1980 Simbabwe ("Rhodesien")

1990 Namibia

1993 Eritrea

Zu beachten sind die unterschiedlichen Wege der Unabhängigkeit, mitunter in gewaltvollen blutigen Aufständen und Kämpfen, besonders in Siedlerkolonien. Überstürzt und chaotisch endete der Abzug Belgiens ab 1959 im Kongo (vgl. REYBROUCK 2012).

1952/1959 Großbritannien - Kenia ("Mau-Mau-Aufstand")

1960 Belgien - Kongo

1954-1962 Frankreich - Algerien ("Nationale Befreiungsfront/FLN")

1961-1975 Portugal - Angola und Mosambik

Es kommt zu blutigen Bürgerkriegen, so im Kongo und in Nigeria. In Runda kommt es zum Genozid an den Tutsi.

  • 1964 - Kongo - Sezessionsbewegung in der Provinz Katanga - Putsch durch Joseph Mobuto
  • 1967-1970 - Machtkämpfe in Nigeria mit ethnischen und wirtschaftlichen Konflikten zwischen drei der größten Volksgruppen ("Biafra-Krieg")
  • 1994 - gewaltsame Konflikte in Ruanda mit Genozid an den Tutsi
In westlichen Gesellschaften zeigt die Ablösung der Kolonien von den Mutterländern und ihre errungene Unabhängigkeit (Dekolonisation) 1968 und in den folgenden Jahren Wirkung im Entstehen eines globalen Bewusstseins.

Für die Politische Bildung ergeben sich in der Folge die Fachgebiete Globales Lernen und Internationale Politik (vgl. IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Globales Lernen, Internationale Politik).

5.4 Folgen einer Dekolonisation für westeuropäische Staaten    

Erfahrungen der Dekolonisation zeigen sich in den bestehenden Problemen im Besonderen in Frankreich und Portugal.

5.4.1 Frankreich    

Die Krise in Algerien beendete die IV. Republik. Dem Militärputsch in Algier vom 13. Mai 1958 folgte die Bildung einer neuen Regierung unter Charles de Gaulle.

  • Eine neue Verfassung wurde ausgearbeitet, zugeschnitten auf seine Person. Mit einer Zustimmung von 80 Prozent in einem Referendum und der Abstimmung zum Präsidenten 1958 wurde die V. Republik begründet.
  • 1962 drohte eine weitere Krise, als Teile der Armee gegen die Unabhängigkeit Algeriens sich wandten und ihren Widerstand nach Frankreich trugen.
  • Die "Organisation de l'Armee Secrete (OAS)" überzog das Land mit Bombenanschlägen. Ein Militärputsch konnte abgewendet werden, in der Folge wurde Algerien 1962 unabhängig. Der Staatspräsident erhielt eine große Machtfülle und wurde künftig direkt vom Volk gewählt.
5.4.2 Portugal    

Auch hier spielte das Militär eine wesentliche Rolle. Unter Antonio de Oliveira Salazar bestand seit den dreißiger Jahren ein katholisch autoritäres Regime.

  • Über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus hatte die Regierungsform, ähnlich dem spanischen Franco-Regime, sich erhalten können.
  • Durch die Konflikte in den Kolonien und den Kriegen in Angola ab 1961 und in Mosambik ab 1964 kam es zu einem Legitimationsdruck des Regimes.
  • 1968 konnte Salazar sein Amt nicht mehr ausüben, Versuche das Land zu modernisieren schlugen fehl.
In der "Bewegung der Hauptleute" wuchs die Erkenntnis, dass die Kriege in den Kolonien nicht zu gewinnen waren.

Ein Bündnis aus den jungen Offizieren, Liberalen, Sozialisten und Kommunisten ergab einen Schub an Reformen und letztlich die Revolution 1974. Friedlich mit Nelken in den Gewehren übernahm man die Macht ("Nelkenrevolution").

In der Folge wurden 1974 Guinea-Bissau sowie Angola und Mosambik 1975 unabhängig.

6 Europäische Integration    

Europäische Integrationsbemühungen erhielten wesentliche Impulse aus den Erfahrungen beider Weltkriege.

Mit der Einbindung der ehemaligen westlichen Alliierten und Deutschlands entstand ein Zusammenschluss westeuropäischer Staaten mit dem Ziel einer Friedenssicherung, gemeinsamer Politik und gegenseitiger Unterstützung.

Zu beachten ist der Anteil, den die Dekolonisation an den Integrationsbemühungen hatte.

Die Verluste der beiden großen europäischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich erbringen eine Zuwendung zu Europa.

  • Die französische Politik spielt eine wesentliche Rolle. Europa wird als Ersatz für verloren gegangener Macht und als Brücke zu Afrika angesehen.
    • Die Verbindung zu Afrika wird als Voraussetzung gesehen, Europa als dritte Weltmacht zwischen den beiden Supermächten zu etablieren.
    • Dieser Umstand spielt bei den Verhandlungen der Römischen Verträge 1957 für Frankreich eine Rolle, weil man Algerien und afrikanische Kolonien assoziieren wollte.
    • Die Schaffung des Europäischen Entwicklungsfonds war ebenfalls eine Initiative Frankreichs. Ehemalige Kolonialbeamte beeinflussten entsprechend die Entwicklungspolitik.
  • Die britische Politik vertraute lange auf das Empire als Machtfaktor.
    • Das Commonwealth und die Sterlingzone waren Basis des Welthandels, die EFTA (Europäische Freihandelszone) ab 1960 Grundlage für den europäischen Handel.
    • Ein Beitrittsgesuch Großbritanniens zum Beitritt in die Europäischen Gemeinschaft scheiterte 1963 am Veto Frankreichs unter de Gaulle (vgl. der Streit um die Länder des Commonwealth für eine Assoziierung). Erst 1973 kam es zum Beitritt - mit Irland und Dänemark.
7 EWG/EG und AKP-Staaten    

Im Folgenden werden die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft und die weltpolitische Rolle ehemaliger Kolonien mit der Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit besprochen (vgl. METZLER 2018, 48-49).

7.1 Einbindung in die Europäische Gemeinschaft/EWG-EG-EU    

Die europäischen Kolonialmächte als EWG bzw. EG nunmehr organisiert und die unabhängigen Staaten Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes (AKP-Staaten) stellen ihre wirtschaftlichen Beziehungen aus der Kolonialzeit auf eine neue Grundlage.

  • Aus den Konzepten einer Modernisierung der Kolonien in der Spätphase ihrer Herrschaft heraus entwickelt sich eine Entwicklungspolitik Europas.
  • Vorbild war die Entwicklung westlicher Gesellschaften mit einer Anhäufung von Kapital, Wissen und Arbeitskräften in einer Industrie- und Konsumgesellschaft als demokratisches Gemeinwesen.
  • In der Realität förderte die "Entwicklungshilfe" jedoch patrimoniale Strukturen in den Entwicklungsländern (vgl. Patrimonialismus nach Max Weber ein politisches System auf der Basis von Verwaltungs- und militärischen Strukturen, weisungsgebunden an einen Alleinherrscher). Amtsträger nutzten öffentliche Ressourcen zur Sicherung ihrer Macht und bedienten ihre Anhänger bzw. Klientel.
  • Im Lomé-Abkommen 1975, 1979, 1984 und 1989 zwischen der EG und 77 AKP-Staaten schien eine zunehmende Verhandlungsposition der AKP-Staaten vorhanden zu sein (vgl. die Abhängigkeit der Industrieländer von den OPEC-Ländern während der Erdöl-Krise 1973/1974).
  • Allerdings wurde durch die begünstigten Agrarexporte in den EG-Raum die industrielle Entwicklung vernachlässigt. Wachsende Armut, Korruption und eine geringe Staatlichkeit ließen die Lomé-Abkommen wirkungslos sein.
  • Überholt war die Zusammenarbeit beider politischer Systeme mit dem Ende des Kalten Krieges und einem Globalisierungsschub.
  • In der Folge wurde im Jahr 2000 das Abkommen von Cotonou zwischen nunmehr der EU und 79 AKP-Staaten abgeschlossen. Ziel waren die bessere Einbettung der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft, Stärkung der Zivilgesellschaften und eine "good governance".
7.2 Weltpolitische Rolle ehemaliger Kolonien - globale Zusammenarbeit    

Ebenso ernüchternd war die Bilanz der politischen Gewichtung der ehemaligen Kolonien.

  • In der UNO konnte man politische Forderungen vortragen, der Einfluss war eher gering.
  • Ein Handlungsspielraum wurde zwischen den beiden Blöcken 1961 mit der Gründung der "Bewegung der Blockfreien" (Bandung-Konferenz) versucht zu erreichen (vgl. die tiefen Differenzen zwischen Indien und Pakistan und Israel-Palästina).
  • Ähnliche Zusammenschlüsse mit wenig Erfolg ergaben sich in Afrika mit der "Organisation für die Einheit Afrikas" 1963 und der "Afrikanischen Union" 2002.
Mit den ständigen Forderungen auf kulturelle Eigenständigkeit, eigene politische Ziele und Vorstellungen gesellschaftlicher Entwicklung kam es zu einem Überdenken westlicher Antworten auf globale Probleme.

Als politische Folgerung kam es 2015 auf einem UN-Gipfel in Rio de Janeiro zur "Agenda 2030", wobei als politische Zielsetzung eine Nachhaltigkeit in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht in der globalen Zusammenarbeit eingefordert wurde.

8 Postkoloniale Migration nach 1945    

Die massenhafte Wanderungsbewegung nach 1945 verändert massiv manche westeuropäische Gesellschaft. Nach METZLER (2018, 60) schätzt man zwischen 1950-1980 bis zu fünf- acht Millionen Menschen als Folge von Dekolonisationsprozessen.

Betroffene' waren

  • Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten (vgl. die Vertreibung unter dem Aspekt postkolonialer Migration),
  • Millionen von Hindus und Muslimen während der indischen Unabhängigkeit zwischen Indien und Pakistan,
  • aus Europa stammende Siedler, Verwaltungskräfte, Lehrkräfte, Militärs und Missionare, die Afrika und Asien verlassen mussten,
  • Angehörige kolonialer Hilfstruppen und Personen, die eine Kolonialmacht unterstützt hatten und nun massiver Anfeindung ausgesetzt waren sowie
  • Menschen aus den Kolonien, um in Europa zu leben bzw. weil Angehörige hier lebten.
Die Diversität der postkolonialen Wanderungsbewegung zeigt sich am Beispiel der Kolonialmächte.

  • Zwischen 1945 und 1963 wanderten rund 300 000 Menschen aus Indonesien in die Niederlande aus, allein 12 000 Südmolukken als Angehörige der kolonialen Hilfstruppen.
  • In Großbritannien trafen aus der Karibik schon ab 1940 Zuwanderer ein (vgl. den "British Nationality Act" von 1948 mit Bürger des Commonwealth auch britische Bürger waren). Ab den fünfziger Jahren gewann die Zuwanderung aus Indien an Bedeutung.
  • Frankreich erlebte ebenso einen massiven Zuzug aus den Kolonien. Ab den fünfziger Jahren kamen Nordafrikaner verstärkt in das Land. Um 1960 wanderten eine Million Algerier ein. Fast zwei Drittel siedelten sich zu Beginn um Marseille an.
  • Portugal erlebte eine intensive Zuwanderung 1973/1974 aus Angola, Mosambik und die anderen Kolonien. Mitte der siebziger Jahre waren es immerhin rund sechs Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes.
  • Geringer war die Zuwanderung von Kongolesen nach Belgien. Heute leben rund 60 000 Menschen aus dem Kongo im Lande.
  • Folgen der Zuwanderung waren in der Regel soziale Probleme wie Bildung, Arbeit und Wohnen, ebenso das Zuzugs- und Gastrecht sowie Rassismus(vgl. MILDES 1991).
  • Integrationsprobleme traten in Frankreich bei Muslimen aus Algerien auf.
  • Ein spezifisches ethnisches Selbstbewusstsein bildeten die Zugewanderten aus der Karibik aus.
  • Überraschend problemlos war die Integration der Zuwandernden in Portugal. Hier halfen Integrationsprogramme und die enge Verbindung zu den Angehörigen in den Kolonien, weshalb es vermehrt zu Rückwanderungen kam.
9 Interkulturelle Literatur - Hybridität    

Im Folgenden geht es um den interkulturellen Wandel in der europäischen Gesellschaft, interkulturelles Denken und Grundlagen einer Identität (vgl. http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz).

In der postkolonialen bzw. interkulturellen Literatur erkennt man regionale Schwerpunkte, etwa aus Indien, Afrika und der Karibik (Großbritannien), Einflüsse aus dem Maghreb und Westafrika (Frankreich).

Klassiker sind Werke von Salman Rushdie, Zadie Smith, Chinua Achebe, V.S. Naipaul und Wole Soyinka.

In der Folge befasst sich die postkoloniale Theorie ("postcolonial studies") mit kulturellen Unterschieden und Machtverhältnissen.

9.1 Edward Saids    

Grundlage postkolonialer Theoriebildung wurde sein Werk "Orientalism" (1978).

  • Kritik gab es schon früher, wie Weiße Wissensformen als überlegen konstruiert haben.
  • SAID legt die kognitiven Grundlagen des europäischen Kolonialismus offen.
  • Ausgehend von der Orientwissenschaft (Orientalistik) zeigt er die eurozentrische Perspektive auf, mit der der "Orient" konstruiert wurde.
  • Feste Eigenschaften wurden zugeschrieben, der Westen als positives Gegenbild etabliert, von Zuschreibungen ausgehend wurde das "Anderssein" ("Othering") als europäische Identität gewonnen.
9.2 Ranajit Guha - Antonio Gramsci - Michel Foucault    

Dass "der Andere" selbst sich äußern soll und seine Sicht der Kolonialgeschichte darlegt, fand eine Fortsetzung in Ranajit GUHA (Indien).

Mit Antonio GRAMSCI (Italien) fand sich ein Schriftsteller, Politiker und Philosoph, der großen Einfluss ausübte.

Die Theorien von Michel FOUCAULT (Frankreich)beeinflussten die "Subaltern Studies" in den achtziger Jahren.

9.3 Stuart Hall - Gayatri Ch. Spivak    

Die Kritik, dass lange Zeit "People of Color" an den Rand der Geschichtsschreibung gedrängt wurden und weißen Menschen untergeordnet wurden, nahm Stuart HALL (JAMAIKA) und Gayatri Ch. SPIVAK (Indien) auf.

SPIVAK (1988) beleuchtete in ihrem Aufsatz "Can the Subaltern speak?" den Eurozentrismus und kritisierte den westlichen Feminismus mit der reinen westlichen Position. Das Wissen der "Subaltern" (Kolonisierten) werde marginalisiert, weil es als Wissen nicht anerkannt wird ( vgl. VARELA-DHAWAN 2015, 151-218).

9.4 Konzept der Hybridität    

Homi K. BHABHA (Indien)setzt seine Kritik in einem anderen Kulturverständnis an. Der Vorstellung, es gebe nach außen abgeschlossene Kulturen, von denen man nur einer oder anderen angehören oder von der einen zur anderen wechseln könne, setzt er das Konzept der Hybridität entgegen (vgl. VARELA-DHAWAN 2015, 219-284).

Durch die Begegnung mit einer anderen Kultur erwächst nicht deren Übernahme, vielmehr etwa Neues zwischen den Kulturen (hybride Identitäten).

9.5 Dipesh Chakrabarty    

Gegen den Eurozentrismus wandte sich Dipesh CHAKRABARTY (Indien) mit seinem Buch "Europa als Provinz" (2000).

  • Er sucht Wege für eine Globalgeschichtsschreibung ("Global History"), bei der Europa als Provinz erscheint.
  • Es geht um globale Zusammenhänge, also um eine Änderung der Perspektive und nicht des Gegenstandes.
10 Buchbesprechung    

Gilles Reckinger (2018): Bittere Orangen. Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe 10253, Bonn - 232 Seiten

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Menschen leben neben Orangenfeldern unter Planen und in behelfsmäßigen Zeltstädten. Eine Realität, die einen beschämen kann.

Der Autor hat afrikanische Erntehelfer in Kalabrien über längere Zeit begleitet. Was er entdeckt hat, sind ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, menschenunwürdige Lebensbedingungen, tiefe Verzweiflung, soziale Kälte und Rassismus. Dies alles in einem Lande der EU.

In der strukturschwachen Provinz Italiens bilden illegale Afrikaner das Rückgrat der Obst- und Gemüseindustrie. Sie sind das schwächste Glied in dem Produktionsprozess, sie sind der Willkür der Gutsbesitzer und Vorarbeiter ausgeliefert. Als Migranten sind vor Jahren in Süditalien angekommen. Manche wollten gar nicht nach Europa. Andere erhofften wenigstens ein menschenwürdiges Leben in Europa.

Der Autor dokumentiert die Lebenssituation, beschreibt individuelle Lebensschicksale und Überlebensstrategien. Zugleich werden die Schattenseiten der europäischen Migrationspolitik, die Abläufe der ökonomischen Ausbeutung und die Dynamik der Ausgrenzung und Erniedrigung offen dargelegt.

IT-Hinweis

http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/280737/bittere-orangen (5.12.2018)

11 Reflexion    

Im Folgenden sollen persönliche Reflexionen im Kontext einer Politischen Bildung festgehalten werden. In der Folge wird auf die Thematik kritisch unter Bezugnahme der Fachliteratur eingegangen.

11.1 Persönliche Bemerkungen    

Der Kolonialismus hat die Entwicklung der Zeitgeschichte stark beeinflusst. Mit dem Imperialismus entstanden Konflikte, blutige Kämpfe, auch Widerstände und Gegenläufigkeiten.

Die Verbindungen zu Amerika, Asien, Afrika und dem pazifischen Raum (Australien, Neuseeland, Inselwelt) haben die dortigen Kolonien und Europa stark beeinflusst.

Europa ist heute ein Akteur unter vielen geworden. Von Bedeutung sind regionale Zusammenschlüsse geworden.

Globales Denken und Handeln, verbunden mit interkultureller Kompetenz, gehören zum Alltag und Berufsleben, zu Bildung und persönlicher Haltung. Wo Ablehnung interkultureller Kompetenz vorhanden ist, gleitet der Diskurs in die Richtung von Populismus (vgl. die IT-Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Interkulturelle Kompetenz, Populismus).

Die Dekolonisation hat eine neue postkoloniale Ordnung geschaffen.

Koloniale Imperien sind endgültig Vergangenheit.

Eine Globalisierung und Interkulturalität der Gesellschaft ergibt neue und andere Perspektiven und Möglichkeiten, die künftig alle Akteure betrifft.

Migration hat auch in der Kolonialzeit ihre Begründung.

Der Kampf gegen versteckte Formen der Kolonialzeit ist nach wie vor aktuell.

11.2 Kritik der Theorie von Kolonialismus und Dekolonisierung    

Ausgehend von der Kritik an der postkolonialen Theorie werden die folgenden Aspekte angesprochen (vgl. VARELA-DHAWAN 2015, 285-289).

  • Zur Kritik stehen postkoloniale Theorien von Spivak, Bhabha und Said, damit gibt es Einwände gegen die interkulturelle-klassisch-kulturelle Betrachtung. Ideologisch belastet ist dies daher durch die gängige Debatte zur Migration.
  • Gelungen ist in der Betrachtungsweise unter Vermeidung von Simplifizierungen eine differenzierte Herangehensweise Aspekte der Demokratisierung, Menschenrechte, transnationaler Gerechtigkeit, internationaler Arbeitsteilung, Migration und Globalisierung anzuregen (vgl. VARELA-DHWAN 2015, 285).
  • Einer der Vorwürfe gegen den Theorieansatz lautet, dass er lediglich auf die kulturellen Bedürfnisse des globalen Kapitalismus und westlicher akademischer Lehrmeinungen reagiere (vgl. DIRLIK 1994, 331). Ein spezifischer Eurozentrismus wird vorgeworfen.
  • Mc CLINTOCK (1995, 391-393) plädiert für eine Begrifflichkeit "Studien zum Neokolonialismus" und weniger akademische Vermarktung Postkolonialismus.
    • Verwischt mit der Vorsilbe "post" werden die geopolitischen Unterschiede, damit die Schlüsselkonzepte in ihrer ungleichen Entwicklung (vgl. die Diversität des Kolonialismus) , die als hybrid sich herausstellen.
    • Mac Clintock zeigt mit dem US-Imperialismus ohne Kolonien die Unterschiedlichkeit auf.
Für die Politische Bildung von Interesse sind die Begriffe antirassistische Politik, Migrationsstudien, Multikulturalismus und Diversity Studies, aus den US-Elitehochschulen kommend alles unter "Postkoloniale Theorie" bezeichnet (vgl. VARELA-DHAWAN 2015, 289).

Literaturverzeichnis    

Angeführt sind jene Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.


Altmann G. (2005): Abschied vom Empire. Die Innere Dekolonisation Großbritanniens 1945-1985, Göttingen

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2012): Reihe Aus Politik und Zeitgeschichte. Kolonialismus/APuZ 44-45/2012 > https://www.bpb.de/apuz/146969/kolonialismus (26.11.2018)

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2018): Reihe Informationen zur politischen Bildung/izpb 338/2018, Europa zwischen Kolonialismus und Dekolonisierung, Bonn

Dichatschek G. (2017a): Interkulturalität. Ein Beitrag zur Theorie, Bildung und Handlungsfeldern im Kontext von Interkultureller Öffnung und Politischer Bildung, Saarbrücken

Dichatschek G. (2017b): Didaktik der Politischen Bildung. Theorie, Praxis und Handlungsfelder der Fachdidaktik der Politischen Bildung, Saarbrücken

Dirlik A. (1994): The Postcolonial Aura: Third World Criticsm in the Age of Global Capitalism, in: Critical Inquiry 20(2), 329-356

Jansen J.-Osterhammel J. (2013): Dekolonisation. Das Ende der Imperien, München

Kruke A. (Hrsg.) (2009): Dekolonisation. Prozesse und Verflechtungen 1945-1990, Bonn

Mc Clintock A. (1995): Imperial Leather. Race, Gender und Sexuality in the Colonial Contest, New-York-London

Metzler G. (2018): Europa zwischen Kolonialismus und Dekolonisation - Reihe Informationen zur Politischen Bildung/izpb 3/2018, Bonn

Mildes R. (1991): Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg

Osterhammel J.-Jansen J.C. (2017): Kolonialismus. Geschichte-Formen-Folgen, München

Reckinger G. (2018): Bittere Orangen. Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe 10253, Bonn

Reybrouck D. van (2012): Kongo. Eine Geschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 1346, Bonn

Said E.W. (2009): Orientalismus, Frankfurt/M.

Varela M.do M.C.-Dhawan N. (2015): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld

Zimmerer J.-Zeller J. (Hrsg.) (2016): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika, Berlin

IT-Autorenbeiträge    

Die Autorenbeiträge dienen der Ergänzung der Thematik.


Netzwerk gegen Gewalt

http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index:

Politische Bildung

Interkulturelle Kompetenz

Populismus

Globales Lernen

Friedenslernen

Nahost-Konflikt

Migration in Österreich

II Rassismus    

12 Vorbemerkung    

Rassismus ist kein geschlossenes Konzept und bestimmt Menschen und Gruppen an bestimmten Merkmalen wie Aussehen oder Herkunft in willkürliche Kategorien. Erkennbar ist dies in Denkmustern und Handlungen.

Von Interesse für eine Politische Bildung sind die Begriffe Rasse und Rassismus in ihrer historischen und aktuellen Entwicklung.

Die Studie beruht auf dem Kenntnisstand der Politischen Bildung und Interkulturalität, ausgehend von Überlegungen zum menschlichen Bedürfnis einer Selbstverortung und Abgrenzung.

13 Begriff und Entwicklung    

13.1 Begriff    

Rassismus als Begriff bezeichnet eine bestimmte Form der Handlung (Praxis) und eine bestimmte Form des Denkens (Theorie). Beides ist nicht zu trennen, weil bestimmte Praktiken eine bestimmte Motivation, etwa ein Hass auf den "Anderen", beinhaltet. Damit ist nicht mehr das Handeln, vielmehr die Motivation im Denken entscheidend.

13.2 Historie    

Historisch zeigt sich eine solche Aufteilung sich als wenig hilfreich (vgl. MILES 1991; WERNSING-GEULEN-VOGEL 2021, 13). Es gehört allerdings zu den sich entwickelten Eigenschaften, in bestimmten Zusammenhängen ein bestimmtes Denken und damit Handlungsmuster zu knüpfen. In Zeiten unsicherer Ordnungen einer Zugehörigkeit bietet der Rassismus die Möglichkeit einer Zugehörigkeit neu zu begründen und praktisch umzusetzen. Ein bestimmtes Wissen beinhaltet eine rechtfertigende Anleitung zum Handeln. Damit wird die Notwendigkeit einer idealen Ordnung erwünscht und handlungsorientiert angepasst.

Im Spätmittelalter bekam neben der Reinheit des Glaubens und die Reinheit des Blutes als Konzept der Rasse eine zusätzliche Bedeutung vor allem durch die große Anzahl von Muslimen und Juden wollte man so eine unsicher gewordene Ordnung regeln.

Im 18. Jahrhundert bekam der Rassismus eine rechtfertigende Funktion. Die Konzepte der Gleichheit, Freiheit und brüderlichen Menschheit mit globaler Gleichberechtigung widersprachen den kolonialen Bemühungen der Europäer bei den zu kolonisierenden außereuropäischen Kulturen.

Im 19. Jahrhundert weitete sich der koloniale Konkurrenzkampf weiter aus. Die Folge war ein Rassismus mit der Idee, dass die Existenz anderer Rassen eine Gefahr für die eigene sei. Damit war der Grundgedanke eines modernen Rassismus geschaffen. Die Idee, das "Andere" und "Fremde" gefährde das Eigene, auch wenn der Begriff "Rasse" fehlt, bedeutet jedoch Rassismus. Äußere Unterschiede zwischen Menschen als Rassendifferenzen zu sehen und zu übersetzen als Fremdheit, Andersartigkeit und Nichtzugehörigkeit, bedeutet vermitteltes Wissen.

Die Stereotypen des 20. Jahrhunderts zeigen sich in den Formen von Körperbildern, die Rassenunterschiede belegen sollen. Bedeutung erhalten Ausstellungen, Museenarbeit und politische Ideologien.

Die Verbreitung rassistischer Theorien wird durch moderne Medien unterstützt. Zudem kommen Ausstellungen und Bilder zur Unterstützung einer Rassenpolitik.

14 Alltagsrassismus    

In den letzten Jahrzehnten gab es für die Gruppe einer fremdbestimmten Identität verschiedenste Bezeichnungen, die zu einer Exklusion führten, so Gastarbeiter, Ausländer, Einwanderer, Asylanten, Migranten und Personen mit Migrationshintergrund.

Die Menschen lehnten ihre Zugehörigkeit ab. Mitglieder einer größeren Gruppenanzahl gehören zu einer Staatsangehörigkeit, einem Wohnort, Geschlecht, geographischen Herkunft und einer Berufsgruppe. Jedes Kriterium verleiht eine bestimmte Identität, die als eine einzige Zugehörigkeit verstanden wird.

Dennoch spielen Aussehen, sprachliche Ebene, sozialer - kulturell-religiöser Status und Bildungshintergrund eine Rolle und ergeben persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung, Übergriffen, Benachteiligungen und Alltagsrassismus.

Der Alltagsrassismus ist ohne den historischen Kontext und die historische Dimension nicht zu verstehen. Die weißen Europäer erfanden den Umstand weißer Überlegenheit, um den Kolonialismus und den Sklavenhandel zu legitimieren (vgl. KENDI 2017, 28-29). Entwickelt wurden Bilder und Darstellungen, um die Annahme zu untermauern. So haben sich rassistische Ideen eingeprägt, die zu einem Verhalten vom Gewalt und Unterdrückung führten (vgl. KENDI 2017, 19). Wer mit solchen Ideen aufwächst, lernt rassistische Ideen, man kann sie auch verlernen (vgl. Interkulturelle Kompetenz).

15 Koloniale Gewalt    

Kolonialismus als koloniale Herrschaft beruht auf Unterwerfung der Kolonialisierten durch Europäer. Das Recht auf Selbstbestimmung wurde abgesprochen, "Zivilisierung" war eine gewaltsame Herrschaftspraxis. Dazu gehörten die Prügelstrafe, Zwangsarbeit und die Beschlagnahme von Besitz (vgl. WERNSING-GEULEN-VOGEL 2021, 106, 110).

Betrachtet haben sich die Europäer als überlegene weiße Rasse. Ein Widerstand der Einheimischen wurde brutal niedergeschlagen. Koloniale Gewalt äußerte sich in "Strafexpeditionen" mit dem Ziel einer Abschreckung.

Beispielhaft ist das Verhalten deutscher Kolonialsoldaten im ehemaligen "Deutsch-Südwestafrika" (Namibia). Die Kolonialverbrechen europäischer Staaten wurden bisher kaum aufgearbeitet. Besonders gewaltsam ging das Kolonialmilitär, bezeichnet als "Schutztruppe", gegen die ansässigen Nama, Herero, Damara und San vor. 1907 erfolgte die Niederschlagung des Widerstandes, historisch der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Im ersten deutschen, offiziell so bezeichnet, Konzentrationslager auf der Halbinsel in der Lüderitzbucht fanden Tausende an Unterernährung und dem rauen Klima den Tod.

Später im Nationalsozialismus gibt es einige Generäle in hoher Position. Das Uniformhemd des Kolonialmilitärs ("Lettow-Hemd") wurde das Vorbild für das "Braunhemd" der Sturmabteilung (SA).

16 Reflexion    

Die heutige Gesellschaft lebt in kultureller, sozialer und religiöser Vielfalt . Zahlreiche Menschen haben eine Migrationsgeschichte und kennen die Phänomene von Migration und Globalisierung (vgl. Flucht, Asyl - EU-Binnenwanderung - ERASMUS-Aufenthalte, internationaler Tourismus - Globalisierung in Wirtschaft, Bildung, Kultur und Medien).

Dennoch gibt das Phänomen des Rassismus im Alltag, in der Politik und in Bildungseinrichtungen. Rassismus ist bequem, eine globalisierte Welt lässt sich eine scheinbar einfache Ordnung einteilen. Vorurteile, mangelhaftes und kritikloses Wissen sind tief verankert (vgl. EU 2000).

Die Frage und der Auftrag lautet daher, wie man derartige Strukturen abbauen kann. Neue Denkräume müssen zukunftsträchtige Debatten eröffnen, unterschiedliche Aspekte ermöglichen und neue Verbindungen mit Möglichkeiten aufzeigen.

Gefordert ist eine Politische Bildung und Interkulturelle Kompetenz in einer postmigrantischen Gesellschaft.

17 Buchbesprechungen    

Althoff Nina (2006): Die Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft in der Europäischen Gemeinschaft ausgehen von Art 13 EG, Frankfurt/M.-Bern, Peter Lang Verlag der Wissenschaften, ISBN 3631 5468 23

Diskriminierungen aus Gründen der "Rasse" und der ethnischen Herkunft sind keine rückläufigen Phänomene, sondern nehmen in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft zu. Durch die Einführung der Nichtdiskriminierungsklausel des Art 13 EG möchte die Gemeinschaft ein einheitliches Vorgehen und eine potentielle Einwirkungsmöglichkeit entwickeln. So eröffnet Art 13 EG neue Perspektiven für die Nichtdiskriminierungspolitik Europas.

Die Publikation widmet sich insbesondere der Untersuchung des vorhandenen Instrumentariums. Festzustellen ist, inwieweit Art 13 EG und seine bisherige Umsetzung dem dringenden europaweiten Bedarf nach einer bisherigen Umsetzung einer Nichtdiskriminierungspolitik gerecht werden, inwiefern die Gemeinschaft diesbezüglich verbesserungsbedürftig ist und in welcher Weise sie verbessert werden kann.

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Benz Wolfgang (1995): Der Holocaust, München, C.H. Beck, ISBN 3 40639822 7

Als Holocaust-Forscher zeichnet der Autor die Geschichte des Völkermordes an den Juden von der Ausgrenzung und Entrechtung bis zum industrialisierten Massenmord in den Vernichtungslagern nach.

Sein Augenmerk gilt dabei nicht nur den Tätern, sondern vor allem auch den Opfern selbst. Neben die Geschichte der Verfolger tritt die Geschichte der Verfolgten. Ein eigenes Kapitel ist dem oft vernachlässigten anderen Völkermord an den Sinti und Roma gewidmet.

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Delacampagne Christian (2005): Die Geschichte des Rassismus, Düsseldorf, Artemis-Winkler, ISBN 3-538-07206-X

Die wichtigsten historischen Etappen des Rassismus seit der Antike werden behandelt, von der Judenfeindschaft im Mittelalter als Vorstufe des modernen Rassismus bis in die Zeit der kolonialen Eroberungen. Opfer sind nun die Indianer und die Schwarzen in Amerika.

Es entsteht die Idee einer weißen oder germanischen "Herrenrasse", die dem Nationalsozialismus die ideologische Rechtfertigung für den millionenfachen Mord an Juden, Sinti und Roma lieferte. Vehement wird der Rassismus der Gegenwart in Europa, auch in den vielen Weltregionen verübte Völkermord aus rassistischen Motiven verurteilt.

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Hund Wulf D. (2007): Rassismus, Bielefeld, Transcript, ISBN 978-3-89942-310-5

Rassismusanalyse beschäftigt sich nicht mit dem Rassismus, vielmehr mit unterschiedlichen "Rassismen". Rassismus wird in seinen sozialhistorischen Ausprägungen und Verbindungen mit anderen Formen sozialer Diskriminierung untersucht.

Der Band diskutiert die Ansätze und die damit verbundenen Probleme in drei Kontexten: kategorial im Hinblick auf zentrale Begriffe der Forschung, historisch im Zusammenhang mit den Formen rassistisch bestimmter Inklusion und Exklusion und politisch auf Methoden und Funktionen rassistischer Vergesellschaftung. Geulen Christian (2008): Geschichte des Rassismus, Bonn, C.H. Beck, ISBN 978-3-406-53624-3

Rassismus begleitet in schriftlicher und bildlicher Überlieferung seit der Antike die Ausgrenzung bestimmter Gruppen. Mit der Entstehung des Begriffs Rasse und der Anwendung auf menschliche Gruppen gegen Ende des 15. Jahrhunderts beginnt die Geschichte des Rassismus.

Die Publikation spannt einen weiten Bogen von der Sklavenhaltung in der Antike über den Umgang mit Juden und Häretikern im Mittelalter. den frühneuzeitlichen Kolonialreichen und den Evolutionismus des 19. Jahrhunderts bis zum 20. Jahrhundert mit der Eskalation rassistisch motivierter Gewalt. Rassismus beginnt, so die zentrale Aussage, wo die Menschen meinen, die Bekämpfung des "Fremden" mache die Welt besser.

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Sow Noah (2008): Deutschland Schwarz Weiss. Der alltägliche Rassismus, München, Bertelsmann Verlag, ISBN 3570010082

Wir wachsen mit vielfältigen Rassismen auf. Kinder spielen "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann" und singen "Zehn kleine Negerlein" im Kindergarten und finden es normal. Wer gefragt wird, ist natürlich gegen Rassismus. Dazu bedarf es eines Verständnisses.

Vorstellungen und Gewissheiten müssen hinterfragt werden. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung mit Antirassimusarbeit legt Noha Sow den Finger in die Wunde des unbewussten Rassismus und sorgt für eine Menge erkenntnisreicher Stolpersteine. Die Publikation ist ein Angebotz für mehr Fairness und Normalität.

18 Literaturhinweise    

Angeführt sind jene Titel, die für das Kapitel verwendet und/oder direkt zitiert werden .

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Claussen D. (1994): Was heißt Rassismus?, Darmstadt

Delacmpagne Chr. (2005): Die Geschichte des Rassismus, Düsseldorf

Europäische Union (EU) (2000): Richtlinie 2000/43/EG DES RATES vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft L 180/22, DE 29.7.2000

Fredrickson G. M. (2004): Rassismus: Ein historischer Abriss, Hamburg

Geulen Chr. (2008): Geschichte des Rassismus, Bonn

Gomolla M.( 2009): Interventionen gegen Rassismus und institutionelle Diskriminierung als Aufgabe pädagogischer Organisationen, in: Scharathow W.-Leiprecht R. (Hrsg.) Rassismuskritik, Bd. 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit, Schwalbach/Ts., 25-44

Hund W. D. (2007): Rassismus, Bielefeld

Kendi J.X. (2017): Gebrandmarkt. Die andere Geschichte des Rassismus in Amerika, München

Mecheril P.-Teo T. (Hrsg.) (1997): Psychologie und Rassismus, Reinbek b. Hamburg

Memmi A. (1992): Rassismus, Frankfurt/M.

Miles J. (1991): Rassismus: Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg

Neumann U. - Schneider J. (Hrsg.) (2011): Schule mit Migrationshintergrund, Münster - New York - München - Berlin

Poliakov L.-Delacampagne Chr.-Girad P. (1992): Rassismus. Über Fremdenfeindlichkeit und Rassenwahn, Hamburg-Zürich

Terkessidis M. (1998): Psychologie des Rassismus, Opladen

Wernsing S.- Geulen Chr.- Vogel Kl. (Hrsg.) ( 2021): Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 10613, Bonn

Zerger J. (1997): Was ist Rassismus? Eine Einführung, Göttingen

Zum Autor    

APS-Lehramt (1970, 1975,1976), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschulrat für Tirol (1993- 2002)

Absolvent des Studiums Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), des 1. Lehrganges Ökumene/ Kardinal König-Akademie/ Wien/ Zertifizierung (2006), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ Master (2008), der Weiterbildungsakademie Österreich/Wien/ Diplome (2010), des 6. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), des 4. Internen Lehrganges Hochschuldidaktik/ Universität Salzburg/ Zertifizierung (2016), des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium im Comenius-Institut Münster/ Zertifizierung (2018), des Fernstudiums Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium im Comenius-Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Vorberufliche Bildung (1990-2011), am Fachbereich Geschichte/Lehramt Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung/ Didaktik der Politischen Bildung (2016, 2018)

Mitglied ''' der Bildungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich (2000-2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks in Tirol (2004-2009, 2017-2019), Kursleiter an der VHS Salzburg in Zell/See, Saalfelden und Stadt Salzburg / "Freude an Bildung" (2012-2019)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 29. Juli 2022