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Friedensprozesse Nach1945

Grundwissen Friedensprozesse nach 1945    

Peacebuilding als Aufbau von Friedensstrukturen in Konfliktzonen - "Citizenship through Democratic Education" in Österreich    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Grundwissen Friedensprozesse nach 1945   
Peacebuilding als Aufbau von Friedensstrukturen in Konfliktzonen - "Citizenship through Democratic Education" in Österreich   
Vorbemerkung   
1 Einführung   
2 Fallstudie Bosnien-Herzegovina?   
3 Fallstudie Nordirland   
4 Fallstudie Der Nahost-Konflikt   
5 Hinweise zur Aufarbeitung der Thematik in Politischer Bildung/Erziehung in der Sekundarstufe II   
5.1 Fragenkomplexe   
5.2 Buchtipp   
6 Friedensbemühungen - Friedensgutachten 2023   
6.1 Zunahme von Gewaltkonflikten   
6.2 Dilemmata feministischer Außenpolitik   
6.3 Entwicklungszusammenarbeit - humanitäre Hilfe   
6.4 Rüstungskontrollmaßnahmen   
6.5 Politische Entflechtungen   
6.6 Entschärfung gesellschaftlicher Polarisierung   
6.7 Zusammenfassung   
Literaturverzeichnis   
IT-Autorenbeiträge/Auswahl?   
Zum Autor   

Vorbemerkung    

Die Studie befasst sich mit den Bemühungen von Nachkriegsgesellschaften, ein nachhaltiges peacebuilding zu betreiben. Darunter ist die Bewältigung vorangegangener Kriege, die Verhütung neuerlicher Kriegsausbrüche und der Aufbau langfristiger Friedensstrukturen zu verstehen.

Mit dem Vorstellen von drei Fallstudien mit dem Ziel, Friedenskonsolidierung als Zusammenwirken globaler und lokaler Prozesse zu verstehen und diese Konfliktbereiche exemplarisch zu bearbeiten, soll pädagogisches Verständnis für diesen Aspekt in Politischer Bildung/ Erziehung geweckt werden. Die Bereiche der Fallstudien werden mit Ursache, Kriegsverlauf und Konfliktbeendigung thematisiert.

Hinweise zur Aufarbeitung in der Sekundarstufe II - "Citizenship through Democratic Education" und aktuelle Friedensgutachten aus dem Jahr 2023 skizzieren Elemente von Friedensbemühungen beenden die Studie.

Der Titel der Studie weist besonders auf den Prozesscharakter in Nachkriegsgesellschaften eines Übergangs vom Krieg zum Frieden hin und stellt die Anstrengungen der Akteure vor Ort zum Gegenstand von Überlegungen friedensstiftender Maßnahmen dar - damit auch einer Politischer Bildung und Friedenserziehung.

Es gehört zum Ausgang von solchen Prozessen, dass ihr Charakter offen ist - von der Möglichkeit konfliktbereinigender Maßnahmen und deren Erfolg bis zum Scheitern.

1 Einführung    

Das 20. Jahrhundert wird - trotz aller technologischen und zivilisatorischen Errungenschaften - als "Jahrhundert der Kriege" bezeichnet (vgl. KOLKO 1999). Kennzeichnend waren die zwei großen Weltkriege in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und die Verlagerung von Kriegen in Entwicklungsregionen postkolonialer Teile der Erde.

Nordamerika blieb gänzlich frei von Kriegen. In Europa kann eine Rückkehr zu Gewaltkonflikten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts? auf dem Balkan beobachtet werden. Unverkennbar war der Zusammenhang zwischen dem Zusammenbruch alter Strukturen und dem Aufkommen kriegerischer Konflikte. Ebenso trug der Verlust externer Unterstützung nach 1989 in einigen Regionen der Dritten Welt zum Ausbruch von Kriegen bei (vgl. Liberia und Somalia).

Insgesamt wurde seit dem Zweiten Weltkrieg etwa je ein Viertel der Kriege in Afrika, Asien und in der Region Vorderer/ Mittlerer Orient geführt. Die verbleibenden Kriege verteilten sich zu zwei Drittel auf Lateinamerika und zu einem Drittel auf Europa (vgl. GANTZEL - SCHWINGHAMMER 1995).

Mit der geographischen Verlagerung ging auch eine typologische Veränderung der Kriege einher: Zwei Drittel der Kriege nach 1945 sind als innerstaatliche Konflikte, allerdings mit einer Einbettung in internationale politische und ökonomische Zusammenhänge sowie internationalisiert durch externe Beteiligung zu definieren (vgl. FERDOWSKI - MATTHIES 2003, 15).

Nach deren Dauer sind in der Regel zwischenstaatliche Kriege deutlich kürzer als innerstaatliche kriegerische Konflikte, die meist mehrerer Jahre bis Jahrzehnte ausgetragen werden (vgl. RABEHL - SCHREIBER 2001, 11-46). Die längsten und noch immer andauernden Bürgerkriege sind in Kolumbien, im Sudan und in Myanmar (ehemals Burma) zu beobachten.

Bei innerstaatlichen Konflikten gilt als Ursache vor allem

(1) die Unausgewogenheit politischer, wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Entfaltungsmöglichkeiten in den unterschiedichen Bevölkerungsgruppen,

(2) eine undemokratische und ineffiziente Regierungsführung,

(3) fehlende konsensuale Verfahren für einen Ausgleich von differierenden Gruppeninteressen sowie

(4) ein Fehlen einer organisierten Zivilgesellschaft. Neben der Verschärfung der Lage um eine Verteilung politischer und wirtschaftlicher Macht entladen sich die Gewaltkonflikte in Aufständen, sozialrevolutionären Erhebungen, Guerillakämpfen, Seperationsbewegungen und Bürgerkriegen.

Im Vergleich der Konfliktanlässe und ihrer Austragungsformen in der Dritten Welt, Osteuropa und Mittelasien - nach 1989 - zeigt es sich, dass nach gelungener Staatenbildung eine Heranbildung nationaler Identität von einer "Krisenpentarchie" begleitet werden (vgl. FERDOWKSI 1993, 32-42):

(1) Diese Staaten stehen vor dem Problem, Bezugspunkte für ihre Existenz zu finden. Die Entwicklung der staatlichen Identitätsfindung ist ein sensibler Prozess, wobei nicht selten die Suche nach Identität zur Konstruktion einer Fiktion der Einheit führt. In der Folge gibt es die Gefahr zur Übertreibung des Kults der Ethnizität. Ressentiments und Konflikte vertiefen möglicherweise die Kluft der Nationalitäten mit dem Ergebnis ethnozentrischen Ausgrenzungstendenzen, die wiederum zu fundamentalistischen und chauvinistischen Strömungen führen können. Dennoch scheint dieser Prozess eines nachholenden Nationalismus notwendig zu sein - unerlässlich jedenfalls das Element kultureller Eigenständigkeit -, weil nur so ein Staatsvolk Identität erlangen kann. Ebenso notwendig ist eine Staatsstruktur mit administrativer und institutioneller Dezentralisierung oder Föderalisierung bei gleichzeitiger regionaler Integration (vgl. die Entwicklungen nach dem Auseinanderbruch der Sowjetunion).

(2) Die Veränderung politischer und wirtschaftlicher Strukturen setzt eine Wiedereingliederung größerer Bevölkerungsgruppierungen in einen politischen Prozess voraus. Damit entstehen neue Interessengruppierungen mit dem Wunsch nach politischer Partizipationsrechten. Für gewöhnlich besteht die Gefahr von Machtkämpfen und konfliktreichen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen. Nicht verwunderlich in diesen Prozessen ist daher die oftmalige Etablierung von diktatorischen Staatsgebilden, die westlichen Grundsätzen von Demokratie nicht entsprechen (vgl. die Entwicklungen in den nachkolonialen Staaten in der Dritten Welt, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und einiger Staaten in Südosteuropa).

(3) Im Prozess der Nationenbildung kommt es auch zu Umverteilungskrisen. Durch die begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen können steigende Erwartungen an die Wirtschaft nicht erfüllt werden. Kennzeichnend für solche Volkswirtschaften sind das Fehlen von ausreichendem Kapital und einem Mittelstand als staatstragende Schicht.

(4) Bei Scheitern der Nationenbildung - territorialstaatliche Konsolisierung, leistungsfähige Volkswirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Partizipation - kommt es zu einem Autoritätsverlust staatlicher Institutionen und inneren Unruhen.

(5) Bei einem Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen Verwaltung zeigen sich in diesen Gesellschaften regionale demographische, kulturelle und historische Verschiedenheiten sowie unterschiedliche wirtschaftliche Strukturen. In kulturell verschiedenartigen Staaten zeigen sich auch Tendenzen von Eliten zur Durchsetzung des Machtmonopols, Volksgruppen, religiöse und sprachliche Minderheiten zu assimilieren oder ethnisch zu säubern.

Die Gesamtbilanz der Kriege nach 1945 hat überaus negative Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften: Flucht, Hunger, Tod, Terror, Zerstörung der Infrastruktur, massiver Rückgang der Überlebensperspektiven und Ausbeutung sind Kennzeichen dieser Kriege. Neben der Auflösung nachbarschaftlicher Netzwerke und des sozialen Vertrauens sind weit verbreitete Traumatisierungen und die Tendenz zu einer Gewöhnung an ein Klima der Gewalt zu vermerken. Solche langjährigen Kriege förderten eine anhaltende Unterentwicklung und humanitäre Katastrophen. Allerdings bedarf es einer Relativierung: Nicht alle Regionen, nicht alle Bevölkerungsschichten und Gruppierungen waren im gleichem Ausmaß vom Kriegsgeschehen betroffen.

Nach WALDMANN (1995, 333-368) führte die Eigendynamik unkontrollierter Gewalt in einigen Kriegen zu großen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen - Veränderungen traditioneller Orientierungen und Auflösung überholter Loyalitäts- und Statusstrukturen - mit Bildung neuer Eliten. Zu beobachten sind Ausbildungen von Bürgerkriegsökonomien mit finanziellen und machtpolitischen Auf- und Abstiegen in bestimmten Sozialschichten. Zu den Gewinnern dieser Konflikte gehören das Personal der militärischen Führung, Waffenhändler, Schieber, Kleinkriminelle und gesellschaftliche Randgruppen wie städtische Arbeitslose, sozial Gestrauchelte und entwurzelte Jugendliche, die als Milizionäre und Söldner rekrutiert werden konnten (vgl. FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 16).

2 Fallstudie Bosnien-Herzegovina?    

Der Konflikt drehte sich um nationale Selbstbestimmung und die künftige staatliche Ordnung. Bosnien-Herzegovina? hatte 1992 die Unabhängigkeit ausgerufen, nachdem Kroatien und Slowenien - mit Anerkennung der Europäischen Union (EU) - den jugoslawischen Staatsverband verlassen hatten. Ein Referendum am 29.2. bis zum 1.3.1992 hatte mit 99 Prozent ein Votum für die Unabhängigkeit ergeben. Die bosnischen Serben boykottierten die Abstimmung, die bosnischen Kroaten sahen eine Unabhängigkeit als taktisches Manöver an. Letztlich mündete dies 1993 in die Ausrufung der kroatischen Republik Herceg Bosna. Für die Idee eines unabhängigen Staates blieb die muslimische Bevölkerungsgruppe unter Staatspräsident Izetbegovic übrig.

Mit 280 000 Toten, über 200 000 Verletzten und über 2 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen - 4,4 Millionen Einwohner zählte Bosnien-Herzegovina? sowie erheblichen Kriegsverbrechen mit der Folge einer Errichtung des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und Raub, Plünderungen, Massenvergewaltigungen, Geiselnahmen, Vertreibungen und Massakern wurden gezielt Furcht und Schrecken unter der Zivilbevölkerung verbreitet, um ethnische Säuberungen durchzuführen.

Paramilitärische Verbände, Milizen und Söldner entwickelten in enger Verbindung mit organisierter Kriminalität, unter Missbrauch humanitärer Hilfe des Auslandes eine eigene Qualität eines militärischen Konflikts, die für jene, die dort agierten, kaum Anreize zum Frieden bot. Die Grundstruktur des Konflikts mit eigener Kriegsökonomie und privatisierter Gewalt ließ internationale Vermittlungsversuche scheitern, zumal die Uneinigkeit und Unentschlossenheit der EU, der Vereinten Nationen, der USA und Russlands ihren Teil beitrugen (vgl. KALDOR 2000, 92-107).

Vier unterschiedliche Friedenspläne scheiterten:

  • Cutilheiro-Plan? (März 1992): Erklärung der drei wichtigsten Parteien zur neuen Verfassungsordnung mit der Bildung von "constituent units" (Lösungsansatz mit Kantonen)
  • Vance-Owen-Plan? (Jänner/ März 1993): Modell mit zehn Kantonen und einem Sonderstatus von Sarajewo
  • Owen-Stoltenberg? - Plan (August 1993): "Union of Three Republics Plan" - Sarajewo steht unter UN-Verwaltung?
  • Kontaktgruppen-Plan? (Juli 1994): "Zwei-Staaten-Union?" als muslimisch-kroatische Föderation (51 Prozent) und serbische Republik (49 Prozent) mit Sonderstatus von Sarajewo unter UN-Verwaltung?.
Auf Grund der stärkeren Einmischung der USA zu Beginn des Jahres 1994 gewann der Kontaktgruppen-Plan? an Klarheit, so dass im März 1994 eine kroatisch-muslimische Föderation gebildet wurde ("Washington Agreement"). Damit wurde eine Front gegen die überlegenen serbischen Verbände und Paramilitärs gebildet, wobei ein militärisches Patt im August 1995 mit inoffizieller US-Militärhilfe? für die kroatische Armee mit einer Gegenoffensive erreicht wurde. Parallel dazu erfolgten durch die NATO mit Billigung des UN-Sicherheitsrates? Luftangriffe gegen serbische Stellungen rund um das belagerte Sarajewo (Operation Deliberate Force, 29. 8. - 14.9.1995). Mit der Erklärung im "Statement of Agreed Basic Principles" vom 8. September 1995 wurde unter diesem militärischem Druck die Formel 51:49 als Grundlage für eine Neuordnung Bosniens akzeptiert.

Der Vertrag von Dayton vom 21. November 1995 beendete letztlich den vierjährigen Krieg in Bosnien-Herzegovina?, der zwischen Muslimen-Bosniaken? (43,7 Prozent), Kroaten (17,3 Prozent) und Serben (31,4 Prozent) bzw. den paramilitärischen Verbänden der jeweiligen Volksgruppen unter militärischer Beteiligung der Staaten Kroatien und Serbien-Montenegro? ("Rest-Jugoslawien?") geführt wurde. Faktisch handelt es sich hier um eine US-dominierte "power mediation" , bei der US-Unterhändler? Richard Holbrooke mit seinem Team die Verhandlungen dominierte. Als Vorbild galten die "Camp-David-Verhandlungen?" von 1978 zwischen Ägypten und Israel mit der Form einer befristeten Dauerkonferenz, um das gesamte Konfliktpotential in einem Schritt möglichst zu lösen (vgl. HOLBROOKE 1998).

Das Friedensabkommen regelt die umfangreiche Rolle internationaler Akteure (NATO-geführte IFOR bzw. SFOR/ militärische Aspekte, Internationaler Hoher Repräsentant /zivile Implementierung, OSZE/ regionale Stabilisierung, UN/ internationale Polizei, OSZE/ Wahlen, UNHCR/ Rückkehr der Flüchtlinge, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ Schutz der Menschenrechte, Europarat/ Schutz der Menschenrechte, Verfassungsgericht, Internationaler Währungsfonds/ Zentralbank, UNESCO/ Schutz nationaler Denkmäler, EU und Weltbank/ Wiederaufbau), wobei dem Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft die Rolle der Moderation des Friedensprozesses, der Unterstützung der Konfliktparteien beim "power sharing" - dies umfasst die proportionale Repräsentation, Vetorechte im Staatspräsidium, Grupppenautonomie und Streitschlichtung - und das letzte Wort der Interpretation des Vertragstextes zukommt.

Zur Bewertung des Friedensprozesses bedarf es einer Analyse der Problembereiche. Das Grundproblem bestand darin, dass von Beginn an die Konfliktparteien unterschiedliche Interessen an einem gemeinsamen Staat hatten. Angestrebt wurde letztlich eine Dreiteilung. Der Aufbau von Gebieten mit ethnischer Segmentierung wurde planmäßig betrieben. Zwar konnte durch die massive externe Einmischung der Friedensprozess in Gang gehalten werden, allerdings wirkte dies sich auf das Verhalten von Eliten kontraproduktiv aus. Gerade in den ersten Jahren traten erhebliche Mängel bei der Koordination und Kohärenz internationaler Aktivitäten auf. In der ersten Phase der Konfliktbewältigung traten Erfolge bei der militärischen Stabilisierung ein und in der zweiten Phase beim Wiederaufbau auf, "bis heute bestehen immer noch Defizite bei der Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, der Versöhnung, der Flüchtlingsrückkehr und dem Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und der sozioökonomischen Entwicklung" (FERDOWSKI - MATTHIES 2003, 67).

TV - Dokumentation ARTE 26. März 2004, 16.45 bis 17.43 "Bosnien Safari - Dem Frieden auf der Spur", HR 2003

Seit dem Ende des Krieges in Bosnien sind das Land und die Hauptstadt Sarajewo in den Medien kaum präsent. Die Dokumentation zeigt die heutige Situation mit historischen Rückblicken, den Frieden im Land und den heutigen Zustand der Menschen.

Daten zum Bosnien-Konflikt?
199229.2 - 1.3.Referendum über die Unabhängigkeit mit anschließender Ausrufung im März 1992
1994März"Washington Agreement"/ Bildung einer kroatisch-muslimischen Föderation
1995AugustLuftangriffe der NATO rund um Sarajewo mit UN-Sicherheitsbeschluss?
 21. NovemberVertrag von Dayton
 Dezember1. internationale Geberkonferenz für Bosnien mit einem Volumen einer Wirtschafts- und Aufbauhilfe von 5,25 Mrd. Dollar
2000April/NovemberKommunal- und landesweite Wahlen mit erstmals multi-ethnischen Parteibündnissen
2001FebruarBildung einer Koalitionsregierung ("Allianz für den Wandel") ohne nationalistische Parteien

3 Fallstudie Nordirland    

Die nordirische Provinz Ulster bildet politisch mit Großbritannien das "Vereinigte Königreich (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland/ UK)". Auch hier leben die Konfliktparteien in geographischer Nähe zueinander und erleben fortlaufend feindliche Handlungen. Alle Seiten sehen sich daher als Opfer, verlangen Schutz und Anerkennung sowie Vergeltung und Ächtung der Gegner.

Die politische (Un) Kultur scheint von einem Wettstreit um einen Opferstatus gekennzeichnet zu sein, politische und sonstige gesellschaftliche Institutionen produzieren Konkurrenz (vgl. SMYTH 2000, 132-135). Historische Ereignisse sind als Mythen in Musik, Literatur und in den Film eigegangen und bringen zum Teil mit sarkastischem Humor die Ereignisse in Schmerz und Trauer zum Ausdruck.

Dies zeigt sich an der Statistik über die Todesopfer und Verletzten, die der Nordirland-Konflikt? seit 1968/69 gefordert hat: 50 Prozent der 4 000 Toten und 40 000 Verletzten kommen aus der Zivilbevölkerung, während die Zahl der Toten aus den paramilitärischen Organisationen etwa 16 Prozent und dem britischen Militär und der Polizei etwa 30 Prozent beträgt. "Damit unterscheidet sich Nordirland von anderen bewaffneten Konflikten, wo die Zivilbevölkerung mit häufig mehr als 80 Prozent der Opfer die Hauptlast der Auseinandersetzungen trägt. Der größte Teil der Toten und Verletzten - etwa zwei Drittel - waren Männer, nicht älter als 40 Jahre. Schaut man auf die Religionszugehörigkeit, so waren weit mehr Opfer katholischer als protestantischer Herkunft. Paramilitärische Organisationen sind zu mehr als 80 Prozent für die Anschläge mit tödlichem Ausgang verantwortlich" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 74-75; vgl. FAY-MORRISEY-SMYTH? 1999, 121).

Der Konflikt basiert auf einer Vermengung von Ursachen und Konfliktformen. In der Analyse zeigt sich, dass der Nordirland-Konflikt? in seinem Kern einen Primärkonflikt beinhaltet, der in der Folge verschiedenste Sekundärkonflikte erzeugt.

Primär rivalisieren die sozialen Identitäten, also der überlieferte Kampf zwischen den britischen Eroberern und in der Folge Siedlern und der irischstämmigen Bevölkerung. Etwa 38 Prozent der nordirischen Bevölkerung bekennt sich zur römisch-katholischen Kirche, um die 50 Prozent gehören protestantischen Kirchen und mitunter konkurrierenden Glaubensgemeinschaften an. Aus der Konfessionszugehörigkeit ergeben sich definierte soziale Gruppen nach ihrer Herkunft. Katholiken stammen aus der irischen Bevölkerung, Protestanten kamen aus der britischen Herrschaftselite (Anglican Church of Ireland, Methodisten) und als schottische Siedler(Presbyterianer) in das Land. Entsprechend nehmen die einen die irische Vergangenheit und die anderen britische Herkunft und Orientierung wahr. Die einen rechnen sich dem irisch-katholisch-nationalistisch-republikanischen und die anderen dem ulster-britisch-protestantisch-unionistischen Lager zu. Mit Hilfe der Geschichte und der eigenen Identität grenzt man sich so gegenseitig ab, der Streit geht mehr um politische Gruppen-Anerkennungsprobleme? als um menschenrechtliche Forderungen.

So kommt es zum ersten Sekundärkonflikt, der unterschiedlichen Loyalität (Bindung an das UK vs. Vision eines geeinten Irlands). Der zweite Sekundärkonflikt beinhaltet die unterschiedlichen sozioökonomischen Ungleichheiten (strukturelle Diskriminierungen und Wohlstandsgefälle). Der dritte Sekundärkonflikt instrumentalisiert die religiösen Bekenntnisse (religiöse Konkurrenz als Ersatzschauplatz zur Reklamierung von Rechten und Ansprüchen/ vgl. Traditionsmärsche der Protestanten in Erinnerung an den Sieg des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über den katholischen König James II. der Stuarts 1689; Etikettierung des Gegners nach religiösen Attributen).

Unter Einfluss auch hier der Vereinigten Staaten wurde am 10. April 1998 das Belfast-Abkommen? von den Vertretern der politischen Parteien Nordirlands, der Regierung des UK und der Republik Irland unterzeichnet. Es bietet ein neues Modell für das Zusammenleben von Menschen und Gruppen in Nordirland an, gleichzeitig errichtet es ein neues Beziehungsgefüge zwischen den britischen Inseln. Innenpolitisch soll es eine Machtbalance zwischen den konkurrierenden Gruppierungen garantieren und der Provinz Ulster Autonmie gewähren. Zusagen zur Bereinigung von Konflikten sind in geregelten Verfahren festgehalten.

Das Konstrukt beinhaltet fünf Teile:

(1) Das UK und Irland geben die Zusage, die Rechtslage des Status von Nordirland zu ändern.

(2) Es kommt zu einer Konstituierung einer Parlamentarischen Versammlung mit einer von beiden Lagern zu besetzenden Exekutive in Nordirland.

(3) Auf der irischen Insel kommt es zu Errichtung von Institutionen der Zusammenarbeit zwischen dem Norden und Süden.

(4) Der Rat der britischen Inseln etabliert die Kooperation auf den britischen Inseln (Irland, UK) und das UK und die Republik Irland verabreden im Belfast-Abkommen?, ihre Beziehungen zu festigen und als Garantiemächte zu wirken (vgl. die Mitgliedschaft Irlands und des UK damals in der EU).

(5) Letztlich verspricht die Übereinkunft, die Vielzahl der politischen und sozioökonomischen Probleme zu bearbeiten. "Jedes Teilelement ist so angelegt, dass es seine die bisherige Konfrontation überwindende Wirkung nur entfalten kann, wenn auch die anderen umgesetzt werden. Scheitert dies auf einem der Felder, so bricht das gesamte Konstrukt des Abkommens zusammen" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 78).

Die notwendige Volksabstimmung über das Belfast-Abkommen? am 22. Mai 1998 ergab in Nordirland eine Zustimmung von 71,1 Prozent (Katholiken über 99 Prozent - Protestanten 51 Prozent Zustimmung) und in der Republik Irland von 94,4 Prozent. Bei der folgenden Wahl zu der Parlamentarischen Versammlung gelang es dann der unionistischen Seite nur knapp, eine genügende Zahl von Parteien und Abgeordneten zu entsenden, so dass die Legitimation der Übereinkunft gesichert war, aber zugleich auch die Kontroversen bei der Umsetzung des Abkommens weitergingen.

Eine Wende des politischen Klimas im Alltag hat sich mit dem Belfast-Abkommen? nicht ergeben. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Gewalt - Schutzgeld, Schmuggel und illegaler Handel - mit Willkürakten sind immer noch verbreitet. "Die Mechanismen der 'Gewaltökonomie' bilden den Nährboden für die immer wieder aufbrechenden Formen kollektiver Gewalt, so sehr auch Mythen und Legenden die Gesetzesbrecher als Heroen preisen" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 84).

Der Konflikt bestimmt den Alltag, der sich in der Verteilung der Wohn- und Arbeitsbevölkerung und im Schulsystem niederschlägt. In religiös-gemischten Regionen - vor allem in Belfast - sind Straßen durch "Friedenslinien" getrennt. 68 Prozent der hier lebenden Bevölkerung zwischen 18 und 25 Jahren geben an, noch nie eine ernsthafte Unterhaltung mit der anderen Bevölkerungsgruppe geführt zu haben. Ähnliches zeigt sich im Schulsystem: 95 Prozent der Schulkinder besuchen konfessionelle Schulen, nur 5 Prozent integrierte. Das parallele Schulsystem garantiert jeder Bevölkerungsgruppe kollektive Identität. Erst in den berufsweiterbildenden Institutionen und im Studium nivellieren sich allmählich die Unterschiede, wobei die Mehrzahl der Protestanten die Möglichkeiten im UK und die Katholiken in Nordirland nützen (vgl. COX-GUELKE-STEPHEN? 2000, 165-178).

Wo so scharfe Grenzen in sozioökonomischen und kulturell-religiösen Bereichen gezogen werden, gibt es immer wieder Gewalt. Im Jahre 2001 erhöhte sich die Zahl der bewaffneten Überfälle um 50 Prozent, die Zahl der Entführungen verdoppelte sich. Willkürliche Strafaktionen stiegen um 25 Prozent. Hinzu kommt die steigende Zahl der Bombenanschläge. Die Verurteilungsrate ist erschreckend gering: Von über 100 Morden ist nur ein Täter verurteilt worden. "Insgesamt zeigen sich hier die eklatanten Defizite der Polizei und der Institutionen der Strafverfolgung" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 86).

Zur Bewertung des Friedensbemühungen in Nordirland muss man feststellen, dass drei Hindernisse dem eingeleiteten Friedensprozess entgegenstehen:

  • Eine Demokratisierung in Nordirland erleidet dann Schaden, wenn die politischen Repräsentanten das Gefüge des Belfast-Abkommen? und die eingeräumten Spielräume dazu benützen, Abgrenzungen und Frontstellungen fortzuführen oder zu vertiefen. Ein neuer Friede ist nicht möglich, wenn demokratischer Konsens nicht praktiziert wird und/ oder man sich der neuen Partnerschaft verweigert.
  • Die ungebrochen Macht von Gruppierungen und paramilitärischen Verbände stützt den hohen Pegel von Gewalt, zumal sich die nordirische Gesellschaft an gewalttätige Auseinandersetzungen gewöhnt hat und hinnimmt. Je länger in Nordirland ein Schwebezustand des Nebeneinanders von staatlicher und nicht-legaler Gewalt anhält, desto mehr schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die Zusagen des Belfast-Abkommen?.
  • Ein nachhaltiger Frieden (Friedensprozess) wird nur dann Erfolg haben, wenn sich die politischen Repräsentanten das Friedensprojekt zu Eigen machen und entsprechende Handlungen setzen.
Zu diesen drei gegenwärtigen Hindernissen kommt das gesellschaftliche Phänomen einer "gespaltenen Gesellschaft". Neben dem Auffangen von Rückschlägen erzeugen die politischen Akteure ständige neue Hindernisse (vgl. das Abrücken der nationalistisch-republikanischen Seite von Waffengewalt vs. das Fehlen von Lösungsansätzen bei der Bewältigung von Gewalt mit der Tendenz von Enttäuschung/ Wahl Juni 2001 mit Zugewinnen der radikalen Parteien). Die derzeitige Zunahme von Polarisierungstendenzen lässt wenig Gutes erwarten, von einem Durchbruch der Gewaltlogik und einer Zunahme von Rechtsstaatlichkeit ist man noch weit entfernt. Dazu gehört die Demobilisierung paramilitärischer Organisationen, eine Etablierung der Polizei als Sicherheitsgarant und Rechtsstaatsinstitutionen mit EU-Standards? sowie die Kultur des politischen Dialogs.

Daten zum Nordirland-Konflikt?
1641Großer Aufstand Irlands gegen England/ Cromwell kämpft den Widerstand nieder
1869Sieg Wilhelm von Oraniens über James II. aus dem Hause Stuart
1801Vereinigung Irlands mit dem "Vereinigten Königreich(UK)"
1846-1949Massenauswanderung von Iren in die USA/Verelendung des Landes durch die Kartoffelfäule
1898Örtliche Selbstverwaltung
1916Ausrufung der unabhängigen Republik Irland/jahrelange Kämpfe gegen das UK
1921Abtrennung der Provinz Ulster (Nordirland) an das UK/ Unabhängigkeit Irlands mit Dominionstatus
1932Abschaffung des Treueeides gegenüber dem König von England
1937Republikanische Verfassung Irland - "Republic of Eire"
1939-1945Neutralität Irlands im 2. Weltkrieg
1945Anerkennung der Verfassung Irlands durch das UK
1949Austritt Irlands aus dem Commonwealth of Nations
1991Religionszugehörigkeit in Nordirland: 38,4 Prozent Katholiken - 50,6 Prozent Protestanten
199810. April: Belfast-Abkommen?
 22. Mai: Volksabstimmung über das Belfast-Abkommen? mit überwältigender Zustimmung in Nordirland (71,7 Prozent) und der Republik Irland (94,4 Prozent)
2001-2002Unbrauchbarmachung der Waffen der IRA

4 Fallstudie Der Nahost-Konflikt    

Bei den seit Herbst 2000 laufenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern - der "Al-Aqsa? Intifida" - ist derzeit kein Friedensprozess in Sicht. Vielmehr gibt es eine gewalttätige Konfliktaustragung, die den in Oslo begonnenen Rahmen eines Konfliktmanagements zusammenbrechen ließ. Es gilt also in dieser Fallstudie, die Versäumnisse der Konfliktbearbeitung zu analysieren, um die Gründe für einen Zusammenbruch des Oslo-Prozess? aufzuzeigen. Ein aktueller Buchtipp aus dem Jahr 2004 soll eine Vision eines "neuen Nahen Ostens" vorstellen (vgl. Punkt 4.2).

Das Nahost-Problem? besteht aus vier Hauptproblemen und drei Nebenproblemen, wobei der israelisch-palästinensische Konflikt sich im britischen Mandatsgebiet Palästina - vor dem Hintergrund antisemitischer Progrome und der Judenverfolgung und -vernichtung im Dritten Reich - mit der jüdischen Einwanderung und Landnahme ab dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt.

Hauptprobleme

  • Militärische Konfrontation Israels mit den arabischen Nachbarstaaten
  • Besetzung arabischer und palästinensischer Gebietsteile durch die israelische Armee
  • Waffenlieferungen der Großmächte in das Krisengebiet und Entsendung von Militärberatern - Gefahr der Ausweitung des Konflikts
Nebenprobleme

  • Palästinensische Flüchtlinge sind zumeist eine städtische und beruflich handwerklich und kleinindustriell ausgerichtete Bevölkerung, die in das von Beduinen bewohnte Restjordanien ("Westbank") einwanderte und für das Königreich Jordanien erhebliche Probleme ergab.
  • Migrationsprobleme in Israel durch die einwandernden Juden aus Osteuropa und die nationalsozialistische Judenverfolgung aus Westeuropa sowie Einwanderer aus orientalischen Ländern mit den verschiedensten gesellschaftlichen Wertorientierungen > in der Folge kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Spannungen mit Minderheitsproblemen > die militärische Bedrohung Israels verdeckt die Hintergründe und
  • Unterschiede der Interessenslage durch wirtschaftliche Situation, politische Organisation (Königreiche-Militärregime-Einparteienstaaten?) und den regionaler Führungsanspruch der arabischen Staaten ergab.
Durch die Proklamation des Staates Israel 1948, den ersten israelisch-arabischen Krieg 1948/49 und der Flucht und Vertreibung von rund 750 000 Palästinensern aus ihren Städten und Dörfern verschärfte sich die Lage.

1967 veränderte sich die Situation durch die Besetzung der Westbank, von Ost-Jerusalem? und des Gaza-Streifens?. Die geschätzte Fluchtwelle von 200 000 - 300 000 Palästinensern, der Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Errichtung einer Militärverwaltung bringen nunmehr eine andere Qualität in den militärischen Konflikt (vgl. KRÄMER 2002 und SEGEV 1995). Mit der teilweisen Integration der palästinensischen Volkswirtschaft in die israelische verhindert man die wirtschaftliche Entwicklung in den besetzten Gebieten.

Im Wesentlichen handelt es sich um einen Territorialkonflikt und nicht um einen Konflikt zweier Religionen, selbst wenn beide Seiten religiöse Motive und Gründe immer wieder in das Spiel bringen. Verbunden wird der Konflikt mit dem Anspruch der Palästinenser, ihr Selbstbestimmungsrecht in einem unabhängigen Staat zu verwirklichen (vgl. FERWOSKI-MATTHIES? 2003, 119).

Nach ASSEBURG (2002) ähnelt das Palästinaproblem in vielem den Entkolonialsierungskämpfen und der nachholenden Staatenbildung in der Dritten Welt nach der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei hat sich seit Mitte der siebziger Jahre jene Strömung der "Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)" unter Jassir Arafat durchgesetzt, die de facto die Existenz des Staates Israel anerkennt und eine Gründung eines palästinensischen Staates anstrebt (vgl. BAUMGARTEN 1991). Dies ist mit der Staatsausrufung von Algier 1988 und der gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und Palästina 1993 postuliert worden. Im Zuge der ersten Intifada 1987-1992 setzte sich die Einsicht durch, dass keine Seite militärisch siegen könnte. Mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Zweiten Golankrieg sowie dem finanziellen Zusammenbruch der PLO relativierte sich die Rolle Israels. Damit etablierten sich die USA als alleinige Supermacht, nahmen den Konfliktparteien die Möglichkeit des Vorspannens der Supermächte für eigene Interessen und ergaben unter amerikanischer Führung die Nahost-Konferenz? in Madrid 1991 und in der Folge die israelisch-palästinensischen Geheimverhandlungen in Oslo 1993.

Das Vertragswerk von Oslo

Bei den in Oslo im Sommer 1993 ausgehandelten "Oslo-Verträge?" mit der Prinzipienerklärung vom 13.9.1993, dem Pariser Protokoll vom 29.4.1994, dem Gaza-Jericho-Abkommen? vom 4.5.1994 und dem Interimsabkommen vom 28.9.1995 handelt es sich um eine gegenseitige Anerkennung der Konfliktparteien und einer Einigung auf einen Friedensprozess, der im Verhandlungswege herbeigeführt werden soll. "Vereinbart wurde also nicht die Lösung des Konflikts, sondern seine Verregelung, Einhegung und friedliche Bearbeitung" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 121).

Beschlossen wurde eine fünfjährige Übergangsperiode palästinensischer Selbstverwaltung mit Rückzug der israelischen Truppen aus den Bevölkerungszentren der Westbank und im Gaza-Streifen? sowie einer zu errichtenden palästinensischen Behörde zur Selbstverwaltung mit Ordnungskompetenzen. Es soll somit eine schrittweise Annäherung und der Aufbau von Vertrauen angestrebt werden. Eine Regelung der Hauptkonfliktpunkte blieb offen, vielmehr dies auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Im dritten Jahr sollten Verhandlungen über den Status und die Grenzen Palästinas, die Zukunft der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die Kontrolle über Jerusalem, eine Rückkehr und Entschädigung palästinensischer Flüchtlinge sowie Sicherheitsmaßnahmen verhandelt und binnen zwei Jahren abgeschlossen werden. Vertrauensbildende Maßnahmen waren die schrittweise Freilassung von palästinensischen Häftlingen und die Streichung jener Artikel in der PLO-Charta? über den bewaffneten Kampf gegen Israel und deren Vernichtung. "People to people-Programme" sollten eingerichtet werden, die eine Aussöhnung und Dialogbereitschaft fördern. Im "Wye River Agreement" vom Oktober 1998 wurde das verbietende statt des zusammenarbeitenden Moments stärker betont, insbesondere das Verbot der Verunglimpfung des Konfliktpartners und der Aufstachelung zu Gewalttätigkeiten.

Allerdings waren die Bewältigung der Konfliktfolgen, eine Verfolgung von Kriegsverbrechen und die Bearbeitung individueller und kollektiver Traumata nicht Gegenstand der Verträge. Damit fehlte auch eine gesellschaftliche Integration palästinensischer Flüchtlinge. Immerhin geht es um rund 30 Prozent der Bevölkerung in der Westbank und 75 Prozent im Gaza-Streifen?, von denen ein Großteil in Flüchtlingslagern leben. "Sie erfuhren in Folge der israelisch-palästinensischen Abkommen weder eine Verbesserung ihrer materiellen Lebensverhältnisse, noch ihres rechtlich-politischen Status" (FERDOWSKI-MATTHIES? 2003, 123).

Mit dem Interimsabkommen von 1995 wurden die palästinensischen Gebiete in A-, B- und C-Zonen? eingeteilt. In einer ersten Phase sollte Israel sich zunächst aus der A-Zone?, dann aus der B-Zone? zurückziehen. Die C-Zone? beinhaltet Truppengruppierungen und wurde im Abkommen wenig beschrieben. Zudem waren israelische Siedlungen, Umgehungstraßen und Militärstützpunkte davon ausgenommen. Nach Wahlen zum palästinensischen Rat sollen diese in einem Zeitrahmen von eineinhalb Jahren abgeschlossen sein.

Das Ziel, in der Interimsperiode eine Annäherung und vertrauensbildende Maßnahmen in Gang zu setzen, wurde nicht erreicht. Unter Jitzhak Rabin (1992-1995) und Shimon Peres (1995-1996) wurde Vertrauen - trotz Siedlungsbau und Verzögerungen bei der Umsetzung der Abkommen - geschaffen. Auch ein Enthusiamus der Palästinenser angesichts der ersten greifbaren Schritte trug zu einer positiven Stimmung bei.

Immerhin zog die israelische Armee aus Zentren palästinensischer Städte Ende 1995 ab und erste Wahlen in der Westbank, im Gaza-Streifen? und Ost-Jerusalem? fanden statt. Unter Benjamin Netanjahu(1996-1999) und seinen Nachfolgern Barak(1999-2001) und Sharon(seit 2001) gab es keinen Durchbruch mehr. Die Abkommen von Hebron (15.1.97), das Wye-River-Abkommen? vom 23.10.98 und das Sharm-al-Sheikh-Abkommen? vom 4.9.99 beschrieben Details und bekräftigen den Willen der jeweiligen israelischen Regierung am Festhalten ds Friedensprozesses. Da keine Übereinstimmungen und Fortschritte erzielt wurden, dauert nunmehr der Interimszustand zwischen Besatzung und sonstigen Unklarheiten weiter an. So ist es in den letzten Jahren auch zu einer deutlichen Militarisierung in den palästinensischen Gebieten und deren Bevölkerung gekommen. Es gab keine Entwaffnungen, ein reger illegaler Waffenhandel fand statt, es kam vermehrt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den palästinensischen Gruppierungen, zur Stürmung von Gefängnissen und zu Selbstjustiz (vgl. ASSEBURG 2003, 131).

In der Bewertung des Nahost-Konflikts? und seiner Abkommen konnte man von Anfang an Verzögerungen bei der Umsetzung der Verhandlungsergebnisse erkennen. Bis zum Herbst 2000 fühlten sich beide Seiten zu einem kooperativen Konfliktmanagement verpflichtet. Es funktionierte vor allem die Zusammenarbeit in wirtschaftlicher und handelspolitischer, sogar in Fragen der Sicherheit. Das Oslo-Abkommen? legalisierte letztlich jedoch in der Interimsperiode die Dominanz Israels und verfestigte ungleiche Strukturen.

Der Aufschub der Hauptprobleme führte ebenso zum Fehlen einer Vorbereitung der jeweiligen Bevölkerung auf politische Kompromisse. "Vielmehr erlaubte er ihnen, populistische Maximalforderungen zu propagieren und den Weg des geringsten Widerstandes im eigenen Lager zu gehen, statt eine Konfrontation mit Teilen der eigenen Bevölkerung zu riskieren, um die Abkommen effektiv umzusetzen. Insbesondere setzte sich keine israelische Regierung gegen die Siedlerbewegung durch und die Palästinensische Autonomieverwaltungsbehörde(PA) etablierte kein effektives Gewaltmonopol über die bewaffneten Gruppierungen der religiösen und säkularen Opposition" (ASSEBURG 2003, 136).

Die bisherige Konfliktentwicklung macht deutlich, dass eine dauerhafte Konfliktbewältigung nur dann gelingen kann, wenn realistische Konfliktlösungen - annehmbar für beide Seiten - vorliegen. Dazu gehören vertrauensbildende Maßnahmen und der demonstrierte Wille dazu, wobei beides derzeit fehlt. Erst eine Gleichberechtigung der Parteien vermag eine Annäherung und in der Folge eine Aussöhnung zu erreichen. "Und der Prozess kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn er auch von den Gesellschaften getragen wird" (ASSEBURG 2003, 139).


Daten zum Nahost-Konflikt
1882Progrome in Russland als Folge der Ermordung von Zar Alexander II. - Einwanderungen nach Palästina/1. Aliyah (Einwanderungswelle) 1882-1903
1896Theodor Herzl veröffentlicht sein Buch "Der Judenstaat"
18971. Zionistischer Kongress in Basel
19042. Aliyah 1904-1914
1905Auf dem 7. Zionistischen Kongress wird das britische Angebot, einen jüdischen Staat in Uganda zu erreichten, abgelehnt
191524. Oktober: Brief von Sir Henry Mac Mahon an Hussein Ibn Ali, den Scherif von Mekka, in dem ihm ein großarabisches Reich versprochen wird
191616. Mai: Sykes-Picot-Abkommen? zwischen Großbritannien und Frankreich über die Aufteilung der Region, die MacMahon dem Scherif von Mekka schon versprochen hatte
19172. November: Balfour-Deklaration?("Magna Charta des jüdischen Volkes")
1917/18Eroberung Palästinas durch Großbritannien
1919Friedenskonferenz in Paris - 3. Aliyah 1919-1923
19201. Juli: Ablöse der britischen Militärverwaltung in Palästina durch eine zivile Mandatsverwaltung.
 24. April: Der oberste Rat der Alliierten macht die Balfour-Deklaration? zum Bestandteil des Friedensvertrages mit der Türkei
192224. Juli: Ratifizierung der Balfour-Deklaration? durch den Völkerbund und Übertragung des Palästina-Mandats? an Großbritannien zum 23. September 1923
19244. Aliyah 1924-1931
1929Pogromartige Zwischenfälle an der Klagemauer
19325. Aliyah 1932-1939
1936Arabische Aufstände
 11. November: Teilungsempfehlung der Peel-Kommission?
1939Round-Table-Konferenz? in London von Arabern-Juden-Briten?
 Veröffentlichung des Weißbuches: Einwanderungsbeschränkungen von Juden nach Palästina
1942Biltmore-Konferenz? in New York: Zionisten fordern staatliche Unabhängigkeit in Palästina
194718. Februar: Lord Belvin verkündet das Scheitern der britischen Mandatspolitik/ Ankündigung Großbritanniens, das Palästinaproblem vor die UNO zu bringen
 15. Mai: Sonderausschuss der UNO-Hauptversammlung? zur Prüfung der Lage in Palästina
 29. November: Teilungsbeschluss der UNO-Vollversammlung?
1948Ende der britischen Mandatszeit in Palästina - Proklamation des Staates Israel durch David Ben Gurion und gleichzeitiger Einmarsch der arabischen Armeen nach Israel und Palästina
1949Februar - Juli: Bilaterale Waffenstillstandabkommen zwischen Israel und Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Libanon
 Mai: Aufnahme Israels in die UNO
 Jerusalem wird offiziell zum Sitz der israelischen Regierung erklärt
195626. Juli: Ägypten verstaatlicht den Suez-Kanal?
 29. Oktober: Beginn der israelischen Sinai-Aktion?
 5. November: Besetzung von Scharm-El-Scheikh?/Am gleichen Tag landen britisch-französische Truppen in der Suez-Kanal-Zone?
19578. März: Rückzug der israelischen Truppen
19664. November: Syrien und Ägypten(VAR) schließen ein Verteidigungsabkommen
19677. April: Heftige Luftkämpfe zwischen Israel und Syrien
 2. Mai: Ägypten schließt den Golf von Akaba
 18. Mai: Abzug der UNO-Truppen? auf Wunsch Ägyptens aus der Sinai-Halinsel?, Gazah und Scharm-El-Scheikh?
 5. - 10. Juni: 6 Tage-Krieg?
 22. November: UNO-Resolution?
19707. August: Einstellung des Krieges zwischen Ägypten und Israel
 September: Vertreibung der Freischärler aus Jordanien/Beginn internationaler Terroraktionen druch palästinensische Freischärler
1972März: Bekanntgabe des Hussein-Planes?/Angebot König Husseins, einen unabhängigen palästinensischen Staat in Westjordanien in loser Föderation mit Jordanien zu gründen
 28. März: Wahlen in Westjordanien
 18. Juli: Ausweisung sowjetischer Militärberater aus Ägypten
19736. Oktober: Beginn eines neuen Nahost-Krieges?
1979Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel(Sadat - Peres - Carter)
1987-19921. Intifada/Beginn des palästinensischen Kampfes gegen die israelische Besatzung
1991Nahost-Konferenz? in Madrid
1993Israelisch-palästinensische Geheimverhandlungen in Oslo/Prinzipienerklärung: Verregelung-Einhegung-friedliche? Bearbeitung des Konflikts
 September: gegenseitige Anerkennung zwischen Israel und einem palästinensischen Staat
1994Mai: Pariser Protokoll/wirtschaftliche Integration der palästinensischen Gebiete in die israelische Volkswirtschaft
199528. September: Interimsabkommen
199823. Oktober: Wye River Agreement/Hervorhebung verbietender und weniger zusammenarbeitender Maßnahmen als Folgeabkommen
2000Herbst - heute: andauernde gewalttätige Auseinadersetzungen zwischen Israel und Palästinensern/"Al-Aqsa? Intifada"


5 Hinweise zur Aufarbeitung der Thematik in Politischer Bildung/Erziehung in der Sekundarstufe II    

Mit drei Fallstudien, Ursachen, Konfliktverläufen und Versuchen der Beendigung, Daten zu den jeweiligen Konflikt, fünf exemplarischen Fragekomplexen und einem aktuellen Buchtipp zur Lage im Nahen Osten soll beispielhaft angeregt werden, die Thematik von Friedensprozessen methodisch-didaktisch aufzuarbeiten.

5.1 Fragenkomplexe    

  • Handelt es sich bei Terrorüberfällen um revolutionäre Taten? Gibt es Beispiele in der Geschichte nach 1945, in denen Anführer von Terrorgruppen bei Staatsgründungen zu anerkannten Staatsmännern wurden?
  • Arabische Länder feiern mitunter Massaker als Heldentaten, die übrige Welt ist entsetzt. Ähnliches gibt es auch in europäischen Konflikten zu beobachten(IRA/Nordirland, ETA/Spanien). Welche Begründungen werden dafür angeführt?
  • Beispiele Israel und EU: Was kann und was sollte man tun, um sich vor Terroranschlägen zu schützen? Gibt es bessere Methoden als die heute angewandten, um auf diese zu reagieren?
  • Hinter der Aufbauleistung Israels verblasst das deutsche Wirtschaftswunder nach 1945: Zügiger Aufbau einer eigenen Industrie, Aus- und Aufbau eines funktionierenden Verkehrsnetzes, Meliorierung und wirtschaftliche Nutzung weiter Ödlandflächen durch Ackerbau und Pflanzenproduktion sowie Aufforstung mit Hilfe künstlicher Bewässerung. Daneben fällt dem Staat die schwierige Aufgabe zu, Siedler in den Staat sprachlich und kulturell zu integrieren. Für schulpflichtige Kinder kann dies in der Schule geleistet werden. Dem Militär fällt die Aufgabe zu, versäumte Bildung aller wehrpflichtiger Männer und Frauen nachzuholen.
  • Welche Konsequenzen haben solche Leistungen auf die Nachbarstaaten?
  • Wie kann man die Rolle des Militärs in den drei besprochenen Konfliktherden einordnen/Schutzfunktion-Wirtschaftsfaktor-Bildungsfunktion??
5.2 Buchtipp    

Shimon Peres: Eine Zeit des Krieges, eine Zeit des Friedens

Siedler Verlag, München 2004, 210 Seiten

Shimon Peres, langjähriger führender Politiker der israelischen Arbeiterpartei, entwirft in seinem neuen Buch eine optimistische Vision von einem "neuen Nahen Osten": Eine Region, die nicht mehr zerrissen ist von Hass und Gewalt, sondern sich wirtschaftlich entwickelt und zusammenarbeitet. Die Region des Nahen Ostens wird als "ökonomische Erweiterung Europas" vorgestellt.

Shimon Peres hat die Nahost-Politik? jahrzehntelang mitbestimmt. Daher ist sein Buch von Interesse, das auch politische Reflexionen mit politischen Erinnerungen verbindet. Jene Passagen sind besonders aufschlussreich, in denen Peres als Kenner die politischen Akteure auf beiden Seiten beschreibt.

Der ägyptische Präsident Sadat dürfte demnach die wichtigste Persönlichkeit für ihn gewesen sein, misst man zumindest die Bedeutung am Ergebnis. Immerhin schloss Sadat 1979 Frieden mit Israel. Im Gegensatz dazu macht Peres Palästinenser-Präsident? Arafat den Vorwurf, dass er nicht den Sprung vom Führer einer revolutionären Organisation zum Staatsmann geschafft habe.

Den Likud-Mann? Netanjahu sieht Peres als Image-Politiker?, den jetzigen Premier Sharon porträtiert Peres als Mann auf einem doppelten Irrweg: Zum einen mit starker militärischer Erfahrung(die Peres ebenfalls besitzt), zum anderen mit Hang zum politischen Lager der Siedler. Sharon meint, mit militärischen Mitteln den Terrorismus besiegen zu können. Solange eine Gewaltwelle andauert, kommen keine Verhandlungen in Frage. Peres ist dagegen überzeugt, dass der Konflikt nicht enden wird, solange nicht die politischen Ursachen beseitigt sind. Daher plädiert der Labour-Politiker? Peres für einen Dialog über eine "Zwei-Staaten-Lösung?".

Eindrucksvoll für den Leser ist jene Passage mit einer Analyse des gesellschaftlichen Wandels in Israel. So hat die Einwanderung von 1 Million russischsprachiger Juden innerhalb eines Jahrzehnts das rechte politische Lager im Lande deutlich gestärkt.

6 Friedensbemühungen - Friedensgutachten 2023    

Ausgehend vom "Friedensgutachten 2023" der vier deutschen Institute/ BICC-HSFK-IFSH-INEF? (2023, 5-11) besitzt die Politische Bildung eine Basis für pädagogische Bemühungen in den Themenbereichen Zunahme von Gewaltkonflikten, Dilemmata feministischer Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Rüstungskontrollmaßnahmen, politischer Entflechtung und Entschärfung gesellschaftlicher Polarisierung.

6.1 Zunahme von Gewaltkonflikten    

Der Ukrainekrieg ist zwar ein regionaler Krieg in Europa, seine Folgen sind allerdings weltweit zu spüren, so im Anstieg der Inflation, Preiserhöhungen für Energie und Lebensmittel, Fluchtbewegungen und Konflikten im Indopazifik. Massiver werden Forderungen nach Friedensverhandlungen.

Der Ukrainekonflikt dominiert die Nachrichtenlage, allerdings sollten die anderen Konfliktzonen nicht übersehen werden. Dazu gehören die Bürgerkriege im Mittleren Osten, in der Sahelzone und am Horn von Afrika. 2021 erhöhte sich die Zahl der Todesopfer von Kriegen und Konflikten in Äthiopien, Somalia oder dem Jemen um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Konflikt im Sudan zeigt deutlich, wie schnell eine Auseinandersetzung sich verschärfen kann.

Viele Gewaltkonflikte finden unter Beteiligung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen statt. Privatarmeen spielen eine wichtige Rolle, man denke an die schweren Kämpfe zwischen Drogenkartellen in Lateinamerika, nichtstaatliche Gewalt in der Saharazone. Regierungen setzen auf nichtstaatliche Truppen wie lokale Milizen und die Wagner-Gruppe? wie in Mali, Burkina Faso oder der Zentralafrikanischen Republik. Mitunter kommt es von diesen Gruppen zu einem Entzug der Kontrolle der Regierungen. UN-Missionen? werden behindert.

6.2 Dilemmata feministischer Außenpolitik    

Diese Form der Außenpolitik nimmt in den Blick nicht nur Frauen, auch andere gesellschaftlich benachteiligte Teile der Gesellschaft.

Ziele sind eine Gleichberechtigung in politischen Rechten und im Zugang in Ressourcen für benachteiligte Menschen und letztlich eine Entschärfung gegen gesellschaftliche Ausgrenzung (vgl. Iran Beispiel Mahsa Amini und Demonstrationen gegen eine frauen- und menschenfeindliche Regierung).

  • Hemmnisse und eine Zurückhaltung bei außenpolitischen Reaktionen/ Dilemmata beim Iran bilden die Öltransporte durch den Persischen Golf und Nuklearverhandlungen.
  • Dillemmta bei Afghanistan für eine humanitäre Hilfe bilden trotz einem Schul-, Bildungs- und Arbeitsverbot für Frauen Folgen der Einstellung jeder Nothilfe und einer humanitären Katastrophe.
6.3 Entwicklungszusammenarbeit - humanitäre Hilfe    

2021 und 2022 bestimmen drei Krisen die Weltlage der Klimawandel, die Covid-19-Pandemie? und der Ukraine-Konflikt? (vgl. 3 Cs Climate-Covid-Conflict?).

Langfristige Folgen bestimmt der Klimawandel mit Extremwetterereignissen wie Dürren/ Horn von Afrika und Überschwemmungen/ Südostasien. Einen Krisenmodus ergab das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Diesen Extremereignissen fehlen Bewältigungsstrategien und Anpassungsfähigkeiten.

Vor allem auf lokaler und regionaler Ebene benötigt man eine Verknüpfung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung. Damit sollten Folgen von Kriegen, Klimawandel und Ernährungsunsicherheit politisch eingeengt werden können.

6.4 Rüstungskontrollmaßnahmen    

Der Ukrainekonflikt wirkt sich auch auf die Rüstungskontrollmaßnahmen aus. Die Politik wird sich umstellen müssen, schwieriger werden Vereinbarungen bei Abrüstungsschritten und Rüstungsbegrenzungen.

Ziel soll eine Erhöhung von Krisenstabilität sein, daher Fehlwahrnehmungen einzuschränken und Eskalation zu verhindern. Internationale Vereinbarungen bedürfen auch einer Teilnahme anderer Staaten, damit nicht alles den Supermächten überlassen wird. Erforderlich sind daher multilaterale Gespräche.

6.5 Politische Entflechtungen    

Der Ukrainekonflikt stellt eine institutionelle Friedenspolitik, wirtschaftliche Verflechtung besonders im Handel infrage. Die Abhängigkeiten Europas von Energie bringen häufiger eine Abbau von Verflechtungen, auch gegenüber China, mit sich (vgl. die Gasversorgung 2022).

Entflechtung ist nicht von sich aus und unbedingt eine friedensstützende Politik. Eine Entflechtung sollt daher zurückhaltend und in Verbindung mit der Prüfung einzelner Handelsbereiche und EU-Partner? vorgenommen werden.

6.6 Entschärfung gesellschaftlicher Polarisierung    

Gesellschaftlicher Frieden und ein geregelter Konfliktmodus sind in Demokratien grundsätzlich voraussetzungslos.

Krisen wie Inflation, Klimawandel, Arbeitslosigkeit, Covid-19-Pandemie? und Fluchtbewegungen erhöhen politische Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung. In extremer Form beeinträchtigt sie demokratische Politik oder fördert sogar politische Gewalt. Besonders die Klimapolitik beinhaltet politische Lagerbildung und Konfliktpotential bis zu Gesetzesübertretungen.

Es gilt die Resilienz demokratischer Gesellschaften zu stärken, es bedarf von Beratungs- und Bildungsprogrammen. Gestärkt werden sollen demokratische Auseinandersetzung und gesamtgesellschaftlicher neue Beteiligungsformate (vgl. Bürger/innenräte).

6.7 Zusammenfassung    

Die Welt ist weit vom Frieden entfernt.

Aktuelle Konflikte blockieren Kooperationen in Form von internationalen Vereinbarungen und fördern neue Lagerbildungen.

In weiten Teilen der Welt sind Menschen in ihrem Überleben und Freiheitsrechten bedroht.

Demokratien sind von innen gefährdet.

Eine auf Frieden gerichtete Politik muss sich an Normen und Werten orientieren sowie der Realität orientieren können.

Die Schwierigkeiten in Widersprüchlichkeiten und Hemmnissen bedürfen offener Kommunikationsformen und Diskussionskultur.

Politische Glaubwürdigkeit bedarf neuer Formen einer Mitbestimmung und Mitverantwortung.

Literaturverzeichnis    

Angeführt sind jene Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.

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Friedensgutachten/ 2023 - Bonn International Centre for Conflict Studie/ BICC, Leibniz-Institut? Hessische Stiftung Friedens-und Konfliktforschung/ HSFK, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg/ IFSH, Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen?/ INEF - Noch lange kein Frieden, Bielefeld, 5-11

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Radkau V.-Fuchs E.-Lutz Th. (Hrsg.) (2000): Genozide und staatliche Gewaltverbrechen im 20. Jahrhundert, Innsbruck-Wien-München-Bozen?

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Waldmann P. (1995): Gesellschaften im Bürgerkrieg. Zur Eigendynamik entfesselter Gewalt, in: Zeitschrift für Politik, 42. Jg./ Heft 4, 333-368

IT-Autorenbeiträge/Auswahl?    

Die angeführten IT-Autorenbeiträge? dienen der Ergänzung zur Thematik.


Netzwerk gegen Gewalt

http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index:

Politische Bildung

Lernfeld Politik

Europa als Lernfeld

Interkulturelle Kompetenz

Globales Lernen

Zum Autor    

Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft der Universität Wien/Aus- und Weiterbildung/Vorberufliche Bildung (1990/1991-2010/2011), Lehrbeauftragter am Sprachförderzentrum des Stadtschulrates für Wien/Interkulturelle Kommunikation (2012), Lehrbeauftragter am Fachbereich für Geschichte der Universität Salzburg/Lehramt für Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung-Didaktik? für Politische Bildung (2015/2016, 2017)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich (2000-2011), stv. Leiter/ Vorstandsmitglied des Evangelischen Bildungswerks in Tirol (2004-2009), Gründungsteilnehmer der LehrerInnen-Plattform? für Politische Bildung und Menschenrechtsbildung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (2004-2005), Kursleiter an den VHSn Zell/See, Saalfelden und Stadt Salzburg (2011-2019)

APS-Lehramt/Lehrer? - Absolvent des Instituts für Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg-Klagenfurt?/ Master (2008), des 7. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), der Weiterbildungsakademie Österreich/ Diplome (2010), der Personalentwicklung für Mitarbeiter der Universitäten Wien/Bildungsmanagement (2008-2010) und Salzburg/ 4. Interner Lehrgang für Hochschuldidaktik/ Zertifizierungen (2015/2016), des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/Zertifizierung (2018)

Aufnahme in die Liste der sachverständigen Personen für den Nationalen Qualifikationsrahmen/NQR, Koordinierungsstelle für den NQR/ Wien (2016)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 14. Juli 2023