Gewalt und Religion
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China wird der Mittelpunkt - auch als Schutzmacht - eines konfuzianisch-asiatischen, Indien der eines hinduistischen und die USA eines abendländisch-christlichen Bündnisses demnach sein. Russland wird schließlich der Kern eines slawisch-orthodoxen Blocks werden.
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China wird der Mittelpunkt - auch als Schutzmacht - eines konfuzianisch - asiatischen,
Indien der eines hinduistischen und
die USA eines abendländisch - christlichen Bündnisses demnach sein.
Russland wird schließlich der Kern eines slawisch - orthodoxen Blocks werden.
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Treibende Kräfte dieser neuen weltpolitischen Epoche sind demnach religiöse Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede. Auseinandersetzungen zwischen den Weltreligionen werden zunehmen, während innerhalb der Weltreligionen Konflikte an Bedeutung verlieren. HUNTINGTON sieht in diesem Interpretationsschema für die Gegenwart und Zukunft Kräfte religiöser Homogenität und einer Ausgrenzung fremder Götter am Werk.
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Treibende Kräfte dieser neuen weltpolitischen Epoche sind demnach religiöse Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede. Auseinandersetzungen zwischen den Weltreligionen werden zunehmen, während innerhalb der Weltreligionen Konflikte an Bedeutung verlieren.
HUNTINGTON sieht in diesem Interpretationsschema für die Gegenwart und Zukunft Kräfte religiöser Homogenität und einer Ausgrenzung fremder Götter am Werk.
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 | Inhaltsverzeichnis dieser Seite | |
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Vorbemerkung |  |
Ausbildung ohne Bildung führt zu Wissen ohne Gewissen.
(Daniel Goeudevert 2001,5)
Die Ereignisse des 11. September 2001 werfen eine Fülle von Fragen auf, so die nach der Rolle der Religionen in globalen und regionalen Konflikten. Von Interesse sind mögliche Strategien, Eskalierungen zu vermeiden.
Für das Interessensfeld "Politische Bildung/ Menschenrechtsbildung" und Religionspädagogik zeigt sich ein nicht abgeschlossener Diskussionsprozess, der mit diesem Beitrag weitergeführt werden soll.
"Die religiös-weltanschauliche Landschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist nicht nur durch das Fortschreiten von Säkularisierungs- und Modernisierungsprozessen bestimmt, sondern auch durch die sogenannte 'Wiederkehr der Religionen', die als eine den Menschen ergreifende Macht öffentlichen Einfluss gewinnt" (HEMPELMANN 2002, 1).
Religionen treten als
- Quellen moralischer Verpflichtung und als
- Faktoren in gewaltsamen Konflikten in Erscheinung.
Samuel P. HUNTINGTONs "Kampf der Kulturen" und Hans KÜNGs "Projekt Weltethos" sind dabei von besonderem Interesse. Die Frage nach einem möglichen Beitrag der Kirchen zur Förderung des Friedens stellt sich damit.
1 Religiös motivierte Gewalt |  |
Folgt man dem US - Politikwissenschaftler Samuel HUNTINGTON, dann ging das Ende des Kalten Krieges mit der Vertreibung der Menschheit aus einem Sicherheitsparadies einher (vgl. HUNTINGTON 1996).
Die weltumfassende Konkurrenz der Supermächte hörte sich auf und gleichzeitig mit ihr eine Epoche einer auf Interessensausgleich ausgerichteten Weltpolitik. HUNTINGTON sieht in der Folge eine "Ära der Glaubenskriege". Religiöse Nationalisten kämen an verschiedensten Orten an die Macht und würden ihre Anhänger gegeneinander aufbringen. Die Welt würde sich in einem blutigen Prozess politisch neu ordnen.
Am Ende stehen sich Glaubensgemeinschaften gegenüber, die mit Hilfe von Staaten und internationalen Allianzen Machtpositionen sich gegenseitig streitig machen.
Politik wird damit zur Fortsetzung von Religion mit anderen Mitteln.
Zur Begründung der Thesen werden die Konflikte in Bosnien, Tschetschenien, Indien, Indonesien und Nigeria angeführt.
- Gegner zum Kampf um das Primat ihrer Religion stehen sich in diesen Regionen gegenüber wie
- katholische Kroaten, orthodoxe Serben und bosnische Muslime in Bosnien,
- muslimische Rebellen gegen orthodoxe Russen in Tschetschenien,
- Hindus gegen Muslims und Christen in Indien,
- Muslims gegen Christen in Indonesien und in Nigeria ebenso Angehörige von Religionsgemeinschaften in blutigen Unruhen.
1.2 Prinzipien |  |
HUNTINGTON sieht eine Umkehr des Prinzips "Ein Staat, eine Religion" zu "Eine Religion, ein Staat" mit gewaltigen Opfern und anhaltenden Grausamkeiten.
Diese Thesen haben insbesondere unter Politologen und (auch) unter Pädagogen eine starke Resonanz gefunden und bedürfen einer kritischen Analyse.
Im Folgenden wird zu begründen sein, dass unsere Welt
- nicht in eine Phase von Glaubenskriegen eintritt und
- dass politische und wirtschaftliche Motive die meisten Konflikte begründen.
- Natürlich bieten sich auch religiöse Überzeugungen für eine gewalterzeugende und gewaltförderliche Instrumentalisierung in diesen Konfliktherden an. Zu untersuchen ist, wie man solche steigerbare Kraft religiöser Unterschiede zwischen politischen Gegnern eindämmen und ausschalten kann.
2 Religiöse Faktoren in zwischenstaatlichen Konflikten |  |
HUNTINGTON geht in seiner Analyse vom Ende der Supermächte und künftigen "Kernstaaten" aus, die staatliche Allianzen - mit gleichem oder ähnlichem Glaubensbekenntnis - ergeben.
2.1 Kernstaaten |  |
China wird der Mittelpunkt - auch als Schutzmacht - eines konfuzianisch - asiatischen,
Indien der eines hinduistischen und
die USA eines abendländisch - christlichen Bündnisses demnach sein.
Russland wird schließlich der Kern eines slawisch - orthodoxen Blocks werden.
Noch nicht absehbar für HUNTINGTON gibt es eine Zentralmacht des muslimischen Bereichs.
Treibende Kräfte dieser neuen weltpolitischen Epoche sind demnach religiöse Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede. Auseinandersetzungen zwischen den Weltreligionen werden zunehmen, während innerhalb der Weltreligionen Konflikte an Bedeutung verlieren.
HUNTINGTON sieht in diesem Interpretationsschema für die Gegenwart und Zukunft Kräfte religiöser Homogenität und einer Ausgrenzung fremder Götter am Werk.
2.2 Kritik |  |
Drei empirische Befunde sprechen gegen Huntingtons Thesen, die zusammenfassend hier referiert werden sollen.
- In der Gegenwart sind zumeist die Konflikte Bürgerkriege, die zwischen Angehörigen derselben Weltreligion ablaufen: der Clankrieg im muslimischen Somalia, der Genozid im christlichen Ruanda, die blutigen Konflikte in Algerien und im Irak, der erste Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak und die Kurdenkriege.
- Joseph NYE meint denn auch, dass wir nicht eine neue globale Konfliktformation erleben (vgl. NYE 1995, 5-24). Vielmehr erleben wir neue Zerfallsprozesse in und zwischen Staaten. Im Verlauf von historisch gesehen normalen Herrschafts-, Macht- und Wirtschaftskonflikten werden religiöse Differenzen - man denke zwischen Schiiten und Sunniten oder Katholiken und Protestanten - bedeutsam, während die großen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen in den Hintergrund treten.
- Es lassen sich keine Blockbildungsprozesse entlang religiös definierter Konfliktlinien erkennen, vielmehr dominiert die Logik des Macht- und Bedrohungsgleichgewichtes. So erklärt sich auch die westliche Hilfestellung für Kuwait und Saudi - Arabien im Irakkonflikt, die Hilfe Saudi - Arabiens im Jemen 1994 gegen den islamischen Süden und die Stützung von Japan, Südkorea und Taiwan durch die USA.
- Wenn die Schere zwischen Arm und Reich sich öffnet, wenn Modernisierung Gewinner und Verlierer erzeugt, erhalten erst religiöse Bewegungen Zulauf. Hier wird Religion instrumentalisiert, wobei die heutigen blutigen Auseinandersetzungen weniger zwischen "Gläubigen" und "Ungläubigen" als vielmehr zwischen "Arm" und "Reich" oder auch zwischen "Zentrum" und "Peripherie" verlaufen. Sakrale Symbolik und religiöse Rhetorik durch politische Eliten spielen mitunter eine Rolle bei der Mobilisierung für gewaltsame Eskalationen, denn Gewalt zu legitimieren fällt mit den Argumenten des Kampfes um eine "heilige Sache", der Verdammung des Gegners als "teuflischen Widersacher" und einer Vernetzung religiöser Institutionen in den jeweiligen Gesellschaften leichter.
2.3 Konflikt - Konfliktverhalten |  |
Politikwissenschaft und Politische Bildung unterscheiden zwischen "Konflikt" und "Konfliktverhalten", wie dies am Beispiel der Unruhen in Nigeria gezeigt werden kann.
"Nach dem Bürgerkrieg, der das Land zwischen 1967 und 1970 verwüstet hatte, übernahm eine Koalition aus Militärs und Wirtschaftsführern aus dem Norden die Macht in Nigeria. Sie richtete Staat und Volkswirtschaft zu Grunde. Als im Laufe der neunziger Jahre der Widerstand gegen das autoritäre und korrupte Regime wuchs, spielte es bewusst die religiöse Karte aus und versuchte damit, die Oppositionsbewegung zu zersplittern. 1999 musste das Regime auf Druck des Auslands Präsidentschaftswahlen durchführen. Dank der Stimmen auch vieler Muslime siegte mit Olusegun Obasanjo ein Reformer und Christ aus dem Süden Nigerias. Die alten Eliten sahen sich in ihrer Macht bedroht und versuchten, das Land unregierbar zu machen, um die Voraussetzungen für einen erneuten Militärputsch zu schaffen. In diesem Zusammenhang setzten sie die Einführung des islamischen Rechts in einigen Provinzen Nigerias durch. Die Folge war so absehbar wie brutal. Radikalisierte Jugendliche beider Religionen lieferten sich blutige Straßenschlachten. In deren Verlauf gingen Moscheen und Kirchen in Flammen auf, und mehrere hundert, wenn nicht tausend Menschen wurden getötet. Es kann freilich als gesichert gelten, dass die Unruhen in Nigeria ohne die bewusste Provokation der Glaubensgemeinschaften durch die alten Eliten nicht mit der Gewalt ausgebrochen wären, wie wir sie jetzt beobachten" (RITTBERGER 2002, 8).
3 Gegenstrategien zur Eindämmung von Gewalt |  |
Drei Strategien sind zu diskutieren, die sich einer politikwissenschaftlichen Tradition und damit Aspekten einer Politischer Bildung zuordnen lassen.
3.1 Realismus |  |
Hier geht man davon aus, dass Konflikte zwischen Staaten, Völkern/ Ethnien oder Religionsgemeinschaften unvermeidlich sind, solange keine Schiedsinstanz mit Gewaltmonopol eingreift (vgl. dazu HUNTINGTON 1996, KEPEL 1991, SEUL 1999 und TIBI 1999).
Das Abschreckungspotential funktioniert nur dann, wenn klare Trennlinien - man denke an Grenzen - vorhanden sind und sich verteidigen lassen. Bei Religionsgemeinschaften bedeutet dies eine Entflechtung (auch um den Preis von Umsiedlungen), damit etwa ethnische Säuberungen vermieden werden können.
Solche theoretischen Ansätze von Realisten sind höchst umstritten und werfen zwangsläufig Fragen auf wie:
- Kann man durch Abschreckung und/ oder Unterdrückung religiösen Gewaltmotiven wirkungsvoll entgegenwirken?
- Sind solche Methoden moralisch gerechtfertigt?
3.2 Liberalismus |  |
Insbesondere Sozialwissenschaftler begründen religiöse Radikalisierung mit den Entwicklungs- und Modernisierungskrisen in vielen Entwicklungsländern (vgl. dazu MÜLLER 1998 und NYE 1995).
Religiöse Nationalisten würden kaum Chancen bei realistischen Zukunftsperspektiven in diesen Regionen haben. Mit breiten Demokratisierungs- und Entwicklungsstrategien wären solche auf Mitbestimmung organisierte Gesellschaften weniger für religiöse Gewalt anfällig, wobei dies einen reformwilligen Staat voraussetzt.
Solche Voraussetzungen sind aber in vielen Krisenregionen nicht gegeben.
3.3 Konstruktivismus |  |
Diese Gruppe von Sozialwissenschaflern baut auf die argumentative Auseinandersetzung mit religiösen Nationalisten (vgl. ADLER 1997,319-363; HOPF 1998, 171-200; WENDT 1999, 20-21).
Konstruktivisten gehen von einer wertegestützten Überzeugung politischer Eliten aus, die Antworten auf eine Angemessenheit der Anwendung von Gewalt gibt.
Vor allem autokratische und autoritäre Regime scheuen eine solche Auseinandersetzung und flüchten in der Regel in Strategien einer Zensur.
Hier soll die Tradition der Aufklärung gepflegt werden. Bei allem Anschein von Naivität kann historisch auf das Entstehen friedensstiftender sozialer Bewegungen aus der Mitte von Glaubensgemeinschaften verwiesen werden, die mitunter radikale soziale und politische Reformen anstreb(t)en.
- Man denke an die indische Unabhängigkeits- und die US - Bürgerrechtsbewegung,
- die tibetanische Befreiungsbewegung und
- auch die Bewegung zur friedlichen Überwindung des südafrikanischen Apartheid - Regimes mit ihrem mäßigenden Einfluss christlicher Kirchen.
- Auf die Rolle der Evangelischen Kirchen in Ostdeutschland bei der sog. "Wende" muss in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, wenngleich diese nicht zu überbewerten ist.
Es gibt Fortschritte bei einer friedlichen Verständigung von Glaubensgemeinschaften und Weltreligionen. Man denke an die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" 1970 in Kyoto und an das "Parlament der Weltreligionen" 1993 in Chicago, aber auch an die ständigen Bemühungen des Weltkirchenrates.
Das Bekenntnis zu Frieden und gegen Krieg und Gewalt gibt Möglichkeiten für eine Koordination von Glaubensgemeinschaften in Krisensituationen. Nach RITTBERGER (2002) ist es freilich noch nicht hinreichend erforscht, wann und unter welchen Bedingungen sich die konfliktentschärfenden Interpretationen der religiösen Überlieferungen gegen deren konfliktverschärfende Interpretationen durchsetzen (vgl. RITTBERGER 2002, 11).
3.4 Reflexion |  |
Es ist empirisch nicht nachweisbar und daher diskussionswürdig, inwieweit Menschen sich durch Zwang, Gewalt und Geld in ihren Handlungsentscheidungen leiten lassen.
Jedenfalls spielen Argumente zur Unterstützung friedlich - kollektiver Handlungsziele eine wichtige Rolle.
Mit der Methode der Dialogiestrategie suchen Konstruktivisten nach Lösungen politischer Konflikte, die religiösen Glaubensinhalten gerecht werden (vgl. KÜNG 1992, 1997, 2000).
Allerdings muss die Dialogstrategie durch ökonomische und soziale Strategie sowie mitunter durch Strategien abschreckender Gegengewalt ergänzt werden.
Nicht unterschätzt werden sollte der Beitrag von Glaubensgemeinschaften und Weltreligionen zur Erhaltung und Förderung des Friedens.
3.5 Literatur/Auswahl |  |
Angeführt sind diejenigen Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.
Evangelische Kirche Deutschland (EKD) (1981): Denkschrift "Frieden wahren, fördern und erneuern", Gütersloh
Hempelmann R. (Hrsg.) (2002): Religionen und Gewalt, EZW - TEXTE 2002 Nr. 167, Berlin
Huber W. (1998): Kirche in der Zeitenwende, Gütersloh
Huntington S. (1996): Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München - Wien
Juergensmeyer M. (2009): Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 1020, Bonn
Kallscheuer O. (1996): Das Europa der Religionen, Frankfurt/ M.
Kepel G. (1991): Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch, München - Zürich
Küng H. (1992): Projekt Weltethos, München - Zürich
Küng H. (1997): Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, München - Zürich
Küng H. (2000): Politik aus Verantwortung, Politik aus Verantwortung, in: Zeitschrift Internationale Politik 55/2, Jg. 2000, 1-10
Küng H. / Kuschel K.-J. (Hrsg.) (1996): Erklärungen zum Weltethos. Die Deklaration des Parlaments der Weltreligionen, München (bes. 19-24 und 29-39)
Müller H.(1998): Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington, Frankfurt/ M.
Nye J.(1995): Conflict after the Cold War, in: The Washington Quarterly 19/1, Jg. 1995, 5-24
Rittberger V. (2002): Konflikt- und Gewaltpotentiale in den Weltreligionen? - Politikwissenschaftliche Perspektiven, in: Hempelmann R.(Hrsg.), Religionen und Gewalt, EZW - TEXTE 2002 Nr. 167, Berlin 2002, 3-13
Rittberger V. - Hasenclever A. (2000): Religionen in Konflikten - Religiöser Glaube als Quelle von Gewalt und Frieden, in: Politisches Denken - Jahrbuch 2000, Stuttgart - Weimar 2000, 35-60
Teufel E.(Hrsg.) (1996): Was hält die moderne Gesellschaft zusammen?, Frankfurt/ M.
Tibi B. (1999): Krieg der Zivilisationen, Hamburg
Wendt A. (1999): Social Theory and International Politics, Cambridge
4 Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt in den Evangelischen Kirchen A.B., H.B. und A.u.H.B. in Österreich |  |
(Gewaltschutzrichtlinie)
Vom 7. August 2023
ABl. Nr. 105/2023, 29/2024, 57/2024, 58/2024, 142/2024, 143/2024
4.1 Grundgedanken |  |
In Bezug auf Schutz vor Gewalt jeglicher Art sehen sich die Körperschaften gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verfassung der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich, alle evangelisch - kirchlichen Vereine gemäß Art. 69 und 70 (in Folge kurz „Verpflichtete“ genannt), sowie alle Personen, die haupt- oder ehrenamtlich im Namen und Auftrag der Evangelischen Kirchen A.B., H.B. und A.u.H.B. tätig sind, allen Personen verpflichtet, welche die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen bilden oder an ihr teilhaben. Sie setzen sich mit dieser Rahmenrichtlinie zum Ziel, die Anwendung von Gewalt jeglicher Art zu verhindern. Aufgetretene Gewaltanwendung soll aufgezeigt und einer satzungsgemäßen Behandlung zugeführt werden.
Leben und Arbeit wird in der Beziehung zwischen Menschen und Gott gestaltet. Daher sind unsere Arbeit und unser Umgang miteinander von Respekt, Wertschätzung und Vertrauen geprägt. Wir achten die Persönlichkeit und Würde aller Menschen, gehen verantwortungsvoll mit allen um und respektieren individuelle Grenzen. Insbesondere geht es in dieser Rahmenrichtlinie um Schutz und Würde von Kindern und Jugendlichen (alle Personen unter 18 Jahren) und schutzbedürftigen Erwachsenen (Personen ab 18 Jahren, die aufgrund von Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Alter, Krankheit oder aufgrund sozialer oder anderer Ungleichheiten oder Abhängigkeiten besonderen Schutzes bedürfen), aber auch um den Schutz und die Würde aller anderen Menschen.
Diejenigen, für die diese Richtlinie gilt, entwickeln und leben auf allen Ebenen eine Kultur der Achtsamkeit, die sich aus dem christlichen Glauben begründet.
Kultur der Achtsamkeit heißt bei Gewalt und Grenzverletzungen hinzuschauen, sie zu benennen und Verantwortung zu übernehmen, das Bewusstsein für alle Formen der Gewalt und Grenzverletzung zu schärfen, Gewalt und Grenzverletzungen entgegenzutreten, Sensibilität in Bezug auf Nähe und Distanz zu leben, ein offenes Klima im Umgang mit Fehlern zu schaffen, Betroffenen von Gewalt Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.
Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber gilt für alle Beteiligten Verantwortliche in Leitungsfunktionen, haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende, Gemeindemitglieder, Klientinnen und Klienten, Besucherinnen und Besucher, Jugendliche und Kinder.
Die Diakonie Österreich teilt Grundgedanken und Zielsetzungen der Rahmenrichtlinie der Kirche zum Schutz vor Gewalt vollumfänglich. Gewaltschutz ist ein zentrales Anliegen und bereits wesentlicher Teil der Praxis diakonischer Werke und Einrichtungen. Im diakonischen Bereich sind die Anforderungen an Gewaltschutzkonzepte und Meldeverpflichtungen komplex und differenziert nach Zielgruppen, rechtliche Vorgaben (z.B. Heimaufenthaltsgesetz) sowie Vorgaben von Fördergebern müssen berücksichtigt werden.
Diakonische Einrichtungen sind zum Teil auch der Kontrolle durch Volksanwaltschaft, Menschenrechtsbeirat und Bewohnervertretung unterworfen. Die Mitglieder der Diakonie Österreich sind aufgrund dieser Spezifika aus der Gruppe der Verpflichteten ausgenommen. Die Diakonie Österreich verpflichtet sich, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Mitglieder Gewaltschutzkonzepte etabliert haben.
4.2 Geltungsbereich und rechtlicher Rahmen |  |
Die Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt wurde am 1. Juli 2023 von der Generalsynode beschlossen und hat für alle Verpflichteten Geltung. Sie wird durch die jeweiligen Personen umgesetzt, in deren Verantwortung auch die Erarbeitung von angepassten Schutzkonzepten liegt, die der konkreten Arbeit zugrunde gelegt werden.
Diese Rahmenrichtlinie hat das Ziel, Kinder und Jugendliche, Menschen, die aus verschiedenen Gründen besonderen Schutzes bedürfen, sowie alle anderen Personen (in Folge: „zu schützende Personen“) vor jeglicher Form von Gewalt im Wirkungskreis der jeweils Verpflichteten zu schützen.
Die Verpflichteten erkennen an, dass auch in ihrem Rahmen das Risiko von Gewalt durch haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende sowie durch andere Kinder, Jugendliche, Gemeindemitglieder und sonstige Personen besteht.
Diejenigen, für die diese Richtlinie gilt, insbesondere aber Personen in leitenden Positionen, müssen ihren Dienst mit Sorgfalt ausüben, um den Schutz vor Gewalt zu gewährleisten.
Die vorliegende Rahmenrichtlinie basiert auf dem christlichen Weltbild der Evangelischen Kirchen sowie auf dem rechtlichen Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention, der UN - Kinderrechtskonvention, der UN - Behindertenrechtskonvention, der Istanbul - Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie der österreichischen Gesetze, die sich gegen Gewalt richten.
Die vorliegende Rahmenrichtlinie beschreibt Mindeststandards zum Schutz vor Gewalt und macht bereits bestehende Richtlinien der Verpflichteten zu diesem Thema nicht überflüssig. Vielmehr gibt diese Richtlinie den Rahmen für die zu erarbeitenden individuellen Schutzkonzepte vor, wobei im Fall von Konflikten mit bestehenden Richtlinien jeweils die strengere Regelung Anwendung findet.
4.3 Formen von Gewalt |  |
Keine der nachfolgenden Definitionen von Gewalt entbindet von der individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Verantwortung, sich im Kontext des Handelns (jeweiliges Handlungsfeld, Art des Abhängigkeitsverhältnisses, kulturelle und Sozialisationsbedingungen, Alter, Geschlecht etc.) mit der Frage auseinanderzusetzen, was einerseits individuell als gewaltsam empfunden werden kann oder was andererseits als gewaltsam gilt bzw. verboten ist. Jedenfalls steht das österreichische Rechtssystem und was hier als Gewalt definiert ist über kulturellen und Sozialisationsfaktoren.
Die angeführten Definitionen dienen in der Praxis dazu, einen Diskurs anzuregen und auch bestehende Konzepte und Handlungsleitfäden zum Thema Gewalt zu hinterfragen.
Körperliche Gewalt ist jede körperlich schädigende Einwirkung auf andere: Schlagen, An-den-Haaren-Reißen?, An-den-Ohren-Ziehen?, Schütteln, Stoßen, Verbrennen etc., aber auch das Unterlassen von Hilfeleistung bei Verletzungen oder Erkrankungen, das Herbeiführen von Krankheiten und anderes.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass jede Form von körperlicher Gewalt auch emotionale Auswirkungen hat.
Zu emotionaler/ psychischer Gewalt gehören Verhaltensweisen, die anderen Ablehnung, Herabsetzung oder Minderwertigkeit vermitteln, sowie Beschimpfung, Einschüchterung, Erniedrigung, Isolierung oder Ausschließen aus einer Gruppe, rassistische Äußerungen, Äußerungen gegen Minderheiten, seelisches Quälen, emotionales/ psychisches Erpressen, absichtliches Angstmachen, Aufbürden unangemessener Erwartungen, Stalking, obsessives Kontrollieren.
Bei Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Erwachsenen umfasst emotionale/ psychische Gewalt auch das Vorenthalten einer Umgebung, die dem persönlichen Bedarf einer guten Entwicklung entspricht und dem Alter oder Entwicklungsstand angemessen ist.
Geistlicher Machtmissbrauch ist eine Form emotionaler Gewalt, bei der religiöse Inhalte verwendet werden, um Druck auf Menschen auszuüben, oder bei der Personen ihre Position als geistliche Autorität ausnützen, um andere Menschen in negativer Art und Weise zu beeinflussen. Durch Angst, Drohung, Vermittlung eines negativen Gottesbildes oder eines negativen Menschenbildes wird auf Menschen eingewirkt oder Personen maßen sich an, den Willen Gottes für das Leben anderer zu kennen und einzufordern.
Vernachlässigung beginnt, sobald einem Kind, Jugendlichen oder schutzbedürftigen Erwachsenen die für seine psychosoziale Entwicklung notwendige Versorgung vorenthalten wird – etwa in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Bildung, Zuwendung und Nähe.
Sexualisierte Gewalt ist der Oberbegriff für sexuelle Handlungen, die die Grenze und Würde des Gegenübers verletzen. Sexualisierte Gewalt kennt viele Formen und Abstufungen, von leichten Berührungen bis zu erzwungenem Geschlechtsverkehr („hands-on“), ebenso wie verbale Gewalt oder beispielsweise das Zeigen von pornographischem Material, Masturbieren neben einer Person oder Erpressen von Nacktfotos über soziale Medien („hands-off“).
Strukturelle Gewalt wurde vom norwegischen Friedensforscher Johan Galtung formuliert: Gewalt kann Menschen auch in Form von Armut, Ungleichheit, Unterdrückung zugefügt werden oder durch gesellschaftliche Diskriminierung, Ausgrenzung und andauernde Benachteiligung als Dauerzustand wirksam sein. Strukturelle Gewalt entspricht sinngemäß einer vermeidbaren Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisbefriedigung.
Von institutioneller Gewalt spricht man, wenn eine Institution ihre Macht so ausübt, dass die Menschen, die sich dort befinden, sowie ihre Bedürfnisse massiv eingeschränkt werden, sei es durch formelle Regeln oder durch ein informelles „Rechts- und Ordnungssystem“, das quasi Gesetzescharakter hat (beispielsweise rigide oder schikanöse Hausordnungen, Sprechverbote, das Rationieren von Wasser etc.).
Auch eine unzureichende personelle Versorgung kann durch ihre Folgen (beispielsweise Überforderung) zu Gewalt führen und ist somit ein Faktor von institutioneller Gewalt.
Ökonomische Gewalt versteht man in Handlungen wie etwa das ungerechtfertigte Einbehalten von Pensionen oder Taschengeld, das Einbehalten von Geschenken oder das Verteilen von individuellem Besitz an eine Gruppe.
Gewalt im digitalen Raum bezeichnet verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung anderer Menschen oder Organisationen mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel über das Internet, über Kommunikationsdienste oder in sozialen Netzwerken. Dazu gehört auch der Diebstahl von (virtuellen) Identitäten, um in fremdem Namen diffamierende Inhalte auszudrücken. Im digitalen Raum findet oft massive verbale Gewalt statt, unter anderem gegen Minderheiten.
Auch das Zulassen all dieser Formen von Gewalt sowie das Nichteinschreiten, obwohl dies möglich wäre, sind mit Gewalt gleichzusetzen.
Im Anhang „Einstufungsraster – Umgang mit grenzverletzendem Verhalten und Gewalt“ sind Kennzeichen für geringfügige, mittelschwere bzw. schwere Grenzverletzungen/gewalttätige Übergriffe sowie entsprechende Beispiele und zu ergreifende Maßnahmen angeführt.
4.4 Strukturelle Maßnahmen |  |
4.4.1 Ombudsstelle |  |
Für alle Arten von Beschwerden und Anfragen im Zusammenhang mit (Verdachts-)Fällen von Gewalt steht den Verpflichteten die aufgrund dieser Rahmenrichtlinie neu geschaffene Ombudsstelle als Anlaufstelle zur Verfügung. Die Ombudsstelle arbeitet weisungsfrei und mit einem hohen Maß an Vertraulichkeit. In Anhang 1 „Meldepflicht an die Ombudsstelle“ ist angeführt, in welchen (Verdachts-)Fällen von Gewalt und in welcher Form die Ombudsstelle verpflichtend zu kontaktieren ist, und in welchen Fällen die Bearbeitung der (Verdachts-)Fälle im Rahmen der eigenen Organisationsstruktur ausreichend ist.
Die Besetzung der Ombudsstelle, die Vertretung bei Abwesenheit sowie eine eventuelle Abberufung werden in einer eigenen kirchenrechtlichen Norm geregelt. Name und Kontaktdaten der Ombudsperson werden auf www.evang.at bekanntgemacht.
In allen (Verdachts-)Fällen von Gewalt an Kindern und Jugendlichen stehen den Verpflichteten auch Ansprechpersonen der Evangelischen Jugend Österreich zur Verfügung.
Zusätzlich steht den Betroffenen von Gewalt der Weiße Ring zur Verfügung, der vor allem bei der Klärung von Unterstützungsleistungen (sowohl finanzieller Art als auch durch das Angebot von Psychotherapie) hilft.
Die Personalreferentin bzw. der Personalreferent des Evangelischen Oberkirchenrates A.B. übernimmt die Aufgaben als Beauftragte bzw. Beauftragter für Gewaltprävention. Diese Stelle ist für die langfristige Umsetzung der Maßnahmen sowie für Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Gewaltpräventionsaktivitäten verantwortlich.
In der Evangelischen Kirche H.B. übernimmt die Landessuperintendentin bzw. der Landessuperintendent oder ein zu bestimmendes Mitglied aus dem Oberkirchenrat H.B. die Aufgaben als Beauftragte bzw. Beauftragter für Gewaltprävention. Bei Abwesenheit werden die Beauftragten für Gewaltprävention von den dafür benannten Personen vertreten.
4.4.2 Vorgehen im (Verdachts-)Fall von Gewalt |  |
Alle, für die diese Rahmenrichtlinie Geltung hat, sind verpflichtet, (Verdachts-)Fälle von Gewalt im Rahmen der Verpflichteten an die Ombudsstelle zu melden. Diese Pflicht gilt nicht für Mitteilungen im Zuge von seelsorgerlicher Verschwiegenheit und Beichtgeheimnis.
In welchen (Verdachts-)Fällen die Meldung an die Ombudsstelle jedenfalls zu erfolgen hat und wann die Bearbeitung innerhalb der eigenen Organisationsstrukturen ausreichend ist, ist im Anhang 1 „Meldepflicht an die Ombudsstelle“ angeführt.
Die Meldepflicht an die Ombudsstelle besteht auch dann, wenn sich die beobachtende Person unsicher über die Bedeutung ihrer Beobachtungen ist. Eine Meldung an die jeweiligen Dienstvorgesetzten kann unterbleiben, wenn der Verdacht besteht, dass diese in die Vorfälle involviert sind.
Die Ombudsperson nimmt jegliche Meldung von Gewalt oder Verdacht auf Gewalt entgegen und geht den Vorfällen zeitnah und vertraulich nach. Sie nimmt mit den betroffenen Stellen und Personen Kontakt auf und unterstützt sie gegebenenfalls bei der weiteren Vorgehensweise. Sie hört die Beteiligten, zieht im Bedarfsfall externe Fachstellen bei, leitet in Rücksprache mit der jeweiligen Leitung Maßnahmen in die Wege oder begleitet Maßnahmen. Insbesondere ist zu überlegen, welche Schritte gesetzt werden müssen, um die Betroffenen und ebenso die Beschuldigten bis zur Klärung der Vorwürfe zu schützen. Maßnahmen, die zur Bearbeitung des Falles zu treffen sind, werden von der Leitung und der Ombudsstelle – unter Angabe des zeitlichen Rahmens der Umsetzung – schriftlich festgehalten.
Können leitungsseitig keine wirksamen Sofortmaßnahmen ergriffen werden, so ist von der Ombudsstelle die bzw. der jeweils zuständige Beauftragte für Gewaltprävention einzubeziehen. Die jeweilige Vorgehensweise ergibt sich aus dem Einzelfall. Die Entscheidung, welche Personen und Ebenen in die Klärung einbezogen werden, liegt im Ermessen der Ombudsperson.
Die Ombudsperson ist verpflichtet, die jeweilige Leitungsebene innerhalb von 48 Stunden über Gewaltvorfälle bzw. das Vorliegen eines Verdachtes auf Gewalt zu informieren.
Die Ombudsstelle entscheidet gemeinsam mit der bzw. dem Beauftragten für Gewaltprävention, ob die Kirchenleitung über einen (Verdachts-)Fall sofort informiert werden muss.
Werden nach einem (Verdachts-)Fall von Gewalt von der zuständigen Leitung die vereinbarten Maßnahmen nicht umgesetzt, so informiert die Ombudsperson darüber die Beauftragte bzw. den Beauftragten für Gewaltprävention.
In Fällen, in denen sich Vorwürfe gegen Mitglieder eines Oberkirchenrates richten, ist von der Ombudsperson die Präsidentin bzw. der Präsident der Generalsynode zu informieren. Wenn sich die Vorwürfe gegen Mitglieder des Präsidiums der Generalsynode richten, ist hingegen die bzw. der jeweilige Beauftragte für Gewaltprävention zu informieren.
Für Entscheidungen in Bezug auf die beschuldigte Person, seien es kurzfristig wirksame oder endgültige Maßnahmen, ist die Leitung der jeweiligen Organisation/Einrichtung zuständig. Bei Ehrenamtlichen ist dafür die für diese ehrenamtliche Person zuständige Stelle verantwortlich.
Die Ombudsstelle hat auch die Aufgabe, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu überprüfen. In welcher Form die Überprüfung der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen erfolgt, ist im Anhang 4 „Abschlussprotokoll - online“ angeführt. Dieses Dokument ist von der Person, welche für die Erstellung des Abschlussprotokolls zuständig ist, auszufüllen und zu unterschreiben. Die bzw. der Vorgesetzte unterschreibt ebenfalls und schickt das Abschlussprotokoll an die Ombudsstelle. Damit gilt der jeweilige (Verdachts-)Fall von Gewalt als abgeschlossen und wird von der Ombudsstelle archiviert.
Auch Verdachtsfälle müssen dokumentiert werden, die Dokumentation ist sowohl durch die Ombudsstelle als auch durch die jeweils betroffene Organisationseinheit vor unbefugtem Zugriff gesichert aufzubewahren.
Ziel ist es, eine adäquate und schnelle Untersuchung der jeweiligen Situation zu ermöglichen. Zudem soll gewährleistet sein, dass betroffene Menschen geschützt werden und Zugang zu besonderen Hilfsangeboten bekommen, um weiteren Schaden von ihnen abzuwenden.
Die Kosten für etwaige Unterstützungsleistungen, seien sie finanzieller Art oder als Angebot von Psychotherapie, werden von der jeweiligen Einrichtung, der der Vorfall zuzurechnen ist, getragen.
Alle konkreten Beschwerden und (Verdacht-)Fälle in Hinblick auf Gewalt, die der Ombudsstelle gemeldet werden, ihre Bearbeitung, die getroffenen Maßnahmen sowie das Abschlussprotokoll werden von der Ombudsstelle dokumentiert und fallbezogen archiviert.
Die Umsetzung von Präventions- und Sensibilisierungsmaßnahmen zur Verhinderung von Gewalt, insbesondere die Schulungen sowie die Dokumentation derselben liegen hingegen in der Verantwortung der bzw. des Beauftragten für Gewaltprävention. Sie werden in enger Abstimmung mit den Verpflichteten getroffen.
Auf Grundlage der genannten Dokumentationen der Ombudsstelle und der Beauftragten für Gewaltprävention wird ein jährlicher Bericht erstellt. Die (Verdachts-)Fälle von Gewalt werden darin anonymisiert dargestellt. Dieser Bericht wird der Gleichstellungskommission vorgelegt und von dieser analysiert. Die Gleichstellungskommission schlägt auf Grundlage ihrer Analyse notwendige Anpassungen der geltenden Maßnahmen vor.
Der jährliche Bericht und die Stellungnahme der Gleichstellungskommission ergehen an den Oberkirchenrat A.u.H.B. und die Generalsynode.
Die vorliegende Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt wird erstmals ein Jahr nach ihrem Beschluss und danach in einem mindestens zweijährigen Zyklus evaluiert und überarbeitet. Die Überarbeitung erfolgt aufgrund der Erfahrungen mit der Umsetzung der Maßnahmen, der Analysen, die sich aus der Dokumentation ergeben, sowie aufgrund externer Änderungen der Standards zum Gewaltschutz in Organisationen.
4.4.3 Schutzkonzepte |  |
Die vorliegende Richtlinie gibt für die Verpflichteten den Rahmen für Gewaltschutz vor. Umfassende Prävention von Gewalt erfordert, dass basierend auf der vorliegenden Rahmenrichtlinie für die jeweiligen Verantwortungsbereiche Risikoanalysen durchgeführt und daran angepasste Maßnahmen entwickelt werden.
Individuelle Schutzkonzepte, deren Rahmen die vorliegende Richtlinie vorgibt, werden jedenfalls von jenen Verpflichteten erstellt und umgesetzt, die in ihrer Arbeit für Kinder, Jugendliche oder schutzbedürftige Erwachsene Verantwortung tragen. Eine Vorlage für die Erarbeitung eines Schutzkonzeptes findet sich im Anhang 9 „Vorlage für Schutzkonzepte“ (inklusive der dort vorgesehenen ergänzenden Dokumente Anhang 9a bis 9d).
Die jeweils zu schützenden Zielgruppen sind in Anpassung an die Ausrichtung der einzelnen Organisation festzulegen.
Die Schutzkonzepte sollen den Prinzipien, die auf der Plattform „schutzkonzepte.at“10 dargelegt sind, folgen und in der für die eigene Organisation passenden Form die folgenden Elemente enthalten.
Ein grundlegendes Bekenntnis der Organisation zum umfassenden Schutz der Zielgruppen vor jeglicher Form von Gewalt,
Risikoanalyse, Maßnahmen für Mitarbeitende: Einstellungsverfahren, Schulungen, Reflexionsmöglichkeiten, ggf. Strafregisterbescheinigungen,
Verhaltenskodex/Selbstverpflichtungserklärung, Beschwerdemöglichkeiten, Handlungsleitfaden bei (Verdachts-)Fällen von Gewalt, Gewaltschutzbeauftragte bzw. kinderschutzbeauftragte Personen, Maßnahmen für den Kommunikationsbereich, Umsetzung unter Partizipation aller Beteiligten, Qualitätssicherung und Weiterentwicklung. Die Schutzkonzepte sind bis 1. Mai 2025 zu erstellen.
4.4.4 Maßnahmen für Mitarbeitende |  |
Eine sorgfältige Auswahl und Begleitung der Mitarbeitenden ist wesentliches Element der Gewaltprävention.
Bei der Aufnahme haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitender, die mit Kindern, Jugendlichen oder anderen schutzbedürftigen Personen arbeiten, werden die Gewaltpräventionsstandards der Rahmenrichtlinie und/oder des jeweiligen Schutzkonzeptes thematisiert. Gegebenenfalls werden Referenzen eingeholt.
Personen, die zu sexualisierter Gewalt neigen, suchen gezielt Organisationen, bei denen sie als haupt- oder ehrenamtlich Mitarbeitende Zugang zu Kindern und Jugendlichen sowie schutzbedürftigen Erwachsenen finden können. Diese Personen können häufig ihre Umgebung gut manipulieren, ihre Absichten sind nicht leicht zu erkennen.
Übergriffe auf besonders schutzbedürftige Erwachsene wie Menschen mit besonderem Pflege- und Betreuungsbedarf können unterschiedliche Hintergründe haben, beispielsweise Überforderung, wenn jemand nicht für eine Tätigkeit geeignet ist oder wenn die Rahmenbedingungen nicht passen. Ebenso kommen auch sadistische Beweggründe in Frage. In diesem Fall kann man annehmen, dass sadistisch veranlagte Personen bewusst Jobs auswählen, bei denen sie Zugang zu vulnerablen Menschen haben, damit sie diese quälen können.
In Anhang 5 „Strafregisterbescheinigung“ (inkl. Anhang 5a und 5b) ist festgehalten, von welchen Mitarbeitenden und in welchen Abständen die Vorlage einer speziellen „Strafregisterbescheinigung Kinder- und Jugendfürsorge“ bzw. einer speziellen „Strafregisterbescheinigung Betreuung und Pflege“ sowie einer allgemeinen Strafregisterbescheinigung vorzulegen ist. Diese Maßnahme drückt nicht das Misstrauen gegen die einzelne Person aus, sondern ist der Beitrag vieler Menschen dazu, verurteilte Gewalt- oder Sexualstraftäterinnen und Gewalt- oder Sexualstraftäter von vulnerablen Personengruppen in den Evangelischen Kirchen fernzuhalten.
Es ist nicht das Ziel dieser Maßnahme, dass Menschen mit jeglichem Eintrag in ihrer Strafregisterbescheinigung von haupt- oder ehrenamtlicher Mitarbeit ausgeschlossen werden. Daher ist mit etwaigen Einträgen in einer Strafregisterbescheinigung besonders sorgfältig und verantwortungsvoll umzugehen. Eine Entscheidung darüber, ob bzw. in welchem Zusammenhang Personen, die eine Eintragung in der Strafregisterbescheinigung vorweisen, hauptamtlich oder ehrenamtlich mitarbeiten können, ist unter Berücksichtigung der Art und des Zusammenhangs der Verurteilung sowie der Art der vorgesehenen Tätigkeit im Sechs - Augen - Prinzip zu treffen. Die Entscheidung und die Vereinbarungen hinsichtlich eventuell vereinbarter „Auflagen der Zusammenarbeit“ sind unter Einhaltung des Datenschutzes zu dokumentieren.
Zu den Zielsetzungen der Verpflichteten gehört die Schaffung und Aufrechterhaltung von Rahmenbedingungen, innerhalb derer eine vom christlichen Glauben getragene Werthaltung gefördert wird und Gewalt, Missbrauch und sexualisierte Übergriffe verhindert werden können. Von allen haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden wird im Rahmen einer Schulung oder im Zuge des Aufnahmeverfahrens ein darauf abzielender Verhaltenskodex (Anhang 6 „Verhaltenskodex“ siehe ABl. Nr. 106/2023) unterzeichnet. Dazu müssen entsprechende Informationsgespräche geführt werden.
Qualifizierte Mitarbeitende sind unverzichtbar, insbesondere für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Erwachsenen. Um die Qualitätsstandards der vorliegenden Rahmenrichtlinie und der individuellen Schutzkonzepte nachhaltig zu sichern, werden auf allen Ebenen regelmäßige Schulungen für haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende durchgeführt und in den Ausbildungsvorschriften verankert. Diese Schulungen umfassen die Themen Gewaltprävention, Gewaltdynamiken, möglichen Anzeichen von Gewalt bei Kindern, Jugendlichen oder schutzbedürftigen Erwachsenen sowie den Inhalt der Rahmenrichtlinie.
Auch in anderen Formaten soll eine Sensibilisierung für Gewaltprävention erreicht werden, beispielsweise durch Gesprächsrunden oder durch das Thematisieren in verschiedensten Veranstaltungen und Gremien.
Die Reflexion der eigenen Arbeit und der Austausch darüber sind wesentliche Elemente einer Kultur der Achtsamkeit. Es wird empfohlen, bei Teambesprechungen, Fallbesprechungen, Supervision oder Intervision Räume dafür zu ermöglichen.
Das Thema „Gewaltprävention“ wird bei allen Verpflichteten mindestens einmal jährlich als Tagesordnungspunkt bei Teamsitzungen und regelmäßigen Besprechungen behandelt. Eine Bestätigung darüber, an welchem Datum dies erfolgt ist, wird an die jeweilige personalverantwortliche Stelle übermittelt.
1 https://www.menschenrechtskonvention.eu/
2 https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention
3 https://www.behindertenrechtskonvention.info/
4 https://www.unwomen.de/informieren/internationale-vereinbarungen/die-istanbulkonvention.html
5 Dies sind insbesondere die Kinderschutzrichtlinie der Evangelischen Jugend Österreichs und die Kinderschutzrichtlinie der Diakonie Österreich.
6 Bei den angeführten Definitionen wurden u.a. einzelne Textteile aus der Kinderschutzrichtlinie von ECPAT Österreich, der Kinderschutzrichtlinie der Katholischen Jungschar Österreichs sowie der Broschüre „Mein sicherer Ort. Prävention in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit der Erzdiözese Wien und Intervention bei (sexuellen) Übergriffen und Gewalt“, 2016 übernommen.
7 Statt dem Begriff „Sexualisierte Gewalt“ werden auch häufig die Begriffe „sexuelle Gewalt“ oder „sexueller Missbrauch“ verwendet. Der Ausdruck „Sexualisierte Gewalt“ betont, dass es hier um Gewalt geht, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird.
8 Eine aktuelle Liste der Ansprechpersonen findet man unter: https://www.ejkinderschutz.at/
9 Die Ombudsstelle ist über ombudsstelle@evang.at erreichbar. Nähere Informationen zur Ombudsstelle sowie das Meldeformular – online (Anhang 3 „Meldeformular - online“) findet man unter www.evang.at
10 Die Plattform „schutzkonzepte.at“ erläutert das Vorgehen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt in Organisationen. Die Prinzipien sind genauso für Schutzkonzepte mit alterserweiterten oder anderen Zielgruppen anwendbar. Die Plattform orientiert sich an den Qualitätsstandards der internationalen „Keeping Children Safe Coalition“.
Zum Autor |  |
APS - Lehrer/ Lehramt für Volks- und Hauptschule (D, GS, GW) sowie Polytechnischer Lehrgang (D, SWZ, Bk); zertifizierter Schüler- und Schulentwicklungsberater; Lehrbeauftragter am Pädagogischen Institut des Landes Tirol/ Berufsorientierung bzw. Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für APS - Lehrer/ Landesschulrat für Tirol (1994 - 2003)
Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Aus- und Weiterbildung/ Vorberufliche Bildung (1990/ 1991- 2010/2011); Lehrbeauftragter am Sprachförderzentrum des Stadtschulrates Wien/Interkulturelle Kommunikation (2012); Lehrbeauftragter am Fachbereich für Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt "Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung/ "Didaktik der Politischen Bildung" (2015/ 2016, 2017)
Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich A. und H.B. (2000 - 2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks in Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019)
Kursleiter an den VHSn Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg - "Freude an Bildung" (2012-2019) und VHS Tirol "Der Wandel der Alpen" - Politische Bildung (2025)
Absolvent des Instituts für Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ Master (2008), des 6. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012) - des 6. Lehrganges Interkulturelles Konfliktmanagement/ Bundesministerium für Inneres - Österreichischer Integrationsfonds/ Zertifizierung (2010), der Weiterbildungsakademie Österreich/ Diplome (2010), des 1. Lehrganges Ökumene/ Kardinal König - Akademie Wien/ Zertifizierung (2006) - der Personalentwicklung für Mitarbeiter der Universitäten Wien/ Bildungsmanagement/ Zertifizierungen (2008 - 2010) und Salzburg/ 4. Lehrgang für Hochschuldidaktik/ Zertifizierung (2015/2016) - des Online - Kurses "Digitale Werkzeuge für Erwachsenenbildner_innen"/ TU Graz - CONEDU - Werde Digital.at - Bundesministerium für Bildung/ Zertifizierung (2017), des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/ Zertifizierung (2018), des Fernstudiums Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/ Zertifizierung (2020)
Aufnahme in die Liste der Sachverständigen für den NQR/ Koordinierungsstelle für dem NQR, Wien (2016)
MAIL dichatschek (AT) kitz.net
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