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Almsagen

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== 6 Sagenwelt Österreich =
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Aspekte einer Sagenwelt im alpinen mitteleuropäischen Raum    

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Aspekte einer Sagenwelt im alpinen mitteleuropäischen Raum   
Einleitung   
6 Sagenwelt Österreich   
6.1 Steiermark   
6.2 Vorarlberg   
6.3 Oberösterreich   
6.4 Salzburg   
6.5 Kärnten   
6.6 Niederösterreich   
6.7 Tirol   
7 Sagenwelt Südtirol   
8 Sagenwelt Bayern   
9 Sagenwelt Schweiz   
Zu den Autoren   

Einleitung    

Der alpine Kulturraum in Mitteleuropa ist geprägt von einer Almregion in ihrer Bedeutung für die Berglandwirtschaft, einen Erholungsraum, den Tourismus und die Erhaltung von Schutzräumen für die Siedlungsstruktur in den Alpen.

Für die Volkskunde sind die Almsagen von Interesse und weisen auf eine rege literarisch - sprachliche Kultur hin.

6 Sagenwelt Österreich    

Für den europäischen Kulturkreis bilden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Kategorien Aussaat und Ernte, Geburt, Hochzeit und Tod die wichtigsten Interessendominanten der Agrarkultur.

Grundsätzlich lässt sich die Erzählüberlieferung und Motivik alpiner Provenienz in zwei Gruppen einteilen.

Zur ersten Gruppe gehören Erzählungen, die primär aus dem Denken und Leben der Alpenbewohner entstanden sind. Hierzu gehören die Sagen, wie die von der „Sennenpuppe“, vom „Wintersenn“, dem „Alperer“ und den „Saligen“.

Die zweite, wesentlich größere Gruppe umfasst Sagen, die das spezifische Milieu wiedergeben, deren Protagonisten jedoch nur modifizierte Gestalten aus Sagentypen allgemeiner Verbreitung sind. Das bedeutet, dass es sich um Motive und dramatis personae handelt, die oikotypisch sich dem Milieu der Almsagen anverwandelt haben. Hierzu gehören Sagen von der „Todesbotschaft“, vom „Aasgeschenk des Wilden Jägers“ u.a., die in den meisten Regionen Mitteleuropas verbreitet sind, weiters die Sagen von betrügerischen Hirten und Sennen , die nach dem Tod umgehen müssen (Wiedergänger), von Grenzfrevlern, die den Grenzstein zu ihren Gunsten versetzen. Sie sind überall dort verbreitet, wo fruchtbares Land knapp ist, so auch auf den Almen.

Quelle: L. Petzoldt, in: G. Hirschfelder u.a. (Hg.): Kulturen – Sprachen – Übergänge, Weimar 2000, S. 277-290.

Anmerkung: Oikotyp=griech.Oikos, Haus, zum Haus gehörig. Allgemeiner bezeichnet man unterschiedliche regionale Züge in Erzählungen desselben Typs als Oikotypen. Ätiologisch = griech.aitia, die Ursache. Bezeichnet Erzählungen, die von der Entstehung eines Brauchs, eines Bauwerks u.ä. berichten und diese aus einem Ereignis der Vergangenheit ableiten (Erklärungs- od. Ursprungssagen).

6.1 Steiermark    

Das Kasmandl und der Steirerkäse

Die Grafenbergalm wurde von ein paar tüchtigen Sennerinnen mustergültig bewirtschaftet. Gab es länger keinen Regen, mussten sie zu einer Quelle absteigen, um Wasser zu holen.

Eines Tages war eine Sennerin bei der Quelle und bemerkte ein kleines, grau gekleidetes Männchen. Als sie auch noch das faltige Gesicht sah, wusste sie, dass es ein Kasmandl war. Sie schlich sich an, packte es und obwohl es sich mit Leibeskräften wehrte, trug sie es zur Almhütte hinauf. Als sie mit dem kleinen Mandl bei der Almhütte angekommen war, kamen die anderen Sennerinnen herbei. Da das Männchen so zierlich und liebenswert aussah, wollten es die Frauen unbedingt behalten und steckten es in eine leere Milchkanne.

Das Kasmandl aber flehte um seine Freiheit und sagte: "Wenn ihr mir meine Freiheit wiedergebt, beschenke ich euch. Ich zeige euch, wie man aus Milch einen besonderen Käse machen kann!" Die drei Sennerinnen waren von diesem Vorschlag begeistert und bald wussten sie, wie man den Steirerkäse machen kann. Das Kasmandl bekam seine Freiheit und lief davon. Doch eine der Sennerinnen meinte: "Wie wär´s, wenn wir das Mandl noch einmal einfangen, damit es uns noch ein anderes Geheimnis verrät?"

Sie liefen rasch zur Wasserquelle hinunter und erwischten gerade noch das Kasmandl, bevor es es verschwinden wollte. Sie hielten es fest und ließen es nicht mehr los. Da flehte das Kasmadl: "Bitte, lasst mich aus! Ich verrate euch dafür ein weiteres Geheimnis!" Die Sennerinnen waren einverstanden und gingen auf den Vorschlag ein. Jetzt erfuhren sie vom Kasmandl, wie man aus Buttermilch einen bröseligen Topfen (Schotten) machen kann. Damit waren die Frauen zufrieden und ließen das Mandl aus, das sicherlich noch einige Geheimnisse gewusst hätte.

Quelle: Sagen aus der Steiermark/ Hrsg. Peter Stelzl, S. 112

Anmerkung: „Kasmandl-Sagen“ geben auf einer symbolischen Ebene Nachricht von Ängsten und Nöten sowie Wertvorstellungen der früheren bäuerlichen Gesellschaft. Als Verbindungsglieder zwischen kontrollierbarer Kultur und unberechenbarer Natur dienen sie dazu, plötzliche Unglücksfälle oder nicht vorhersehbare Ereignisse zu erklären. Das Kasmandl ist ein koboldartiger Dämon, der nach dem Abzug der Senner auf Almhütten haust. Oft tragen diese Dämonen die Züge von Sennern, die zu Lebzeiten schuldhaft Nahrung, Tiere und Geräte verkommen ließen. Damit müssen sie so lange auf den Almen ihr Unwesen treiben, bis sie durch bewusste oder unbewusste Hilfe die erhoffte Erlösung finden.

6.2 Vorarlberg    

Die schwarze Kuh

Ein Hirt hatte einmal im Herbst bei der Abfahrt von der Alpe Latonz eine schwarze Kuh vergessen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als noch einmal auf die Alm zu gehen, um sie zu suchen. Er fand die Kuh richtig am "Stafel" liegen. Da aber bereits die Dämmerung einsetzte, stellte er dieselbe in die Alphütte. Er selbst legte sich dort auf die Pritsche, um oberhalb der Küche über Nacht zu schlafen.

Es mochte so um Mitternacht gewesen sein, als er durch einen großen Lärm aus seinem Schlummer geweckt wurde. Da sah er unter ihm im "Deihja-G`mach (Deihsa, Sennhütte) einen Haufen fremder Leute, die eifrig mit Kochen, Sieden und Braten beschäftigt waren. Der Hirt schaute ihnen eine Weile zu, aber es war ihm ganz unheimlich zumute.

Auf einmal rief einer der Leute:"Los, du da oben auf der Pritsche, magst du kein Fleisch?" Der Hirt antwortete: "Ja, ich mag", und darauf musste er herab von seiner Lagerstätte, um mit den Unbekannten mitzuhalten. Das Fleisch war gut, aber auf einmal merkte der Hirt, dass seine schwarze Kuh im Stall draußen ein ungeheures Loch in ihrem Leibe hatte. Er dachte sich, "die Kerle haben das Fleisch meiner Kuh aus dem Leibe geschnitten, und bis es morgen wird, fressen sie dieselbe ganz auf". Trotzdem machte er wohlweislich vor den fremden Gästen seinem Ärger nicht Luft.

Nachgerade fingen die Leute an zu musizieren und zu tanzen, dass die Alphütte fast aus den Fugen geriet. Der Hirt schaute stillschweigend zu, bis ihn einer der Fremden fragte: "Willst du nicht unsere Musik lernen?" "Ja, gerne", sagte er, "besonders flöten. Da gab man ihm eine Flöte in die Hand mit der Weisung, nun tüchtig zu blasen. Er tat wie man ihm sagte. Und siehe da, er konnte die Flöte so zierlich und lieblich blasen, als ob er es jahrelang eingeübt hätte. Er selbst musste sich eingestehen: "Habe ich doch nie gewusst, dass ich ein so guter Musikus bin".

In seiner Freude über die so plötzlich errungene Kunstfertigkeit vergaß er im Stall draußen ganz und gar auf die schwarze Kuh. Bei des Tages Grauen machten sich die Fremden alle auf den Weg. Der Hirt schaute ihnen noch nach. Doch danach sah er in der Dämmerung an der Tür der Alphütte eine Haut ausgespannt, die er fast als die seiner schwarzen Kuh zu erkennen vermeinte. Als es vollends Tag geworden war, konnte er die Kuhhaut an der Tür plötzlich nicht mehr entdecken. Der Hirt sah seine Kuh unversehrt in der Alphütte stehen. Die Flöte, die er die Nacht über so trefflich geblasen hatte, war ihm geblieben. Er machte sich mit der Flöte und der schwarzen Kuh auf den Rückweg ins Tal.

Quelle: Die Sagen Vorarlbergs, herausgegeben von Richard Beitl, Feldkirch 1950, S. 142

Anmerkung: In den Sagen ist Putz ein Name für Dämonen. Man versteht darunter ein kleines, verunstaltetes Geisterwesen, das sich durch undeutliche Geräusche offenbart. Jacob Grimm bezeichnet Pütze in seiner DEUTSCHEN MYTHOLOGIE als eine "gesonderte Gesellschaft". Diese fasst er in "Wichte und Elbe" zusammen. Den Pützen wird in den Sagen Vorarlbergs meist ein gutmütiges Wesen zugeschrieben. Während des Sommers hausen sie im Inneren der Berge. In den Herbst- und Wintermonaten wohnen sie in verlassenen Alphütten. Über ihre Tagesarbeit ist wenig überliefert, doch ist ihnen etwas Übermenschliches beigemischt. Meistens können sie sich auch unsichtbar machen. Weiters besitzen sie einerseits die Kraft einem Menschen zu schaden, andererseits können sie einem in Not geratenen Menschen auch helfen. Die rund 2OO Jahre alte Sage, die in ähnlichen Fassungen heute noch im Montafon lebt, gehört in die Überlieferung vom schmausenden und danach abziehenden Nachtvolk.

6.3 Oberösterreich    

Der tote Schnee

Noch heute wird im Gebiet um den Dachstein von „verwunschenen“ oder „verschniebenen“ Almen erzählt. Die Namen dieser ehemaligen Almen heißen „Gosau-Gletscher“, „Karls-Eisfeld“ und „Der tote Schnee“.

Die zuletzt genannte Alm zeichnete sich durch gesunde Kräuter und fette Milch aus. Kaum irgendwo sah man so stattliches Weidevieh wie auf dieser Alm. Doch wegen der großen Arbeitsbelastung konnte die Brentlerin die Alm nicht mehr allein betreiben. Sie stellte daher mehrere arbeitsame junge Dirnen in den Dienst. Nun konnte man Unmengen von Schmalz, Butter, Käse und Schotten herstellen. Schließlich wusste die Brentlerin aber nicht mehr, wohin mit dem Ganzen? Es kam dazu, dass sie übermütig wurde.

Eines Tages wurde die Alm von einem schweren Unwetter, das sich über dem mächtigen Dachstein zusammenbraute, heimgesucht. Riesige Wassermassen ließen die Wildbäche anschwellen und über die Ufer treten. Mit unheimlicher Gewalt wurden große Bäume, Brücken und Stege mitgerissen. Am nächsten Tag erkundigten sich die Dirnen bei der Brentlerin, ob man nicht Holzknechte holen sollte, um die zerstörten Brücken wieder herstellen zu können? Doch sie wollte davon nichts wissen und meinte:“Ich pfeife auf die Holzknechte, denn wir bauen die neuen Brücken aus Butter und Käse“.

So wurden nun die Teile der Brücken und Stege aus dem besten Almkäse hergestellt und mit wertvoller Almbutter verleimt. Kaum waren die Dirnen mit der Arbeit fertig, kam für die Frevlerinnen die gerechte Strafe. Plötzlich versank die weitum bekannteste und beste Alm. Von der Hütte blieb nur mehr ein vereister Schneehaufen übrig. Seither ist der einst so fruchtbare Boden vergletschert. Sowohl die Brentlerin mit ihren Dirnen als auch das Almvieh erstarrten zu Eis.

Quelle: Sagen aus Oberösterreich/ Hrsg. L. Petzoldt, München 1993, S. 39

Anmerkung: Von „verschniebenen“ und „verwunschenen“ Almen ist im gesamten Alpenraum die Rede. Ob in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels mit dem Abschmelzen von Gletschern jene untergegangenen blühenden Almen, von denen diese Sagen zu berichten wissen, wieder ans Tageslicht kommen, bleibt vorerst dahingestellt. Erwiesen ist jedoch, dass die Alpen seit ihrem Bestehen von größeren und kleineren Eiszeiten heimgesucht wurden. So gab es zum Beispiel ab 1550 eine „Kleine Eiszeit“.

6.4 Salzburg    

Die Melkerlöcher

Auf der „Häuslalm“ im Kapruner Tal war ein Melker, der samt den Hütern nichts als prasste, spielte und fluchte. Eines Tages als der Melker gerade nach alter Tradition ein Vollmilchbad nahm, kam ein riesiger Teufel in die Almhütte und trug dem Melker das „Hosenrecken“ an. So heißt im Salzburger Pinzgau der ortsübliche Ringkampf. Dabei versuchen die jungen Burschen den Gegner aufzuheben und auf den Boden zu werfen.

Der Melker war nicht faul , stieg aus dem Bad und fing mit dem Teufel den Kampf an. Mit aller Wucht warf er den Gehörnten gegen die Wand, sodass er sich dabei sein linkes Horn abbrach. Es dauerte nicht lange, bis ein zweiter, viel kleinerer Höllenbewohner bei der Tür herein schaute. Der Melker machte mit ihm kurzen Prozess und tauchte ihn tief in den “Schargkast" (Mistbehälter)ein, sodass er vom Kuhmist ganz grün wurde.

Bald nachdem der Überwundene das Weite gesucht hatte, kam ein ganz kleines Teufelchen , das dem Melker als Gegner viel zu schwach erschien, um mit ihm das „Hosenrecken“ zu beginnen. Da geriet der Melker aber an den Falschen, denn dieser erfasste die Wanne samt dem Melker und fuhr damit auf und davon. Man sieht heute noch sieben „Melkerlöcher“ an den Felswänden der Leoganger Steinberge, durch die seine Fahrt zur Hölle ging. Am Birnhorn bei Saalfelden ist eines davon.

Quelle: Sagen aus Salzburg/ hrsg. L. Petzoldt, München, 1993, S. 169

Anmerkung: Der Teufel steht in vielen Sagen als große Straf- und Sanktionsfigur hinter allem, was verboten und tabuisiert ist und erzeugt somit bei Übertretungen ein schlechtes Gewissen.

6.5 Kärnten    

Der Teufel als Liebhaber

Es ist schon lange her, dass das Lesachtal eine einzige Alpe war. Diese wurde nur von einer Handvoll Hirten bewohnt. Mehrmals kam zur Tochter eines der Hirten ein fremder Mann mit einem grünen Rock und einem grünem Hut mit einer Spielhahnfeder darauf. Der Fremde hatte es auf die Tochter eines Hirten abgesehen. Ihr erzählte er immer wieder vom Heiraten. Einmal kam der Jägersmann gar mitten in der Nacht zu ihr. Er versuchte mit allen Mitteln das gute Kind auf die abiche Seite (verkehrte, schlechte Seite) zu bringen. Da bemerkte das Mädchen erst, dass der fremde Jägersmann einen hohlen Rücken ohne Rückgrat hatte.

Dies ging dem Mädchen so durch den Kopf, dass sie am nächsten Tag den Pfarrer von St. Daniel im Gailtal aufsuchte, um ihm die ganze schaurige Geschichte zu erzählen. Der Pfarrer erkannte gleich, dass es sich beim fremden Mann um das „Ganggerle“ handeln musste! Darauf erklärte er dem um Rat bittenden Mädchen: „Man kann nicht sagen, dass der Teufel hinterlistig ist, sondern er ist einfach dumm. Sollte er aber wieder zu dir kommen, so gibst du dich besonders freundlich. Frage ihn einfach, wovor er sich am meisten fürchtet? Die Hirtentochter bewahrte diesen Rat für sich.

Beim nächsten Besuch befragte sie nun den Teufel, wovor er sich am meisten fürchtet? Wie vom Blitz getroffen erwiderte er:“Hobrat (arabratum), Widertot und Speik sind gut fürs „Alpenreiten“. Einen Tag später begab sich das Mädchen wieder zum Pfarrer. Dieser weihte die Kräuter und band sie dem gläubigen Mädchen um den Hals. In der folgenden Nacht erschien der Teufel unter einem furchtbaren Lärm beim Mädchen. Doch plötzlich ergriff er unter Feuer und Flammen die Flucht. Seitdem ist es bei den Bauern im Lesachtal üblich, alle Jahre einen Buschen Alpenkräuter in der Kirche weihen zu lassen. Die Kräuter Hobrat, Widertot und Speik bilden dabei drei wichtige Bestandteile.

Quelle: Sagen aus Kärnten/ Hrsg. L. Petzoldt, München 1993, S. 47

Anmerkung: Fraglos ist der Teufel eine der häufigsten und wichtigsten Figuren der Volksüberlieferung. In Sagen aus Kärnten und Tirol tritt der Teufel auch als Liebhaber auf.

6.6 Niederösterreich    

Eine Kröte melkt eine Kuh

In Luden im südöstlichen Waldviertel erzählte einmal ein alter Bauer namens Schmid dem Ziering, der damals Wirt war, folgende Geschichte: In Fratting (gehört heute zu Tschechien) im benachbarten Deutsch-Mähren beschwerte sich eine Bäuerin beim Halter: „Meine Kuh gibt seit vier Wochen zu wenig Milch. Entweder spielt da eine Hexe mit und diese zapft Milch von meiner Kuh ab oder du bist ein Spitzbub und holst dir von meiner Kuh die Milch!“ Der Halter wies jeden Verdacht energisch von sich. Er erklärte der Bäuerin: „Ich werde auf deine Kuh besonders achtgeben. Mir ist aber bereits aufgefallen, dass deine Kuh auf dem Heimweg immer neben einer Mauer halt macht und dort längere Zeit herum steht.

Am nächsten Tag ging die Kuh, wie sonst auch, dem anderen Vieh voraus. Im Bereich der Mauer blieb die sie aber wieder stehen. Der Halter ging zur Kuh und erblickte eine große Kröte, die an einer Zitze der Kuh saugte. Er reagierte schnell und versetzte der Kröte mit seinem Stock zwei Schläge. Darauf ließ sie von der Zitze los, sodass sie auf den Boden fiel. Kurz darauf setzte sich der Viehtrieb wieder in Bewegung. Bald darauf erreichte der Halter mit dem Vieh das Dorf. Die Leute erzählten ihm, dass man gerade ein altes Weiblein, das schon seit längerem der Hexerei bezichtigt wurde, halb erschlagen in ihrer Kammer aufgefunden habe. Für den Halter war damit das Rätsel gelöst, denn er wusste nun, wer die Kröte war. Der Bäuerin verriet er aber nichts. Erst Jahre später, als schon längst niemand mehr an die Geschichte dachte, machte die Frau des Halters diese wieder publik.

Quelle: Sagen aus Niederösterreich/ Hrsg. L. Petzoldt, München 1993, S. 197

Anmerkung; Die Hexen sind als große Kröten in die Kuhställe gegangen und haben, wenn die Kühe am Boden gelegen sind, aus dem Euter der Kühe die Milch ausgesoffen. Kröten und Frösche sind oft ehemalige Menschen, die wegen begangener Sünden verwünscht wurden. Meist können sie aber mit Hilfe der Menschen wieder erlöst werden. Andererseits sind sie aber auch mit dem Bösen verknüpft.

6.7 Tirol    

Der Almgeist und die Eierschalen

In der Gegend von Ellmau am Wilden Kaiser war früher eine der größten Almen des Tiroler Unterlandes. An die Alm grenzte ein mythischer Wald, den man den Awald nannte. Auf der Awaldalm geisterte es aber auch. Der Geist arbeitete nur während der Nachtstunden „umeinander“. Am nächsten Morgen war dann einiges in der Hütte anders aufgestellt als am Abend des Vortages. Um den Geist wieder los zu werden, holte man den Rat eines Kapuziner Paters ein. Dieser meinte, man sollte die ganzen Hafelen, Schalen und Eierschalen zur Abwehr des Almgeistes auf den Herd legen. Danach vergingen die Jahre , ohne dass man den Rat des Paters umgesetzt hätte.

Endlich kam eine neugierige und mutige Sennerin auf die Awaldalm. Sie hatte keine Ängste vor einem Geist, sondern wollte den Dingen, die nicht ganz geheuer waren, auf den Grund gehen. Bald sollte sich eine Gelegenheit dazu ergeben. An einem Sonntag im Juli erreichte eine Gruppe von Männern und Frauen die Alm. Die Sennerin packte die Gelegenheit beim Schopf und kochte ihnen einen großen Topf vollk Eier. Nach dem Essen sammelte sie die Eierschalen ein. Doch damit hatte sie noch nicht genug. Die Sennerin holte zusätzlich auch von den anderen Hütten die übriggebliebenen Eierschalen.

Danach legte sie die Eierschalen auf den Boden, auf die Bänke sowie auf den Herd. Sie war voller Erwartung, dass der Geist bestimmt auf eine Eierschale treten müsste. Nachher machte es sich die Sennerin im Schlafkasten der Nebenkammer gemütlich und wartete. Bald danach vernahm die Sennerin eine wehmütig klingende Stimme: “Ich bin schon alt und weiß den Awald neunmal Wiese und neunmal Wald, aber so viele „Hafelen“ und „Hiefelen“ wie heut, hab ich überhaupt noch nie gesehen!“ Danach suchte der Geist das Weite und ließ sich nie mehr auf der Awaldalm blicken.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol/ Hrsg. Johann A. Heyl, Brixen 1897, S. 67

Die wilden Fräulein von der Baumgartner Feldalm (Kitzbüheler Alpen)

Es ist schon lange her, als auf der Baumgartner Feldalm eine Gruppe wilder Fräulein lebte. Die Alm gehörte einem reichen Bauern, der seine Kühe zu Sommerbeginn auf die Feldalm trieb. Damals war diese Alm reich an saftigen Gräsern und Kräutern. Die Kühe gaben doppelt so viel Milch als auf anderen Almen.

Etwas oberhalb der Alm lebten die wilden Freil (=Fräulein). Oft baten sie den Senner um Butter und Milch. Gerne erfüllte dieser ihre Wünsche, weil er dadurch für die Alm viel Segen bekam. Nachdem ein neuer Senner die Geschicke der Alm lenkte, war es aber mit dem übergroßen Segen vorbei. Die Almleute wurden übermütig, hart und gottlos. Sie lebten in Saus und Braus und spielten mit den Butterknollen Kegel.

Diesen übermütigen Frevel konnten die wilden Freil nicht ertragen und weinten viel über diese Zustände. Sie beklagten sich beim Senner, dass sie nun dem Hungertode ausgeliefert seien. Durch die Luft hörte man die Worte "Pero, Pero (= bergab) - wir sehen uns nimmermehr!" Seitdem wurden die Erträgnisse, die auf der Feldalm erwirtschaftet wurden, immer schlechter.

7 Sagenwelt Südtirol    

Der "Kuinzen"

Im „Thole“ (Tal) - so heißt in der Gegend von Bruneck das Ahrntal – erzählt man folgende Geschichte: „Endern“ Gebirge, auf Zillertaler Boden, lag eine Almhütte, welche die „Kuinzenhütte“ genannt wurde. Die Alma (Almleute) haben mit der Gottesgabe öfters Schindluder getrieben. Einer der Knechte schnitzte eine hölzerne Puppe, die den Almputz darstellen sollte. Nachher setzten sie der Puppe einen Hut auf und nannten sie den „Kuinzen“.

Sie strichen ihm mit einem Löffel Mus ein. Da er sich noch immer nicht rührte, versuchten die Alma dem „Kuinzen“ Schnaps einzugeben. Auf einmal ist der kohlrabenschwarze Putz aber lebendig geworden. Er hat alles wie ein Mensch zu sich genommen. Die Alma fürchteten sich immer mehr vor dem Putz. In ihrer Not fiel ihnen ein Kapuziner Pater ein. Sie befragten den Pater, wie sie den Putz wieder loswerden könnten. Der Pater verlangte von ihnen, dass sie ein schwarzes Stierkalb sieben Jahre lang mit Milch aufziehen und zügeln müssten.

Als die Zeit um war, sind sie dann mit dem schwarzen Stier an der Spitze gegen Alm gefahren. Dieser ist dabei auch in die „Rachhütten“, hinein gekommen. Es ist dies der erste Stall im Sondergrund. Dabei hatte der Stier plötzlich angefangen ganz wild zu brüllen. Als der Stier dann zur „Kuinzenhütte“ gekommen ist, da hat er den Lotter (Mann) mit voller Wucht niedergestoßen und getötet.

Erzähler: Johann Kottersteeger, vulgo Waldner, 75 Jahre, Senner; Ort: Prettau/Ahrntal

Quelle: Sagen aus Südtirol/ Hrsg. von M. Direder-Mai und L. Petzoldt, München 1993, S. 112

8 Sagenwelt Bayern    

Der Unnütz

Zwischen Achenkirch und Steinberg am Rofan (Grenzgebiet Tirol-Bayern) gibt ein schroffer und kahler Bergrücken den Blick sowohl ins bayerische obere Isartal frei als auch zum in Tirol liegenden Achensee. Vor langer Zeit war dies aber ganz anders. Damals bestand der größte Teil des Berges aus grasreichen Almböden mit vielen gesunden Kräutern und bunten Blumen.

Dort lag die ertragreichste Alm des ganzen Grenzgebietes. Das Almvieh konnte ohne abzustürzen auf seinen Hängen grasen. Die Kühe wurden ob der guten Futter-Situation dreimal am Tage gemolken. Dicke Käselaibe und feine Almbutter füllten die Speicher. Dadurch wurden die Almleute immer reicher. Sie errichteten in einer Senke sogar eine Kegelbahn. Die Butter benutzten sie zur Herstellung der Kegel. Aus den aromatischen Käselaiben formten sie die Kugeln.

Als die Sonne bereits etwas tiefer stand , beschäftigte sich eine lustige Gesellschaft wieder einmal mit dem Kegelscheiben. Währenddessen braute sich langsam ein Gewitter zusammen. Immer mehr schwarze Wolken türmten sich auf und verdunkelten die Gegend. Plötzlich entlud sich unter heftigem Donnern und Blitzen ein schweres Unwetter. Die Wassermassen schwemmten den kostbaren Almboden hinweg und verwandelten kleine Bäche in reißende Wildbäche. Anstelle der Alm ragte nur mehr ein unfruchtbarer, kahler Berg in den Himmel.

Quelle: Günther Kapfhammer: Bayerische Sagen, Düsseldorf-Köln, 1971, S. 39

Anmerkung: Die nachlassende Fruchtbarkeit der Almböden sowie die sinkende Nahrhaftigkeit der Almgräser wurde früher als Strafe des Himmels angesehen.

9 Sagenwelt Schweiz    

Eine der scheinbar genuin dieser Landschaft zugehörigen Sage ist die vom Grenzverlauf, deren bekannteste Version, der Grenzstreit zwischen den Kantonen Uri und Glarus in der Schweiz, bei den Brüdern Grimm zu finden ist (nach Wyss).

Es ist eine ätiologische Sage, die eine strittige Grenzziehung auf die Weise festlegt, dass, wie es im Sagentext heißt, „Zur Tag- und Nachtgleiche (….) von jedem Teil (Ort) frühmorgens, sobald der Hahn krähte, ein rüstiger, kundiger Felsgänger ausgemacht werden und jedweder nach dem jenseitigen Gebiet zulaufen solle und da, wo sich die beiden Männer begegneten, die Grenzscheide festgesetzt bleiben“ solle.

Beide Parteien versuchen das Schicksal zu manipulieren, indem sie nach einem Hahn suchen, der möglichst früh krähe. Die Urner geben ihm – im Gegensatz zu den Glarnern – nur wenig zu essen und trinken und der schmachtende Hahn kräht zuerst, so dass der Urner Läufer einen groß en Vorsprung hat. Als der Glarner zu spät auf ihn stößt, bittet er den Urner, ihm noch ein Stück des Weidelandes zuzugestehen. Schließlich lässt sich der Urner erweichen und sagt: „So viel will ich dir noch gewähren als du, mich an deinem Hals tragend, bergan läufst.“ Der Glarner Senn läuft nun mit dem Urner auf dem Rücken bergan bis er tot zusammenbricht: „Und noch heutigentags wird das Grenzbächlein gezeigt, bis zu welchem der einsinkende Glarner den siegreichen Urner getragen habe.“

Anmerkung: Ohne auf die Geschichte dieser Sage näher einzugehen, sie reicht bis in die Antike zurück und ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Sagenstoffe wandern und sich in dem Milieu festsetzen, dem ihre inhaltliche und logische Struktur am besten entspricht.

Die Klaridensage (Schächental im Kanton Uri/ Zentralschweiz)

Vor langer Zeit bestand eine große Fläche des Clariden, einem über 3200 Meter hohen Gebirgsstock im Kanton Uri, aus fetten Alpweiden. Damals lebte ein Senn auf der Claridenalp, der eine leichtfertige Dirn namens Kathry bei sich aufnahm. Die Kühe wurden dreimal am Tag gemolken. Für den Senn und seine Dirn war die beste Kost gerade gut genug. Damit sich die Dirn rund um die Alphütte nicht dreckig machte, pflasterte der Senn mit vielen Käselaiben den Vorplatz sowie den Weg von der Sennhütte zum Käsgaden (Käsespeicher). Die Zwischenräume verfugte er fein säuberlich mit Almbutter. Sobald die Käselaibe verschmutzt waren, wischte er diese mit frisch gemolkener Milch wieder sauber. Die Füße von Senner und Dirn sollten dadurch immer sauber bleiben. Beide verbrachten den Almsommer in Saus und Braus.

Für ein paar Wochen blieb auch die Mutter des Senners auf der Alp. Während für sie zuhause Schmalhans Küchenmeister war, wollte sie auf der Alp ihren ausgehungerten Magen mit Süffi verwöhnen. Aber ihr undankbarer Sohn hatte sich für die Mutter eine besondere Speise ausgedacht. Er vermischte die Milchspeisen mit Pferdeharn. Die Mutter fühlte sich von ihrem eigenen Sohn schwer geschädigt und verließ unter heftigem Fluchen die Alp. Während des Abstieges von der Alp ins Tal verwünschte sie ihren undankbaren Sohn und erbat sich von Gott eine gerechte Bestrafung ihres gottlosen Sohnes.

Bald braute sich über dem Gebirgsstock des mächtigen Clariden ein noch nie dagewesenes Unwetter zusammen. Die Begleitmusik dazu lieferte ein extrem lautes Donnern und Krachen. Plötzlich fing der Boden der Alp zu beben an. Innerhalb weniger Minuten stürzten vom Clariden riesige Fels- und Eisbrocken auf die Alp. Gleichzeitig taten sich im Alpboden große Spalten auf, in denen sowohl die gealpten Tiere als auch der Senner mit seiner Dirn versanken. Gegen Abend fing es plötzlich zu schneien an. Der heftige Schneefall hielt zwei Tage lang an. Dadurch verwandelte sich der einst fruchtbare Boden der Alp in eine riesige Schnee- und Eisfläche. Damit war es mit der grasreichen Claridenalp endgültig vorbei.

Quelle: Müller Josef: Sagen aus dem Kanton Uri, Basel, 1. – 3. Bd. (Neudruck 1969)

Anmerkung: In der Klaridensage tritt das Motiv des Speisen-Vergeudens zutage. Das im christlichen Bereich so wesentliche Moment der Vergebung einer Sünde ist dieser Sagengruppe fremd. Deshalb ist der Kern dieser Sage tiefer und breiter verwurzelt. Auffallend ist, dass der früher verbreitete Glaube vorherrschte, wonach die Almweiden einst viel ertragreicher gewesen seien.

Zu den Autoren    

Günther Dichatschek

APS-Lehramt VS-HS-PL (1970-1975-1976)

Absolvent des Studiums Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985)

Universitätslehrgang Politische Bildung/ Universität Salzburg-Klagenfurt/ MSc (2008)

Universitätslehrgang Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012)

Fernlehrgang Nachhaltige Entwicklung/ Comenius-Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Herbert Jenewein

APS-Lehramt VS-HS-PL (1970-1975-1976)

Absolvent des Studiums Volkskunde und Europäische Ethnologie/ Universität Innsbruck/ Mag. phil. (2005)

Publikationen:

"Wandern zu Sagen und Mythen im Wilden Kaiser", Tyrolia Verlag Innsbruck 2002 "Volkskundliche Aspekte. Kulturwissenschaftlich-volkskundliche Beiträge aus Tirol", Akademiker Verlag Saarbrücken, 2022

Almsagen in den Regionen Tirol, Südtirol, Vorarlberg, Salzburg, Kärnten, Oberösterreich, Steiermark, Bayern und die Schweiz, in: Fachzeitschrift Der Alm- und Bergbauer 1-2/2020 und 1-2/2021

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 6. Februar 2023