Netzwerk Gegen Gewalt - Ein Offenes WikiWeb - Jeder kann sich beteiligen!

Glockengießer

Veränderung (letzte Änderung) (Autor, Normalansicht)

Hinzugefügt: 2a3,5

= Volkskundliche Beiträge =


Hinzugefügt: 3a7,10

Herbert Jenewein

[[Inhaltsverzeichnis]]


Volkskundliche Beiträge    

Glockengießen    

Herbert Jenewein

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Volkskundliche Beiträge   
Glockengießen   
1. Zur Geschichte der Glocke   
2 Die Glockenform   

1. Zur Geschichte der Glocke    

Seit urdenklichen Zeiten haben die Völker der Erde akustische Zeichen für kultische Handlungen verwendet. Auch Freud und Leid wurden derart verkündet.

Die ältesten Glocken stammen aus China, wo schon 3.000 Jahre vor Christus sogenannte „Gongs“ aus Kupfer gehämmert wurden. Unabhängig davon wurden in den frühen Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens Glocken entwickelt.

Auch die Römer verwendeten Glocken als Rufzeichen in Bädern, Tempeln und für militärische Zwecke. Da die Glocken mit vorchristlichen Bräuchen in Verbindung gebracht wurden, stand das Christentum deren Verwendung zunächst eher ablehnend gegenüber.

Erst im 2. Jahrhundert nach Christus wurde die Glocke zum Symbol der Verkündigung des Evangeliums und ihr Klang als Rufzeichen benützt. Durch irische und schottische Missionarsmönche kam die Glocke Mitte des 6. Jahrhunderts nach Mitteleuropa und erlebte den ersten großen Aufschwung dank der Förderung durch Kaiser Karl den Großen zu Beginn des 9. Jahrhunderts.

Mit dem kulturellen Wandel und dem Entstehen der Städte als Zentren von Handel und Handwerk übernahmen im 13. Jahrhundert Bürger die Aufgabe des Glockengießens; nicht zuletzt auch deshalb, weil immer größere Glocken gewünscht wurden und aus Transport- gründen diese vor Ort – direkt neben dem jeweiligen Kirchturm – gegossen werden mussten.

Durch Erfahrungswerte gelang es den Glockengießern bis ins 15. Jahrhundert die Form der Glocke so zu gestalten, dass der Klangaufbau und die gewünschte Tonfolge beeinflusst werden konnten. Dies ermöglichte ein mehrstimmiges Läuten verschiedener Glocken ohne disharmonische Klänge.

Mit dem 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert erlitt die Kunst des Glockengießens leider einen schweren qualitativen Einbruch und viele Kenntnisse gingen verloren. Charakteristisch für die Zeit danach sind Glocken mit besonders üppiger Verzierung, zunehmender Größe und mäßigem Klang. Als herausragendes Beispiel gilt die größte Glocke der Welt mit 195.000 kg, welche 1732 in Moskau gegossen wurde.

Die Verbesserung der Verkehrswege zu Beginn des 19. Jahrhunderts ermöglichte feste Gussstätten und beendete die Tradition eines „Wandergewerbes“. Die nun gleichbleibenden Bedingungen förderten das Experimentieren und rückten die musikalische Qualität der Glocken wieder in den Vordergrund.

2 Die Glockenform    

Die ältesten markanten europäischen Glocken wurden durch die Gießerkunst der Benediktiner beeinflusst (9. – 12. Jahrhundert) und haben vorwiegend die Form eines Bienenkorbes („Bienenkorbglocke“). Glocken aus dieser Epoche besitzen eine steil abfallende, gleichbleibend starke Wand und einen Ton, der noch keinen Wohlklang vermittelt.

Anfänglich wurde die Glockenform einfach nach Augenmaß hergestellt. Einen wesentlichen Fortschritt bedeutete die Anwendung einer Schablone zum Aufbauen und Glattdrehen der Form. Die Gießer gaben auf diese Weise ihren Glocken eine vorher von ihnen bestimmte Kontur und sie konnten das Klangergebnis besser überprüfen.

Die Glockenformen bestanden jeweils aus einer Lehmschicht (dem inneren Teil der Form), einer Fettschicht (diese entsprach der zu gießenden Glocke und einer weiteren Lehmschicht (als äußerer Teil der Form). Ähnlich einer Art des modernen Kunstgusses wurden dann die Glocken mittels „Ausschmelzverfahren“ (Ausschmelzen des Fettes mit Feuer vor dem Guss) hergestellt.

Im 12. Jahrhundert verjüngte sich die Form des Glockenkörpers nach oben, der untere Durchmesser vergrößerte sich und die Glocke bekam mit der kleinen Haube die Umrisse eines Zuckerhutes („Zuckerhutglocke“). Dieser etwas hohe, schlanke Glockentyp erzeugt ein weitgehend ungeordnetes Klangbild und vermittelt einen etwas schrillen metallischen Ton.

Die konische Grundgestalt dieser Glockenform dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Einführung einer neuen Formtechnik – das „Mantelabhebverfahren“ – zurückzuführen sein. Bei diesem einfacheren Verfahren wurde die Fettschicht durch eine Lehmschicht, die vor dem Guss entfernt wurde, ersetzt. Interessanterweise hat sich seither die Art des Glockenformens nicht mehr wesentlich verändert.

In der Blütezeit der Gießerkunst (ca. im 15. Jahrhundert) stellte man experimentell fest, dass der vertikale Schnitt durch die Glocke (Rippe) in etwa 12 Segmente unterteilt und jedes Teilstück in eine bestimmte Relation von Höhe zu Durchmesser der Glocke gebracht werden musste. So entstanden Glocken, deren Töne im Verhältnis zueinander dem Klangideal sehr nahe kommen. Der damals entstandene Glockentyp ist bis heute die Grundform der europäischen Glocke.

Bezüglich des Klangbildes entwickelten sich nach Einführung des „Mantelabhebverfahrens“ unabhängig von den Zeitepochen folgende Glockentypen:

Die Septim-Glocke? ist seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar und war für lange Zeit die dominierende Glockenart in Europa. Ausschlaggebend dafür dürfte wahrscheinlich der zu-folge dünner Wandstärken geringe Materialbedarf gewesen sein.

Die Non-Glocken? sind primär in Italien verbreitet und an ihrer langgestreckten Form erkennbar. Die Sext-Glocke? ist in musikalischer Hinsicht besser als die Septim- und die Non- Glocke. Sie hat – bis auf die Zwischenkriegszeit mit der Erzeugung von Stahlglocken – in den vergangenen Jahrhunderten nur eine geringe Verbreitung erlangt.

Die Oktav-Glocke? stellt die höchste Entwicklungsstufe der abendländischen Glocke dar. Aufgrund ihrer klanglichen Qualität ist dieser Glockentyp speziell für mehrstimmige Geläute und Glockenspiele geeignet.

Charakteristisch für die europäische Glockenform ist die nach Regionen und Glockengießerdynastien unterschiedliche Entwicklung. Durch das strenggehütete Geheimnis der Glockenrippe behielten sich manche Glockengießereien bezüglich des Klangbildes einen Know-how- Vorsprung über mehrere Jahrhunderte.

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 13. August 2023