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Henrik Kreutz

Univ.-Prof. Dr. Henrik Kreutz (geb. 1938 in Budapest). Lehrte in Wien als Dozent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Leiter des IAS (Institut für Angewandte Soziologie). Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie an der Uni Erlangen. Arbeitsgebiete: Soziologie, Sozialantropologie und empirische Sozialforschung. Mitglied der ÖGS.

Spuren im Netz:

Exzerpt des Beitrages in Gewalt im TV

Titel: Geschichte der Gewalt und ihre kulturelle Ausdeutung

Psychologisch gesehen ist "Gewalt" ist fast immer die Gewalt der anderen. Im eigenen Bereich ist die verwendete Sprache häufig anders: "Selbstverteidigung", "Schutz berechtigter Interessen", "Prävention", wobei der Übergang von der Verteidigung zum Angriff fließend ist.

Mythologisch gesehen findet man häufig eine Interpretation des Weltgeschehens als "Heilsgeschichte", entweder in die Vergangenheit gerichtet ("verlorenes Paradies", "zurück zur Natur") oder in die Zukunft gewandt ("Ewiger Frieden", Utopien).

Viele Heilslehren rechtfertigen die Gewaltanwendung zur Erreichung des "Heiles" und führen zu einer Verherrlichung der Gewaltanwendung. Teilweise wurde versucht diese Bestrebungen auch durch Evolution oder Darwinismus wissenschaftlich zu untermauern. Eindeutig widerlegt ist der auch entstandene Mythos vom "guten Tier" und seiner angeblich der menschlichen überlegenen Tötungshemmung.

Gefährlich werden biologische Interpretationen, wenn die beobachtbare zwischenartliche Aggression auf den Menschen zurückprojiziert und zu einem Überlebenskampf der Rassen oder Kulturen idealisiert wird. Der Kampf ums Überleben wird zum Kampf ums Territorium, in dem der Ausländer (Flüchtling, Asylsuchende) zum Aggressor wird, dessen Vernichtung nur als Akt der Selbstverteidigung erscheint.

Zur KatharsisThese(siehe dort): Jahrzehntelang wurde sie zur Rechtfertigung des SexAndCrime-Angebotes verwendet. "Diese Katharsis-These ist seit Ende der 70er Jahre eindeutig als falsch erwiesen".

Heutige Situation:

Die vermutlich zentrale Aussage des Beitrags: "Wenn wir die heutige Lebenswelt betrachten, dann bekommt die Unterscheidung zwischen direkter, offener Gewalt und struktureller, latenter Gewalt eine zentrale Bedeutung." (ein Beispiel dazu siehe StrukturelleGewalt).

Im Alltag zeigt sich die strukturelle Gewalt schwer nachweisbar und für die Mehrheit unerkennbar getarnt als List, Manipulation, verdeckte Absprache, Mobbing oder symbolische Handlungen. Der Druck aus dieser strukturellen Gewalt nimmt nun seit Jahrzehnten ständig zu.

Gewaltdarstellungen im Fernsehen schaffen dieser erlebten und durchlittenen strukturellen Gewalt einen für den ungeschulten Verstand greifbaren Ausdruck, mit dem man sich auseinandersetzen und affektiv abreagieren kann. Die Medien gießen die strukturelle Gewalt in die Form des Verbrechens, in Gewalt durch Außenseiter und Fremde. Nicht die strukturelle Gewalt in der eigenen Gesellschaft wird sichtbar, sie wird im Gegenteil verdrängt, so dass die Alltagswelt als friedliche Idylle erscheinen kann. "Die Gefahr kommt von außen" - das ist die Geschichte, welche die Medien immer wieder erzählen.

Diese irreführende, aber faßbare Umdeutung der strukturellen Gewalt verstärkt aber den Ruf nach Intensivierung der Kontrolle, nach Polizei, Lauschangriff und Relativierung der Grundrechte des Einzelnen. Erzeugt also eine sich verstärkende (sog. positive) Rückkopplung: Das symbolische Sichtbarmachen der strukturellen Gewalt verstärkt die eigentliche Ursache dieser diffusen Ängste, nämlich die strukturelle Gewalt, noch mehr. Dies steigert wieder die Nachfrage nach Medienprodukten, welche die nicht faßbare strukturelle Gewalt in trivale, kontrollierbare, physische Gewalt umdeuten.

Dies ist die aktuelle Geschichte der Gewalt. In jüngster Zeit schaukeln sich die strukturelle Gewalt von Massenorganisationen und gesellschaftlichen Machtkartellen einerseits und die virtuelle physische Gewalt der Medieninhalte andererseits gegenseitig hoch. Liefe dieser Prozess ohne eine breit angesetzte Aufklärung weiter, dann ergäbe sich am Ende eine Welt weitgehender Unfreiheit.

(Ich hoffe diesen komplexen Beitrag einigermaßen verzerrungsfrei zusammengefasst zu haben.) -- HelmutLeitner


Tatsächlich erscheint mir HenrikKreutz der erste, der eine überlegenswerte Theorie anbietet, warum ein steigendes Bedürfnis nach und ein wachsendes Angebot von Gewaltdarstellungen existiert. Das Ansteigen struktureller Gewalt wäre dabei am leichtesten zu erklären, nahm doch in den vergangenen Jahrzehnten der Computer und der weltumstannenden Medien die Vernetzung, der Organisationsgrad von Firmen und Institutionen, auch der Konkurrenzdruck und die Übermittlung weltweiter Konflikte und Missstände laufend. Es scheint einleuchtend, dass sich dabei der Durchschnittsmensch zunehmend als ohnmächtiges Opfer von Entwicklungen fühlt. -- HelmutLeitner


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© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am October 7, 2003