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Helmut Leitner / Work Space

Vorverarbeitung eines Beitrags von Herbert Jennewein zum Text Ethnologie.

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
1. Religiöse Volkskunde: Mittelalterliche Wallfahrtslegenden und Mirakelbücher in Tirol   
1.1. Religiöses Leben im Mittelalter   
1.2. Die christliche Wallfahrt im Mittelalter   
1.1 Zum Begriff „Wallfahrt“   
1.2 Zum Begriff „Legende“   
2. MITTELALTERLICHE TIROLER WALLFAHRTSLEGENDEN   
2.1 Gründungslegenden   
2.1.2 Rastsagen   
2.1.3 Stromsagen   
2.1.3.1 Riffian bei Meran   
2.1.3.2 Die „Kornmutter“ von Ehrenburg   
2.1.4 Gespannwunder   
2.1.4.1 Hl. Notburga in Eben am Achensee   
2.1.4.2 Das Grab des Hl. Ulrich von Pinswang (Ausserfern)   
2.1.5 Legenden von wandernden Gnadenbildern   
2.1.5.1 Die Glaubensburg „Mariastein“ im Tiroler Unterland   
2.1.6 Die Blut- und Hostienwunder   
2.1.6.1 Die Wallfahrt St. Georgenberg oberhalb von Fiecht/Schwaz   
2.1.6.2 Die „Bluthostie“ von Seefeld   
2.1.7 Das Wunder von Loreto   
3. MIRAKELBÜCHER   
3.1 Zum Begriff „Mirakel“   
3.2 Inhalt und Aufbau der Mirakelbücher   
3.3 Mirakelbuch des Stiftes Stams (Oberinntal)   
3.4. Mirakel – Einbildung oder Wahrheit?   
4. KRITIK AM WALLFAHRTSWESEN   
5. BIBLIOGRAFIE   

1. Religiöse Volkskunde: Mittelalterliche Wallfahrtslegenden und Mirakelbücher in Tirol    

1.1. Religiöses Leben im Mittelalter    

Im Spätmittelalter ist die Angst der Menschen vor dem jähen Tod mit ungesühnten Sünden vorherrschend. Der Hl. Christophorus gilt als Patron gegen den jähen Tod, den die Menschen im Spätmittelalter besonders fürchteten. Das Fegefeuer wird als dritter Ort zwischen Himmel und Hölle dargestellt.(MENARDI: Religiöses Leben im 13. u. 14. Jahrhundert. In: Tiroler Landesausstellung 1995: Eines Fürsten Traum. Meinhard II. - Das Werden Tirols. 1995, 475 – 490).

Die Heiligenlegenden dienen der Erbauung. Den Menschen wird ihr beispielhaftes Leben und ihr Tod bildhaft vor Augen geführt. Ihr vorbildliches Leben und ihr beispielhafter Tod wird den Menschen bildhaft vor Augen geführt. Die Heiligen werden als Vorbilder und Helfer in Notsituationen verstanden. (Ebd. 1995, 477).

Der Marienkult breitet sich ab dem 13. Jahrhundert in Tirol aus. Wegen ihrer Wohltätigkeit gegenüber den Armen wurde besonders die Hl. Nothburga verehrt. In der Volksfrömmigkeit wird auf die Bedeutung der Armen hingewiesen (Ebd. 1995, 478).

Anstelle von Reliquien wurden im Altarraum der Kirchen auch geweihte Hostien verborgen. Weiters wird über außergewöhnliche Erscheinungen an geweihten Hostien und an geweihtem Wein berichtet. Sie gehören zum Gemeingut der mittelalterlichen Erzählliteratur. Dazu gehören auch die Hostien- und Blutlegenden in St. Georgenberg, Seefeld sowie die Heilig-Blut-Reliquie? in Stams.

In diesen Legenden macht vor allem die Hochachtung vor der Eucharistie deutlich, dass sie besonders in diesem Zusammenhang zu sehen sind. In besonderer Weise zeigt sich dies mit der Einführung des Fronleichnamsfestes. In Ablassbriefen aus den Jahren 1289 und 1300 wird die feierliche Begehung dieses Festes in Tirol belegt (Ebd.1995, 479).

1.2. Die christliche Wallfahrt im Mittelalter    

Im 13. Jahrhundert begann in Europa das Pilgerwesen. Damals entwickelten sich die drei wichtigsten Hauptwallfahrtsorte der Christenheit – die perigrationes maiores, nämlich Rom, Santiago de Compostela und Jerusalem. Die perigrationes maiores sind geprägt vom Buß- und Sühnecharakter und dem Faktum, dass es sich dabei um Fernwallfahrten handelt. Die Menschen des Mittelalters, die oft von der großen Angst um das ewige Heil geprägt waren, sahen in der Wallfahrt ein Zeichen der Abbüßung von Sünden.

Da viele Pilger während einer Fernwallfahrt den Reisestrapazen und Unsicherheiten (schlechte Straßen, Räuber, Seuchen, Kriegsgefahren) ausgesetzt waren, entwickelte sich aus dem Patronatswesen und der mittelalterlichen Herrschaftsstruktur im Laufe des 14. Jahrhunderts die perigrinatio minor, die kleine Wallfahrt. (Ebd. 1995, 42o,21).

Wesentlich für eine mittelalterliche Wallfahrt war nicht nur das Kultobjekt und irgendeine Form der Verehrung, sondern auch Prozessionen zu einer Kirche. Diese stellen das dynamische Element in der Geschichte der mittelalterlichen Volksfrömmigkeit dar. Neben den Realien, der Ikonografie sowie des örtlich gebundenen Brauchs bildeten die Legenden für die Gründung einer Wallfahrt die statischen Elemente. (Ebd. 1995, 417).

1.1 Zum Begriff „Wallfahrt“    

Trotz der großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Religionen der Erde ist die Wallfahrt in den großen Weltreligionen und einer Vielzahl kleinerer Religionen ein fixer Bestandteil der Frömmigkeitspraxis. Zu den sichtbaren Äußerungen der Volksfrömmigkeit zählen Kultobjekt, Votivgaben und Wallfahrtsbrauchtum (vgl. ASSMANN In: Volkskunde-Atlas? 1979, 5).

Unter Wallfahrt versteht man das Aufsuchen einer bestimmten Kultstätte mit der ein Kultobjekt im Sinne eines religiösen Aktes oder eines frommen Verlöbnisses verbunden ist. Wallfahrt setzt die Vorstellung voraus, dass an bestimmten Orten Gott mit seinen Licht- und Gnadenkräften dem hilfesuchenden Menschen besonders nahe steht (vgl. LEXIKON für THEOLOGIE u. KIRCHE, 1965, Sp.941).

1.2 Zum Begriff „Legende“    

Die Legende leitet sich ab von lat. legenda = zu lesende (vorzulesende) Texte. Diese Texte bezogen sich ursprünglich auf Stücke für die liturgische Lesung. Ab dem 7. Jahrhundert ist damit auch ein Bezug auf das Leben der christlichen Heiligen gegeben. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist Legende als deutsches Lehnwort nachgewiesen. Ab dem 15. Jahrhundert wird unter Legende ein freier Bericht, eine Erzählung verstanden. Im Zeitalter der Reformation bezeichnet Legende einen ‚unbeglaubigten Bericht, eine sagenhafte bzw. unglaubwürdige Geschichte’. Im 20. Jahrhundert versteht man unter einer Legende eine unglaubliche (Lebens-) Geschichte (BREDNICH, WILHELM u.a.1996, Sp.855-856).

Während es im Märchen um das Schicksal oder die außermenschliche Welt geht, ist es in der Legende ausschließlich die Heiligenmacht, die alle Möglichkeiten meistert.

Die Gnadenstättenlegende hat durchwegs eine typische Bauart, die sich von selbst aus der Sachlage ergibt. Der Ursprung vieler Wallfahrtsorte geht auf einen wunderbaren Fundbericht zurück. Diesem schließen sich Erzählungen über auffallende Wunderheilungen an. Schließlich kommt es zum Bau einer Kapelle und in weiterer Folge wird eine Kirche errichtet (TSCHIDERER „Wallfahrten in TIROL“ In: HEILTUM und WALLFAHRT 1988, 13).

2. MITTELALTERLICHE TIROLER WALLFAHRTSLEGENDEN    

Bereits im 13. Jahrhundert gibt es in Tirol Nachrichten über Wallfahrtsgründungen. Seit diesem Jahrhundert gibt es genauere Angaben über Art und Zeitpunkt der Entstehung, denn damals begann man wunderbare Ereignisse, die zu einer Klostergründung führten, niederzuschreiben.

Es ist klar, dass es sich bei diesen Legenden nur um Geschichten handelt, die keinen Wahrheitsgehalt haben. Dennoch enthalten viele Legenden auch einen historischen Hintergrund. (vgl. ROSSMANN 1997, 9-12) Das Besondere eines Gnadenortes musste durch wunderbare Erscheinungen und Weisungen bereits bei seiner Entstehung hervorgehoben werden.

2.1 Gründungslegenden    

Zu den Prototypen spätmittelalterlicher Entstehungs- und Gründungslegenden gehören Rastsagen, Stromsagen, Gespannwunder, Legenden von wandernden Gnadenbildern, Hostienwunder und Loreto- Wunder.

2.1.2 Rastsagen    

Der hl. Wolfgang ist ein beliebter Rastheiliger in Österreich und Süddeutschland. Der Erdenweg eines Heiligen oder auch eines Gnadenbildes wird in der Rastsage mit dem Kult magischer Orte verbunden, insbesondere Quellen, Felsen und künstliche wie natürliche Vertiefungen in Felsen, also Durchkriechstellen und sogenannte Schalensteine (vgl. HÖLLHUBER 1987, 206).

In Klobenstein an der Grenze zwischen Bayern und Tirol ging einst nach einer Legende eine Frau von Kössen nach Marquartstein. Da löste sich vom Achberg ein großer Felsblock und fiel auf den Weg. Die überraschte Frau bekam Todesängste und sie bat die Muttergottes um Hilfe. Da spaltete sich plötzlich der Stein und die Frau konnte in der Mitte durchgehen. Das Durchgehen durch eine Felsspalte bedeutete in alter Zeit eine Wiedergeburt an Leib und Seele. Eigentlich handelt es sich in Klobenstein um zwei Kapellen, die durch einen Gang miteinander verbunden waren (vgl. JANTSCH 1995, 64 f.).

2.1.3 Stromsagen    

Schon lange vor der Einführung des Christentums wurde das Wasser bei vielen Völkern als etwas Geheimnisvolles, etwas „Göttliches“ angesehen (WOPFNER: Wallfahrt u. Volkskunde In: Tir. Heimat 9, 6 ).

Dieser Legendentypus wurde seit dem Spätmittelalter gerne verwendet. Das Gnadenbild wird auf einem fließenden Gewässer, zumeist im magischen Sinne gegen dessen Strömung, zum Gnadenort transportiert. Dabei handelt es sich um numinose Momente, indem sich die göttliche Macht des Wassers bedient, um damit den ausgewählten Ort für eine besondere Verehrung zu markieren (HÖLLHUBER, a.a.O. 194).

2.1.3.1 Riffian bei Meran    

Das Gnadenbild von Riffian bei Meran wurde einst in der Passer gefunden, nachdem über dieser Stelle des öfteren ein Lichterglanz gesehen worden war. Als man für die Statue eine Kapelle bauen wollte, ereigneten sich Unglücksfälle und Vögel trugen Hobelspäne dorfaufwärts bis zu jener Stelle, wo dann die ursprüngliche Gnadenkapelle errichtet wurde (Ebd. S. 21).

2.1.3.2 Die „Kornmutter“ von Ehrenburg    

Zuerst wurde das Gnadenbild in St. Johann im Ahrntal verehrt. Später wurde es dann von einer Mure fortgerissen. Nachher soll die Rienz das Gnadenbild in Ehrenburg wieder angeschwemmt haben.

Im Jahre 1370 wurde erstmals über einen Kreuzgang zur „Kornmutter von Ehrenburg“berichtet. Dies wurde damit begründet, dass sich besonders die Bauern wegen des Gedeihens ihres Korns an die Kornmutter wandten (vgl. ROSSMANN 1997, 25).

2.1.4 Gespannwunder    

Eine magische Fixierung findet statt, wenn ein Gespann ab einer bestimmten Stelle nicht mehr bewegungsfähig ist. Das weisende Tier fand in diesem Legendentypus seine Aufgabe als Werkzeug der himmlischen Willensäußerung zur Bestimmung von Heiligengräbern und als Führer in der Not (GÜNTER 1949, 184). Meist verbindet sich das Gespannwunder mit lokal verehrten Heiligen.

2.1.4.1 Hl. Notburga in Eben am Achensee    

Die Legende berichtet, dass sich die hl. Notburga weigerte zur Andachtsstunde auf einem Kornfeld weiterzuarbeiten. Nach dem Abendläuten warf sie die Sichel in die Luft, wo diese hängen blieb.

Ihre Begräbnisstätte sollte auf Wunsch der beliebten Tiroler Volksheiligen Gottesfügung anvertraut werden. So soll sie vor ihrem Hinscheiden im Jahre 1313 selbst Weisung gegeben habe, ihren Leichnam einem Ochsengefährt zu überlassen. Der Leichnam wurde auf ein Fuhrwerk gebettet, das mit zwei Ochsen bespannt war. Ihr Weg führte sie vom Schloss Rottenburg zum Inn hinunter, wo das Gespann mit dem Leichnam trockenen Fußes den Inn übersetzte und nach zwei Rasten Eben am Achensee erreichte. Dort blieben die Tiere stehen und der Leichnam der Heiligen wurde im Ruprechtskirchlein beigesetzt. ( vgl. PAULIN 2007).

Im Jahre 1731 stieß man bei Grabungen unter der Kirche auf ein Skelett, welches der hl. Notburga zugeschrieben wurde. Dieses steht heute mit kostbaren Gewändern bekleidet am Hochaltar der Kirche in Eben und ist Ziel vieler Pilger aus Tirol und Bayern. (ACHAMMER, 1993, 111).

2.1.4.2 Das Grab des Hl. Ulrich von Pinswang (Ausserfern)    

Der Legende nach, lebte Bruder Ulrich im 14. Jahrhundert bei Musau als Einsiedler. Nachdem er 1380 verstorben war, soll der Wagen mit seinem Leichnam von Ochsen bis zu einer bestimmten Stelle gezogen worden sein. Die Zugtiere waren von dort nicht mehr wegzubringen – dieser Ort hieß Pinswang. Hier wurde der Verstorbene schließlich begraben und verehrt.

Später konnte man das Grab des hl. Ulrich nicht mehr auffinden. Deshalb weihte man die neue Dorfkirche aus dem 18. Jahrhundert dem heiligen Ulrich von Augsburg (ACHAMMER Bd.1 In: ROSSMANN 1997, 25).

2.1.5 Legenden von wandernden Gnadenbildern    

Wandernde Gnadenbilder sind recht häufig zu finden. Diese Legenden sind Teil eines magischen Weltbildes, dem überirdische Bedeutung beigemessen wird. Von magischer Fixierung wird gesprochen, wenn ein Gnadenbild unbeweglich ist oder immer wieder an seinen ursprünglichen Standort zurückkehrt (

Im Spätmittelalter werden Gnadenbilder als chtonische (erdbezogne) Gottheiten gesehen. Diese Gottheiten der einfachen Menschen stellen ins Göttliche gehobene Verkörperungen bestimmter ausgewiesener Plätze dar. Meist stellen Felsen (wie in Mariastein), Quellen, Bäume oder Berggipfel solche Plätze dar, denen im magischen Weltbild überirdische Bedeutung zugeschrieben wird. Wenn also ein Gnadenbild ständig an einen bestimmten Ort zurückkehrt, wenn es von einem Ort zum anderen wandert, dann sucht eine chtonische Gottheit den ihr zukommenden Standort in einer magischen Welt voll standortbezogener Einflüsse auf das Leben des Menschen. (vgl. HÖLLHUBER 1987, 194).

2.1.5.1 Die Glaubensburg „Mariastein“ im Tiroler Unterland    

Die Wallfahrtskiche zu UNSERER LIEBEN FRAU MARIASTEIN zählt zu den interessantesten Kultstätten im gesamten Alpenbereich. Auf einer zwölf Meter hohen, steil abfallenden Felsnase erhebt sich ein 42 Meter hoher Bergfried, der durch den bewaldeten Höhenzug des Angerberges gegen das Unterinntal bei Wörgl abgeschirmt ist. Allein der Umstand, dass in diesem Gebäude sich Kirche und Gnadenbild im obersten Geschoß befinden und nur über eine steile Treppe mit 150 Stufen erreichbar sind, läßt die ursprüngliche kriegerische Bestimmung des Turms erkennen.

Die Legende berichtet, dass Georg Ylsung die Madonna von Mariastein beim Verkauf des Schlosses nach Augsburg mitgenommen habe, um für sie dort eine Kirche zu errichten. Doch danach kehrte sie von dort mehrmals als Folge mehrer wundersamen Raumüberwindungen immer wieder nach Tirol „auf den Stayn“ (großer Felsen) zurück. Dabei soll das Gnadenbild von acht Engeln getragen worden sein. Schließlich durfte die Madonna mit dem Kinde für immer in Mariastein bleiben (vgl. WEIDL 1995, 3f.).

2.1.6 Die Blut- und Hostienwunder    

Im Mittelalter erfreute sich die Eucharistie beim Volk einer besonderen Hochschätzung. Die Legenden um „Hostienfrevel“ oder „Blutwunder“ haben im 14. und 15. Jahrhundert in Tirol die Wallfahrtsorte St. Georgenberg, Seefeld und Stams[13] entstehen lassen. Heiligblut-Reliquien? begründeten die Wallfahrt nach Heiligenblut am Großglockner (ASSMANN 1979, 36).

2.1.6.1 Die Wallfahrt St. Georgenberg oberhalb von Fiecht/Schwaz    

St. Georgenberg ist ein dreifacher Wallfahrtsort.Ursprünglich wurde die Reliquie des hl. Georg und das Gnadenbild „Unsere Liebe Frau unter der Linde“ verehrt. Im 14. Jahrhundert kam die durch ein Wunder ausgelöste Verehrung des „hl. Blutes“ hinzu. (ROSSMANN 1997, 35).

Nach der Legende soll bei einer hl. Messe ein Ordenspriester während der Wandlung gezweifelt haben, ob der Wein im Kelch sich wirklich in das Blut Christi verwandle. Bei den Konsekrationsworten habe sich der Wein im Kelch plötzlich in Blut verwandelt und sei über den Kelch hinaus gequollen. (Rossmann, S. 42) Der zu Tode erschrockene Priester habe reumütig vor den Gläubigen seine Zweifel eingestanden. (PAULIN 2007, 59).

Die Blutreliquie war beim Volk sehr beliebt, sodass das Ansehen des Kolsters im religiösen Bewusstsein des Volkes einen großen Zuwachs aufwies. Die „hl. Blut-Monstranz?“ mit dem in einem Glaszylinder aufbewahrtem Blut wird heute zu bestimmten Anlässen am Hochaltar ausgesetzt. . (vgl. ROSSMANN 1997, 43).

2.1.6.2 Die „Bluthostie“ von Seefeld    

Der Anlass für das Bluten der Hostie in der Kirche zu Seefeld war die Forderung des stolzen Ritters Oswald Milser, statt der kleinen Hostie vom Priester eine große Priesterhostie zu bekommen. Dadurch wollte er sich am Tisch des Herrn von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden. Aus Furcht vor dem aufbrausenden Ritter reichte der Pfarrer dem „Milser“ die große Hostie. Als der Frevler den Leib des Herrn mit der Zunge berührt hatte, färbte sich die Hostie blutrot. Gleichzeitig schwankte der Boden unter dem Ritter. In seiner Todesangst hielt er sich mit aller Kraft an der Altarplatte fest. Die Spuren seiner Hände und Knie drückten sich im Stein ab. Erst als der erschrockene Pfarrer die Hostie dem Milser wieder aus dem Mund nahm, beruhigte sich der bebende Boden wieder. Die Hostie wurde sofort in einem eigenen Gefäß auf dem Altar der Kirche aufbewahrt. (vgl. PAULIN 2007, 89). Als seine hartherzige Frau die Kunde vom Wunder in der Kirche erreichte, nahm sie diese ungläubig auf. Sie erklärte: „Eher glaube ich, dass aus diesem dürren Rosenstock neue Blüten wachsen, als dass ich dieses Gerede für wahr halte!“ Augenblicklich sprossten aus dem dürren Stock grüne Blätter und wunderbar duftende Rosen hervor. Zornig riss die Frau die Rosen vom Strauch und verfiel danach in einen unheilbaren Wahnsinn. (Vgl. PAULIN 2007, 91).

Seit 1384 strömten nachweislich aus allen Richtungen andächtige Pilger nach Seefeld, um die Bluthostie zu verehren. Die Handspuren des im Boden versinkenden Ritters an der Altarplatte und die Rosen am dürren Strauch sind volkstümliche Motive.

Nach GÜNTER „gehört der ‚Altar zu Seefeld’ (Sagen Nr. 356) in der Aufmachung, dem Anlass und den beiden Begleitwundern zu den ausgesprochensten ‚Legenden’, mag im übrigen am Gründonnerstag des Jahres 1384 (laut Gedenktafel) Unkontrollierbares geschehen sein. Heute ist die Wallfahrt nahezu erloschen (DEHIO - Handbuch In: ROSSMANN 1997, 25).

2.1.7 Das Wunder von Loreto    

Dem magisch-wunderbaren Volksdenken vergangener Jahrhunderte machte eine wunderbare Raumüberwindung keine Schwierigkeit. Nach der Legende sollen Engel das ‚Heilige Haus’ (= Wohnhaus, in dem Jesus mit seiner Mutter Maria gelebt haben soll) vor den Sarazenen gerettet und von Nazareth durch die Luft über das Meer nach Dalmatien getragen haben. Von Trasat, oberhalb von Rijeka an der Adria gelegen, sei es dann weiter nach Loreto südöstlich von Ancona in Italien gelangt. Dort steht es unter einer Marmorverkleidung bis heute zusammen mit einer schwarzen Marien-Statueinmitten? einer riesigen Basilika (HÖLLHUBER a.a.O. 198).

Seit dem Mittelalter gab es allerdings immer wieder Zweifel an der Echtheit dieser Geschehnisse. So könnte der Bau eine einfache Rekonstruktion sein, die nach den bekannten Maßen von Nazareth erfolgte. Auch wurde die Meinung vertreten, dass es sich bei dem Loreto-Bau? schon deswegen nicht um das originale Haus aus Nazareth handeln könne, weil ein so schlichter Bau aus Felssteinen keinesfalls 1300 Jahre bis zum „Flug“ in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 1291 überstanden hätte.

Heute verdichtet sich immer mehr die Hypothese, dass die Steine des ‚Heiligen Hauses’ durch Menschenhand im Jahre 1291 per Schiff über das Mittelmeer gebracht wurden. Die byzantinische Kaiserfamilie der Angeloi (=Engel) könnte für den Schiffstransport der Steine nach Europa gesorgt haben. Somit könnten Angehörige der Kaiserfamilie die Stifter der Relikte der ‚Santa Casa“ gewesen sein. Daraus ergab sich dann später die Missinterpretation, dass auf wunderbare Weise Engel das Haus durch die Luft getragen hätten (vgl. WIEGELE 2000, 7).

Die Wallfahrt nach Loreto in Italien setzte im 14. Jahrhundert ein und wurde so bedeutend, dass Nachbildungen der „Santa Casa“, wie das Haus auf italienisch genannt wird, und der dort verehrten schwarzen Madonna sich über ganz Europa verbreiteten und Sekundärwallfahrten auslösten.

Um der Tiroler Bevölkerung den weiten Weg nach Loreto in Italien zu ersparen, wurde die erste Nachbildung der berühmten italienischen ‚Santa Casa’ nördlich der Alpen im Jahre 1590 über Betreiben von Anna Katharina von Mantua, der zweiten Gemahlin Ferdinands II. von Tirol, in der Haller Au zwischen Innsbruck und Hall errichtet (FALGER 1846, 94). Die zur Pfarre Thaur gehörende Kapelle war im 17. und 18. Jahrhundert ein viel besuchtes und reich ausgestattetes Wallfahrtsziel, das später den Josephinischen Reformen zum Opfer fiel. Weitere Loreto-Heiligtümer? entstanden in Tirol unter anderem in Maria Saalen bei Bruneck, in Ried im Oberinntal sowie in Klobenstein bei Kössen an der Grenze zu Bayern.

Die Menschen des Spätmittelalters sahen die Welt im Lichte von guten und bösen Mächten, Himmel und Hölle. Durch die Wallfahrtsgebete wurden physiologische Vorgänge ausgelöst, die auch eine Wirksamkeit auf krankhafte Vorgänge im Organismus hatten (SCHUH 1989, 31).] Vielfach waren vorkommende Krankheiten wie Blindheit oder Taubheit usw. psychosomatischer Natur – das feste Vertrauen auf des Wallfahrtsheiligen Wunderkraft führte letztlich die Heilung herbei. Dies konnte damals in der Vorstellung der Menschen gar nicht anders sein. Der hl. Augustinus meinte: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Gott!“

3. MIRAKELBÜCHER    

3.1 Zum Begriff „Mirakel“    

Der Begriff ‚Mirakel’ leitet sich ab von lat. miraculum = Wunder, Wunderwerk. Gemeint ist damit jenes Wunder, welches der Wirkungsmacht Gottes sowie seinen Mittlern Maria und allen Heiligen zugeschrieben wird. Seit dem Mittelalter wird der Begriff ‚Mirakel’ auch für Prophetien und wunderbare Geistesbegabungen durch Gott verwendet. Daneben bezeichnet ‚Mirakel’ auch Monströses, Exotisches und Unerklärliches (vgl. BREDNICH 1999, Sp. 683).

3.2 Inhalt und Aufbau der Mirakelbücher    

Das wichtigste Thema der Mirakelerzählungen ist die wunderbare Errettung des Menschen aus allen möglichen seelischen und körperlichen Nöten und Gefahren, die im Wirken göttlicher Mächte ihre Begründung haben (Ebd. Sp.684).

Obwohl im Allgemeinen Literaturwissenschaft und volkskundliche Erzählforschung die Mirakelbücher der Wallfahrtsorte nicht zur Mirakelliteratur gezählt haben, gehören die lokalen Wallfahrtsmirakel zweifellos zur Tradition der Mirakelliteratur (Ebd. Sp.684).

Grundsätzlich lässt sich die Tradition der Mirakelbücher wie das gesamte Wallfahrtswesen bis in die vorchristliche Zeit zurückverfolgen. Schon in ägyptischen Tempeln waren Schreiber eigens damit beschäftigt, die Wundererlebnisse der Betenden für die Nachwelt festzuhalten. Gleiches war im griechischen Heiligtum von Epidauros zu finden, wo es Steintafeln gab, auf denen die Mirakel nachzulesen waren.

Im Christentum setzt sich diese Tradition fort. Aus dem 5. Jahrhundert stammen die acht Mirakelbücher des Gregor von Tours „Octo miraculorum libri“. Gregors Eintragungsschema wird zum Vorbild für alle künftigen Eintragungen: Namen, Herkunft, Ursache des Gelöbnisses, Beschreibung der Erhörung und Dank sind in allen Mirakelberichten zu finden. Das älteste Mirakelbuch Österreichs ist das „liber miraculorum“ aus Stams im Oberinntal (INGENHAEFF-BERENKAMP? 1986, 49ff.).

Die Mirakelberichte sind zunächst handschriftlich fixiert, indem sich die Wallfahrer an den Priester wenden, der den Bericht dann aufnimmt – in manchen Fällen sind dem Zeugnis des Ortsgeistlichen noch Urkunden, Zeugnisse von Bekannten und Verwandten und ärztliche Atteste beigelegt, die den Wahrheitsgehalt des Mirakels unterstreichen sollen. Zudem sind bei den Berichten die Dankesopfer vermerkt, die zum Wallfahrtsort gebracht wurden (BRAUNECK 1978, 19ff.).

Das Mirakelbuch war öffentlich aufgelegt und für alle einzusehen, zusätzlich wurden die neuesten Mirakel auch im Rahmen der Predigt von der Kanzel verkündet – für die des Lesens Unkundigen gab es neben den Mirakelbüchern auch noch Mirakelbildserien, die chronikartig die lokalen Wundergeschichten dokumentierten.

Seit der Erfindung des Buchdrucks werden Mirakelbücher auch in Druck gelegt. Diese Bücher hatten Propagandafunktion für den Wallfahrtsort. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert geben viele Wallfahrtsorte Mirakelbücher in Druck – dabei werden die eindruckvollsten Fälle herausgegeben.

In einer Zeit, wo die Wallfahrtsorte oftmals nicht weit voneinander entfernt liegen, spielen hier handfeste ökonomische Elemente und Konkurrenzdenken eine bedeutende Rolle: Viele Wallfahrer bedeuten viel Geld, viele Opfergaben, der Kauf von Devotionalien stieg, auch das ansässige Gewerbe profitierte aufgrund der Einnahmen durch Verpflegung und Unterkunft der Wallfahrer. (Ebd. 20 ff.).

Nicht selten kommt es in den Mirakelbüchern vor, dass die Mirakelbuchautoren die höhere Fürbittkraft eines bestimmten Heiligen vor der eines anderen hervorstreichen. Dies kommt sogar bei Marienwallfahrtsorten zu tragen, indem etwa die Mutter Gottes in X eher ein Wunder wirkt als die Mutter Gottes in Y, sodass Maria beinahe in mehrere Persönlichkeiten aufgespalten wird.

Was den Inhalt und den Aufbau der Mirakelbücher anbelangt, lassen sich folgende allgemeine Gemeinsamkeiten feststellen: „In jedem Buch befindet sich zunächst eine Vorrede, in der die Verehrung des Gnadenbildes gerechtfertigt wird. Dann informiert der Autor den Leser über die meist wunderbare Herkunft des Gnadenbildes und über Wunder, die schon früher durch dieses Bild gewirkt wurden. Diesen einführenden Berichten sind die Mirakelberichte und meist ein Gebetsteil angefügt. Die Mirakel stammen wohl alle aus Büchern, wo sie zuerst handschriftlich eingetragen worden waren und aus denen die Autoren für das gedruckte Buch ausgewählt haben.“(WEISSENBACHER 1998, 72).

Aufgrund dieser subjektiven Selektion durch die Autoren lassen sich die Mirakelberichte zwar nicht mehr für exakt-numerische Untersuchungen verwenden, doch bieten auch gedruckte Mirakelbücher einen guten Überblick über die Wallfahrtspraxis. In vielen Mirakelberichten wird über die Unfähigkeit und Hilflosigkeit der Ärzte berichtet. Die Medizin stand in früheren Jahrhunderten den meisten Krankheiten tatsächlich hilflos gegenüber. Ein einfacher Schnupfen, ein Grippe- oder ein Fieberanfall oder eine Lungenentzündung führten in vielen Fällen zum Tod.

Orthopädische Erkrankungen, Zahnprobleme, Koliken usw. verursachen mangels der nötigen Medikamente unsägliche Schmerzen, ganz abgesehen von allen Arten der Geburtskomplikationen. Der medizinische Bereich ist bis in die frühe Neuzeit in einem noch sehr mangelhaften Entwicklungszustand. Ausgebildete Ärzte stehen nur einer sozial besser gestellten Schicht zur Verfügung: neben diesen gab es das „niedrige“ medizinische Personal, wie Schnittärzte, die Bauchoperationen durchführten – ein Vorhaben, das zumeist den Tod des Patienten zur Folge hatte aufgrund vonWundschmerz, Infektionen und Eiterungen. Bader, die Salben und Arzneien verschrieben, Verbände an Geschwüre und Wunden anlegten, Aderlässe durchführten und auch „Zahnbehandlungen“ vornahmen (vgl. SCHUH 1989, 28).

Die Mirakel betonen immer wieder die göttliche Überlegenheit gegenüber der weltlichen Medizin. Christus wird dementsprechend öfter als Apotheker dargestellt, der himmlische Arznei bereithält: er hat die Seelenwaage (Pendant zur Apothekerwaage), das Seelenarzneibuch ist die Bibel, die Arzneien sind Glaube, Hoffnung und Liebe, Friede, Gerechtigkeit und Trost sowie - als Hinweis auf die Eucharistie - Kelch und Hostie. Die Gottesmutter als Helferin in allen Nöten wird in der Lauretanischen Litanei als „Heil der Kranken“ angerufen (Ebd. S.29 ff.).

Durch die reklamative Wirkung des Wunders sollte dem Hilfesuchenden deutlich gemacht werden, dass das Aufsuchen von Ärzten nur Kosten (eine Operation kostete etwa den Preis eines guten Pferdes) und zusätzliche Schmerzen verursacht, während doch die ausschließliche Kraft, einen Schicksalsschlag abzuwenden, einzig bei Gott und der Gottesmutter Maria, der „himmlischen Ärztin“, liegt.

3.3 Mirakelbuch des Stiftes Stams (Oberinntal)    

Das älteste Mirakelbuch Österreichs ist das Stamser Mirakelbuch („liber miraculorum“). Im Jahre 1273 beginnen mit dem Gründungsjahr des Klosters durch Zisterziensermönche die schriftlichen Aufzeichnungen in lateinischer Sprache. Die vom hl. Johannes dem Täufer zu Stams gewirkten Wunder erstrecken sich über einen Zeitraum von 1275 – 1289 (vgl. ERNST 1973, 147- 158 In: ROSSMANN 1997, 67).

Der ehemalige Archivar in Stams, Josef Ernst, erwähnt in seinem Artikel zur Festschrift „700 Jahre Stift Stams“, dass Abt Paul Gay (1631 – 1638) den „liber miraculorum“ ins Deutsche übersetzt und in seine „Chronica monastrii B. Mariae et S. Johannis Baptistae in Stambs“ übernommen habe. Die Mirakelaufzeichnungen des Abtes Gay reichen von 1363 bis zum Jahre 1615 (Archiv Stams, MS 122, Paul Gay, 1619, „Wunderzeichen“ In: ROSSMANN 1997, 67).

Der erste Wunderbericht bei Gay geht auf das Jahr 1363 zurück. Der Abt erzählt von einem Knaben, der bereits in seinen jungen Tagen an großen Schmerzen und Fieber litt., sodass er „auch sein Gespräch verluhr“. Derselbe Knabe verlobte sich zum hl. Johannes dem Täufer zu Stams und bat auch seinen bereits verstorbenen Vater um Hilfe. Noch in derselben Nacht wurde der Knabe geheilt und kam zum Dank zurück nach Stams (Ebd. „Wunderzeichen“1 In: ROSSMANN 1997, 67)).

Mirakel Nummer zwei berichtet von dem bereits erwähnten Wunder, welches sich bei der Ankunft der Zachariaqsreliquie im Jahre 1377 ereignet hatte, im Zuge dessen ein stummes Kind seine Sprache wieder fand (Zit. n. Ebd. „Wunderzeichen“2).

„Wunderzeichen“ 4 lautet: „So ware auch in Kheißheim in einem Dorff genannt Sulzdorff ein Paursmann der nachent yber ein halbes Jar den rechten Arm nit rieren khundt, und großen Schmerzen daran lite, derselb versuechet in vil Stötten Hülff und Trost, unnd verzert auch vil gelt mit den Arzten. Seitemal er aber nicht erwarb , da verhieß er sich her gehen Stambs zuegehen zu dem würdigen Gottss Taufer unnd alspaldt ward er gesundt an seinem Armb“ (Zit.n. Ebd., „Wunderzaichen“4. In: ROSSMANN 1997, 67).

Eine Frau aus Innsbruck hatte große Schmerzen an ihrem Arm und kein Arzt konnte ihr helfen. So „verhieß“ sie sich zu Stams und ihr „ist von stund an besser geworden“ (Zit.n.Ebd. „Wunderzeichen“33. In: ROSSMANN 1997, 68).

3.4. Mirakel – Einbildung oder Wahrheit?    

Die Geschichtsschreibung hat die Mirakelberichte lange Zeit verworfen, da sich aufgrund der meist sehr allgemeinen Angaben eine kritische Prüfung der Mirakel gar nicht vollziehen ließe. Viele Berichte über Heilungen würden wahrscheinlich bei einer Überprüfung durch die Medizingeschichte als Krankheiten diagnostiziert, die bereits im Stadium des Ausklingens waren. Auch bei einer kirchlichen Examinierung mit Maßstäben, wie sie in einem Selig- oder Heiligsprechungsprozess für durch einen Heiligen gewirkte Wunder angewendet werden, würden heute viele Berichte nicht als Wunder im engeren Sinn angesehen werden.

Sind die meisten „Wunder“ also doch eher in die Kategorie der Einbildung einzureihen?

Ich bin der Meinung, dass in vielen Fällen der Weg der Mitte zu wählen ist. Für den Votanten, dem eine Heilung geschehen ist oder der den glücklichen Ausgang einer Notsituation erleben dufte, hat sich ein Wunder vollzogen. Im Denken des Menschen früherer Jahrhunderte, der die Welt im Lichte von guten und bösen Mächten, Himmel und Hölle sieht, konnte dies gar nicht anders sein. Eine einfache Grippe konnte vor mehreren hundert Jahren für den Erkrankten bereits das Todesurteil bedeuten. Mit seiner ganzen Gedankenkraft setzt nun der Kranke sein Vertrauen auf die Hilfe Gottes. Er weiß, dass Gott ihn gesund machen kann. Er betet und meditiert den Rosenkranz usw., immer die Bitte um die Erlangung der Gesundheit vor Augen – und wird schließlich geheilt. Die Macht der Gedanken, des Glaubens und der Überzeugung bedeuten also eine Einstellung im Sinne einer absoluten Fürwahrhaltung, aus der sich eine große Erwartungsspanne ergibt. Durch das Gebet werden dann physiologische Vorgänge ausgelöst, die auch eine Wirksamkeit auf krankhafte Vorgänge im Organismus haben (vgl. SCHUH a.a.O. 31).Vielfach werden vorkommende Krankheiten wie Blindheit oder Taubheit usw. psychosomatischer Natur gewesen sein – das feste Vertrauen auf des Wallfahrtsheiligen Wunderkraft führt die Heilung herbei.

Die meisten Mirakel sind sicher Fälle, in denen ein Selbstheilungsprozess im Gange war, wo die Ursachen des Leidens im psychischen Bereich lagen oder wo zum Beispiel aufgrund einer vitaminreichen Nahrung im Frühjahr und Sommer eine Krankheit sich plötzlich besserte. Das Wunder im engeren Sinne, das die Naturwissenschaft nicht zu erklären vermag, ist bei den Mirakel-Berichten? wohl eher selten zu finden. Für den gläubigen Menschen und für alle Votanten der Mirakelbücher hat Gott auf die Fürbitte der Muttergottes oder eines Heiligen eingegriffen und das ersehnte „Wunder“ bewirkt.

Ich finde, dass die Berichte keineswegs als Relikte einer „Wundersüchtigen“ Zeit als lächerlich abgetan werden sollten: viel zu ernst ist das Schicksal, die Lebenssituation und Geschichte der Menschen, ihr Überlebenskampf und ihr unerschütterliches Gottvertrauen, die hinter den Mirakeln stehe.

4. KRITIK AM WALLFAHRTSWESEN    

Vom 4. Jahrhundert an gibt es Kritik an der Wallfahrtspraxis. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass „jede Wallfahrt nur Ausdruck der inneren christlichen Überzeugung und Hingabe sein darf, nicht aber Ersatz dafür“ (zit. nach KÖTTING 1965 in: HÖFER/RAHNER (Hrsg.) Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, 1965, 943 ff.).

Bis zum Beginn der Neuzeit bahnte sich eine immer schärfer werdende Kritik an den Wallfahrten ihren Weg. So wurde den Männern vorgeworfen, dass „sie ihre Berufs-, Ehe- und Erziehungspflichten vernachlässigen. Frauen begaben sich auf einer Pilgerreise in Gefahr vergewaltigt, und Kinder versklavt zu werden. Man sah die Gefahren für Leib und Gut in keinem Verhältnis zum Gewinn. Den großen finanziellen Aufwand, der mit einer Wallfahrt meistens verbunden war, sollte man lieber karitativen Institutionen zukommen lassen“(zit. nach OHLER, 1994, 171).

Erschwerend kam hinzu, dass auch zunehmende Missstände auftraten. Auch an den Wallfahrten in entferntere Gegenden kritisierte man, dass dadurch wertvolle Arbeitszeit vergeudet würde. In der Folge beauftragte Papst Nikolaus V. Den Brixner Bischof und Kardinal Nikolaus von Cues (Cusanus 1401 – 1464), die Klöster und den Weltklerus zu reformieren und das kirchliche Leben zu erneuern (vgl. NAUPP , 1988, 94f.).

Da Kardinal Cusanus bei den Reformen mit aller Härte vorging – er verhängte die höchsten kirchlichen Strafen wie den Kirchenbann und verlor bald alle Sympathien. Weiters hatte der Kardinal auch kein Verständnis für eine ungeregelte Volksfrömmigkeit. Sein strenges Vorgehen ist aus den Missbräuchen seiner Zeit erklärbar. Er verlangte, dass kein Laie ohne die Zustimmung seines Seelsorgers oder Bischofs eine Wallfahrt unternehmen dürfe. Erlaubt waren nur die Wallfahrten nach Rom, Santiago, Brixen, Aachen und Aquilea. Andere Wallfahrtsorte kamen in seiner Aufstellung nicht vor, obwohl es im damaligen Alttirol bereits einige bekannte Gnadenorte wie St. Georgenberg, Stams und Wilten gegeben hat (vgl. GRASS, Cusanus in: Veröffentlichungen der Uni Innsbruck , Bd. 25, 1972, 72 f.).

„Einen viel erfolgreicheren Nachfolger fand Cusanus in Martin Luther, der „peregrinandi spiritu“ empfahl – im Geiste zu wallfahrten“(Ebd. S. 56 in: ROSSMANN, Dipl.A. 1997, 104).

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© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 22. Januar 2022