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Gastarbeiter In Österreich

"Gastarbeiter" in Österreich - Ein Beitrag zur Vorberuflichen- und Politischen Bildung/Erziehung    

Günther Dichatschek


"Gastarbeiter" in Österreich - Ein Beitrag zur Vorberuflichen- und Politischen Bildung/Erziehung   
Einführung   
1 Österreich ist (k)ein Einwanderungsland   
Daten und Fakten   
2 Gründe und Hintergründe   
3 Lernziele für politische Bildung/Erziehung   
Didaktische Anregungen zur Thematik   
Literatur(Auswahl)   
Internet-Hinweise   


Einführung    

"Gastarbeiter" kamen, um Arbeit zu finden und brachten ihre Kultur und Lebensart mit.

Sie beeinflussen unseren Alltag. Sie haben Sprache, Wortschatz, Küche, Musik, Mentalität, aber auch nicht unwesentlich Wirtschaftskraft und Kultur des Landes mitbeeinflusst und dazu beigetragen, aus Österreich das zu machen, was es heute bedeutet.

Ihre Anwerbung begann vor 40 Jahren.


1 Österreich ist (k)ein Einwanderungsland    

Die Erweiterung der Europäischen Union steht kurz bevor. Gegenwärtig gibt es Ängste und Emotionen, eine Öffnung der Grenzen könnte ganze Ströme von arbeitswilligen Menschen aus den Niedriglohnländern des ehemaligen Ostblocks in die vergleichsweisen wirtschaftlich gut situierten EU-Länder lenken. Unmittelbare Nachbarstaaten wie Deutschland und auch Österreich haben eine siebenjährige Übergangsfrist bis zur Freizügigkeit gegenüber den neuen EU-Mitgliedsstaaten deklariert.

Aus der Sicht politischer Bildung/Erziehung ist es daher von besonderem Interesse, dass die mit 1. Mai 2004 zu erwartende EU-Erweiterung für Österreich mit einem Jahrestag zusammenfällt, der damals für einen Schub von Migration steht: Vor 40 Jahren - also 1964 - wurde in Istanbul das erste staatliche Anwerbungsbüro für Fremdarbeiter der Republik Österreich eröffnet. In Wien sorgt die Ausstellung "Gastarbajteri - 40 Jahre Arbeitsmigration / Eine Ausstellung der Initiative Minderheiten und des Wien Museums " im Wien-Museum am Karlsplatz für die Dokumentation dieses Jubiläums.

Am 10. September 1964 stand in der "Arbeiter-Zeitung" zu lesen: "Die Zahl der Fremdarbeiter in Österreich ist kaum halb so groß wie das bewilligte Kontingent." Offensichtlich konnte man nicht genügend Fremdarbeiter nach Österreich rekrutieren, trotz eines eröffneten Anwerbebüros in Istanbul. In der Folge kam es auch zur Gründung der "Anwerbekommission" beim jugoslawischen "Bundesbüro für Beschäftigungsangelegenheiten" in Belgrad. Jene Pioniere der "Gastarbeiter", die heute Migranten bezeichnet werden, mussten zum Aufbrauch nach Österreich motiviert werden. Zunächst ließen sie nicht nur ihre Heimat, sondern auch die Familien zurück. Die Wiener Ausstellung zeigt Zahlen und Daten, sie zeigt aber vor allem , was diese Menschen auf sich nahmen, um ihre materielle Not zu mildern und geregelte Arbeit zu bekommen.

Der Titel eines Beitrages im Ausstellungskatalog heißt "Österreich ist kein Einwanderungsland." Dies bedarf einer Analyse. Die Anwerbung der ausländischen ArbeiterInnen war geplant und hatte Methode, eine Zuwanderung zu fördern. Bewusst wird das Wort "Zuwanderung" im Unterschied zur Absicht einer "Einwanderung" verwendet. Zugleich war es aber auch ein Mittel, Kontrolle ausüben zu können. Die Anwerbebüros kooperierten mit der lokalen Verwaltung und nahmen grundsätzlich nur Bewerber auf die Liste, die über ihre einheimischen Stellen registriert worden waren. Von Seiten Österreichs baute man Hürden auf, welche den Eindruck verhindern sollten, man würde in Österreich eine neue Heimat finden. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass in den vergangenen 40 Jahren die Regelungen und Gesetze des Zuzugs jeweils an die herrschenden Verhältnisse angepasst wurden. Schon 1967 kamen mehr Arbeiter - zunächst als Touristen - nach Österreich und wurden als "Touristenbeschäftigung" legalisiert. 1974 hatte dies ein Ende, aber der Menschenstrom blieb in Fluss.

Daten und Fakten    

In Österreich gibt es ein "Fremdengesetz" mit Regelungen der Quoten des jährlichen Zuzugs von Menschen aus dem Ausland, des rechtlichen Status und der Niederlassung; in den klassischen Einwanderungsländern Nordamerikas(USA und Canada) und in Australien dagegen "Einwanderungsgesetze" mit Regelungen der Einreise, des Aufenthaltes und der Niederlassung von Ausländern.

Wien hat eine lange Geschichte des Zuzugs von Ausländern. 1900 zählte die Stadt Wien 1 674 957 Einwohner, 46,4 Prozent oder 777 195 Personen waren in Wien geboren. 26,2 Prozent oder 438 695 Personen kamen aus Böhmen, Mähren oder Schlesien, aus Ungarn und Bosnien stammten nochmals 130 000 Menschen. Wer von einem "melting pot" spricht, sollte in diesem Zusammenhang an Wien und weniger an New York denken.

Die Zahl der Ausländer stieg kontinuierlich. 1981 kamen auf 7 555 000 Einwohner Österreichs 291 000 ausländische Staatsangehörige. 1991 kamen auf 7 796 000 Einwohner Österreichs 518 000 ausländsiche Staatsbürger, 2001 auf 8 033 000 Österreicher 711 000 ausländische Staatbürger.

Nimmt man die statistischen Angaben der letzten Volkszählung des Magistrats der Stadt Wien als Grundlage, dann sind im Sinne der Staatsbürgerschaft 15,7 Prozent der Wiener Bevölkerung Ausländer. Nach Berechnungen der AK Wien sind gegenwärtig ca. 370 000 Bewohner außerhalb von Österreich - mit Einschluss der österreichischen Staatsbürgerschaft - geboren. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung Wiens - 2001 1 547 278 mit Hauptwohnsitz - beträgt demnach etwas weniger als 25 Prozent. Jedes dritte Mitglied der Wiener AK habe einen "migrantischen Hintergrund" aus den letzten 40 Jahren.


2 Gründe und Hintergründe    

"Orte wiedererkennen" heißt ein Kapitel der Ausstellung. Es geht um den Wiener Naschmarkt, eine reizvolle Attraktion mit einem anderen Flair für Wiener und Wien-Besucher. Wollte man ihn in den sechziger Jahren noch für eine Schnellstraße opfern, ist er heute dank der vielen Kleinhändler und der Migranten, die zunächst für ihre Landsleute nur Geschäfte eröffneten, eine Sehenswürdigkeit geworden.

Warum Menschen nach Österreich kamen - und hier bis heute arbeiten - war zunächst die Erwartung, für ihre Arbeitskraft eine angemessene Entlohnung zu erhalten. Dieser Euphorie folgte meist die Ernüchterung. Eine fremde Sprache, andere Sitten und Bräuche, fremde Mentalität und eine Bürokratie, die erst im Ausland durchschaubar wurde. Mit dem neuen Passgesetz 1969, dem Visumzwang für Gastarbeiter und 1972 mit einem neuen Meldegesetz - mit einem "A" als Markierung - kam es zu Erschwernissen bei der Aus- und Wiedereinreise. Ausstellungsdokumente zeigen eindrucksvoll die komplexe rechtliche Lage für eine Personengruppe, die kaum der deutschen Sprache mächtig war und teilweise nicht schreiben und lesen konnte. Trotzdem blieben sie, bauten Häuser und Straßen, produzierten in Fabriken, reinigten Räumlichkeiten, verkauften Zeitungen und schickten schließlich ihre Kinder in unsere Schulen. Sie zahlen Steuern und Versicherungsprämien, kaufen Güter bei uns ein und gestalten unsere Welt, wie ihre Vorgänger aus Böhmen, Mähren, Schlesien oder Ungarn vor mehr als 100 Jahren.


3 Lernziele für politische Bildung/Erziehung    

Probleme der Ausländerbeschäftigung und europäischer Arbeitskräftewanderung sind in den letzten Jahren stärker in Erscheinung getreten.

Die eigentliche Problemstellung lässt sich in der Schule idealerweise in den AHS-Oberstufenwahlpflichtfächer "Geographie und Wirtschaftskunde"(GW) und "Geschichte und Sozialkunde"(GW) sowie in berufsorientierenden Aktivitäten(BO) vertiefend behandeln. Das "Gastarbeiterproblem" für den schulischen Gesamtbereich - also auch für die allgemein bildende Pflichtschule(APS) - ist von beträchtlicher Bedeutung. Hier stellt sich weniger ein politisches oder wirtschaftliches, vielmehr ein sozialpsychologisches Problem dar. Es geht vor allem um die Bewältigung sozialer Vorurteile, also um eine wichtige Aufgabe jeder Demokratie. Hier bietet sich die Möglichkeit, den SchülernInnen die Zusammenhänge von gesellschaftlichen Normen, der Minderheitenfrage und der unterschiedlichen Bewertung von Arbeit und Beruf durch Schichtenklischees zu vermitteln.

"Gastarbeiter" - verwendet werden im Alltag auch die Ausdrücke Fremdarbeiter und Migranten - bilden das aktuelle Feld für eine fächerübergreifende Behandlung - in Form von Projekten und Arbeitsgemeinschaften in GW, GS, BO oder auch in der Arbeit des Jugendrotkreuzes - des gesellschaftlichen Wertesystems, der Meinungsbildung und Entstehung von Vorurteilen. Gerade diese haben ihre primäre Ursachen in der mangelhaften Information. Politische Bildung/Erziehung hat hier ein reiches Feld zur pädagogischen Bearbeitung.


Didaktische Anregungen zur Thematik    

  • Podiumsdiskussion zwischen Schülern aus Österreich und Gastarbeiterkindern
  • Interviews mit Gastarbeiter über ihre Sorgen und Eindrücke in Österreich
  • Betriebserkundung-Aspekterkundung/Berufspraktische Tage(HS - AHS-Unterstufe) bzw. Berufspraktische Woche(PTS)/Schüler-Betriebspraktikum(BMS - BHS) > Gastarbeiterbeschäftigung
  • Hilfestellungen für Gastarbeiter im Rahmen der Arbeit des Jugendrotkreuzes
  • Gastarbeiterkinder bringen einheimische Tänze SchülerInnen bei und kochen einheimische Gerichte
  • Anlegen einer Artikelsammlung über Gastarbeiterfragen
  • Fotowettbewerb "Gastarbeiter in unserer Stadt"
  • Einladung und Gegeneinladung zu einem Geburtstagsfest
  • Ausarbeitung eines Fragebogens, in dem ÖsterreicherInnen auf Klischees und Vorurteile befragt werden, Eltern und Verwandte dazu Stellung nehmen bzw. dazu eine Ausländerbefragung durchgeführt wird
Literatur(Auswahl)    

  • Dichatschek G., Berufswahl heute - Schulische Berufsorientierung von Mädchen, in: GW UNTERRICHT Nr. 92/2003, 80-85
  • Dichatschek G., 40 Jahre "Gastarbeiter" in Österreich. Ein Beitrag zur politischen Bildung in Wirtschaftskunde, in: GW UNTERRICHT Nr. 94/2004, 99-101
  • Fassmann H.-Münz R.(Hrsg.), Einwanderungsland Österreich?, Wien 1995
  • Fassmann H.-Münz R.(Hrsg.), Migration in Europa. Historische Entwicklung, aktuelle Trends, politische Reaktionen, Frankfurt/M.-New York 1996
  • Gagel W., Einführung in die Didaktik des politischen Unterrichts, Opladen 2000
  • Heinelt H.(Hrsg.), Zuwanderungspolitik in Europa, Opladen 1994
  • Katalog zur Ausstellung "Gastarbajteri - 40 Jahre Arbeitsmigration", Wien 2004
  • Koch H.-H./Schwarz U., Betriebspraktikum - Euro-Ausgabe: Arbeitsmappe zur projektorientierten Durchführung des Schülerbetriebspraktikums, Regensburg 2001
  • Molnar L., Viel mehr als nur Arbeit, in: Salzburger Nachrichten v. 19.2.04, 3
  • Münz R., Der wandernde Kontinent. Massenmigration in Europa - Studientext der Humboldt-Universität Berlin, Berlin 1999
  • Studnitz C., Gastarbeiterprobleme und Politische Bildung, in: Reihe Politische Bildung 22, Wien 1976
Internet-Hinweise    


Themeneinheit der Lehrveranstaltung "Vorberufliche Bildung I"(VO)im WS 2003/04 und 2004/05 am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Wien


Der Autor ist Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaften der Universität Wien, ausgebildeter Schüler- und Schulentwicklungsberater, Gründungsteilnehmer der "LehrerInnenplattform Politische Bildung und Menschenrechtsbildung"/Netzwerk des bm:bwk, Mitglied der Bildungskommission der Generalsynode der Evangelischen Kirche in Österreich A. und H.B. und absolvierte 2006-2008 den Universitätslehrgang "Politische Bildung"/Universität Salzburg bzw. Klagenfurt/Krems(Masterlehrgang/MSc).


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© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 20. Juli 2011