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Die Besatzer Der Kinderseelen

Die Besatzer der Kinderseelen, CLEMENS M. HUTTER, Salzburger Nachrichten, vom 3. April 1993

Tagtäglich nimmt das Fernsehen Kinderseelen zu Geiseln. Das geschieht durch Besetzung der Phantasie mit Gewalt, Mord, Brutalität. Öffentlich rechtliche Anstalten betreiben das noch etwas ethisch gebremst, Kommerzsender jedoch ohne erkennbare Skrupel. Das TV-Programm beweist dies täglich vielfach mit Reizwörtern von Horror über Thriller und "Reality" bis Sex.

Um lächerliche Einwände erst gar nicht aufkommen zu lassen: Es ist unerheblich, zu welcher Tageszeit derartiger Schund gesendet wird; was alleine zählt, ist seine allgemeine Verfügbarkeit fast rund um die Uhr - auch für Kinder. Und das gar grenzüberschreitend.

Professionelle Verharmloser von Gewalt im TV pflegen die Familien in die Pflicht zu nehmen: Ihnen stehe die Entscheidungsfreiheit und die Verantwortung dafür zu, was Kinder sehen, tun und lassen (dürfen). Stimmt - mit einer winzigen Einschränkung: Ohne Verfügbarkeit unterlägen gestreßte Familien, für deren materiellen Bedürfnisse womöglich beide Elternteile hart arbeiten müssen, nicht der Versuchung, zur Entspannung das Kindermädchen Fernsehen in den Dienst zu nehmen.

Das Abschieben der Verantwortung für die allgemeine Verfügbarkeit psychischer Destruktivität verfängt nicht. Auch dem kolumbianischen Drogenkartell nähme niemand die infame Ausrede ab, es müsse doch niemand Rauschgift kaufen. Es kommt eben doch auf die Verfügbarkeit an.

Freilich geht es darum allein keineswegs, sondern um das Diktat der Einschaltquoten, dem sich Geschäftemacher unterwerfen. Daraus wächst die ausgeklügelte Methodik dessen, was wir "Seherbindung" durch immer nochmals übertroffene Superlative der Brutalität, des Horrors, der erregenden Vertreibung von Langeweile nennen können. Statistiken über die täglichen Fernsehmorde belegen das hinlänglich.

So findet tagtäglich die Ausbeutung der Kindheit vor Millionen Glotzophonen statt. Gewalt wird zur Besatzungsmacht der kindlichen Phantasie, Kindsein zum Wirtschaftsfaktor. Und der einzige Grund für die Produktion von TV-gerechter Gewalt und Brutalität ist entlarvt: Das pure Geschäft ohne ethisches Wenn und Aber.

So alarmierend dieser Mißstand, so erdrückend die Menge der wissenschaftlichen Belege dafür, daß vorgespielte Brutalität Anreiz zum Nachspielen bietet; ganz besonders unter sozial und ethisch brüchigen Verhältnissen. Nicht minder deprimierend ist die Feigheit, ein Übel als solches zu bezeichnen und dann mit der Wurzel auszurotten.

Endlich schützt in zivilisierten Ländern das Strafrecht Frauen gegen familiäre Gewalt und Kinder vor der "gesunden Watschn". Doch von TV-Dramatikern raffiniert am Kriminal vorbeigebastelte Drehbücher der Gewalt - diese indirekten Anstiftungen zu Brutalität aller Art - wird einfach in Kauf genommen. Der Gesetzgeber schaut auf seine "sauberen Hände" und erweckt den Anschein, als gelte auch für Gülle das Recht auf Freiheit der Kunst und der Meinung.

Nein, Leisetreterei gilt hier nicht. Vielmehr braucht es dringend internationale Solidarität gegen den strategisch ausgeklügelten und taktisch wendigen Angriffskrieg auf die Seelen unserer Kinder. Und es geht um die organisierte Vertreibung der brutalen Besatzer aus der Phantasie unserer Kinder.

Liberal hin, konservativ her - die Allianz jener ist gefragt, die TV-Brutalität nicht aus welchen Gründen immer für den Beweis von Fortschritt oder Freiheit halten. Gefragt ist also nicht der grenzenlose europäische Markt für mörderischen Schund, sondern das Einschreiten der europäischen Parlamente.

Denn es geht um nichts weniger als um den hinterhältigen Angriff auf unbewaffnete Kinder.


Im Internet veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von CLEMENS M. HUTTER, dem langjährigen Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. -- HelmutLeitner


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© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am October 13, 2002