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Kulturelles Lernen

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= Kulturelle Bildung =

= Aspekte neuer Lernkulturen im Kontext Politischer Bildung =

Günther Dichatschek

[[Inhaltsverzeichnis]]

= Vorbemerkung =

Die Bedeutung kultureller Bildung für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und Erwachsener ist inzwischen sowohl von politischer, gesellschaftlicher als auch pädagogischer Seite anerkannt. Kulturelle Bildung schafft neue Lernkulturen und beeinflusst nachhaltig unser Leben innerhalb und außerhalb der Schulen.

In einer pluralen Gesellschaft erhalten die Bildungsbereiche Politische Bildung und Interkulturelle Kompetenz zunehmende Bedeutung. Die Studie, die aus persönlichem Autoreninteresse sich mit den Bereichen in Kultureller Bildung auseinandersetzt, befasst sich der pädagogischen Herausforderung im Kontext Politischer Bildung. Basis der Überlegungen sind Beiträge der "Bundeszentrale für politische Bildung".

Man beachte das Fehlen Kultureller Bildung in der Konzeption Politischer Bildung in der Fachliteratur, siehe etwa AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK - Konzepte der politischen Bildung Eine Streitschrift (2011), Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 1141, Bonn, 95 -109; SANDER W. (Hrsg.) (2007): Handbuch politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 4576, Bonn, 315 - 484.

= 1 Einleitung =

Die Chancen, die kulturelle Bildung für gelingende Integration und Inklusion bietet, sind nicht nur in Schulen bekannt. Auch außerschulische Lernorte bedienen sich ihrer Werkzeuge, um alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen und zur kreativen Tätigkeit zu ermuntern. Immer stärker im Fokus steht auch die Verbindung von kultureller mit Politischer Bildung.

Die Ansätze der kulturellen Bildung bieten eine Plattform, um gesellschaftspolitische Inhalte und demokratische Praxis mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam zu erarbeiten und dank der kreativen Bearbeitungsform sinnlich begreifbar zu machen.

Die Studie versteht sich widmet sich dem Thema kulturelle Bildung in seinen vielfältigen Facetten und verknüpft dabei theoretische Überlegungen mit praktischen Beispielen. Der Reflexion von Grundsatzfragen der kulturellen Bildung wird genauso Raum gegeben wie aktuellen Diskussionen und der Auseinandersetzung mit einzelnen Feldern der kulturellen Bildung. Praxisbeispiele aus den unterschiedlichsten Kontexten zeigen, wie kulturelle Bildungsprojekte aussehen können und bieten Anregungen zur Nachahmung.


= 2 Kulturelle Bildung und Schule =


Im Zuge der Bildungsdiskussionen, die durch die PISA - Studien ausgelöst wurden, rückte die Schule als Lernort ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Während die naturwissenschaftlich - technischen Schulfächer gefördert wurden, spielte der musisch - künstlerische Lernbereich nur eine untergeordnete Rolle.

Zu Unrecht, wie viele gesellschaftliche Akteure beklagen. Dennoch hat sich längst eine kulturelle Bildungsszene etabliert. Sie bietet neuartige Formen des Lehrens und Lernens, die das klassische Unterrichtsmodell überwinden. So sind zahlreiche Kooperationen zwischen verschiedenen Schulformen wie zum Beispiel der Ganztagsschule und Trägern der kulturellen Bildung entstanden – und ein notwendiges Qualitätsmanagement, das den Prozess der erfolgreichen Bildungsarbeit begleitet.


== 2.1 Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit =

Nicht erst seit den PISA - Studien sind die Kindertagesstätten und Krippen Orte der Betreuung und Erziehung. Sie sind vor allem auch Bildungsorte. Geht es in den PISA - Studien um die Überprüfung von Lernergebnissen, die sich auf den Aufbau spezifischer Wissensstrukturen beziehen, so muss Bildung in der frühen Kindheit über die Förderung kognitiver Kompetenzen hinaus eine vielfältige und breite Ausrichtung haben. In den einzelnen Bundesländern wurden Bildungspläne für den Kindergartenbereich erarbeitet, die Bildungsaufgaben von Frühpädagoginnen und -pädagogen zum Thema haben.

Immer mehr Kinder auch unter drei Jahren verbringen viel Zeit in pädagogischen Institutionen. Die vertraglich vereinbarte Betreuungszeit in Deutschland liegt für Kinder unter drei Jahren in Kindertageseinrichtungen bei bis zu fünf Stunden für 24,2 Prozent. Für weitere 24,4 Prozent der betreuten Kinder sind fünf bis sieben Stunden vereinbart und für 48,4 Prozent mehr als sieben Stunden pro Tag. Der Einfluss der Familie auf die kindliche Entwicklung ist deutlich höher anzusetzen als derjenige einer besuchten Einrichtung.

Gleichwohl kann eine qualtitativ hochwertige Einrichtung kompensatorische Funktionen einnehmen und so ein wichtiges Moment auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit darstellen. Themen der Sprachförderung und der naturwissenschaftlich -technischen Bildung stehen derzeit im Vordergrund. Worin aber besteht der Wert kultureller Bildung in der frühen Kindheit?

Kulturelle Bildung im weiteren Sinn kann als das Hineinwachsen in kulturelle Lebensformen und das Sich -Auseinandersetzen mit deren Sinngestaltungen verstanden werden. Der Ablauf eines gemeinsamen Mittagessens oder auch Formen der Begrüßung wären hier ebenso zu nennen wie etwa Gewohnheiten und Aufmerksamkeiten im Alltag. Wollen wir über Kultur sprechen, so müssen wir die Gestaltungen pluraler Lebensformen in der jeweiligen Form- und Bedeutungsvielfalt betrachten und einbeziehen.

Zweifellos müssen sie dafür viel lernen, angefangen von den Praktiken des täglichen Lebens. Kulturelle Bildung ist ein eigen- und interaktiver (begleiteter, herausgeforderter oder selbstinitiierter) Prozess der Aufnahme, Auseinandersetzung, Verarbeitung und Beantwortung von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen kultureller Umwelt durch Kommunikation und Artikulation in Worten, Gesten, Handlungen und "Werken".

Kulturelle Bildung ist zentral, um sich in einer Gruppe von Menschen bewegen, mit ihnen diskutieren, sich einbringen und mitgestalten zu können. Kinder, die den Rhythmus eines Gesprächs nicht gut mitvollziehen können, bringen sich immer wieder an Stellen ein, an denen dies von den anderen Kindern als Störung empfunden wird. Sie werden aus dem Spiel ausgeschlossen, wenn sie sich in den Ideenfluss nicht sinnvoll einklinken können. So bleiben ihnen auch weitere Lerngelegenheiten, die sich aus dem gemeinsamen Spiel ergeben könnten, verschlossen. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund haben die Chance, wenn sie schon mit etwa einem Jahr eine Krippe oder Tagesstätte besuchen können, neben dem Spracherwerb auch diese kulturellen Praktiken im Alltag kennenzulernen.

Neben der kulturellen Teilhabe ist auch die Entwicklung kultureller Kompetenzen in und durch die Künste hervorzuheben. In Bildern, Geschichten, Liedern und Tänzen finden sich kulturelle Sinnhorizonte, die für das Selbsterleben und Verstehen von Menschen zentral sind. Es geht hier nicht um Bastelangebote, die ein schon vorab bekanntes Modell einer Laterne zu St. Martin Schritt um Schritt nachvollziehen lassen, sondern es geht um die Begegnung von sehr jungen Kindern mit den unterschiedlichsten Formen der Künste. Theater, Bildende Kunst, Musik und Tanz stellen ganz eigene Ausdrucksformen dar, die Kinder kennenlernen sollten, um das jeweilige Erfahrungspotenzial ausloten und auf dessen weitere Möglichkeiten hin entfalten zu können. Kinder haben viele Fähigkeiten und ein großes Interesse, unterschiedlichste Materialien genau zu erkunden, Umgangsformen zu entwickeln und die im Handeln entstehenden Fähigkeiten einzusetzen. Kulturelle Kompetenzen stellen zentrale "Kategorien" der Sinnerzeugung dar.

Kulturellen Sinn gilt es zu erschließen, was bedeutet, dass Sinn "entschlüsselt" und auch reproduziert werden will, sodass die kulturellen Symbole und Produktionsformen kennengelernt und verstanden werden können – etwa indem man gemeinsam Bilderbücher mit interessanten Abbildungen betrachtet, ein Lied singt oder Musik hört. Aber es geht auch darum, sich selbst aktiv an der Produktion kulturellen Sinns zu beteiligen, um in diesem Medium kommunizieren zu können, indem beispielsweise miteinander getanzt wird. Kulturelle Bildung meint nicht nur die Reproduktion eines Liedes durch Wiedergabe von Text und Melodie, sie zielt darüber hinaus auf einen inneren Prozess, in dem das Kind die kulturelle Form auf eigene Erfahrungen bezieht. Nur wenn hier eine Erfahrungsebene mit angesprochen ist, wenn etwa das Schlaflied auf getragene Weise mit fallender Melodie produziert wird, wenn also die Erfahrung des Ruhig- und Müdewerdens ernst genommen wird, dann kann es auch ein Schlaflied sein. Körper und Sinne, Emotionen, Denken und Erinnerung bilden sich im Mitsingen. Die Aufnahme und Beantwortung von Eindrücken ist dabei individuell verschieden und kulturspezifisch.

Die Kinder in der Krippe haben ein Lied über den Wind gelernt, nachdem sie beim Spaziergang auf einem Hügel den rauen Herbstwind gespürt hatten. Sie tanzten dann in der Krippe zu dem Lied ("Wind, Wind blase"), wiederholten den Refrain viele Male und wirbelten die am Tag zuvor gesammelten Blätter im Zimmer auf. So inszenierten sie den Wind in einem gemeinsamen Tanz und spürten ihn wieder am eigenen Leib. Heute sitzen zwei Mädchen, beide zweieinhalb Jahre alt, nebeneinander in ihren Schaukeln. Immer höher wollen sie hinaus, versuchen sich in einen gemeinsamen Schwung zu bringen und singen dazu immer wieder zwei Zeilen aus dem Lied über den Wind: "...und bläst du mir durchs Haar, ja das ist wunderbar, ja das ist wunderbar!" Sie bewegen sich im Rhythmus, steigern sich gegenseitig und strecken beim Schwung nach vorne ihre Köpfe lustvoll nach hinten, um den Wind in ihren Haaren spüren zu können.

Erfahrungen, Erinnerungen, körperliche Empfindungen und Gefühle werden verarbeitet und in eine kulturelle Form gebracht, die ihnen wiederum neue lustvolle Erfahrungen ermöglicht. Auch schon zuvor hatten sie beim Schaukeln den Wind gespürt, aber nun haben sie einen Ausdruck, eine eigene Gestaltungsform gefunden, die ihnen diese Erfahrung selbst zugänglich macht und noch einmal steigert.

Kinder sollten die Gelegenheit haben, vielfältige kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, denn Kinder sind Träger unserer, aber auch Schöpfer eigener Kulturen, wie Loris Malaguzzi, der langjährige Leiter der kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia (Italien) sagte. Diese Kompetenzen müssen als kulturbildend entdeckt und entwickelt werden.

In der frühen Kindheit ist kulturelle Bildung eine zentrale Form des Lernens, des Spielens und Gestaltens. Gestaltungs- und Ausdrucksformen werden entwickelt in den unterschiedlichen Künsten, mit verschiedenen Materialien. Formsprachen und Techniken werden kennengelernt und für Prozesse der Persönlichkeitsbildung fruchtbar gemacht.

Kinder brauchen dabei Erwachsene, die ihnen feinfühlig Resonanz geben und so antworten, dass in Interaktionen kleine Dialoge oder Geschichten entstehen, in denen Kinder sich selbstwirksam erfahren können. Von frühester Kindheit an sind Kinder Akteure in Geschichten, die ihnen erzählt werden, zum Beispiel: Jetzt machen wir einen Spaziergang, jetzt kommt der Nikolaus oder die Oma zu Besuch. Kindern werden – im günstigen Fall – Geschichten erzählt, in denen sie vorkommen, bis sie selbst Wörter einfügen können und nach und nach selbst zu Erzählern werden. Eine Geschichte wird durch ein Ereignis in Gang gesetzt und entwickelt dann eine eigene Dramaturgie: Es brennt, die Feuerwehr muss kommen, löschen und Menschen retten! In allen Spielhandlungen erzählen Kinder Geschichten, noch bevor sie sprechen können. Diese Geschichten wollen gehört, aufgegriffen und erzählt werden!

Beim Geschichten - Erzählen sind alle geistigen Fähigkeiten aktiv: Wünsche, Ängste, Gefühle, bisher erworbene Kenntnisse, Erlebnisse und Erfahrungen, kreative, fantastische und logische Fähigkeiten, Bewusstes und Unbewusstes verbinden sich miteinander. Durch das Geschichten Erfinden kann von gefestigten Denkstrukturen und vorgefassten Meinungen abgewichen werden, das Denken kann sich offener, flexibler und erfinderischer entfalten. Durch solche fantastischen Geschichten wird Realität aktiv bewältigt. Die Geschichten greifen Elemente aus der Wirklichkeit auf und verändern sie zum Besseren. Fantasien übersteigen und kontrastieren die tatsächliche Wirklichkeit und machen sie dadurch erfahrbar.

Ein Kind zeichnet im Alter von fünf Jahren immer wieder ähnliche Geschichten von Piraten oder Rittern, die irgendwo einen Schatz besitzen, der gut versteckt, vergraben oder in tiefen Kerkern verschlossen ist. Diesen kostbaren Schatz gilt es zu verteidigen mit allen Mitteln gegenüber den "Bösen". Grundmuster aus Märchen und Sagen werden hier weiter gesponnen. Ds Kind selbst fühlt sich wichtig und mit einer geheimen Mission betraut, wenn er sich in Rollenspielen gegen vermeintliche Angreifer wehrt. Hoffentlich wissen die anderen von seiner Geschichte, sonst würden seine Handlungen nicht sinnvoll erscheinen. Kinder beschäftigen sich in einer existenziellen Weise mit der Frage, wer sie selbst sind und sein können in den Ausdrucksformen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen.

Kultur stellt Formensprachen, Bilder, Dramaturgien und Melodien zur Verfügung, um hier nach Antworten zu suchen. Die äußere Welt wird in kulturellen Gestalten als Deutung der inneren Welt entworfen. So erst werden wir uns selbst zugänglich, können uns anderen mitteilen und im Medium symbolischer Artikulationsformen verständigen. Kulturelle Bildung ist immer auch Arbeit am Selbst- und am Weltbild.

== 2.2 Kulturelle Bildung als Teilhabe an kulturellen Lebensformen =

Kulturelle Bildung im weiteren Sinn kann als das Hineinwachsen in kulturelle Lebensformen und das Sich -Auseinandersetzen mit deren Sinngestaltungen verstanden werden. Der Ablauf eines gemeinsamen Mittagessens oder auch Formen der Begrüßung wären hier ebenso zu nennen wie etwa Gewohnheiten und Aufmerksamkeiten im Alltag. Wollen wir über Kultur sprechen, so müssen wir die Gestaltungen pluraler Lebensformen in der jeweiligen Form- und Bedeutungsvielfalt betrachten und einbeziehen. Wie aber wird kultureller Sinn erzeugt? Wie können junge Kinder an dieser Sinnentstehung beteiligt werden?

Zweifellos müssen sie dafür viel lernen, angefangen von den Praktiken des täglichen Lebens. Kulturelle Bildung ist ein eigen- und interaktiver (begleiteter, herausgeforderter oder selbstinitiierter) Prozess der Aufnahme, Auseinandersetzung, Verarbeitung und Beantwortung von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen kultureller Umwelt durch Kommunikation und Artikulation in Worten, Gesten, Handlungen und "Werken". Kulturelle Bildung ist zentral, um sich in einer Gruppe von Menschen bewegen, mit ihnen diskutieren, sich einbringen und mitgestalten zu können.

Kinder, die den Rhythmus eines Gesprächs nicht gut mitvollziehen können, bringen sich immer wieder an Stellen ein, an denen dies von den anderen Kindern als Störung empfunden wird. Sie werden aus dem Spiel ausgeschlossen, wenn sie sich in den Ideenfluss nicht sinnvoll einklinken können. So bleiben ihnen auch weitere Lerngelegenheiten, die sich aus dem gemeinsamen Spiel ergeben könnten, verschlossen. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund haben die Chance, wenn sie schon mit etwa einem Jahr eine Krippe oder Tagesstätte besuchen können, neben dem Spracherwerb auch diese kulturellen Praktiken im Alltag kennenzulernen.


== 2.3 Entwicklung kultureller Kompetenzen =

Neben der kulturellen Teilhabe ist auch die Entwicklung kultureller Kompetenzen in und durch die Künste hervorzuheben. In Bildern, Geschichten, Liedern und Tänzen finden sich kulturelle Sinnhorizonte, die für das Selbsterleben und Verstehen von Menschen zentral sind. Es geht hier nicht um Bastelangebote, die ein schon vorab bekanntes Modell einer Laterne zu St. Martin Schritt um Schritt nachvollziehen lassen, sondern es geht um die Begegnung von sehr jungen Kindern mit den unterschiedlichsten Formen der Künste. Theater, Bildende Kunst, Musik und Tanz stellen ganz eigene Ausdrucksformen dar, die Kinder kennenlernen sollten, um das jeweilige Erfahrungspotenzial ausloten und auf dessen weitere Möglichkeiten hin entfalten zu können.

Kinder haben viele Fähigkeiten und ein großes Interesse, unterschiedlichste Materialien genau zu erkunden, Umgangsformen zu entwickeln und die im Handeln entstehenden Fähigkeiten einzusetzen. Kulturelle Kompetenzen stellen zentrale "Kategorien" der Sinnerzeugung dar. Kulturellen Sinn gilt es zu erschließen, was bedeutet, dass Sinn "entschlüsselt" und auch reproduziert werden will, sodass die kulturellen Symbole und Produktionsformen kennengelernt und verstanden werden können – etwa indem man gemeinsam Bilderbücher mit interessanten Abbildungen betrachtet, ein Lied singt oder Musik hört.

Aber es geht auch darum, sich selbst aktiv an der Produktion kulturellen Sinns zu beteiligen, um in diesem Medium kommunizieren zu können, indem beispielsweise miteinander getanzt wird. Kulturelle Bildung meint nicht nur die Reproduktion eines Liedes durch Wiedergabe von Text und Melodie, sie zielt darüber hinaus auf einen inneren Prozess, in dem das Kind die kulturelle Form auf eigene Erfahrungen bezieht. Nur wenn hier eine Erfahrungsebene mit angesprochen ist, wenn etwa das Schlaflied auf getragene Weise mit fallender Melodie produziert wird, wenn also die Erfahrung des Ruhig- und Müdewerdens ernst genommen wird, dann kann es auch ein Schlaflied sein. Körper und Sinne, Emotionen, Denken und Erinnerung bilden sich im Mitsingen. Die Aufnahme und Beantwortung von Eindrücken ist dabei individuell verschieden und kulturspezifisch.

Ein Beispiel: Die Kinder in der Krippe haben ein Lied über den Wind gelernt, nachdem sie beim Spaziergang auf einem Hügel den rauen Herbstwind gespürt hatten. Sie tanzten dann in der Krippe zu dem Lied ("Wind, Wind blase"), wiederholten den Refrain viele Male und wirbelten die am Tag zuvor gesammelten Blätter im Zimmer auf. So inszenierten sie den Wind in einem gemeinsamen Tanz und spürten ihn wieder am eigenen Leib. Heute sitzen zwei Mädchen, beide zweieinhalb Jahre alt, nebeneinander in ihren Schaukeln. Immer höher wollen sie hinaus, versuchen sich in einen gemeinsamen Schwung zu bringen und singen dazu immer wieder zwei Zeilen aus dem Lied über den Wind: "...und bläst du mir durchs Haar, ja das ist wunderbar, ja das ist wunderbar!" Sie bewegen sich im Rhythmus, steigern sich gegenseitig und strecken beim Schwung nach vorne ihre Köpfe lustvoll nach hinten, um den Wind in ihren Haaren spüren zu können.

Erfahrungen, Erinnerungen, körperliche Empfindungen und Gefühle werden verarbeitet und in eine kulturelle Form gebracht, die ihnen wiederum neue lustvolle Erfahrungen ermöglicht. Auch schon zuvor hatten sie beim Schaukeln den Wind gespürt, aber nun haben sie einen Ausdruck, eine eigene Gestaltungsform gefunden, die ihnen diese Erfahrung selbst zugänglich macht und noch einmal steigert.

Kinder sollten die Gelegenheit haben, vielfältige kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, denn Kinder sind Träger unserer, aber auch Schöpfer eigener Kulturen, wie Loris Malaguzzi, der langjährige Leiter der kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia (Italien) sagte. Diese Kompetenzen müssen als kulturbildend entdeckt und entwickelt werden.

In der frühen Kindheit ist kulturelle Bildung eine zentrale Form des Lernens, des Spielens und Gestaltens. Gestaltungs- und Ausdrucksformen werden entwickelt in den unterschiedlichen Künsten, mit verschiedenen Materialien. Formsprachen und Techniken werden kennengelernt und für Prozesse der Persönlichkeitsbildung fruchtbar gemacht.

Kinder brauchen dabei Erwachsene, die ihnen feinfühlig Resonanz geben und so antworten, dass in Interaktionen kleine Dialoge oder Geschichten entstehen, in denen Kinder sich selbstwirksam erfahren können. Von frühester Kindheit an sind Kinder Akteure in Geschichten, die ihnen erzählt werden, zum Beispiel: Jetzt machen wir einen Spaziergang, jetzt kommt der Nikolaus oder die Oma zu Besuch. Kindern werden – im günstigen Fall – Geschichten erzählt, in denen sie vorkommen, bis sie selbst Wörter einfügen können und nach und nach selbst zu Erzählern werden. Eine Geschichte wird durch ein Ereignis in Gang gesetzt und entwickelt dann eine eigene Dramaturgie: Es brennt, die Feuerwehr muss kommen, löschen und Menschen retten! In allen Spielhandlungen erzählen Kinder Geschichten, noch bevor sie sprechen können.

Beim Geschichten - Erzählen sind alle geistigen Fähigkeiten aktiv: Wünsche, Ängste, Gefühle, bisher erworbene Kenntnisse, Erlebnisse und Erfahrungen, kreative, fantastische und logische Fähigkeiten, Bewusstes und Unbewusstes verbinden sich miteinander. Durch das Geschichten Erfinden kann von gefestigten Denkstrukturen und vorgefassten Meinungen abgewichen werden, das Denken kann sich offener, flexibler und erfinderischer entfalten. Durch solche fantastischen Geschichten wird Realität aktiv bewältigt. Die Geschichten greifen Elemente aus der Wirklichkeit auf und verändern sie zum Besseren. Fantasien übersteigen und kontrastieren die tatsächliche Wirklichkeit und machen sie dadurch erfahrbar.

Ein Kind zeichnet im Alter von fünf Jahren immer wieder ähnliche Geschichten von Piraten oder Rittern, die irgendwo einen Schatz besitzen, der gut versteckt, vergraben oder in tiefen Kerkern verschlossen ist. Diesen kostbaren Schatz gilt es zu verteidigen mit allen Mitteln gegenüber den "Bösen". Grundmuster aus Märchen und Sagen werden hier weiter gesponnen. Leo selbst fühlt sich wichtig und mit einer geheimen Mission betraut, wenn er sich in Rollenspielen gegen vermeintliche Angreifer wehrt. Hoffentlich wissen die anderen von seiner Geschichte, sonst würden seine Handlungen nicht sinnvoll erscheinen. Aber: Sind das nicht nur Fantasien? Können wir darauf verzichten? Kinder beschäftigen sich in einer existenziellen Weise mit der Frage, wer sie selbst sind und sein können in den Ausdrucksformen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen. Kultur stellt Formensprachen, Bilder, Dramaturgien und Melodien zur Verfügung, um hier nach Antworten zu suchen. Die äußere Welt wird in kulturellen Gestalten als Deutung der inneren Welt entworfen. So erst werden wir uns selbst zugänglich, können uns anderen mitteilen und im Medium symbolischer Artikulationsformen verständigen. Kulturelle Bildung ist immer auch Arbeit am Selbst- und am Weltbild.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59960/kulturelle-bildung-und-schule/ (17.12.2004)




= 3 Kulturelle Bildung und Ganztagsschulen =

Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig in den Bildungsalltag aufzunehmen. Kulturelle Bildung spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle.

"Die Ganztagsschule öffnet das Zeitgefängnis", prophezeite hoffnungsfroh Wolfgang Edelstein, ehemaliger Direktor des Berliner Max - Planck - Instituts für Bildungsforschung, vor einiger Zeit auf dem Kongress "Kinder zum Olymp" der Kulturstiftung der Länder. Vergleichsweise schlecht hatte das bundesdeutsche und österreichische Schulsystem zuvor im ersten PISA - Vergleich der OECD - Staaten in den schulischen Hauptfächern abgeschnitten. Es folgte eine Debatte um die Qualität des Bildungswesens. Vielerorts schaute man ebenso neiderfüllt wie neugierig auf die Schulsysteme Finnlands, Schwedens oder Kanadas, welche im OECD - Ländervergleich deutlich bessere Ergebnisse hatten erzielen können.

== 3.1 Anschluss an OECD -Staaten =

Im Zuge dieser Debatte bereiteten Akteure in Bund und Ländern einen grundlegenden Vorstoß vor: Die möglichst weitreichende Einführung der Ganztagsschule sollte helfen, den Anschluss an andere OECD - Staaten wiederherzustellen und insbesondere zu mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem beizutragen. Dennoch waren die Zielsetzungen der Akteure durchaus uneinheitlich. Protagonisten wollten zuvorderst einen familienpolitischen Impuls setzen und Eltern durch die Einführung der Ganztagsschule entlasten. Von der verlängerten Betreuungszeit erhofften sie sich, Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Andere sahen in den Reformbemühungen die lang ersehnte Gelegenheit für eine grundlegende pädagogische Reform des Schulsystems.


Formal sollte damit der Grundstein für eine nachhaltige Reform der Schulstruktur gelegt werden, hinter die zum heutigen Zeitpunkt kaum noch jemand zurückzukehren wagt. Die Hoffnungen der pädagogischen Reformer erfüllten sich bis zum heutigen Zeitpunkt allerdings nur teilweise: Die einzelnen Bundesländer stellten in unterschiedlichem Maße Unterstützungssysteme für werdende Ganztagsschulen zur Verfügung.

Auf der Bundesebene helfen Programme wie "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" den Ganztagsschulen und solchen, die es werden wollen, dabei, sich Impulse für die inhaltliche und pädagogische Weiterentwicklung ihrer Bildungsinstitution zu holen. Dabei stehen einige Schlüsselbegriffe besonders im Fokus des Interesses der Reformer: Raum, Zeit, Rhythmisierung, Kooperation, individuelle Förderung, Partizipation und Qualitätsentwicklung sind einige davon, die auch den Stellenwert kultureller Bildung in der Ganztagsschule befördern können.


Die durch die flächendeckende Mittagsversorgung sichergestellte Verlängerung des Schultags macht an einigen Orten eine Entzerrung des schulischen Vormittags möglich, die dem Biorhythmus der Schüler/-innen besser entspricht: Insbesondere gebundene Ganztagsschulen verwandeln bislang zeitlich starr festgelegte Unterrichtsstunden zu längeren Blöcken, zu flexiblen Morgen- oder Mittagseinheiten und schaffen damit auch Raum für Freiarbeit und Neigungsgruppen am Vormittag. Musikalischer Gruppenunterricht, künstlerische Arbeitsgemeinschaften unter Leitung von Lehrern und Künstlern als außerschulischen Partnern und das Projektlernen erhalten durch diese Reformbestrebungen einen neuen Stellenwert im Rahmen der Schule. Mindestens an diesen Schulen steht die Tür des von Wolfgang Edelstein beschriebenen Zeitgefängnisses weit offen.

An allen Ganztagsschulformen rückte die Frage der Kooperation mit außerschulischen Partnern ins Zentrum der Diskussion: Bei Musikschulen, in Jugendkunstschulen und in Projekten der Kinder- und Jugendkultur fürchtete man zunächst, das eigene Schülerklientel wegen des zeitlich verlängerten Schultags der Ganztagsschulen zu verlieren. Inzwischen haben sich vielfältige lang- wie kurzfristige Formen fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Kulturpädagogen, Kultureinrichtungen und Ganztagsschulen entwickelt: Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig und auf Augenhöhe in den Bildungsalltag aufzunehmen.

In diesen Kooperationen gibt es allerdings immer wieder eine Reihe von Klippen zu umschiffen: Gerade in intensiven und langfristigen Kooperationen stoßen noch immer unterschiedliche Verständnisse von Kultur und Kunst und verschiedene Auslegungen der Begriffe des Ästhetischen und der Bildung aufeinander. Individuelle Arbeitskulturen erschweren die Kommunikation und Zusammenarbeit. Nicht selten werden Künstler/-innen von ihren Partnerschulen aufgesogen und zu regulärem Lehrpersonal gemacht, um Lehrer im Alltag zu entlasten. An anderen Stellen findet Kooperation nicht auf Augenhöhe statt, wenn außerschulische Künstler/-innen keinen Zugang zu schulischen Entscheidungsprozessen bekommen.

Hier bedarf es in naher Zukunft neuer Modelle der lokalen Zusammenarbeit vor Ort. Eine mögliche Orientierung bietet das in der Jugendhilfe schon verbreitete Konzept der Sozialraumorientierung: Ganztagsschulen werden dabei zu offenen Mittelpunkten eines Gemeinwesens, Fachlehrer/-innen der künstlerischen Fächer zu Multiplikatoren und Koordinatoren der künstlerischen und kulturellen Arbeit vor Ort. Zumal individuelle Förderung auch an Ganztagsschulen noch ein dringendes Entwicklungsfeld darstellt, können gerade außerschulische Partner mit ihren Fähigkeiten und alternativen Arbeitsformen einen Beitrag dazu leisten, Schüler/-innen entsprechend ihrer persönlichen Entwicklungswünsche zu unterstützen. In neigungsorientierten Angeboten ist dies an vielen Ganztagsschulen mittlerweile auch im Vormittagsbereich möglich.

Schülerinnen und Schüler aktiv an wichtigen Entscheidungen in Schule und Unterricht zu beteiligen, stellt ein weiteres wichtiges pädagogisches Entwicklungsfeld der Ganztagsschule dar: Projekte und Vorhaben der kulturellen Bildung bieten hier besondere Möglichkeiten der Aktivierung und Partizipation von Schülern, Eltern und Gemeinwesen. Dennoch sind die Möglichkeiten der Ganztagsschule keine hinreichende Voraussetzung für die Umsetzung von partizipativen Vorhaben im Schulalltag: Auch Künstler und Kultureinrichtungen müssen hier ihre Arbeitsformen und Orientierungen überdenken, wenn sie Beteiligung und Selbststeuerung von Schülern in der Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen unterstützen wollen.

== 3.2 Raum und Zeit =


Im Zuge dieser Debatte bereiteten Akteure in Bund und Ländern einen grundlegenden Vorstoß vor. Die möglichst weitreichende Einführung der Ganztagsschule sollte helfen, den Anschluss an andere OECD - Staaten wiederherzustellen und insbesondere zu mehr Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem beizutragen. Dennoch waren die Zielsetzungen der Akteure durchaus uneinheitlich. Einige Protagonisten wollten zuvorderst einen familienpolitischen Impuls setzen und Eltern durch die Einführung der Ganztagsschule entlasten. Von der verlängerten Betreuungszeit erhofften sie sich, Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Andere sahen in den Reformbemühungen die lang ersehnte Gelegenheit für eine grundlegende pädagogische Reform des deutschen Schulsystems.

In Deutschland haben Bund und Länder in abgestimmtem Handeln mehr als 13.000 Baumaßnahmen an bestehenden oder werdenden Ganztagsschulen unterstützt. Mit beinahe 7.000 Schulen – überwiegend Grundschulen – sind dabei fast ein Fünftel aller deutschen Schulen zu Ganztagsschulen geworden, ein Drittel davon wiederum allein in Nordrhein -Westfalen. Dabei handelt es sich bei der deutlichen Mehrheit dieser Einrichtungen um "Offene Ganztagsschulen", in denen Nachmittagsangebote freiwillig sind und den herkömmlichen Schulunterricht ergänzen. Nur rund ein Drittel der entstandenen neuen Ganztagsschulen sind teilgebundene oder voll gebundene Einrichtungen, in denen entweder ein Teil der Schüler/-innen oder alle verpflichtend am Ganztagsprogramm teilnehmen.

Formal wurde damit der Grundstein für eine nachhaltige Reform der deutschen Schulstruktur gelegt, hinter die zum heutigen Zeitpunkt kaum noch jemand zurückzukehren wagt. Die Hoffnungen der pädagogischen Reformer erfüllten sich bis zum heutigen Zeitpunkt allerdings nur teilweise: Die einzelnen Bundesländer stellten in unterschiedlichem Maße Unterstützungssysteme für werdende Ganztagsschulen zur Verfügung.


Auf der Bundesebene helfen Programme wie "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" den Ganztagsschulen und solchen, die es werden wollen, dabei, sich Impulse für die inhaltliche und pädagogische Weiterentwicklung ihrer Bildungsinstitution zu holen. Dabei stehen einige Schlüsselbegriffe besonders im Fokus des Interesses der Reformer wie Raum, Zeit, Rhythmisierung, Kooperation, individuelle Förderung, Partizipation und Qualitätsentwicklung sind einige davon, die auch den Stellenwert kultureller Bildung in der Ganztagsschule befördern können.

Die durch den Bund finanzierte räumliche Umgestaltung des Schulgebäudes zur Ganztagsschule sorgte insbesondere im Westen Deutschlands für eine Ergänzung des schulischen Angebotes um eine Mittagsmahlzeit und ermöglichte die Verlängerung des Schultages in den Nachmittag hinein. In den Neuen Bundesländern waren diese Möglichkeiten vielerorts noch aus der Vor-Wendezeit? vorhanden. Hier und an einer Reihe alteingesessener Ganztagsschulen konnte mit den Baumitteln des Bundes in eine Raumgestaltung nach pädagogischen Gesichtspunkten investiert werden. Es entstanden freie Lernorte, Gruppenarbeitsräume, aber auch Bibliotheken, neue Musikräume und Schulaulen zur Förderung kultureller Bildung.

Die durch die flächendeckende Mittagsversorgung sichergestellte Verlängerung des Schultags macht an einigen Orten eine Entzerrung des schulischen Vormittags möglich, die dem Biorhythmus der Schüler/-innen besser entspricht: Insbesondere gebundene Ganztagsschulen verwandeln bislang zeitlich starr festgelegte Unterrichtsstunden zu längeren Blöcken, zu flexiblen Morgen- oder Mittagseinheiten und schaffen damit auch Raum für Freiarbeit und Neigungsgruppen am Vormittag. Musikalischer Gruppenunterricht, künstlerische Arbeitsgemeinschaften unter Leitung von Lehrern und Künstlern als außerschulischen Partnern und das Projektlernen erhalten durch diese Reformbestrebungen einen neuen Stellenwert im Rahmen der Schule. Mindestens an diesen Schulen steht die Tür des von Wolfgang Edelstein beschriebenen Zeitgefängnisses weit offen.

An allen Ganztagsschulformen rückte die Frage der Kooperation mit außerschulischen Partnern ins Zentrum der Diskussion: Bei Musikschulen, in Jugendkunstschulen und in Projekten der Kinder- und Jugendkultur fürchtete man zunächst, das eigene Schülerklientel wegen des zeitlich verlängerten Schultags der Ganztagsschulen zu verlieren. Inzwischen haben sich vielfältige lang- wie kurzfristige Formen fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Kulturpädagogen, Kultureinrichtungen und Ganztagsschulen entwickelt: Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig und auf Augenhöhe in den Bildungsalltag aufzunehmen.

In diesen Kooperationen gibt es allerdings immer wieder eine Reihe von Klippen zu umschiffen: Gerade in intensiven und langfristigen Kooperationen stoßen noch immer unterschiedliche Verständnisse von Kultur und Kunst und verschiedene Auslegungen der Begriffe des Ästhetischen und der Bildung aufeinander. Individuelle Arbeitskulturen erschweren die Kommunikation und Zusammenarbeit. Nicht selten werden Künstler/-innen von ihren Partnerschulen aufgesogen und zu regulärem Lehrpersonal gemacht, um Lehrer im Alltag zu entlasten. An anderen Stellen findet Kooperation nicht auf Augenhöhe statt, wenn außerschulische Künstler/-innen keinen Zugang zu schulischen Entscheidungsprozessen bekommen.

Hier bedarf es in naher Zukunft neuer Modelle der lokalen Zusammenarbeit vor Ort. Eine mögliche Orientierung bietet das in der Jugendhilfe schon verbreitete Konzept der Sozialraumorientierung: Ganztagsschulen werden dabei zu offenen Mittelpunkten eines Gemeinwesens, Fachlehrer/-innen der künstlerischen Fächer zu Multiplikatoren und Koordinatoren der künstlerischen und kulturellen Arbeit vor Ort. Zumal individuelle Förderung auch an Ganztagsschulen noch ein dringendes Entwicklungsfeld darstellt, können gerade außerschulische Partner mit ihren Fähigkeiten und alternativen Arbeitsformen einen Beitrag dazu leisten, Schüler/-innen entsprechend ihrer persönlichen Entwicklungswünsche zu unterstützen. In neigungsorientierten Angeboten ist dies an vielen Ganztagsschulen mittlerweile auch im Vormittagsbereich möglich.

Schülerinnen und Schüler aktiv an wichtigen Entscheidungen in Schule und Unterricht zu beteiligen, stellt ein weiteres wichtiges pädagogisches Entwicklungsfeld der Ganztagsschule dar: Projekte und Vorhaben der kulturellen Bildung bieten hier besondere Möglichkeiten der Aktivierung und Partizipation von Schülern, Eltern und Gemeinwesen. Dennoch sind die Möglichkeiten der Ganztagsschule keine hinreichende Voraussetzung für die Umsetzung von partizipativen Vorhaben im Schulalltag: Auch Künstler und Kultureinrichtungen müssen hier ihre Arbeitsformen und Orientierungen überdenken, wenn sie Beteiligung und Selbststeuerung von Schülern in der Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen unterstützen wollen.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59973/kulturelle-bildung-an-ganztagsschulen-raum-und-zeit-fuer-mehr/ (17.12.2004)


= 4 Jugend, Kultur und Schule =


In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Kooperationen zwischen Schulen und Trägern der kulturellen Bildung entstanden. Sie nutzen die Potenziale von kultureller Bildung in der Schule, um Räume zu öffnen, die für alle Beteiligten neue Bildungserfahrungen möglich machen.

== 4.1 Beispielhafte Förderprogramme =

Einzelne deutsche Bundesländer unterstützen kulturelle Bildungsangebote in allgemein bildenden Schulen mittlerweile mit Förderprgrammen wie "Kultur und Schule" in Nordrhein - Westfalen oder dem Programm "Pilotschule Kultur". Insgesamt hat das Themenfeld "Kulturelle Bildung in der Schule" deutlich an Dynamik gewonnen. Angesichts ihrer Potenziale für zeitgemäße Lehr- und Lernformen, für umfassende Kompetenzentwicklung und für die Förderung von Teilhabegerechtigkeit nimmt kulturelle Bildung einen zentralen Stellenwert ein, wenn es um vernetzte Bildungsangebote und Schulkooperationen geht.

Noch vor einigen Jahren stellte diese Form der "Hochkonjunktur" keine Selbstverständlichkeit dar. Als nach den für das Bildungssystem ernüchternd ausfallenden PISA - Ergebnissen mit dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" 2003 der bundesweite Ganztagsschulausbau begann, setzten die Umbrüche in den Ländern und Kommunen auch für außerschulische Träger und Einrichtungen neue Bewegungen in Gang. Für kulturelle Kinder- und Jugendbildung bedeuteten die Bildungs- und jugendpolitischen Neuerungen Veränderungsprozesse mit weitreichenden Folgen. Die Kooperationen mit den neuen Ganztagsschulen gingen zumeist deutlich über die in langer Tradition gepflegte, zeitlich begrenzte und projektbezogene Zusammenarbeit der bisherigen Praxis hinaus. Angestrebt wurde die Schaffung eines "gemeinsamen Dritten". Für zahlreiche außerschulische Fachkräfte galt das erklärte Ziel, an einer Schulreform mitzuwirken und die Bildungswirkungen von Schule und Jugendkulturarbeit unter dem Dach eines "neuen Hauses des Lernens" zusammenzuführen.

== 4.2 Themenfelder =

Eine große Stärke der Kooperationen zwischen Kultur und Schule liegt in der Heterogenität des Themenfeldes. Gleichzeitig stellt diese eine zentrale Herausforderung dar, die sich alleine aus der Vielseitigkeit der Kooperationspartner ergibt: Vereine, Verbände, Einrichtungen, Institutionen in freier oder öffentlicher Trägerschaft vom Spielmobil bis zum Konzerthaus, ebenso einzelne Pädagogen/-innen, wie Tanz- oder Theaterpädagogen/-innen, und freischaffende Künstler/-innen aus allen Kunst- und Kultursparten treffen auf offene, teilweise gebundene und gebundene Ganztagsschulformen in wahlweise additivem, integrativem oder kooperativem System. Gleichzeitig bietet der schulische Kooperationspartner im föderalen Deutschland nicht weniger als 16 unterschiedliche Ganztagsschulkonzepte und damit unterschiedlichste bildungspolitische Voraussetzungen und Bedingungen für Kooperationen.


Offensichtlich lernte das Praxisfeld aus der Erfahrung, dass die Kooperationspraxis ihre Wirkungen nur sehr punktuell entfaltet, solange sie keine nachhaltige Verankerung in den Strukturen der Schule und deren sozialräumlichem Umfeld erfährt. Zunehmend erkannten die Akteure, dass die neu entstandenen Ganztagsschulen ein geeignetes Dach bieten, unter dem die Fäden lokaler Bildungsnetzwerke zusammenlaufen können. Gleichzeitig wuchs bei den Trägern und Einrichtungen der kulturellen Bildung, nun bereits seit einigen Schuljahren kooperationserprobt, der Anspruch an den Bildungspartner Schule. Der Weg zu einer neuen Lehr- und Lernkultur und damit zur konsequenten Realisierung umfassender Bildungskonzepte erfordert Entwicklungsschritte, welche die gesamte Schulkultur und -struktur betreffen. Kulturelle Bildung bietet vielfältige Möglichkeiten, derartige Veränderungsprozesse zu gestalten.

== 4.3 Entwicklung =

Rückblickend auf die rasante Entwicklungsgeschichte der Kooperationspraxis seit 2003 und der Bildungserfolge, die zahlreiche Kooperationen zwischen Kulturträgern und Schulen zu verzeichnen haben, scheint die Bezeichnung "Hochkonjunktur" nicht übertrieben. Gleichzeitig haftet dem Begriff der bittere Beigeschmack einer zeitlichen Begrenzung an. Zukünftig muss es gelten, einen nachhaltigen Strukturrahmen für diese Kooperationen zu schaffen. Vor allem lokalen Bildungslandschaften, in denen regionale Träger aus den Bereichen Jugendhilfe, Kultur und Bildung eng verzahnt zusammenarbeiten, kommt für die strukturelle Verankerung ressortübergreifender Bildungsangebote eine zentrale Bedeutung zu.

Vielerorts stellen Kulturkooperationen den Ursprung derartiger Netzwerke dar, Kulturträger fungieren als Motor für die Netzwerkbildung und die Inszenierung groß angelegter Bildungsallianzen. Auch die Bundespolitik macht sich die Stärkung von Bildungsangeboten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule zur Aufgabe.

Im Folgenden werden drei Modelle gelungener Kooperationspraxis vorgestellt.

=== 4.3.1 Modell 1 - Über den Holm =

Ausbildung von rund "20 Young Coaches of Artistic and intercultural intervention"

Der Titel ist Programm. Der Begriff "über den Holm" kommt aus dem Sportgeschehen und bezeichnet den erfolgreichen Überschwung über den Barrenholm als Voraussetzung für die nächste Übung. Die Hector - Peterson - Oberschule in Berlin hat sich gemeinsam mit dem zirkuspädagogischen Verein "GrenzKultur?" das feste Ziel gesetzt, ihren Schülerinnen und Schülern das notwendige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. "Die Jugendlichen treffen bei uns im Zirkuszelt auf Profis, die ihnen neue Horizonte eröffnen, ihnen dabei helfen, ihre bisherigen Grenzen zu überschreiten", so der Projektleiter Karl Köckenberger. "Unsere Trainer bringen den Jugendlichen nicht nur Disziplinen wie Trapez, Trampolin, Kugellauf, Jonglage, Breakdance etc. bei, sondern sie zeigen ihnen auch Berufe wie Tischler/-in, Schlosser/-in, Veranstaltungstechniker/-in, Fotograf/-in oder Schneider/-in", beschreibt Köckenberger das Geschehen im Zirkuszelt.

Das Projekt richtet sich an mehrfach benachteiligte und "schuldistanzierte" Jugendliche. Sie werden selbst zu Multiplikatoren und Multiplikatorinnen für Artistik und interkulturelle Interventionen ausgebildet. Während und nach dem Projekt agieren sie an ihrer Schule als jugendliche "Kulturbotschafter/-innen" im Sinne eines Keywork - Ansatzes. Das Angebot will Kinder, Jugendliche sowie Eltern in ihrer Partizipationskraft stärken, Kreisläufe von Gewaltstrategien und Rückzug durchbrechen. Dabei setzen die Zirkusleute zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern auf Berufsorientierung und Selbstkompetenz.

Das Projekt besteht aus einem intensiven wöchentlichen Zirkustraining (Wahlpflichtfach Sport/ Zirkusartistik), Projektwochen, einer internationalen Begegnung, öffentlichen Aufführungen und einem Workshop für interkulturelle soziale Intervention. Lehrer/-innen und Schulsozialarbeiter/-innen sind intensiv in die Zirkusproben wie auch in die Einheiten zur Berufsvorbereitung eingebunden. Die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen ist eine wichtige Säule des erfolgreichen Projekts. "Doch die wichtigste Vielfalt, die die Schüler und Schülerinnen bei uns entdecken, ist die Vielfalt in ihrer eigenen Persönlichkeit", betont Karl Köckenberger.

"Auch sogenannte Lernverweigerer erleben Lust am Lernen, sie übernehmen Verantwortung, lernen Mitbestimmung, bekommen mehr Selbstvertrauen, lernen Konflikte zu lösen, sie finden offene Ohren für Probleme und Respekt vor ihren Stärken und ihrer Identität." Verantwortung übernehmen, Erfolge haben und gesellschaftliche Anerkennung bekommen – das stärkt das Selbstvertrauen und wirkt durch ein kluges Multiplikatoren - Modell in das Zusammenleben in der Schule hinein. "Der Kreislauf der Chancenungerechtigkeit kann durchbrochen werden", ist Köckenberger überzeugt.

=== 4.3.2 Modell 2 - Kon Takt – ein integratives Bewegungstheater =

Eine interdisziplinäre Kooperation zwischen der Förderschule Evangelisch - lutherisches Wichernstift, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und vielen weiteren Partnern.

"Kon Takt" ist ein integratives und generationsübergreifendes Tanz- und Bewegungstheater, das für die Einübung kultureller Toleranz, für generationsübergreifende Kommunikation und Chancengleichheit bei Aus- und Weiterbildung steht. "KonTakt?" entstand auf dem Land und wurde auch dort aufgeführt. Das Projekt zeigt, dass kulturelle Bildung auf hohem Qualitätsniveau auch abseits der großen Metropolen möglich ist.

Zur Musik von Nikolai Rimsky - Korsakovs "Scheherazade" und eigens für das Projekt komponierten musikalischen Intermezzi tanzten 97 Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Rahmen eines von Choreograf Alexander Hauer entwickelten Bewegungstheaters. Für das Projekt wurden völlig verschiedene Gruppierungen erfolgreich über die Stadtgrenzen Bremens hinaus vernetzt: ein international agierendes Spitzenorchester, vier verschiedene Primar- und Sekundar - Schultypen, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ein Verein für Menschen mit Behinderung, eine Gruppe Landfrauen und freischaffende Künstler/-innen.

"Kon Takt" führte diese Gruppen zusammen und ermöglichte so die Begegnung zwischen diesen verschiedenen Lebensweisen und -perspektiven – mit und ohne "Handicap". Durch "Kon Takt" wurden bestehende Vorurteile zwischen Gruppen, die im Alltag wenig Berührungspunkte haben, abgebaut und in ein vertrauensvolles, voneinander profitierendes Miteinander verwandelt. Mittlerweile wurden fast alle Förderschüler/-innen, die am Projekt teilgenommen haben, wieder in eine Regelschule integriert.

Die international renommierte Deutsche Kammerphilharmonie Bremen setzt neue Maßstäbe in der kulturpädagogischen Vermittlungsarbeit (hoch) kultureller Einrichtungen: Im Rahmen ihres Education - Programms betritt das Orchester immer wieder Neuland und verbindet unterschiedlichste Gruppen und Bereiche. Mit dem Umzug in die Gesamtschule Bremen - Ost hat das Orchester ein deutliches Signal gesetzt. Die Philharmoniker arbeiten im Rahmen von verschiedenen Projekten nun noch enger mit den Schülern/-innen und Lehrern/-innen zusammen.

=== 4.3.3 Modell 3 - Tamars wundersame Rettung 1944 =

Eine Kooperation zwischen dem Lern- und Gedenkort Jawne und der Kölner Grundschule Mülheimer Freiheit 99

Wie Tamars wundersame Rettung 1944 vonstatten ging, erfuhren die Schülerinnen und Schüler aus der dritten und vierten Klasse der Kölner Gemeinschaftsgrundschule Mülheimer Freiheit aus allererster Hand. Viermal besuchte die Zeitzeugin Tamar Dreifuss die Kinder im Schulunterricht und berichtete über ihre jüdische Kindheit in Wilna, die Verfolgung nach Kriegsbeginn und über ihre wundersame Rettung. Gehört, erfragt, gezeichnet und aufgeschrieben haben die Kinder die aufregende und traurige Geschichte der Holocaust - Überlebenden.

Auf mehreren Ebenen wurde das Projekt in weitere Aktivitäten der Schule eingebunden: Die Kinder gingen auf Spurensuche im Stadtteil, sie verarbeiteten Tamar Dreifuss' Geschichte im Deutsch- und Kunstunterricht im Rahmen von Aufsätzen und Zeichnungen. Durch eine dem Entwicklungsstand der Kinder angepasste Vermittlung des Themas "Nationalsozialismus" lernten die Kinder rassistische, diskriminierende und die Menschenwürde verachtende Äußerungen und Handlungen zu erkennen und Handlungsstrategien zu entwickeln. Die konkrete Lebensgeschichte der Zeitzeugin bildete eine Brücke zwischen einer lange zurückliegenden Zeit und der Lebenswirklichkeit der Kinder.

Der Kölner Lern- und Gedenkort Jawne ermöglichte dieses ungewöhnliche Bildungsprojekt in Zusammenarbeit mit seiner Partnerschule, seinem Künstlerteam und Tamar Dreifuss. Ein Fotograf und eine Künstlerin arbeiteten gemeinsam mit der Klassenlehrerin sowie einem Pädagogen und einer Historikerin des Lern- und Gedenkorts in einem Team. Der Impuls für diese Zusammenarbeit kam von der Zeitzeugin selber: Ihr Wunsch war es, die Geschichte ihrer Rettung in einem Kinderbuch zu erzählen. So mündete das Projekt in einem Buch, mit dem sich mittlerweile eine Parallelklasse beschäftigt. Das Projekt unterstützt in nachhaltiger Form die Friedens- und Demokratieerziehung dieser Grundschule.

Für ein gerechtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen stellt sich an alle mit Bildungsfragen Betrauten die Aufgabe, Lernfelder zu ermöglichen, die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines eigenständigen Handelns, Denkens und Fühlens vermitteln. Internationale Evaluationen und Monitoringverfahren haben jedoch eine mangelnde Wirksamkeit der Schulen vor Augen geführt. 20 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler konnten sie nicht die notwendigen Bildungserfolge vermitteln. Dass diese 20 Prozent nicht etwa nur über ein lückenhaftes Fachwissen verfügen, sondern in der grundsätzlichen Entwicklung einer Bildung als Lebenskompetenz nicht ausreichend unterstützt wurden.

Hier steht nicht nur die Förderung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Mittelpunkt, sondern auch die Basiskompetenz, sich orientieren und eigenständig handeln zu können. So müssen etwa vier Fünftel der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss eine Qualifizierungsmöglichkeit im Übergangssystem wahrnehmen. Von den Absolventen mit Hauptschulabschluss mündet etwa die Hälfte im Übergangssystem. Selbst bei Jugendlichen mit Mittlerem Schulabschluss muss über ein Viertel mit Qualifizierungsmaßnahmen im Übergangsystem Vorlieb nehmen.

Die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen verlangt daher ein Bildungskonzept, das Jugendliche und Kinder im doppelten Sinne stark fürs Leben macht. Alle Kinder und Jugendlichen brauchen die Möglichkeit, Kulturtechniken wie etwa Lesen, Rechnen und Schreiben entsprechend ihrer individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse zu erlernen und zu üben. Dies stellt eine zentrale Voraussetzung für die pragmatische Handlungsfähigkeit des Subjekts dar. Neben einem soliden Schulwissen brauchen Kinder und Jugendliche jedoch mehr. Für eine gelingende Lebensführung brauchen sie Möglichkeitsräume, um ihre kreativen Stärken zu entdecken und spielerisch soziale Kompetenzen zu entwickeln. Denn die aktuelle gesellschaftliche Situation verlangt immer mehr, dass Jugendliche und Kinder in der Lage sind, ihr Leben im Hinblick auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte immer wieder neu zu gestalten.

Die Fähigkeit zu einer fortschreitenden, lebenslangen Identitätsarbeit erfolgt im Schnittfeld bewussten Erfahrens des eigenen Fühlens, Denkens und Handelns sowie einer reflexiven Anwendung des bewusst Durchlebten als Eigenes. Das verlangt Gelegenheiten zum freien Experimentieren und Spielen. Hierin liegt ein wichtiger Grund für die Notwendigkeit von Bildungspartnerschaften von Kultur und Schule. Handlungsfähigkeit als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe braucht ein Ineinandergreifen beider Bildungswege, des formalen schulischen wie des nonformalen der kulturellen Bildung.

Kulturelle Bildung setzt mit dem Ziel der Förderung kreativer und sozialer Kompetenzen da an, wo der Mensch immer schon ist, an seinen sinnlichen Vollzügen. In der künstlerischen Praxis bietet Kulturelle Bildung ein umfangreiches Instrumentarium an Erfahrungs- und Kommunikationsmöglichkeiten, deren Besonderheit darin liegt, dass sie den Handlungsvollzug selbst in den Mittelpunkt stellen.

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche faszinierende Kooperationen zwischen Schulen und Trägern der kulturellen Bildung entstanden. Sie nutzen die beschriebenen Potenziale von kultureller Bildung in der Schule, um Räume zu öffnen, die für alle Beteiligten neue Bildungserfahrungen möglich machen. Und sie verweisen eindringlich darauf, dass kulturelle Bildung in einem zukunftsfähigen Bildungskonzept nicht bloß eine schmackhafte Beigabe, sondern ein prinzipieller und originärer Bestandteil sein muss.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59977/bildungspartnerschaften-im-querschnitt-jugend-kultur-und-schule/ (17.2.2024)




== 4.4 Literaturhinweis =

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein Indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu den Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld

Becker, H. (2007): "Auf dem Weg zur neuen Bildung – Trägererfahrungen evaluiert", in: Kelb V. (Hrsg.): Kultur macht Schule. Innovative Bildungsallianzen – Neue Lernqualitäten. Schriftenreihe Kulturelle Bildung, Vol. 3. München

Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. (Hrsg.) (2009): "Mit Kunst und Kultur Schule gestalten", Remscheid

Kelb, Viola (Hrsg.) (2007): "Kultur macht Schule. Innovative Bildungsallianzen – Neue Lernqualitäten. Schriftenreihe Kulturelle Bildung, Vol. 3. München

Stolz, H.-J. (2009): Gelingensbedingungen lokaler Bildungslandschaften. Die Perspektive der dezentrierten Ganztagsbildung, in: Bleckmann P. / Durdel J. (Hrsg.): Lokale Bildungslandschaften. Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 105-119

= 5 Kunst in der Kulturellen Bildung =

Was ist das Besondere am Arbeitsfeld Bildende Kunst und Kunstvermittlung im Gesamtzusammenhang der kulturellen Bildung? Und wo gibt es Berührungspunkte zur Politischen Bildung? Diesen Fragen wird auf vielfältige Weise nachgegangen.

Die Auseinandersetzung mit dem Sichtbaren und mit Ästhetik steht im Zentrum von Kunstvermittlung und ästhetischer Bildung. Bilder, Installationen und Skulpturen eignen sich sehr gut als Anlass für Gespräche und Diskussionen, sie können Inhalte und auch Widersprüche veranschaulichen, Fragen aufwerfen und Emotionen wecken.

Die Frage, wie man mit Kunst im Ausstellungs- oder Unterrichtsraum umgeht, kann jedoch sehr unterschiedlich beantwortet werden. Zahlreiche Künstler setzen sich inhaltlich intensiv mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander, und auch die Organisation und Gestaltung von Ausstellungen ist eine politische Angelegenheit, in der sich Fragen nach der Einbeziehung und Beteiligung der Zielgruppen stellen.

In der praktischen Arbeit steht zudem das Selber - Machen im Vordergrund. Die Teilnehmenden gestalten etwas, präsentieren es anschließend und sprechen darüber. Dabei können verschiedenste Medien und Formate, von der Gartenskulptur bis zur Gestaltung eines digitalen, virtuellen Selbstporträts, zum Einsatz kommen, wie die vorgestellten Methoden und Praxisbeispiele zeigen.

== 5.1 Kunstvermittlung im Museum =

Die museale Kunstvermittlung erhält nach einer Konsolidierungsphase, die ebenfalls an reformpädagogische Ideen anknüpfte, seit Ende der 1990er-Jahre unter dem Stichwort "Künstlerische Kunstvermittlung" neue Impulse. Künstlerinnen und Künstler, welche als Vermittlerinnen und Vermittler in Ausstellungsinstitutionen tätig werden, nutzen häufig dekonstruktive, performative und bildgebende Verfahren aus der Gegenwartskunst sowie konstruktivistische Lernzugänge, um Museen und Ausstellungen gemeinsam mit den Teilnehmenden (die zunehmend aus sehr unterschiedlichen Gesellschafts- und Altersgruppen stammen, wobei Kinder und Jugendliche weiterhin die Mehrheit bilden) zu hinterfragen sowie auf eigenständige Weise anzueignen und umzudeuten.

Sie widersprechen damit einer Tradition der Museumspädagogik, die auf Verführung und "Niedrigschwelligkeit" setzt, um das "Publikum von morgen" heranzubilden. Das Interesse, Vermittlung demgegenüber als die Institutionen hinterfragende und letztlich auch transformierende Praxis zu entwerfen, hat ernste Hintergründe. Es liegen Forschungen darüber vor, dass die Geschichte von Ausstellungsinstitutionen mit dem Kolonialismus und der Ausbildung und Erhaltung national -identitär verfasster Disziplinargesellschaften nordwestlicher Prägung verwoben ist. Sie deswegen zu schließen, würde jedoch bedeuten, eine Chance zu verspielen: Gerade aufgrund ihrer Verstricktheit können sie auch Akteure und Orte für Veränderung sein. Eine kritische, auch künstlerisch informierte Vermittlungsarbeit kann wesentlich dazu beitragen, die gegenwärtig häufig beschworene Vision des Museums als "Kontaktzone" zu verwirklichen.

Spätestens an dieser Stelle scheinen mögliche Schnittstellen von Kunstvermittlung und Politischer Bildung auf. Mit Blick auf die durch Globalisierungsprozesse geprägte Migrationsgesellschaft wird dabei eine Diskussion über den Kanon, der vermittelt wird, unausweichlich. Es stellt sich die Frage, ob der überlieferte westeuropäisch – nordamerikanisch geprägte Bilderkanon der Vielschichtigkeit visueller Kultur in der Gegenwart entspricht, oder ob eine andere Form eines Bild - Repertoires, das sich permanent in Veränderung befindet, das mit allen Beteiligten stets zu reflektieren wäre und das sich möglicherweise eher über Themen als über einzelne Werke erschliessen ließe, überfällig wäre. Diese Frage betrifft die schulische wie die außerschulische Kunstvermittlung mit gleicher Dringlichkeit.

== 5.2 Bildungsauftrag und Besucherorientierung =

Ob Museen, Theater oder Literaturhäuser, sie alle stehen heute vor demselben Problem, die Besucher langfristig zu binden – und dabei den kulturellen Bildungsauftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Nur durch eine konsequente Vorgehensweise kann dies gelingen.

Bundesrepublik Deutschland und Österreich verstehen sich als "Kulturstaat". Deshalb fördert die öffentliche Hand Kunst und Kultur im Bund, in den einzelnen Bundesländern und in den Kommunen. Öffentliche Theater werden subventioniert, nur rund 16 Prozent erwirtschaften sie aus eigener Kraft. In anderen Ländern, etwa den angelsächsischen, insbesondere in den USA, ist die Situation dagegen völlig anders – hier hält sich der Staat extrem zurück und überlässt dem sogenannten Kulturmarkt die Bereitstellung entsprechender Güter und Dienstleistungen.

Warum aber fördert der Staat Kunst und Kultur in diesem Umfang und überlässt dies nicht dem Markt? Schon der "Klassiker" des Wirtschaftsliberalismus, Adam Smith, stellte in seinem erstmals 1776 veröffentlichten Werk über den Wohlstand der Nationen wörtlich fest, dass neben der "unsichtbaren Hand" des Marktes, die die Wirtschaft regelt, eine wichtige "Aufgabe des Staates darin besteht, solche öffentlichen Anlagen und Einrichtungen aufzubauen und zu unterhalten, die, obwohl sie für ein großes Gemeinwesen höchst nützlich sind, ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug für eine oder mehrere Privatpersonen sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken, weshalb man von ihnen nicht erwarten kann, dass sie diese Aufgabe übernehmen."

Diese "öffentlichen Anlagen und Einrichtungen" stiften also – aus Sicht des Staates bzw. der Gesellschaft – einen hohen gewünschten öffentlichen Nutzen und werden genau aus diesem Grund mit öffentlichen Mitteln gefördert, da sie ansonsten nicht ausreichend hergestellt bzw. nachgefragt werden. Man nennt sie deshalb auch "meritorische Güter". In Deutschland und Österreich zählen etwa hier dazu u.a. die Sozialversicherung, die gesetzliche Alters- und Gesundheitsvorsorge, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, der öffentlich - rechtliche Rundfunk, Bildung – und eben auch Kunst und Kultur. Was ein meritorisches Gut ist, steht indes nicht allgemein fest, sondern ist Ergebnis eines öffentlichen, politischen Diskurses, der von Land zu Land, von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich geführt wird, wie etwa die schon seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussionen über eine allgemeine, flächendeckende Gesundheitsfürsorge in den USA zeigen.

Die mehr oder weniger offizielle Begründung des kulturellen Bildungsauftrages findet sich in der Weimarer Klassik, vor allem bei Schiller und hier etwa in seinen Schriften zur "Ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts". In seiner 1802 veröffentlichten programmatischen Schrift "Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet" schreibt Schiller: "Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staates eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele." In dieser Selbstdefinition als "Kulturstaat" unterscheidet man sich deutlich von anderen europäischen Staaten – und hier liegt die zweite, historisch - politische Begründung des kulturellen Bildungsauftrages.

Während beispielsweise Frankreich sein Selbstbild in der "Nation" bzw. der "République", England im "Empire" oder "Commonwealth" findet, waren und sind in Deutschland Kunst und Kultur zentrale Elemente des eigenen gesellschaftlichen und vor allem politischen Selbstverständnisses. Die so gänzlich unterschiedliche Entwicklung in Deutschland im Vergleich zu England und Frankreich resultiert aus den das 17. und 18. Jahrhundert bestimmenden Fragen erstens der nationalen Einheit und zweitens der politischen Rolle des Bürgertums.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/60324/kunst-in-der-kulturellen-bildung/ (17.12.2004)






= 6 Kulturelle Bildung in Österreich =

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung bietet mit Kultur - Bildung die umfangreichste Kunst- und Kulturvermittlungsinitiative für Schulen in Österreich an.

Künstler/innen aller Kunstsparten arbeiten im Rahmen der unterstützten Projekte mit Schülerinnen und Schülern impulsgebend im Rahmen des Unterrichts – innerhalb und außerhalb der Schule – zusammen. Der Kompetenzerwerb der Schüler/innen durch kulturelle Bildungsprozesse tritt stärker in den Mittelpunkt.

Zu den Zielen von Kultur - Bildung gehören

* die Stärkung der kulturellen Bildung an Schulen sowie der gemeinsamen und individuellen Lern- und Lehrprozesse von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und Kunst- und Kulturschaffenden


* Unterstützung für Lehrkräfte aller Fächer und Schularten bei der innovativen Unterrichtsgestaltung und Schulentwicklung in Zusammenarbeit mit Kunst- und Kulturschaffenden aller Sparten


* Unterstützung der aktiven und chancengerechten Teilhabe von Schüler/innen an Kunst und Kultur
Stärkung der Kompetenzen der Schüler/innen durch kulturelle Bildungsprozesse


Im Schuljahr 2024/25 steht das Programm unter dem Themenschwerpunkt "take HEART" Demokratie, Nachhaltigkeit und Kulturelle Bildung.

Seitens der projektleitenden Lehrkräfte der Schulen mit Öffentlichkeitsrecht sind laufend Projekteinreichungen während des ganzen Schuljahres möglich, jedoch spätestens sechs Wochen vor Projektbeginn.

Nähere Informationen findet man auf der Website des Initiative.

Der OEAD begleitet die Initiative konzeptionell, beratend und organisatorisch.


Kontakt:

OEAD – Agentur für Bildung und Internationalisierung

Ebendorferstraße 7

1010 Wien

T +43 1 53408-531 oder
T +43 1 53408-543

kulturbildung@oead.at



IT- Hinweis

https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/schwerpunkte/kulturvermittlung/kulturbildung.html (17.12.2024)



= Dokumentation =











= Zum Autor =

APS - Lehramt (VS - HS - PL 1970, 1975, 1976), zertifizierter Schülerberater (1975) und Schulentwicklungsberater (1999), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschulrat für Tirol (1993-2002)

Absolvent Höhere Bundeslehranstalt für alpenländische Landwirtschaft Ursprung - Klessheim/ Reifeprüfung, Maturantenlehrgang der Lehrerbildungsanstalt Innsbruck/ Reifeprüfung - Studium Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), 1. Lehrgang Ökumene - Kardinal König Akademie/ Wien/ Zertifizierung (2006); 10. Universitätslehrgang Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ MSc (2008), Weiterbildungsakademie Österreich/ Wien/ Diplome (2010), 6. Universitätslehrgang Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), 4. Interner Lehrgang Hochschuldidaktik/ Universität Salzburg/ Zertifizierung (2016) - Fernstudium Grundkurs Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2018), Fernstudium Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Lehrbeauftragter Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung VO - SE (1990-2011), Fachbereich Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung - SE Didaktik der Politischen Bildung (2026-2017)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche Österreich (2000-2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019)

Kursleiter der VHSn Salzburg Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg/ "Freude an Bildung" - Politische Bildung (2012 - 2019)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net





Kulturelle Bildung    

Aspekte neuer Lernkulturen im Kontext Politischer Bildung    

Günther Dichatschek

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Kulturelle Bildung   
Aspekte neuer Lernkulturen im Kontext Politischer Bildung   
Vorbemerkung   
1 Einleitung   
2 Kulturelle Bildung und Schule   
2.1 Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit   
2.2 Kulturelle Bildung als Teilhabe an kulturellen Lebensformen   
2.3 Entwicklung kultureller Kompetenzen   
3 Kulturelle Bildung und Ganztagsschulen   
3.1 Anschluss an OECD -Staaten   
3.2 Raum und Zeit   
4 Jugend, Kultur und Schule   
4.1 Beispielhafte Förderprogramme   
4.2 Themenfelder   
4.3 Entwicklung   
4.3.1 Modell 1 - Über den Holm   
4.3.2 Modell 2 - Kon Takt – ein integratives Bewegungstheater   
4.3.3 Modell 3 - Tamars wundersame Rettung 1944   
4.4 Literaturhinweis   
5 Kunst in der Kulturellen Bildung   
5.1 Kunstvermittlung im Museum   
5.2 Bildungsauftrag und Besucherorientierung   
6 Kulturelle Bildung in Österreich   
Dokumentation   
Zum Autor   

Vorbemerkung    

Die Bedeutung kultureller Bildung für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und Erwachsener ist inzwischen sowohl von politischer, gesellschaftlicher als auch pädagogischer Seite anerkannt. Kulturelle Bildung schafft neue Lernkulturen und beeinflusst nachhaltig unser Leben innerhalb und außerhalb der Schulen.

In einer pluralen Gesellschaft erhalten die Bildungsbereiche Politische Bildung und Interkulturelle Kompetenz zunehmende Bedeutung. Die Studie, die aus persönlichem Autoreninteresse sich mit den Bereichen in Kultureller Bildung auseinandersetzt, befasst sich der pädagogischen Herausforderung im Kontext Politischer Bildung. Basis der Überlegungen sind Beiträge der "Bundeszentrale für politische Bildung".

Man beachte das Fehlen Kultureller Bildung in der Konzeption Politischer Bildung in der Fachliteratur, siehe etwa AUTORENGRUPPE FACHDIDAKTIK - Konzepte der politischen Bildung Eine Streitschrift (2011), Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 1141, Bonn, 95 -109; SANDER W. (Hrsg.) (2007): Handbuch politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 4576, Bonn, 315 - 484.

1 Einleitung    

Die Chancen, die kulturelle Bildung für gelingende Integration und Inklusion bietet, sind nicht nur in Schulen bekannt. Auch außerschulische Lernorte bedienen sich ihrer Werkzeuge, um alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen und zur kreativen Tätigkeit zu ermuntern. Immer stärker im Fokus steht auch die Verbindung von kultureller mit Politischer Bildung.

Die Ansätze der kulturellen Bildung bieten eine Plattform, um gesellschaftspolitische Inhalte und demokratische Praxis mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam zu erarbeiten und dank der kreativen Bearbeitungsform sinnlich begreifbar zu machen.

Die Studie versteht sich widmet sich dem Thema kulturelle Bildung in seinen vielfältigen Facetten und verknüpft dabei theoretische Überlegungen mit praktischen Beispielen. Der Reflexion von Grundsatzfragen der kulturellen Bildung wird genauso Raum gegeben wie aktuellen Diskussionen und der Auseinandersetzung mit einzelnen Feldern der kulturellen Bildung. Praxisbeispiele aus den unterschiedlichsten Kontexten zeigen, wie kulturelle Bildungsprojekte aussehen können und bieten Anregungen zur Nachahmung.

2 Kulturelle Bildung und Schule    

Im Zuge der Bildungsdiskussionen, die durch die PISA - Studien ausgelöst wurden, rückte die Schule als Lernort ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Während die naturwissenschaftlich - technischen Schulfächer gefördert wurden, spielte der musisch - künstlerische Lernbereich nur eine untergeordnete Rolle.

Zu Unrecht, wie viele gesellschaftliche Akteure beklagen. Dennoch hat sich längst eine kulturelle Bildungsszene etabliert. Sie bietet neuartige Formen des Lehrens und Lernens, die das klassische Unterrichtsmodell überwinden. So sind zahlreiche Kooperationen zwischen verschiedenen Schulformen wie zum Beispiel der Ganztagsschule und Trägern der kulturellen Bildung entstanden – und ein notwendiges Qualitätsmanagement, das den Prozess der erfolgreichen Bildungsarbeit begleitet.

2.1 Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit    

Nicht erst seit den PISA - Studien sind die Kindertagesstätten und Krippen Orte der Betreuung und Erziehung. Sie sind vor allem auch Bildungsorte. Geht es in den PISA - Studien um die Überprüfung von Lernergebnissen, die sich auf den Aufbau spezifischer Wissensstrukturen beziehen, so muss Bildung in der frühen Kindheit über die Förderung kognitiver Kompetenzen hinaus eine vielfältige und breite Ausrichtung haben. In den einzelnen Bundesländern wurden Bildungspläne für den Kindergartenbereich erarbeitet, die Bildungsaufgaben von Frühpädagoginnen und -pädagogen zum Thema haben.

Immer mehr Kinder auch unter drei Jahren verbringen viel Zeit in pädagogischen Institutionen. Die vertraglich vereinbarte Betreuungszeit in Deutschland liegt für Kinder unter drei Jahren in Kindertageseinrichtungen bei bis zu fünf Stunden für 24,2 Prozent. Für weitere 24,4 Prozent der betreuten Kinder sind fünf bis sieben Stunden vereinbart und für 48,4 Prozent mehr als sieben Stunden pro Tag. Der Einfluss der Familie auf die kindliche Entwicklung ist deutlich höher anzusetzen als derjenige einer besuchten Einrichtung.

Gleichwohl kann eine qualtitativ hochwertige Einrichtung kompensatorische Funktionen einnehmen und so ein wichtiges Moment auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit darstellen. Themen der Sprachförderung und der naturwissenschaftlich -technischen Bildung stehen derzeit im Vordergrund. Worin aber besteht der Wert kultureller Bildung in der frühen Kindheit?

Kulturelle Bildung im weiteren Sinn kann als das Hineinwachsen in kulturelle Lebensformen und das Sich -Auseinandersetzen mit deren Sinngestaltungen verstanden werden. Der Ablauf eines gemeinsamen Mittagessens oder auch Formen der Begrüßung wären hier ebenso zu nennen wie etwa Gewohnheiten und Aufmerksamkeiten im Alltag. Wollen wir über Kultur sprechen, so müssen wir die Gestaltungen pluraler Lebensformen in der jeweiligen Form- und Bedeutungsvielfalt betrachten und einbeziehen.

Zweifellos müssen sie dafür viel lernen, angefangen von den Praktiken des täglichen Lebens. Kulturelle Bildung ist ein eigen- und interaktiver (begleiteter, herausgeforderter oder selbstinitiierter) Prozess der Aufnahme, Auseinandersetzung, Verarbeitung und Beantwortung von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen kultureller Umwelt durch Kommunikation und Artikulation in Worten, Gesten, Handlungen und "Werken".

Kulturelle Bildung ist zentral, um sich in einer Gruppe von Menschen bewegen, mit ihnen diskutieren, sich einbringen und mitgestalten zu können. Kinder, die den Rhythmus eines Gesprächs nicht gut mitvollziehen können, bringen sich immer wieder an Stellen ein, an denen dies von den anderen Kindern als Störung empfunden wird. Sie werden aus dem Spiel ausgeschlossen, wenn sie sich in den Ideenfluss nicht sinnvoll einklinken können. So bleiben ihnen auch weitere Lerngelegenheiten, die sich aus dem gemeinsamen Spiel ergeben könnten, verschlossen. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund haben die Chance, wenn sie schon mit etwa einem Jahr eine Krippe oder Tagesstätte besuchen können, neben dem Spracherwerb auch diese kulturellen Praktiken im Alltag kennenzulernen.

Neben der kulturellen Teilhabe ist auch die Entwicklung kultureller Kompetenzen in und durch die Künste hervorzuheben. In Bildern, Geschichten, Liedern und Tänzen finden sich kulturelle Sinnhorizonte, die für das Selbsterleben und Verstehen von Menschen zentral sind. Es geht hier nicht um Bastelangebote, die ein schon vorab bekanntes Modell einer Laterne zu St. Martin Schritt um Schritt nachvollziehen lassen, sondern es geht um die Begegnung von sehr jungen Kindern mit den unterschiedlichsten Formen der Künste. Theater, Bildende Kunst, Musik und Tanz stellen ganz eigene Ausdrucksformen dar, die Kinder kennenlernen sollten, um das jeweilige Erfahrungspotenzial ausloten und auf dessen weitere Möglichkeiten hin entfalten zu können. Kinder haben viele Fähigkeiten und ein großes Interesse, unterschiedlichste Materialien genau zu erkunden, Umgangsformen zu entwickeln und die im Handeln entstehenden Fähigkeiten einzusetzen. Kulturelle Kompetenzen stellen zentrale "Kategorien" der Sinnerzeugung dar.

Kulturellen Sinn gilt es zu erschließen, was bedeutet, dass Sinn "entschlüsselt" und auch reproduziert werden will, sodass die kulturellen Symbole und Produktionsformen kennengelernt und verstanden werden können – etwa indem man gemeinsam Bilderbücher mit interessanten Abbildungen betrachtet, ein Lied singt oder Musik hört. Aber es geht auch darum, sich selbst aktiv an der Produktion kulturellen Sinns zu beteiligen, um in diesem Medium kommunizieren zu können, indem beispielsweise miteinander getanzt wird. Kulturelle Bildung meint nicht nur die Reproduktion eines Liedes durch Wiedergabe von Text und Melodie, sie zielt darüber hinaus auf einen inneren Prozess, in dem das Kind die kulturelle Form auf eigene Erfahrungen bezieht. Nur wenn hier eine Erfahrungsebene mit angesprochen ist, wenn etwa das Schlaflied auf getragene Weise mit fallender Melodie produziert wird, wenn also die Erfahrung des Ruhig- und Müdewerdens ernst genommen wird, dann kann es auch ein Schlaflied sein. Körper und Sinne, Emotionen, Denken und Erinnerung bilden sich im Mitsingen. Die Aufnahme und Beantwortung von Eindrücken ist dabei individuell verschieden und kulturspezifisch.

Die Kinder in der Krippe haben ein Lied über den Wind gelernt, nachdem sie beim Spaziergang auf einem Hügel den rauen Herbstwind gespürt hatten. Sie tanzten dann in der Krippe zu dem Lied ("Wind, Wind blase"), wiederholten den Refrain viele Male und wirbelten die am Tag zuvor gesammelten Blätter im Zimmer auf. So inszenierten sie den Wind in einem gemeinsamen Tanz und spürten ihn wieder am eigenen Leib. Heute sitzen zwei Mädchen, beide zweieinhalb Jahre alt, nebeneinander in ihren Schaukeln. Immer höher wollen sie hinaus, versuchen sich in einen gemeinsamen Schwung zu bringen und singen dazu immer wieder zwei Zeilen aus dem Lied über den Wind: "...und bläst du mir durchs Haar, ja das ist wunderbar, ja das ist wunderbar!" Sie bewegen sich im Rhythmus, steigern sich gegenseitig und strecken beim Schwung nach vorne ihre Köpfe lustvoll nach hinten, um den Wind in ihren Haaren spüren zu können.

Erfahrungen, Erinnerungen, körperliche Empfindungen und Gefühle werden verarbeitet und in eine kulturelle Form gebracht, die ihnen wiederum neue lustvolle Erfahrungen ermöglicht. Auch schon zuvor hatten sie beim Schaukeln den Wind gespürt, aber nun haben sie einen Ausdruck, eine eigene Gestaltungsform gefunden, die ihnen diese Erfahrung selbst zugänglich macht und noch einmal steigert.

Kinder sollten die Gelegenheit haben, vielfältige kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, denn Kinder sind Träger unserer, aber auch Schöpfer eigener Kulturen, wie Loris Malaguzzi, der langjährige Leiter der kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia (Italien) sagte. Diese Kompetenzen müssen als kulturbildend entdeckt und entwickelt werden.

In der frühen Kindheit ist kulturelle Bildung eine zentrale Form des Lernens, des Spielens und Gestaltens. Gestaltungs- und Ausdrucksformen werden entwickelt in den unterschiedlichen Künsten, mit verschiedenen Materialien. Formsprachen und Techniken werden kennengelernt und für Prozesse der Persönlichkeitsbildung fruchtbar gemacht.

Kinder brauchen dabei Erwachsene, die ihnen feinfühlig Resonanz geben und so antworten, dass in Interaktionen kleine Dialoge oder Geschichten entstehen, in denen Kinder sich selbstwirksam erfahren können. Von frühester Kindheit an sind Kinder Akteure in Geschichten, die ihnen erzählt werden, zum Beispiel: Jetzt machen wir einen Spaziergang, jetzt kommt der Nikolaus oder die Oma zu Besuch. Kindern werden – im günstigen Fall – Geschichten erzählt, in denen sie vorkommen, bis sie selbst Wörter einfügen können und nach und nach selbst zu Erzählern werden. Eine Geschichte wird durch ein Ereignis in Gang gesetzt und entwickelt dann eine eigene Dramaturgie: Es brennt, die Feuerwehr muss kommen, löschen und Menschen retten! In allen Spielhandlungen erzählen Kinder Geschichten, noch bevor sie sprechen können. Diese Geschichten wollen gehört, aufgegriffen und erzählt werden!

Beim Geschichten - Erzählen sind alle geistigen Fähigkeiten aktiv: Wünsche, Ängste, Gefühle, bisher erworbene Kenntnisse, Erlebnisse und Erfahrungen, kreative, fantastische und logische Fähigkeiten, Bewusstes und Unbewusstes verbinden sich miteinander. Durch das Geschichten Erfinden kann von gefestigten Denkstrukturen und vorgefassten Meinungen abgewichen werden, das Denken kann sich offener, flexibler und erfinderischer entfalten. Durch solche fantastischen Geschichten wird Realität aktiv bewältigt. Die Geschichten greifen Elemente aus der Wirklichkeit auf und verändern sie zum Besseren. Fantasien übersteigen und kontrastieren die tatsächliche Wirklichkeit und machen sie dadurch erfahrbar.

Ein Kind zeichnet im Alter von fünf Jahren immer wieder ähnliche Geschichten von Piraten oder Rittern, die irgendwo einen Schatz besitzen, der gut versteckt, vergraben oder in tiefen Kerkern verschlossen ist. Diesen kostbaren Schatz gilt es zu verteidigen mit allen Mitteln gegenüber den "Bösen". Grundmuster aus Märchen und Sagen werden hier weiter gesponnen. Ds Kind selbst fühlt sich wichtig und mit einer geheimen Mission betraut, wenn er sich in Rollenspielen gegen vermeintliche Angreifer wehrt. Hoffentlich wissen die anderen von seiner Geschichte, sonst würden seine Handlungen nicht sinnvoll erscheinen. Kinder beschäftigen sich in einer existenziellen Weise mit der Frage, wer sie selbst sind und sein können in den Ausdrucksformen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen.

Kultur stellt Formensprachen, Bilder, Dramaturgien und Melodien zur Verfügung, um hier nach Antworten zu suchen. Die äußere Welt wird in kulturellen Gestalten als Deutung der inneren Welt entworfen. So erst werden wir uns selbst zugänglich, können uns anderen mitteilen und im Medium symbolischer Artikulationsformen verständigen. Kulturelle Bildung ist immer auch Arbeit am Selbst- und am Weltbild.

2.2 Kulturelle Bildung als Teilhabe an kulturellen Lebensformen    

Kulturelle Bildung im weiteren Sinn kann als das Hineinwachsen in kulturelle Lebensformen und das Sich -Auseinandersetzen mit deren Sinngestaltungen verstanden werden. Der Ablauf eines gemeinsamen Mittagessens oder auch Formen der Begrüßung wären hier ebenso zu nennen wie etwa Gewohnheiten und Aufmerksamkeiten im Alltag. Wollen wir über Kultur sprechen, so müssen wir die Gestaltungen pluraler Lebensformen in der jeweiligen Form- und Bedeutungsvielfalt betrachten und einbeziehen. Wie aber wird kultureller Sinn erzeugt? Wie können junge Kinder an dieser Sinnentstehung beteiligt werden?

Zweifellos müssen sie dafür viel lernen, angefangen von den Praktiken des täglichen Lebens. Kulturelle Bildung ist ein eigen- und interaktiver (begleiteter, herausgeforderter oder selbstinitiierter) Prozess der Aufnahme, Auseinandersetzung, Verarbeitung und Beantwortung von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen kultureller Umwelt durch Kommunikation und Artikulation in Worten, Gesten, Handlungen und "Werken". Kulturelle Bildung ist zentral, um sich in einer Gruppe von Menschen bewegen, mit ihnen diskutieren, sich einbringen und mitgestalten zu können.

Kinder, die den Rhythmus eines Gesprächs nicht gut mitvollziehen können, bringen sich immer wieder an Stellen ein, an denen dies von den anderen Kindern als Störung empfunden wird. Sie werden aus dem Spiel ausgeschlossen, wenn sie sich in den Ideenfluss nicht sinnvoll einklinken können. So bleiben ihnen auch weitere Lerngelegenheiten, die sich aus dem gemeinsamen Spiel ergeben könnten, verschlossen. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund haben die Chance, wenn sie schon mit etwa einem Jahr eine Krippe oder Tagesstätte besuchen können, neben dem Spracherwerb auch diese kulturellen Praktiken im Alltag kennenzulernen.

2.3 Entwicklung kultureller Kompetenzen    

Neben der kulturellen Teilhabe ist auch die Entwicklung kultureller Kompetenzen in und durch die Künste hervorzuheben. In Bildern, Geschichten, Liedern und Tänzen finden sich kulturelle Sinnhorizonte, die für das Selbsterleben und Verstehen von Menschen zentral sind. Es geht hier nicht um Bastelangebote, die ein schon vorab bekanntes Modell einer Laterne zu St. Martin Schritt um Schritt nachvollziehen lassen, sondern es geht um die Begegnung von sehr jungen Kindern mit den unterschiedlichsten Formen der Künste. Theater, Bildende Kunst, Musik und Tanz stellen ganz eigene Ausdrucksformen dar, die Kinder kennenlernen sollten, um das jeweilige Erfahrungspotenzial ausloten und auf dessen weitere Möglichkeiten hin entfalten zu können.

Kinder haben viele Fähigkeiten und ein großes Interesse, unterschiedlichste Materialien genau zu erkunden, Umgangsformen zu entwickeln und die im Handeln entstehenden Fähigkeiten einzusetzen. Kulturelle Kompetenzen stellen zentrale "Kategorien" der Sinnerzeugung dar. Kulturellen Sinn gilt es zu erschließen, was bedeutet, dass Sinn "entschlüsselt" und auch reproduziert werden will, sodass die kulturellen Symbole und Produktionsformen kennengelernt und verstanden werden können – etwa indem man gemeinsam Bilderbücher mit interessanten Abbildungen betrachtet, ein Lied singt oder Musik hört.

Aber es geht auch darum, sich selbst aktiv an der Produktion kulturellen Sinns zu beteiligen, um in diesem Medium kommunizieren zu können, indem beispielsweise miteinander getanzt wird. Kulturelle Bildung meint nicht nur die Reproduktion eines Liedes durch Wiedergabe von Text und Melodie, sie zielt darüber hinaus auf einen inneren Prozess, in dem das Kind die kulturelle Form auf eigene Erfahrungen bezieht. Nur wenn hier eine Erfahrungsebene mit angesprochen ist, wenn etwa das Schlaflied auf getragene Weise mit fallender Melodie produziert wird, wenn also die Erfahrung des Ruhig- und Müdewerdens ernst genommen wird, dann kann es auch ein Schlaflied sein. Körper und Sinne, Emotionen, Denken und Erinnerung bilden sich im Mitsingen. Die Aufnahme und Beantwortung von Eindrücken ist dabei individuell verschieden und kulturspezifisch.

Ein Beispiel: Die Kinder in der Krippe haben ein Lied über den Wind gelernt, nachdem sie beim Spaziergang auf einem Hügel den rauen Herbstwind gespürt hatten. Sie tanzten dann in der Krippe zu dem Lied ("Wind, Wind blase"), wiederholten den Refrain viele Male und wirbelten die am Tag zuvor gesammelten Blätter im Zimmer auf. So inszenierten sie den Wind in einem gemeinsamen Tanz und spürten ihn wieder am eigenen Leib. Heute sitzen zwei Mädchen, beide zweieinhalb Jahre alt, nebeneinander in ihren Schaukeln. Immer höher wollen sie hinaus, versuchen sich in einen gemeinsamen Schwung zu bringen und singen dazu immer wieder zwei Zeilen aus dem Lied über den Wind: "...und bläst du mir durchs Haar, ja das ist wunderbar, ja das ist wunderbar!" Sie bewegen sich im Rhythmus, steigern sich gegenseitig und strecken beim Schwung nach vorne ihre Köpfe lustvoll nach hinten, um den Wind in ihren Haaren spüren zu können.

Erfahrungen, Erinnerungen, körperliche Empfindungen und Gefühle werden verarbeitet und in eine kulturelle Form gebracht, die ihnen wiederum neue lustvolle Erfahrungen ermöglicht. Auch schon zuvor hatten sie beim Schaukeln den Wind gespürt, aber nun haben sie einen Ausdruck, eine eigene Gestaltungsform gefunden, die ihnen diese Erfahrung selbst zugänglich macht und noch einmal steigert.

Kinder sollten die Gelegenheit haben, vielfältige kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, denn Kinder sind Träger unserer, aber auch Schöpfer eigener Kulturen, wie Loris Malaguzzi, der langjährige Leiter der kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio Emilia (Italien) sagte. Diese Kompetenzen müssen als kulturbildend entdeckt und entwickelt werden.

In der frühen Kindheit ist kulturelle Bildung eine zentrale Form des Lernens, des Spielens und Gestaltens. Gestaltungs- und Ausdrucksformen werden entwickelt in den unterschiedlichen Künsten, mit verschiedenen Materialien. Formsprachen und Techniken werden kennengelernt und für Prozesse der Persönlichkeitsbildung fruchtbar gemacht.

Kinder brauchen dabei Erwachsene, die ihnen feinfühlig Resonanz geben und so antworten, dass in Interaktionen kleine Dialoge oder Geschichten entstehen, in denen Kinder sich selbstwirksam erfahren können. Von frühester Kindheit an sind Kinder Akteure in Geschichten, die ihnen erzählt werden, zum Beispiel: Jetzt machen wir einen Spaziergang, jetzt kommt der Nikolaus oder die Oma zu Besuch. Kindern werden – im günstigen Fall – Geschichten erzählt, in denen sie vorkommen, bis sie selbst Wörter einfügen können und nach und nach selbst zu Erzählern werden. Eine Geschichte wird durch ein Ereignis in Gang gesetzt und entwickelt dann eine eigene Dramaturgie: Es brennt, die Feuerwehr muss kommen, löschen und Menschen retten! In allen Spielhandlungen erzählen Kinder Geschichten, noch bevor sie sprechen können.

Beim Geschichten - Erzählen sind alle geistigen Fähigkeiten aktiv: Wünsche, Ängste, Gefühle, bisher erworbene Kenntnisse, Erlebnisse und Erfahrungen, kreative, fantastische und logische Fähigkeiten, Bewusstes und Unbewusstes verbinden sich miteinander. Durch das Geschichten Erfinden kann von gefestigten Denkstrukturen und vorgefassten Meinungen abgewichen werden, das Denken kann sich offener, flexibler und erfinderischer entfalten. Durch solche fantastischen Geschichten wird Realität aktiv bewältigt. Die Geschichten greifen Elemente aus der Wirklichkeit auf und verändern sie zum Besseren. Fantasien übersteigen und kontrastieren die tatsächliche Wirklichkeit und machen sie dadurch erfahrbar.

Ein Kind zeichnet im Alter von fünf Jahren immer wieder ähnliche Geschichten von Piraten oder Rittern, die irgendwo einen Schatz besitzen, der gut versteckt, vergraben oder in tiefen Kerkern verschlossen ist. Diesen kostbaren Schatz gilt es zu verteidigen mit allen Mitteln gegenüber den "Bösen". Grundmuster aus Märchen und Sagen werden hier weiter gesponnen. Leo selbst fühlt sich wichtig und mit einer geheimen Mission betraut, wenn er sich in Rollenspielen gegen vermeintliche Angreifer wehrt. Hoffentlich wissen die anderen von seiner Geschichte, sonst würden seine Handlungen nicht sinnvoll erscheinen. Aber: Sind das nicht nur Fantasien? Können wir darauf verzichten? Kinder beschäftigen sich in einer existenziellen Weise mit der Frage, wer sie selbst sind und sein können in den Ausdrucksformen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen. Kultur stellt Formensprachen, Bilder, Dramaturgien und Melodien zur Verfügung, um hier nach Antworten zu suchen. Die äußere Welt wird in kulturellen Gestalten als Deutung der inneren Welt entworfen. So erst werden wir uns selbst zugänglich, können uns anderen mitteilen und im Medium symbolischer Artikulationsformen verständigen. Kulturelle Bildung ist immer auch Arbeit am Selbst- und am Weltbild.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59960/kulturelle-bildung-und-schule/ (17.12.2004)

3 Kulturelle Bildung und Ganztagsschulen    

Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig in den Bildungsalltag aufzunehmen. Kulturelle Bildung spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle.

"Die Ganztagsschule öffnet das Zeitgefängnis", prophezeite hoffnungsfroh Wolfgang Edelstein, ehemaliger Direktor des Berliner Max - Planck - Instituts für Bildungsforschung, vor einiger Zeit auf dem Kongress "Kinder zum Olymp" der Kulturstiftung der Länder. Vergleichsweise schlecht hatte das bundesdeutsche und österreichische Schulsystem zuvor im ersten PISA - Vergleich der OECD - Staaten in den schulischen Hauptfächern abgeschnitten. Es folgte eine Debatte um die Qualität des Bildungswesens. Vielerorts schaute man ebenso neiderfüllt wie neugierig auf die Schulsysteme Finnlands, Schwedens oder Kanadas, welche im OECD - Ländervergleich deutlich bessere Ergebnisse hatten erzielen können.

3.1 Anschluss an OECD -Staaten    

Im Zuge dieser Debatte bereiteten Akteure in Bund und Ländern einen grundlegenden Vorstoß vor: Die möglichst weitreichende Einführung der Ganztagsschule sollte helfen, den Anschluss an andere OECD - Staaten wiederherzustellen und insbesondere zu mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem beizutragen. Dennoch waren die Zielsetzungen der Akteure durchaus uneinheitlich. Protagonisten wollten zuvorderst einen familienpolitischen Impuls setzen und Eltern durch die Einführung der Ganztagsschule entlasten. Von der verlängerten Betreuungszeit erhofften sie sich, Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Andere sahen in den Reformbemühungen die lang ersehnte Gelegenheit für eine grundlegende pädagogische Reform des Schulsystems.

Formal sollte damit der Grundstein für eine nachhaltige Reform der Schulstruktur gelegt werden, hinter die zum heutigen Zeitpunkt kaum noch jemand zurückzukehren wagt. Die Hoffnungen der pädagogischen Reformer erfüllten sich bis zum heutigen Zeitpunkt allerdings nur teilweise: Die einzelnen Bundesländer stellten in unterschiedlichem Maße Unterstützungssysteme für werdende Ganztagsschulen zur Verfügung.

Auf der Bundesebene helfen Programme wie "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" den Ganztagsschulen und solchen, die es werden wollen, dabei, sich Impulse für die inhaltliche und pädagogische Weiterentwicklung ihrer Bildungsinstitution zu holen. Dabei stehen einige Schlüsselbegriffe besonders im Fokus des Interesses der Reformer: Raum, Zeit, Rhythmisierung, Kooperation, individuelle Förderung, Partizipation und Qualitätsentwicklung sind einige davon, die auch den Stellenwert kultureller Bildung in der Ganztagsschule befördern können.

Die durch die flächendeckende Mittagsversorgung sichergestellte Verlängerung des Schultags macht an einigen Orten eine Entzerrung des schulischen Vormittags möglich, die dem Biorhythmus der Schüler/-innen besser entspricht: Insbesondere gebundene Ganztagsschulen verwandeln bislang zeitlich starr festgelegte Unterrichtsstunden zu längeren Blöcken, zu flexiblen Morgen- oder Mittagseinheiten und schaffen damit auch Raum für Freiarbeit und Neigungsgruppen am Vormittag. Musikalischer Gruppenunterricht, künstlerische Arbeitsgemeinschaften unter Leitung von Lehrern und Künstlern als außerschulischen Partnern und das Projektlernen erhalten durch diese Reformbestrebungen einen neuen Stellenwert im Rahmen der Schule. Mindestens an diesen Schulen steht die Tür des von Wolfgang Edelstein beschriebenen Zeitgefängnisses weit offen.

An allen Ganztagsschulformen rückte die Frage der Kooperation mit außerschulischen Partnern ins Zentrum der Diskussion: Bei Musikschulen, in Jugendkunstschulen und in Projekten der Kinder- und Jugendkultur fürchtete man zunächst, das eigene Schülerklientel wegen des zeitlich verlängerten Schultags der Ganztagsschulen zu verlieren. Inzwischen haben sich vielfältige lang- wie kurzfristige Formen fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Kulturpädagogen, Kultureinrichtungen und Ganztagsschulen entwickelt: Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig und auf Augenhöhe in den Bildungsalltag aufzunehmen.

In diesen Kooperationen gibt es allerdings immer wieder eine Reihe von Klippen zu umschiffen: Gerade in intensiven und langfristigen Kooperationen stoßen noch immer unterschiedliche Verständnisse von Kultur und Kunst und verschiedene Auslegungen der Begriffe des Ästhetischen und der Bildung aufeinander. Individuelle Arbeitskulturen erschweren die Kommunikation und Zusammenarbeit. Nicht selten werden Künstler/-innen von ihren Partnerschulen aufgesogen und zu regulärem Lehrpersonal gemacht, um Lehrer im Alltag zu entlasten. An anderen Stellen findet Kooperation nicht auf Augenhöhe statt, wenn außerschulische Künstler/-innen keinen Zugang zu schulischen Entscheidungsprozessen bekommen.

Hier bedarf es in naher Zukunft neuer Modelle der lokalen Zusammenarbeit vor Ort. Eine mögliche Orientierung bietet das in der Jugendhilfe schon verbreitete Konzept der Sozialraumorientierung: Ganztagsschulen werden dabei zu offenen Mittelpunkten eines Gemeinwesens, Fachlehrer/-innen der künstlerischen Fächer zu Multiplikatoren und Koordinatoren der künstlerischen und kulturellen Arbeit vor Ort. Zumal individuelle Förderung auch an Ganztagsschulen noch ein dringendes Entwicklungsfeld darstellt, können gerade außerschulische Partner mit ihren Fähigkeiten und alternativen Arbeitsformen einen Beitrag dazu leisten, Schüler/-innen entsprechend ihrer persönlichen Entwicklungswünsche zu unterstützen. In neigungsorientierten Angeboten ist dies an vielen Ganztagsschulen mittlerweile auch im Vormittagsbereich möglich.

Schülerinnen und Schüler aktiv an wichtigen Entscheidungen in Schule und Unterricht zu beteiligen, stellt ein weiteres wichtiges pädagogisches Entwicklungsfeld der Ganztagsschule dar: Projekte und Vorhaben der kulturellen Bildung bieten hier besondere Möglichkeiten der Aktivierung und Partizipation von Schülern, Eltern und Gemeinwesen. Dennoch sind die Möglichkeiten der Ganztagsschule keine hinreichende Voraussetzung für die Umsetzung von partizipativen Vorhaben im Schulalltag: Auch Künstler und Kultureinrichtungen müssen hier ihre Arbeitsformen und Orientierungen überdenken, wenn sie Beteiligung und Selbststeuerung von Schülern in der Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen unterstützen wollen.

3.2 Raum und Zeit    

Im Zuge dieser Debatte bereiteten Akteure in Bund und Ländern einen grundlegenden Vorstoß vor. Die möglichst weitreichende Einführung der Ganztagsschule sollte helfen, den Anschluss an andere OECD - Staaten wiederherzustellen und insbesondere zu mehr Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem beizutragen. Dennoch waren die Zielsetzungen der Akteure durchaus uneinheitlich. Einige Protagonisten wollten zuvorderst einen familienpolitischen Impuls setzen und Eltern durch die Einführung der Ganztagsschule entlasten. Von der verlängerten Betreuungszeit erhofften sie sich, Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Andere sahen in den Reformbemühungen die lang ersehnte Gelegenheit für eine grundlegende pädagogische Reform des deutschen Schulsystems.

In Deutschland haben Bund und Länder in abgestimmtem Handeln mehr als 13.000 Baumaßnahmen an bestehenden oder werdenden Ganztagsschulen unterstützt. Mit beinahe 7.000 Schulen – überwiegend Grundschulen – sind dabei fast ein Fünftel aller deutschen Schulen zu Ganztagsschulen geworden, ein Drittel davon wiederum allein in Nordrhein -Westfalen. Dabei handelt es sich bei der deutlichen Mehrheit dieser Einrichtungen um "Offene Ganztagsschulen", in denen Nachmittagsangebote freiwillig sind und den herkömmlichen Schulunterricht ergänzen. Nur rund ein Drittel der entstandenen neuen Ganztagsschulen sind teilgebundene oder voll gebundene Einrichtungen, in denen entweder ein Teil der Schüler/-innen oder alle verpflichtend am Ganztagsprogramm teilnehmen.

Formal wurde damit der Grundstein für eine nachhaltige Reform der deutschen Schulstruktur gelegt, hinter die zum heutigen Zeitpunkt kaum noch jemand zurückzukehren wagt. Die Hoffnungen der pädagogischen Reformer erfüllten sich bis zum heutigen Zeitpunkt allerdings nur teilweise: Die einzelnen Bundesländer stellten in unterschiedlichem Maße Unterstützungssysteme für werdende Ganztagsschulen zur Verfügung.

Auf der Bundesebene helfen Programme wie "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" den Ganztagsschulen und solchen, die es werden wollen, dabei, sich Impulse für die inhaltliche und pädagogische Weiterentwicklung ihrer Bildungsinstitution zu holen. Dabei stehen einige Schlüsselbegriffe besonders im Fokus des Interesses der Reformer wie Raum, Zeit, Rhythmisierung, Kooperation, individuelle Förderung, Partizipation und Qualitätsentwicklung sind einige davon, die auch den Stellenwert kultureller Bildung in der Ganztagsschule befördern können.

Die durch den Bund finanzierte räumliche Umgestaltung des Schulgebäudes zur Ganztagsschule sorgte insbesondere im Westen Deutschlands für eine Ergänzung des schulischen Angebotes um eine Mittagsmahlzeit und ermöglichte die Verlängerung des Schultages in den Nachmittag hinein. In den Neuen Bundesländern waren diese Möglichkeiten vielerorts noch aus der Vor-Wendezeit? vorhanden. Hier und an einer Reihe alteingesessener Ganztagsschulen konnte mit den Baumitteln des Bundes in eine Raumgestaltung nach pädagogischen Gesichtspunkten investiert werden. Es entstanden freie Lernorte, Gruppenarbeitsräume, aber auch Bibliotheken, neue Musikräume und Schulaulen zur Förderung kultureller Bildung.

Die durch die flächendeckende Mittagsversorgung sichergestellte Verlängerung des Schultags macht an einigen Orten eine Entzerrung des schulischen Vormittags möglich, die dem Biorhythmus der Schüler/-innen besser entspricht: Insbesondere gebundene Ganztagsschulen verwandeln bislang zeitlich starr festgelegte Unterrichtsstunden zu längeren Blöcken, zu flexiblen Morgen- oder Mittagseinheiten und schaffen damit auch Raum für Freiarbeit und Neigungsgruppen am Vormittag. Musikalischer Gruppenunterricht, künstlerische Arbeitsgemeinschaften unter Leitung von Lehrern und Künstlern als außerschulischen Partnern und das Projektlernen erhalten durch diese Reformbestrebungen einen neuen Stellenwert im Rahmen der Schule. Mindestens an diesen Schulen steht die Tür des von Wolfgang Edelstein beschriebenen Zeitgefängnisses weit offen.

An allen Ganztagsschulformen rückte die Frage der Kooperation mit außerschulischen Partnern ins Zentrum der Diskussion: Bei Musikschulen, in Jugendkunstschulen und in Projekten der Kinder- und Jugendkultur fürchtete man zunächst, das eigene Schülerklientel wegen des zeitlich verlängerten Schultags der Ganztagsschulen zu verlieren. Inzwischen haben sich vielfältige lang- wie kurzfristige Formen fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Kulturpädagogen, Kultureinrichtungen und Ganztagsschulen entwickelt: Ganztagsschulen bieten erweiterte zeitliche und räumliche Möglichkeiten, sich für das schulische Umfeld zu öffnen und andere Professionen langfristig und auf Augenhöhe in den Bildungsalltag aufzunehmen.

In diesen Kooperationen gibt es allerdings immer wieder eine Reihe von Klippen zu umschiffen: Gerade in intensiven und langfristigen Kooperationen stoßen noch immer unterschiedliche Verständnisse von Kultur und Kunst und verschiedene Auslegungen der Begriffe des Ästhetischen und der Bildung aufeinander. Individuelle Arbeitskulturen erschweren die Kommunikation und Zusammenarbeit. Nicht selten werden Künstler/-innen von ihren Partnerschulen aufgesogen und zu regulärem Lehrpersonal gemacht, um Lehrer im Alltag zu entlasten. An anderen Stellen findet Kooperation nicht auf Augenhöhe statt, wenn außerschulische Künstler/-innen keinen Zugang zu schulischen Entscheidungsprozessen bekommen.

Hier bedarf es in naher Zukunft neuer Modelle der lokalen Zusammenarbeit vor Ort. Eine mögliche Orientierung bietet das in der Jugendhilfe schon verbreitete Konzept der Sozialraumorientierung: Ganztagsschulen werden dabei zu offenen Mittelpunkten eines Gemeinwesens, Fachlehrer/-innen der künstlerischen Fächer zu Multiplikatoren und Koordinatoren der künstlerischen und kulturellen Arbeit vor Ort. Zumal individuelle Förderung auch an Ganztagsschulen noch ein dringendes Entwicklungsfeld darstellt, können gerade außerschulische Partner mit ihren Fähigkeiten und alternativen Arbeitsformen einen Beitrag dazu leisten, Schüler/-innen entsprechend ihrer persönlichen Entwicklungswünsche zu unterstützen. In neigungsorientierten Angeboten ist dies an vielen Ganztagsschulen mittlerweile auch im Vormittagsbereich möglich.

Schülerinnen und Schüler aktiv an wichtigen Entscheidungen in Schule und Unterricht zu beteiligen, stellt ein weiteres wichtiges pädagogisches Entwicklungsfeld der Ganztagsschule dar: Projekte und Vorhaben der kulturellen Bildung bieten hier besondere Möglichkeiten der Aktivierung und Partizipation von Schülern, Eltern und Gemeinwesen. Dennoch sind die Möglichkeiten der Ganztagsschule keine hinreichende Voraussetzung für die Umsetzung von partizipativen Vorhaben im Schulalltag: Auch Künstler und Kultureinrichtungen müssen hier ihre Arbeitsformen und Orientierungen überdenken, wenn sie Beteiligung und Selbststeuerung von Schülern in der Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen unterstützen wollen.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59973/kulturelle-bildung-an-ganztagsschulen-raum-und-zeit-fuer-mehr/ (17.12.2004)

4 Jugend, Kultur und Schule    

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Kooperationen zwischen Schulen und Trägern der kulturellen Bildung entstanden. Sie nutzen die Potenziale von kultureller Bildung in der Schule, um Räume zu öffnen, die für alle Beteiligten neue Bildungserfahrungen möglich machen.

4.1 Beispielhafte Förderprogramme    

Einzelne deutsche Bundesländer unterstützen kulturelle Bildungsangebote in allgemein bildenden Schulen mittlerweile mit Förderprgrammen wie "Kultur und Schule" in Nordrhein - Westfalen oder dem Programm "Pilotschule Kultur". Insgesamt hat das Themenfeld "Kulturelle Bildung in der Schule" deutlich an Dynamik gewonnen. Angesichts ihrer Potenziale für zeitgemäße Lehr- und Lernformen, für umfassende Kompetenzentwicklung und für die Förderung von Teilhabegerechtigkeit nimmt kulturelle Bildung einen zentralen Stellenwert ein, wenn es um vernetzte Bildungsangebote und Schulkooperationen geht.

Noch vor einigen Jahren stellte diese Form der "Hochkonjunktur" keine Selbstverständlichkeit dar. Als nach den für das Bildungssystem ernüchternd ausfallenden PISA - Ergebnissen mit dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" 2003 der bundesweite Ganztagsschulausbau begann, setzten die Umbrüche in den Ländern und Kommunen auch für außerschulische Träger und Einrichtungen neue Bewegungen in Gang. Für kulturelle Kinder- und Jugendbildung bedeuteten die Bildungs- und jugendpolitischen Neuerungen Veränderungsprozesse mit weitreichenden Folgen. Die Kooperationen mit den neuen Ganztagsschulen gingen zumeist deutlich über die in langer Tradition gepflegte, zeitlich begrenzte und projektbezogene Zusammenarbeit der bisherigen Praxis hinaus. Angestrebt wurde die Schaffung eines "gemeinsamen Dritten". Für zahlreiche außerschulische Fachkräfte galt das erklärte Ziel, an einer Schulreform mitzuwirken und die Bildungswirkungen von Schule und Jugendkulturarbeit unter dem Dach eines "neuen Hauses des Lernens" zusammenzuführen.

4.2 Themenfelder    

Eine große Stärke der Kooperationen zwischen Kultur und Schule liegt in der Heterogenität des Themenfeldes. Gleichzeitig stellt diese eine zentrale Herausforderung dar, die sich alleine aus der Vielseitigkeit der Kooperationspartner ergibt: Vereine, Verbände, Einrichtungen, Institutionen in freier oder öffentlicher Trägerschaft vom Spielmobil bis zum Konzerthaus, ebenso einzelne Pädagogen/-innen, wie Tanz- oder Theaterpädagogen/-innen, und freischaffende Künstler/-innen aus allen Kunst- und Kultursparten treffen auf offene, teilweise gebundene und gebundene Ganztagsschulformen in wahlweise additivem, integrativem oder kooperativem System. Gleichzeitig bietet der schulische Kooperationspartner im föderalen Deutschland nicht weniger als 16 unterschiedliche Ganztagsschulkonzepte und damit unterschiedlichste bildungspolitische Voraussetzungen und Bedingungen für Kooperationen.

Offensichtlich lernte das Praxisfeld aus der Erfahrung, dass die Kooperationspraxis ihre Wirkungen nur sehr punktuell entfaltet, solange sie keine nachhaltige Verankerung in den Strukturen der Schule und deren sozialräumlichem Umfeld erfährt. Zunehmend erkannten die Akteure, dass die neu entstandenen Ganztagsschulen ein geeignetes Dach bieten, unter dem die Fäden lokaler Bildungsnetzwerke zusammenlaufen können. Gleichzeitig wuchs bei den Trägern und Einrichtungen der kulturellen Bildung, nun bereits seit einigen Schuljahren kooperationserprobt, der Anspruch an den Bildungspartner Schule. Der Weg zu einer neuen Lehr- und Lernkultur und damit zur konsequenten Realisierung umfassender Bildungskonzepte erfordert Entwicklungsschritte, welche die gesamte Schulkultur und -struktur betreffen. Kulturelle Bildung bietet vielfältige Möglichkeiten, derartige Veränderungsprozesse zu gestalten.

4.3 Entwicklung    

Rückblickend auf die rasante Entwicklungsgeschichte der Kooperationspraxis seit 2003 und der Bildungserfolge, die zahlreiche Kooperationen zwischen Kulturträgern und Schulen zu verzeichnen haben, scheint die Bezeichnung "Hochkonjunktur" nicht übertrieben. Gleichzeitig haftet dem Begriff der bittere Beigeschmack einer zeitlichen Begrenzung an. Zukünftig muss es gelten, einen nachhaltigen Strukturrahmen für diese Kooperationen zu schaffen. Vor allem lokalen Bildungslandschaften, in denen regionale Träger aus den Bereichen Jugendhilfe, Kultur und Bildung eng verzahnt zusammenarbeiten, kommt für die strukturelle Verankerung ressortübergreifender Bildungsangebote eine zentrale Bedeutung zu.

Vielerorts stellen Kulturkooperationen den Ursprung derartiger Netzwerke dar, Kulturträger fungieren als Motor für die Netzwerkbildung und die Inszenierung groß angelegter Bildungsallianzen. Auch die Bundespolitik macht sich die Stärkung von Bildungsangeboten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule zur Aufgabe.

Im Folgenden werden drei Modelle gelungener Kooperationspraxis vorgestellt.

4.3.1 Modell 1 - Über den Holm    

Ausbildung von rund "20 Young Coaches of Artistic and intercultural intervention"

Der Titel ist Programm. Der Begriff "über den Holm" kommt aus dem Sportgeschehen und bezeichnet den erfolgreichen Überschwung über den Barrenholm als Voraussetzung für die nächste Übung. Die Hector - Peterson - Oberschule in Berlin hat sich gemeinsam mit dem zirkuspädagogischen Verein "GrenzKultur?" das feste Ziel gesetzt, ihren Schülerinnen und Schülern das notwendige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. "Die Jugendlichen treffen bei uns im Zirkuszelt auf Profis, die ihnen neue Horizonte eröffnen, ihnen dabei helfen, ihre bisherigen Grenzen zu überschreiten", so der Projektleiter Karl Köckenberger. "Unsere Trainer bringen den Jugendlichen nicht nur Disziplinen wie Trapez, Trampolin, Kugellauf, Jonglage, Breakdance etc. bei, sondern sie zeigen ihnen auch Berufe wie Tischler/-in, Schlosser/-in, Veranstaltungstechniker/-in, Fotograf/-in oder Schneider/-in", beschreibt Köckenberger das Geschehen im Zirkuszelt.

Das Projekt richtet sich an mehrfach benachteiligte und "schuldistanzierte" Jugendliche. Sie werden selbst zu Multiplikatoren und Multiplikatorinnen für Artistik und interkulturelle Interventionen ausgebildet. Während und nach dem Projekt agieren sie an ihrer Schule als jugendliche "Kulturbotschafter/-innen" im Sinne eines Keywork - Ansatzes. Das Angebot will Kinder, Jugendliche sowie Eltern in ihrer Partizipationskraft stärken, Kreisläufe von Gewaltstrategien und Rückzug durchbrechen. Dabei setzen die Zirkusleute zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern auf Berufsorientierung und Selbstkompetenz.

Das Projekt besteht aus einem intensiven wöchentlichen Zirkustraining (Wahlpflichtfach Sport/ Zirkusartistik), Projektwochen, einer internationalen Begegnung, öffentlichen Aufführungen und einem Workshop für interkulturelle soziale Intervention. Lehrer/-innen und Schulsozialarbeiter/-innen sind intensiv in die Zirkusproben wie auch in die Einheiten zur Berufsvorbereitung eingebunden. Die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen ist eine wichtige Säule des erfolgreichen Projekts. "Doch die wichtigste Vielfalt, die die Schüler und Schülerinnen bei uns entdecken, ist die Vielfalt in ihrer eigenen Persönlichkeit", betont Karl Köckenberger.

"Auch sogenannte Lernverweigerer erleben Lust am Lernen, sie übernehmen Verantwortung, lernen Mitbestimmung, bekommen mehr Selbstvertrauen, lernen Konflikte zu lösen, sie finden offene Ohren für Probleme und Respekt vor ihren Stärken und ihrer Identität." Verantwortung übernehmen, Erfolge haben und gesellschaftliche Anerkennung bekommen – das stärkt das Selbstvertrauen und wirkt durch ein kluges Multiplikatoren - Modell in das Zusammenleben in der Schule hinein. "Der Kreislauf der Chancenungerechtigkeit kann durchbrochen werden", ist Köckenberger überzeugt.

4.3.2 Modell 2 - Kon Takt – ein integratives Bewegungstheater    

Eine interdisziplinäre Kooperation zwischen der Förderschule Evangelisch - lutherisches Wichernstift, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und vielen weiteren Partnern.

"Kon Takt" ist ein integratives und generationsübergreifendes Tanz- und Bewegungstheater, das für die Einübung kultureller Toleranz, für generationsübergreifende Kommunikation und Chancengleichheit bei Aus- und Weiterbildung steht. "KonTakt?" entstand auf dem Land und wurde auch dort aufgeführt. Das Projekt zeigt, dass kulturelle Bildung auf hohem Qualitätsniveau auch abseits der großen Metropolen möglich ist.

Zur Musik von Nikolai Rimsky - Korsakovs "Scheherazade" und eigens für das Projekt komponierten musikalischen Intermezzi tanzten 97 Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Rahmen eines von Choreograf Alexander Hauer entwickelten Bewegungstheaters. Für das Projekt wurden völlig verschiedene Gruppierungen erfolgreich über die Stadtgrenzen Bremens hinaus vernetzt: ein international agierendes Spitzenorchester, vier verschiedene Primar- und Sekundar - Schultypen, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ein Verein für Menschen mit Behinderung, eine Gruppe Landfrauen und freischaffende Künstler/-innen.

"Kon Takt" führte diese Gruppen zusammen und ermöglichte so die Begegnung zwischen diesen verschiedenen Lebensweisen und -perspektiven – mit und ohne "Handicap". Durch "Kon Takt" wurden bestehende Vorurteile zwischen Gruppen, die im Alltag wenig Berührungspunkte haben, abgebaut und in ein vertrauensvolles, voneinander profitierendes Miteinander verwandelt. Mittlerweile wurden fast alle Förderschüler/-innen, die am Projekt teilgenommen haben, wieder in eine Regelschule integriert.

Die international renommierte Deutsche Kammerphilharmonie Bremen setzt neue Maßstäbe in der kulturpädagogischen Vermittlungsarbeit (hoch) kultureller Einrichtungen: Im Rahmen ihres Education - Programms betritt das Orchester immer wieder Neuland und verbindet unterschiedlichste Gruppen und Bereiche. Mit dem Umzug in die Gesamtschule Bremen - Ost hat das Orchester ein deutliches Signal gesetzt. Die Philharmoniker arbeiten im Rahmen von verschiedenen Projekten nun noch enger mit den Schülern/-innen und Lehrern/-innen zusammen.

4.3.3 Modell 3 - Tamars wundersame Rettung 1944    

Eine Kooperation zwischen dem Lern- und Gedenkort Jawne und der Kölner Grundschule Mülheimer Freiheit 99

Wie Tamars wundersame Rettung 1944 vonstatten ging, erfuhren die Schülerinnen und Schüler aus der dritten und vierten Klasse der Kölner Gemeinschaftsgrundschule Mülheimer Freiheit aus allererster Hand. Viermal besuchte die Zeitzeugin Tamar Dreifuss die Kinder im Schulunterricht und berichtete über ihre jüdische Kindheit in Wilna, die Verfolgung nach Kriegsbeginn und über ihre wundersame Rettung. Gehört, erfragt, gezeichnet und aufgeschrieben haben die Kinder die aufregende und traurige Geschichte der Holocaust - Überlebenden.

Auf mehreren Ebenen wurde das Projekt in weitere Aktivitäten der Schule eingebunden: Die Kinder gingen auf Spurensuche im Stadtteil, sie verarbeiteten Tamar Dreifuss' Geschichte im Deutsch- und Kunstunterricht im Rahmen von Aufsätzen und Zeichnungen. Durch eine dem Entwicklungsstand der Kinder angepasste Vermittlung des Themas "Nationalsozialismus" lernten die Kinder rassistische, diskriminierende und die Menschenwürde verachtende Äußerungen und Handlungen zu erkennen und Handlungsstrategien zu entwickeln. Die konkrete Lebensgeschichte der Zeitzeugin bildete eine Brücke zwischen einer lange zurückliegenden Zeit und der Lebenswirklichkeit der Kinder.

Der Kölner Lern- und Gedenkort Jawne ermöglichte dieses ungewöhnliche Bildungsprojekt in Zusammenarbeit mit seiner Partnerschule, seinem Künstlerteam und Tamar Dreifuss. Ein Fotograf und eine Künstlerin arbeiteten gemeinsam mit der Klassenlehrerin sowie einem Pädagogen und einer Historikerin des Lern- und Gedenkorts in einem Team. Der Impuls für diese Zusammenarbeit kam von der Zeitzeugin selber: Ihr Wunsch war es, die Geschichte ihrer Rettung in einem Kinderbuch zu erzählen. So mündete das Projekt in einem Buch, mit dem sich mittlerweile eine Parallelklasse beschäftigt. Das Projekt unterstützt in nachhaltiger Form die Friedens- und Demokratieerziehung dieser Grundschule.

Für ein gerechtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen stellt sich an alle mit Bildungsfragen Betrauten die Aufgabe, Lernfelder zu ermöglichen, die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines eigenständigen Handelns, Denkens und Fühlens vermitteln. Internationale Evaluationen und Monitoringverfahren haben jedoch eine mangelnde Wirksamkeit der Schulen vor Augen geführt. 20 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler konnten sie nicht die notwendigen Bildungserfolge vermitteln. Dass diese 20 Prozent nicht etwa nur über ein lückenhaftes Fachwissen verfügen, sondern in der grundsätzlichen Entwicklung einer Bildung als Lebenskompetenz nicht ausreichend unterstützt wurden.

Hier steht nicht nur die Förderung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Mittelpunkt, sondern auch die Basiskompetenz, sich orientieren und eigenständig handeln zu können. So müssen etwa vier Fünftel der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss eine Qualifizierungsmöglichkeit im Übergangssystem wahrnehmen. Von den Absolventen mit Hauptschulabschluss mündet etwa die Hälfte im Übergangssystem. Selbst bei Jugendlichen mit Mittlerem Schulabschluss muss über ein Viertel mit Qualifizierungsmaßnahmen im Übergangsystem Vorlieb nehmen.

Die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen verlangt daher ein Bildungskonzept, das Jugendliche und Kinder im doppelten Sinne stark fürs Leben macht. Alle Kinder und Jugendlichen brauchen die Möglichkeit, Kulturtechniken wie etwa Lesen, Rechnen und Schreiben entsprechend ihrer individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse zu erlernen und zu üben. Dies stellt eine zentrale Voraussetzung für die pragmatische Handlungsfähigkeit des Subjekts dar. Neben einem soliden Schulwissen brauchen Kinder und Jugendliche jedoch mehr. Für eine gelingende Lebensführung brauchen sie Möglichkeitsräume, um ihre kreativen Stärken zu entdecken und spielerisch soziale Kompetenzen zu entwickeln. Denn die aktuelle gesellschaftliche Situation verlangt immer mehr, dass Jugendliche und Kinder in der Lage sind, ihr Leben im Hinblick auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte immer wieder neu zu gestalten.

Die Fähigkeit zu einer fortschreitenden, lebenslangen Identitätsarbeit erfolgt im Schnittfeld bewussten Erfahrens des eigenen Fühlens, Denkens und Handelns sowie einer reflexiven Anwendung des bewusst Durchlebten als Eigenes. Das verlangt Gelegenheiten zum freien Experimentieren und Spielen. Hierin liegt ein wichtiger Grund für die Notwendigkeit von Bildungspartnerschaften von Kultur und Schule. Handlungsfähigkeit als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe braucht ein Ineinandergreifen beider Bildungswege, des formalen schulischen wie des nonformalen der kulturellen Bildung.

Kulturelle Bildung setzt mit dem Ziel der Förderung kreativer und sozialer Kompetenzen da an, wo der Mensch immer schon ist, an seinen sinnlichen Vollzügen. In der künstlerischen Praxis bietet Kulturelle Bildung ein umfangreiches Instrumentarium an Erfahrungs- und Kommunikationsmöglichkeiten, deren Besonderheit darin liegt, dass sie den Handlungsvollzug selbst in den Mittelpunkt stellen.

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche faszinierende Kooperationen zwischen Schulen und Trägern der kulturellen Bildung entstanden. Sie nutzen die beschriebenen Potenziale von kultureller Bildung in der Schule, um Räume zu öffnen, die für alle Beteiligten neue Bildungserfahrungen möglich machen. Und sie verweisen eindringlich darauf, dass kulturelle Bildung in einem zukunftsfähigen Bildungskonzept nicht bloß eine schmackhafte Beigabe, sondern ein prinzipieller und originärer Bestandteil sein muss.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59977/bildungspartnerschaften-im-querschnitt-jugend-kultur-und-schule/ (17.2.2024)

4.4 Literaturhinweis    

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein Indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu den Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld

Becker, H. (2007): "Auf dem Weg zur neuen Bildung – Trägererfahrungen evaluiert", in: Kelb V. (Hrsg.): Kultur macht Schule. Innovative Bildungsallianzen – Neue Lernqualitäten. Schriftenreihe Kulturelle Bildung, Vol. 3. München

Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. (Hrsg.) (2009): "Mit Kunst und Kultur Schule gestalten", Remscheid

Kelb, Viola (Hrsg.) (2007): "Kultur macht Schule. Innovative Bildungsallianzen – Neue Lernqualitäten. Schriftenreihe Kulturelle Bildung, Vol. 3. München

Stolz, H.-J. (2009): Gelingensbedingungen lokaler Bildungslandschaften. Die Perspektive der dezentrierten Ganztagsbildung, in: Bleckmann P. / Durdel J. (Hrsg.): Lokale Bildungslandschaften. Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 105-119

5 Kunst in der Kulturellen Bildung    

Was ist das Besondere am Arbeitsfeld Bildende Kunst und Kunstvermittlung im Gesamtzusammenhang der kulturellen Bildung? Und wo gibt es Berührungspunkte zur Politischen Bildung? Diesen Fragen wird auf vielfältige Weise nachgegangen.

Die Auseinandersetzung mit dem Sichtbaren und mit Ästhetik steht im Zentrum von Kunstvermittlung und ästhetischer Bildung. Bilder, Installationen und Skulpturen eignen sich sehr gut als Anlass für Gespräche und Diskussionen, sie können Inhalte und auch Widersprüche veranschaulichen, Fragen aufwerfen und Emotionen wecken.

Die Frage, wie man mit Kunst im Ausstellungs- oder Unterrichtsraum umgeht, kann jedoch sehr unterschiedlich beantwortet werden. Zahlreiche Künstler setzen sich inhaltlich intensiv mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander, und auch die Organisation und Gestaltung von Ausstellungen ist eine politische Angelegenheit, in der sich Fragen nach der Einbeziehung und Beteiligung der Zielgruppen stellen.

In der praktischen Arbeit steht zudem das Selber - Machen im Vordergrund. Die Teilnehmenden gestalten etwas, präsentieren es anschließend und sprechen darüber. Dabei können verschiedenste Medien und Formate, von der Gartenskulptur bis zur Gestaltung eines digitalen, virtuellen Selbstporträts, zum Einsatz kommen, wie die vorgestellten Methoden und Praxisbeispiele zeigen.

5.1 Kunstvermittlung im Museum    

Die museale Kunstvermittlung erhält nach einer Konsolidierungsphase, die ebenfalls an reformpädagogische Ideen anknüpfte, seit Ende der 1990er-Jahre unter dem Stichwort "Künstlerische Kunstvermittlung" neue Impulse. Künstlerinnen und Künstler, welche als Vermittlerinnen und Vermittler in Ausstellungsinstitutionen tätig werden, nutzen häufig dekonstruktive, performative und bildgebende Verfahren aus der Gegenwartskunst sowie konstruktivistische Lernzugänge, um Museen und Ausstellungen gemeinsam mit den Teilnehmenden (die zunehmend aus sehr unterschiedlichen Gesellschafts- und Altersgruppen stammen, wobei Kinder und Jugendliche weiterhin die Mehrheit bilden) zu hinterfragen sowie auf eigenständige Weise anzueignen und umzudeuten.

Sie widersprechen damit einer Tradition der Museumspädagogik, die auf Verführung und "Niedrigschwelligkeit" setzt, um das "Publikum von morgen" heranzubilden. Das Interesse, Vermittlung demgegenüber als die Institutionen hinterfragende und letztlich auch transformierende Praxis zu entwerfen, hat ernste Hintergründe. Es liegen Forschungen darüber vor, dass die Geschichte von Ausstellungsinstitutionen mit dem Kolonialismus und der Ausbildung und Erhaltung national -identitär verfasster Disziplinargesellschaften nordwestlicher Prägung verwoben ist. Sie deswegen zu schließen, würde jedoch bedeuten, eine Chance zu verspielen: Gerade aufgrund ihrer Verstricktheit können sie auch Akteure und Orte für Veränderung sein. Eine kritische, auch künstlerisch informierte Vermittlungsarbeit kann wesentlich dazu beitragen, die gegenwärtig häufig beschworene Vision des Museums als "Kontaktzone" zu verwirklichen.

Spätestens an dieser Stelle scheinen mögliche Schnittstellen von Kunstvermittlung und Politischer Bildung auf. Mit Blick auf die durch Globalisierungsprozesse geprägte Migrationsgesellschaft wird dabei eine Diskussion über den Kanon, der vermittelt wird, unausweichlich. Es stellt sich die Frage, ob der überlieferte westeuropäisch – nordamerikanisch geprägte Bilderkanon der Vielschichtigkeit visueller Kultur in der Gegenwart entspricht, oder ob eine andere Form eines Bild - Repertoires, das sich permanent in Veränderung befindet, das mit allen Beteiligten stets zu reflektieren wäre und das sich möglicherweise eher über Themen als über einzelne Werke erschliessen ließe, überfällig wäre. Diese Frage betrifft die schulische wie die außerschulische Kunstvermittlung mit gleicher Dringlichkeit.

5.2 Bildungsauftrag und Besucherorientierung    

Ob Museen, Theater oder Literaturhäuser, sie alle stehen heute vor demselben Problem, die Besucher langfristig zu binden – und dabei den kulturellen Bildungsauftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Nur durch eine konsequente Vorgehensweise kann dies gelingen.

Bundesrepublik Deutschland und Österreich verstehen sich als "Kulturstaat". Deshalb fördert die öffentliche Hand Kunst und Kultur im Bund, in den einzelnen Bundesländern und in den Kommunen. Öffentliche Theater werden subventioniert, nur rund 16 Prozent erwirtschaften sie aus eigener Kraft. In anderen Ländern, etwa den angelsächsischen, insbesondere in den USA, ist die Situation dagegen völlig anders – hier hält sich der Staat extrem zurück und überlässt dem sogenannten Kulturmarkt die Bereitstellung entsprechender Güter und Dienstleistungen.

Warum aber fördert der Staat Kunst und Kultur in diesem Umfang und überlässt dies nicht dem Markt? Schon der "Klassiker" des Wirtschaftsliberalismus, Adam Smith, stellte in seinem erstmals 1776 veröffentlichten Werk über den Wohlstand der Nationen wörtlich fest, dass neben der "unsichtbaren Hand" des Marktes, die die Wirtschaft regelt, eine wichtige "Aufgabe des Staates darin besteht, solche öffentlichen Anlagen und Einrichtungen aufzubauen und zu unterhalten, die, obwohl sie für ein großes Gemeinwesen höchst nützlich sind, ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug für eine oder mehrere Privatpersonen sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken, weshalb man von ihnen nicht erwarten kann, dass sie diese Aufgabe übernehmen."

Diese "öffentlichen Anlagen und Einrichtungen" stiften also – aus Sicht des Staates bzw. der Gesellschaft – einen hohen gewünschten öffentlichen Nutzen und werden genau aus diesem Grund mit öffentlichen Mitteln gefördert, da sie ansonsten nicht ausreichend hergestellt bzw. nachgefragt werden. Man nennt sie deshalb auch "meritorische Güter". In Deutschland und Österreich zählen etwa hier dazu u.a. die Sozialversicherung, die gesetzliche Alters- und Gesundheitsvorsorge, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, der öffentlich - rechtliche Rundfunk, Bildung – und eben auch Kunst und Kultur. Was ein meritorisches Gut ist, steht indes nicht allgemein fest, sondern ist Ergebnis eines öffentlichen, politischen Diskurses, der von Land zu Land, von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich geführt wird, wie etwa die schon seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussionen über eine allgemeine, flächendeckende Gesundheitsfürsorge in den USA zeigen.

Die mehr oder weniger offizielle Begründung des kulturellen Bildungsauftrages findet sich in der Weimarer Klassik, vor allem bei Schiller und hier etwa in seinen Schriften zur "Ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts". In seiner 1802 veröffentlichten programmatischen Schrift "Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet" schreibt Schiller: "Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staates eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele." In dieser Selbstdefinition als "Kulturstaat" unterscheidet man sich deutlich von anderen europäischen Staaten – und hier liegt die zweite, historisch - politische Begründung des kulturellen Bildungsauftrages.

Während beispielsweise Frankreich sein Selbstbild in der "Nation" bzw. der "République", England im "Empire" oder "Commonwealth" findet, waren und sind in Deutschland Kunst und Kultur zentrale Elemente des eigenen gesellschaftlichen und vor allem politischen Selbstverständnisses. Die so gänzlich unterschiedliche Entwicklung in Deutschland im Vergleich zu England und Frankreich resultiert aus den das 17. und 18. Jahrhundert bestimmenden Fragen erstens der nationalen Einheit und zweitens der politischen Rolle des Bürgertums.

IT - Hinweis

https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/60324/kunst-in-der-kulturellen-bildung/ (17.12.2004)

6 Kulturelle Bildung in Österreich    

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung bietet mit Kultur - Bildung die umfangreichste Kunst- und Kulturvermittlungsinitiative für Schulen in Österreich an.

Künstler/innen aller Kunstsparten arbeiten im Rahmen der unterstützten Projekte mit Schülerinnen und Schülern impulsgebend im Rahmen des Unterrichts – innerhalb und außerhalb der Schule – zusammen. Der Kompetenzerwerb der Schüler/innen durch kulturelle Bildungsprozesse tritt stärker in den Mittelpunkt.

Zu den Zielen von Kultur - Bildung gehören

  • die Stärkung der kulturellen Bildung an Schulen sowie der gemeinsamen und individuellen Lern- und Lehrprozesse von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und Kunst- und Kulturschaffenden
  • Unterstützung für Lehrkräfte aller Fächer und Schularten bei der innovativen Unterrichtsgestaltung und Schulentwicklung in Zusammenarbeit mit Kunst- und Kulturschaffenden aller Sparten
  • Unterstützung der aktiven und chancengerechten Teilhabe von Schüler/innen an Kunst und Kultur
Stärkung der Kompetenzen der Schüler/innen durch kulturelle Bildungsprozesse

Im Schuljahr 2024/25 steht das Programm unter dem Themenschwerpunkt "take HEART" Demokratie, Nachhaltigkeit und Kulturelle Bildung.

Seitens der projektleitenden Lehrkräfte der Schulen mit Öffentlichkeitsrecht sind laufend Projekteinreichungen während des ganzen Schuljahres möglich, jedoch spätestens sechs Wochen vor Projektbeginn.

Nähere Informationen findet man auf der Website des Initiative.

Der OEAD begleitet die Initiative konzeptionell, beratend und organisatorisch.

Kontakt:

OEAD – Agentur für Bildung und Internationalisierung

Ebendorferstraße 7

1010 Wien

T +43 1 53408-531 oder T +43 1 53408-543

kulturbildung@oead.at

IT- Hinweis

https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/schwerpunkte/kulturvermittlung/kulturbildung.html (17.12.2024)

Dokumentation    





Zum Autor    

APS - Lehramt (VS - HS - PL 1970, 1975, 1976), zertifizierter Schülerberater (1975) und Schulentwicklungsberater (1999), Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für die APS beim Landesschulrat für Tirol (1993-2002)

Absolvent Höhere Bundeslehranstalt für alpenländische Landwirtschaft Ursprung - Klessheim/ Reifeprüfung, Maturantenlehrgang der Lehrerbildungsanstalt Innsbruck/ Reifeprüfung - Studium Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), 1. Lehrgang Ökumene - Kardinal König Akademie/ Wien/ Zertifizierung (2006); 10. Universitätslehrgang Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ MSc (2008), Weiterbildungsakademie Österreich/ Wien/ Diplome (2010), 6. Universitätslehrgang Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012), 4. Interner Lehrgang Hochschuldidaktik/ Universität Salzburg/ Zertifizierung (2016) - Fernstudium Grundkurs Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2018), Fernstudium Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium, Comenius - Institut Münster/ Zertifizierung (2020)

Lehrbeauftragter Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung VO - SE (1990-2011), Fachbereich Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung - SE Didaktik der Politischen Bildung (2026-2017)

Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche Österreich (2000-2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019)

Kursleiter der VHSn Salzburg Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg/ "Freude an Bildung" - Politische Bildung (2012 - 2019)

MAIL dichatschek (AT) kitz.net

 
© die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 20. Dezember 2024